«Ihr sagt, dass ihr eure Kinder über alles liebt.»

Es fing alles vor wenigen Monaten an, Ende Herbst vielleicht, als sich die ersten Jugendlichen weigerten, zu ihren Eltern ins Auto zu steigen. Eine Mutter sagt, ihr Sohn habe von einem Tag auf den andern beschlossen, vegan zu leben; ein Vater meint, seine zwölfjährige Tochter habe ihm an Weihnachten vorgerechnet, wie sehr ein Thailand-Urlaub der Umwelt schade, und stattdessen vorgeschlagen, im Frühling lieber ins Tessin zu fahren. Und wenn man die Eltern danach fragt, woher der Gesinnungswandel ihrer Kinder stamme, dann hört man diesen einen Namen: Greta. Greta Thunberg. Das kleine Mädchen aus Schweden. Dieses Mädchen bestieg vor wenigen Tagen einen Zug in Stockholm und fuhr in Begleitung ihres Vaters nach Davos ans WEF, wo sie von Journalisten umringt wurde wie US-Präsident Donald Trump ein Jahr zuvor. Sie konnte keinen Schritt mehr tun, ohne Mikrofonstangenwald unter der Nase, war bald auf den Titelseiten der Zeitungen, bald im Fernsehen: Greta hier, Greta dort, Greta Superstar – ein mürrisches Mädchen, das sich weigerte, auf Fotos zu lächeln, und auf die Frage, was sie denn ändern wolle, antwortete: «Alles.» Mit ihrer stoischen Art rüttelte sie eine ganze Generation von Jugendlichen wach, von der es noch bis vor kurzem hiess, sie sei so unpolitisch und nur daran interessiert, welche Filter sie am besten für ihre Selfies verwende. «Ich will», sagt Greta Thunberg, «dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn das tut es.» Und: «Wir zerstören nicht nur die Welt, auf der wir leben, sondern auch uns selbst.» Und weiter: «Wir Kinder tun oft nicht, was ihr Erwachsenen von uns verlangt. Aber wir ahmen euch nach. Und weil ihr Erwachsenen euch nicht für meine Zukunft interessiert, werde ich eure Regeln nicht beachten.» Und schliesslich: «Ihr sagt, dass ihr eure Kinder über alles liebt. Und trotzdem stehlt ihr ihnen ihre Zukunft direkt vor ihren Augen.»

(NZZ am Sonntag, 27. Januar 2019)

Ist er das, der lange ersehnte Anfang einer weltweiten Revolution für das Leben? Zu hoffen ist, dass die Welle nicht schon bald wieder abebbt, sondern immer stärker wird und immer weitere Bevölkerungskreise erfasst. Logisch wäre es, denn die Sehnsucht des Menschen nach einer Welt von Gerechtigkeit, Frieden und Einklang mit der Natur ist unendlich und wartet nur darauf, aus den Klauen des kapitalistischen Profit- und Wachstumswahns befreit zu werden. Denn, wie schon der bekannte Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi sagte: «Der Mensch ist gut und will das Gute. Und wenn er böse ist, so hat man den Weg verrammelt, auf dem er gut sein wollte.»