Hurra, jetzt dürfen auch die Kundinnen und Kunden von Coop schon das Personal bewerten und können erst noch einen Gutschein im Wert von 1000 Franken gewinnen…

 

Wie das Gratisblatt “20minuten” am 20. September 2021 berichtet, sollen Kundinnen und Kunden von Coop zukünftig das Verhalten und das Auftreten des Personals an der Kasse und auf der Verkaufsfläche bewerten können, auf einer Skala von 0 bis 5. Coop hat zur Einführung dieses Bewertungssystems sogar extra ein Gewinnspiel lanciert: Wer sich am Bewerten aktiv beteiligt, kann einen Gutschein im Wert von 1000 Franken gewinnen. Wenn ich also zukünftig meinen Einkauf auf das Rollband lege und mir die Kassierin freundlich zulächelt, dann werde ich nicht mehr wissen, ob es sich da einfach um eine ganz spontane und freundliche Mitarbeiterin handelt, ob ich ihr besonders sympathisch bin oder ob sie das nur deshalb tut, um eine möglichst positive Bewertung zu ergattern. Das Gleiche im Hotel und im Restaurant, wo die Gäste schon seit Längerem die Möglichkeit haben, übers Internet eine Beurteilung des in Anspruch genommenen Angebots vorzunehmen, so dass auch die Zimmermädchen, die Köche, der Herr am Empfang und die Kellnerinnen bei jedem Handgriff und jeder Bewegung wissen, dass dieses oder jenes Verhalten oder dieses oder jenes falsche Wort zur falschen Zeit eine negative Gästebewertung zur Folge haben könnte – und folglich höchstwahrscheinlich auf eine entsprechende Rüge ihres Arbeitgebers. Bald werden wir wahrscheinlich auch schon die Arbeit unserer Physiotherapeutin, unseres Fitnesstrainers, unserer Krankenpflegerin, unserer Zahnärztin, unseres Briefträgers und unserer Coiffeuse via Internet bewerten können und alle werden sich jede erdenkliche Mühe geben, um in den Genuss einer positiven Bewertung zu gelangen. Nun, was soll daran so schlecht sein? Erstens töten solche Bewertungssysteme jegliche Spontaneität ab. Das Lächeln der Kellnerin, die anschliessend von ihrem Gast bewertet wird, gleicht dem Lächeln von Sportgymnastinnen und Synchronschwimmerinnen, die auch dann noch ein Lächeln auf dem Gesicht haben, wenn ihr Körper vor Anstrengung und vor Schmerzen fast zerbricht. Weit ist da der Weg nicht mehr hin bis zu jenen Robotern, die ihre Kundinnen und Kunden zwar perfekt bedienen – wie das heute in japanischen Hotels und Restaurants schon gang und gäbe ist -, stets ein Lächeln auf dem Gesicht haben, nie ihre Geduld verlieren, nie einen Fehler machen – dafür aber keine Seele mehr haben. Die Coiffeuse, die eine wunderbare Frisur herbeizaubert, die Verkäuferin im Modegeschäft, welche ihre Kundinnen besonders einfühlsam berät, der Koch, der sich alle Mühe gibt, ein feines Gericht zuzubereiten: Sie alle haben das auch vorher schon nach bestem Wissen und Gewissen gemacht, doch jetzt stehen sie bei jeder Bewegung und jedem Wort im Blickfeld eines unsichtbaren Auges. Ein durch nichts zu rechtfertigender Eingriff in die Persönlichkeit der Betroffenen, denen man aus völlig unerklärlichen Gründen nun auf einmal all das, was bisher selbstverständlich war und nichts anderem entsprang als der Leidenschaft und der Liebe zu ihrer Arbeit, nun auf einmal nicht mehr zuzutrauen scheint – als wären es Marionetten, die nur dann funktionieren, wenn einer oben ist, alle Fäden in der Hand hält und die Figuren richtig zu führen weiss. Zweitens, und das erscheint mir noch schlimmer: Solche Bewertungssysteme verschlimmern all jene “Untertanenverhältnisse”, die bereits vor der Einführung des Bewertungssystems bestanden, erst recht. Das Leitmotiv, wonach der Kunde König sei, wird nun erst recht auf die Spitze getrieben. Hat sich der Gast früher über ein Essen, das ihm nicht schmeckte, bei der Kellnerin beschwert, so saust er nun nach dem Essen nach Hause und hackt seine negative Bewertung in den Computer. Da negative Bewertungen erfahrungsgemäss häufiger gegeben werden als positive, erhöht dies zusätzlich den Druck auf die Angestellten. Das zutiefst Unmenschliche daran ist, dass die Kundinnen und Gäste zwar stets – ganz nach dem Motto: wer zahlt, befiehlt – auch ihre schlechten Tage haben und auch mal unfreundlich oder sogar herablassend und verletzend sein dürfen – man dem Personal aber genau dieses Recht, auch mal einen schlechten Tag oder auch mal eine schlechte Laune zu haben, verwehrt. Kein Wunder, wird es immer schwieriger, genügend Personal für Jobs zu finden, die einerseits überaus streng und schlecht bezahlt sind und in denen man anderseits so gnadenlos der Willkür von Kundinnen und Gästen ausgeliefert ist. Seit ich unlängst der Bäckerin im Supermarkt, wo ich regelmässig einkaufe, dafür gedankt habe, dass sie stets so gutes Brot backe, grüsst sie mich jedes Mal schon von Weitem, wenn sie mich beim Einkaufen sieht. Und auch die Kellnerin im Restaurant, wo ich kürzlich zu Mittag gegessen habe, strahlte übers ganze Gesicht, als ich ihr für die freundliche und zuvorkommende Bedienung ein herzliches Dankeschön ausgesprochen habe. Wäre das nicht eine viel effizientere – und erst noch billigere – Methode, um Menschen für ihre Arbeit zu motivieren, statt sie rund um die Uhr mit Argusaugen zu beobachten, zu vergleichen und zu bewerten?