EU-Flüchtlingspolitik: kein Beitrag zu einer dauerhaften Lösung

 

Nun hat die EU-Kommission ihre lange angekündigten Reformpläne für das europäische Asylwesen präsentiert. Auch die Schweiz begrüsst die Stossrichtung des Massnahmenpakets, vor allem das “schnelle Screening an den Aussengrenzen”, einen “wirksamen Aussengrenzenschutz” sowie eine “effiziente und konsequente Rückkehrpolitik”. Menschenrechtsorganisationen bemängeln, dass die geplante Flüchtlingspolitik zu sehr auf Abschreckung und Abschiebung fokussiert sei und sich die EU-Staaten nach wie vor weigerten, innerhalb der europäischen Länder einen Verteilschlüssel für Flüchtlinge zu vereinbaren.

(Tages-Anzeiger, 24. September 2020)

 

Weder die Aufnahme einer immer grösseren Zahl von Flüchtlingen, noch das möglichst “effiziente” Abschieben von Flüchtlingen an den EU-Aussengrenzen ist eine dauerhafte Lösung des Flüchtlingsproblems, sondern bloss eine Bekämpfung von Symptomen. Längerfristig lässt sich das Flüchtlingsproblem nur lösen, wenn an die eigentlichen Ursachen herangegangen wird. Und diese liegen im exorbitanten Ungleichgewicht zwischen wohlhabenden Ländern auf der einen Seite sowie Ländern auf der anderen Seite, die von permanenter Armut, von Hunger, von politischer Instabilität, von Kriegen und von Naturkatastrophen betroffen sind. Dieses Ungleichgewicht zwischen reichen und armen Ländern, welches die Hauptursache sämtlicher Flüchtlingsströme bildet, ist indessen weder ein Zufall, noch hat es etwas mit Glück oder Pech zu tun, nein, die Armut der Armen ist eine unmittelbare und logische Folge des Reichtums der Reichen. Nicht nur, dass die industrialisierten Länder des Nordens seit Jahrhunderten unermessliche Gewinne erzielen durch den Import billiger Rohstoffe und den Export teurer Fertigprodukte. Auch, dass die Profite aus dem Handel mit Bodenschätzen und Rohstoffen nicht dort anfallen, wo diese Stoffe gewonnen werden, sondern in den europäischen und nordamerikanischen Konzernen, welche diese Stoffe gewinnbringend von Kontinent zu Kontinent hin- und herschieben. Auch, dass immer grössere Flächen Kulturlandes in den Ländern des Südens dazu gebraucht werden, Nahrungsmittel für die Bevölkerung der reichen Länder des Nordens zu gewinnen. Auch, dass Rüstungskonzerne, die wiederum fast ausschliesslich in den Ländern des Nordens angesiedelt sind, jene Waffen produzieren, mit denen dann in den Ländern des Südens Kriege geführt, ganze Dörfer und Städte ausradiert und die Menschen all ihrer Habseligkeiten beraubt werden. Und schliesslich auch, dass die reichen Länder infolge ihres Wohlstands, des Verkehrsaufkommens  und ihrer Konsumgewohnheiten ungleich viel mehr als die armen Länder zum CO2-Ausstoss und damit zur Klimaerwärmung beitragen, von der aber die armen Länder in Form von Dürren, Überschwemmungen und dem Ansteigen der Meeresspiegel ungleich viel unmittelbarer betroffen sind. Wenn wir also das “Flüchtlingsproblem” dauerhaft und nachhaltig lösen wollen, dann kann uns dies nur gelingen, wenn wir diese immense Kluft zwischen den armen und den reichen Ländern verringern, faire Handelsbeziehungen aufbauen an Stelle ausbeuterischer Profitgeschäfte, auf die Produktion von Waffen und Kriegsmaterial verzichten und das dadurch gesparte Geld in zivile Aufbauprojekte und Entwicklungsprogramme investieren, nichtnachhaltige Ess- und Konsumgewohnheiten hinterfragen, die Verkehrsströme drastisch reduzieren und alle möglichen weiteren Massnahmen ergreifen, um den CO2-Ausstoss zu senken und eine weitere Erwärmung des Klimas zu stoppen. Würden wir dies alles und noch viel mehr in aller Konsequenz umsetzen, dann gäbe es schon bald keinen einzigen Menschen mehr, der versuchen würde, in einem Schlauchboot von Afrika nach Europa zu gelangen oder sich den Körper blutig zu reissen beim Versuch, an irgendeiner osteuropäischen Grenze unter einem Stacheldraht hindurchzukriechen. Denn kein Mensch verlässt freiwillig seine Heimat, wenn er dort anständig und menschenwürdig leben kann. Und es gibt keinen einzigen plausiblen Grund dafür, dass ein Kind, das in Ghana oder in Syrien geboren wurde, nicht genau das gleiche Recht auf ein menschenwürdiges Lebens haben sollte wie ein Kind, das in Dänemark oder in der Schweiz geboren wurde…