Familienarbeit: anspruchsvoll und gesellschaftlich wichtig

Bezugnehmend auf die Tatsache, dass noch immer ein grosser Teil der Frauen auf eine berufliche Karriere verzichten, um sich vollzeitmässig der Kinderbetreuung und dem Haushalt zu widmen, meint Michèle Binswanger in ihrem Kommentar «Konservativ bis auf die Knochen»: «Wir können uns je länger, desto weniger leisten, all die gut ausgebildeten Frauen am Herd vergammeln zu lassen.»

(Tages-Anzeiger, 5. November 2019)

Zweifellos muss alles getan werden, um die Vereinbarkeit von Familienarbeit und ausserhäuslicher Erwerbsarbeit zu fördern. Und selbstverständlich sind sämtliche Anstrengungen zu begrüssen, die es möglich machen, dass nicht nur Mütter, sondern auch Väter einen Teil der Familienarbeit übernehmen. Wer aber Familienarbeit so definiert, dass es sich dabei bloss um ein «Herumgammeln am Herd» handelt, erweist allen diesen berechtigten gesellschaftspolitischen Anliegen einen Bärendienst. Haus- und Familienarbeit ist alles andere als ein «Herumgammeln am Herd». Es ist vielmehr eine der anspruchsvollsten Tätigkeiten, die man sich nur vorstellen kann. Und obendrein eine der gesellschaftlich betrachtet wichtigsten – schliesslich sind die Liebe, die Zuwendung und das ganze Umfeld, in dem ein Kind in seinen ersten Lebensjahren aufwächst, von grundlegender Bedeutung für sein ganzes zukünftiges Leben – und damit auch für sämtliche Menschen, mit denen es privat und beruflich zu tun haben wird. Das soll kein Plädoyer dafür sein, dass Mütter – oder Väter – nicht neben oder anschliessend an ihre Familienarbeit auch einer ausserhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehen sollen. Es soll aber ein Plädoyer dafür sein, dass Familienarbeit – mit oder ohne Karriere – als vollwertige berufliche Tätigkeit anerkannt wird und dafür auch die entsprechende gesellschaftliche Wertschätzung erfährt bis hin zu einer materiellen Entlohnung – denn weshalb soll ausgerechnet einer der anspruchsvollsten und gesellschaftlich wichtigsten Berufe bloss gratis geleistet werden?