Familienfrau und Familienmann: Der Beruf, auf dem alle anderen Berufe aufbauen…

 

Als Tim von der Lehrerin gefragt wurde, was seine Mutter arbeite, sagte er: “Nichts. Sie macht nur den Haushalt, putzt die Wohnung, kocht, wechselt die Windeln meiner Schwester, macht die Wäsche, spielt mit uns Kindern, macht mit mir die Hausaufgaben und geht einkaufen.” Selbst Erwachsene, wenn sie über das Thema sprechen, reden von “berufstätigen” und “nicht berufstätigen” Frauen. Als wäre die Arbeit einer Mutter und Hausfrau bzw. eines Vaters nicht eine vollwertige, höchst anspruchsvolle, anstrengende, verantwortungsvolle und erst noch gesellschaftlich höchst unentbehrliche, unersetzliche Arbeit, die offensichtlich nur deshalb so wenig Ansehen geniesst, weil sie zum Nulltarif geleistet wird. 

Auch in der Diskussionssendung “Arena” am Schweizer Fernsehen vom 17. Februar 2023 zum Thema Elternzeit ging es vor allem um wirtschaftliche Fragen und darum, wie insbesondere Frauen nach einer Geburt wieder möglichst optimal in die ausserhäusliche Arbeitswelt “integriert” werden könnten. Doch wäre es vielleicht einen Versuch wert, das Thema für einmal aus einer gänzlich anderen Perspektive zu beleuchten, nämlich so, dass man eine berufliche Tätigkeit in der ausserfamiliären Arbeitswelt nicht als etwas automatisch “Höherwertiges” als die Familienarbeit, sondern beides als gleichwertig ansehen würde.

So etwa sähe meine Vision aus: In der Regel würden die beiden Elternteile zusammen einen 100%-Job in der ausserfamiliären Arbeitswelt erbringen, also zum Beispiel der eine Elternteil 80 Prozent, der andere 20 oder beide je 50 oder einer allein 100. Dementsprechend würde der verbleibende 100%-Job vollumfänglich der Familien- und Hausarbeit zur Verfügung stehen. Bedingung dafür wäre freilich, dass ein 100%-Job in der ausserfamiliären Arbeitswelt als Existenzgrundlage für eine Familie ausreichen müsste, was nur durch die Einführung eines entsprechenden existenzsichernden Mindestlohns sowie durch grosszügige Kinderzulagen, einkommensabhängige Krankenkassenprämien und eine Deckelung der Wohnungsmieten zu gewährleisten wäre, eigentlich lauter Selbstverständlichkeit, die auch unabhängig von der Diskussion über Erwerbsarbeit von Eltern schon längstens hätten realisiert werden müssen. Dies brächte insbesondere auch Alleinerziehenden eine wesentliche Entlastung, wären sie doch somit nicht mehr gezwungen, nebst der Betreuungs- und Hausarbeit zusätzlich noch einer 100%igen ausserfamiliären Erwerbsarbeit nachzugehen.

Ein vollwertiges Pensum als Familienfrau bzw. Familienmann hätte viele Vorteile. Zunächst würde es dazu führen, dass dieser Beruf endlich jene Wertschätzung erführe, die er verdient hat – indem er nämlich nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel wäre, und nicht etwas Lästiges, Verpöntes oder Minderwertiges, das man so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte, um wieder – in der ausserfamiliären Arbeitswelt – einen “richtigen” Berufs auszuüben. Zweitens würde der ganze Stress wegfallen, mit dem heute schon die kleinen Kinder frühmorgens aus dem Bett gejagt werden, um in die Kita gebracht zu werden, der Stress auch, von dem das Einkaufen, das Kochen und die vielen anderen notwendigen Tätigkeiten begleitet sind, die noch in die kleinen verbliebenen Zwischenräume gequetscht werden müssen. Drittens wäre immer, wenn es dem Kind schlecht geht, wenn es krank ist oder aus irgendeinem Grund zu früh von der Schule nach Hause kommt, der Vater oder die Mutter zuhause, um sich um das Kind zu kümmern. Viertens könnte die Haus- und Familienarbeit, sobald die Kinder grösser sind, mit gesellschaftlichen Aufgaben wie Nachbarschaftshilfe, Carearbeit oder der Tätigkeit in einem Verein aufgestockt werden – lauter Arbeitsfelder, wo hilfreiche Hände noch so gefragt sind.

Dies alles würde dazu beitragen, dem Beruf der Familienfrau und des Familienmanns jene Bedeutung zuzumessen, die ihm tatsächlich gebührt: jenem Beruf nämlich, der die Basis aller anderen Berufe bildet und ohne den es keinen Nachwuchs für die zukünftige Arbeitswelt gäbe, aber auch nicht alle gesellschaftlichen Werte wie Fürsorge, Solidarität und Liebe und schon gar nicht all das, was die Kinder – von der Bildung ihrer körperlichen und emotionalen Kräfte bis hin zum Erwerb der Muttersprache – in ihren ersten Lebensjahren von ihren Eltern lernen. Das zutiefst Ungerechte besteht darin, dass sich Gutverdienende dieses Modell – halb Familienarbeit, halb ausserfamiliäre Erwerbsarbeit – heute schon leisten können. Es wäre nichts weniger als ein Postulat der sozialen Gerechtigkeit, materielle Bedingungen zu schaffen, die es sämtlichen Eltern ermöglichen würden, sowohl die Familienarbeit wie auch die ausserfamiliäre Erwerbsarbeit vollwertig und gleichberechtigt nebeneinander auszuüben.