Fünf Mädchen bringen einen Präsidenten zu Fall

Der Entscheid sei ihm nicht leichtgefallen, gesteht Nursultan Nasarbajew, der Präsident Kasachstans, in einer Fernsehansprache. Doch nach 30 Jahren an der Macht habe er sich dazu entschlossen zurückzutreten. Schlussendlich waren es wohl fünf kleine Mädchen, die dem Präsidenten klarmachten, dass er als Landesvater ausgedient hat. Die Kinder waren zwischen drei Monaten und 13 Jahren alt, als sie vergangenen Monat beim Brand eines Hauses in Astana starben. Mutter und Vater konnten ihre Kleinen nicht retten, weil beide auf Nachtschicht waren, um die Familie durchzubringen. Die Tragödie löste wütende Proteste von Müttern aus: gegen miese Arbeitsbedingungen, gegen Armut, gegen schlechte Gesundheitsversorgung – und letztlich gegen das unfähige Regime.

(Tages-Anzeiger, 20. März 2019)

Es mag ja ein «unfähiges Regime» sein. Aber das ist nur ein Teil der Realität. Der andere, das ist der Kapitalismus. Was nämlich Nursultan Nasarbajew das Amt gekostet hat, könnte ebenso gut auch hierzulande – unter einem «fähigen» Regime – geschehen sein. Denn auch in der Schweiz gibt es Eltern, die aus existenziellen Gründen beide Nachtschicht arbeiten und während dieser Zeit ihre Kinder allein lassen müssen. «Zum Glück» hat sich diese Tragödie im fernen Kasachstan ereignet, so können wir bequem mit dem Finger auf einen «unfähigen» Regierungspräsidenten zeigen und so tun, als hätten wir mit dem Ganzen nichts, aber auch nicht das Geringste zu tun. In Tat und Wahrheit ist der Schuldige aber nicht der Präsident Kasachstans, sondern ein Wirtschaftssystem, das auf die gnadenlose Ausbeutung von Mensch und Natur ausgerichtet ist, in Kasachstan ebenso wie in der Schweiz und überall. Interessant ist ja die Frage, ob der schweizerische Bundesrat ebenfalls zurücktreten würde, wenn sich ein solches Unglück hierzulande ereignen würde. Wohl kaum…