«Factfulness» – Donald Trump lässt grüssen

Der Bestseller «Factfulness» von Hans Rosling will gemäss Titelseite zeigen, wie man die Welt so sehen lernt, «wie sie wirklich ist». Was folgt, ist indessen eine so haarsträubende Verdrehung der Tatsachen, dass man das Buch enttäuscht schon bald wieder beiseite legt.

Drei Beispiele: Aus der Kindersterblichkeit Malaysias, die gegenwärtig bei 14 von 1000 Neugeborenen liegt, zieht Rosling – ohne hierfür irgendwelche Quellen anzugeben – den Schluss, dass «die meisten Familien in Malaysia genug zu essen haben, dass keine Abwässer in ihr Trinkwasser gelangen, dass sie einen guten Zugang zu gesundheitlicher Versorgung haben und dass die Mütter lesen und schreiben können.» Stutzig geworden werfe ich einen Blick ins Internet und werde sogleich fündig: «Viele Kinder in Malaysia», so ist bei www.humanium.org zu lesen, «leiden unter Armut. Die UNICEF schätzt die Zahl der Kinder unter 15, die unter schwierigen Bedingungen leben und deren Grundbedürfnisse nicht gedeckt sind, auf mehr als 72’000. Mädchen ist der Zugang zu Schulbildung manchmal aus kulturellen Gründen gänzlich versagt.» Und die NZZ berichtet: «Umfrageergebnisse aus dem Jahr 2018 zeigen, dass sich 72% der Bevölkerung Malaysias Sorgen machen über ihre wirtschaftliche Situation, fünf Jahre zuvor waren es erst 44%.» Zweites Beispiel ist die Behauptung, dass sich «die Verhältnisse auf der Welt generell verbessern». Eine solche Aussage klingt zwar gut, stillt aber den Hunger keines einzigen jener Milliarde Menschen, die nicht genug zu essen haben. Drittes Beispiel: Rosling behauptet schlichtweg, es bestünde keine weltweite Kluft zwischen Arm und Reich. Als «Beweis» dafür führt er eine Statistik der Einkommensverhältnisse der gesamten Weltbevölkerung an, auf der tatsächlich in der Mitte der Kurve die meisten Menschen sind und im Vergleich dazu eine viel kleinere Zahl ganz links (arm) und ganz rechts (reich).Schaut man sich aber die Statistik genauer an, dann liegt die «Mitte» bei einem Tageseinkommen von 6 Dollar. Das heisst: die Hälfte der Weltbevölkerung, also rund 3,5 Milliarden, verdienen weniger als 6 Dollar pro Tag. Und weitere 2 Milliarden Menschen verdienen zwischen 6 und 32 Dollar pro Tag. Wenn man anderseits weiss, wie viele Millionäre und Milliardäre es weltweit gibt – und ihre Zahl wird laufend noch grösser -, dann ist es wohl mehr als vermessen, zu behaupten, es gebe keine Kluft zwischen Arm und Reich.

Und so weiter. Rosling verbiegt die Realität bis zum Geht-nicht-mehr, verzerrt Statistiken, verbreitet Allgemeinplätze ohne Begründungen und Angaben von Quellen. Quintessenz seiner Ausführungen: Der Kapitalismus ist gut und macht die Welt immer besser. Um dies zu illustrieren, führt Rosling das Beispiel einer Familie an, die bisher mit einem Dollar pro Tag auskommen musste. Dank einer guten Ernte hat die Familie Glück und kann nun in die nächsthöhere Einkommensstufe aufsteigen. «Sie haben es geschafft. Sie haben ihr Einkommen vervierfacht und verdienen jetzt vier Dollar pro Tag.» Und so, folgert Rosling, sei es möglich, mit Glück und Arbeit von Stufe zu Stufe hochzusteigen. Rosling vergisst zu erwähnen, dass ein solcher Aufstieg nur den allerwenigsten Menschen vergönnt ist und 99 Prozent der Menschen weltweit gesehen lebenslang auf jener Stufe verbleiben, in die sie hineingeboren wurden.

Was soll ein solches Buch? Aufklärend ist es wohl kaum, dafür umso systembewahrender. Ist das der neue Stil – Donald Trump lässt grüssen -, die Verhältnisse so lange zurechtzubiegen, bis sie ins eigene Weltbild passen (genau das, was Rosling seinen Gegnern vorwirft). «Dieses Buch», so Rosling, «ist die definitiv letzte Schlacht in meiner lebenslangen Mission, die verheerende Unwissenhat in der Welt zu bekämpfen.» Bleibt zu hoffen, dass weder Trump noch Rosling diese Schlacht gewinnen.