Eine neue Welt: Man muss das Unmögliche denken, damit es möglich wird…

 

Ein Krieg, der unermessliches Leiden schafft, entstanden aus einem Konflikt, der schon längstens mit friedlichen Mitteln hätte gelöst werden können. Eine Vielzahl weiterer Kriege, mehr als je seit dem Zweiten Weltkrieg, von denen schon niemand mehr spricht. Eine Milliarde Menschen, die hungern, Tag für Tag weltweit zehntausend Kinder, die vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs sterben, weil sie nicht genug zu essen und kein sauberes Trinkwasser haben. Eine Minderheit von Reichen und Superreichen über alle Kontinente hinweg, die sich in Luxushotels, auf Golfplätzen und Kreuzfahrtschiffen vergnügen, mit Edelkarossen über die Autobahnen rasen, sich im Luxusrestaurant einen tausendfränkigen Wein servieren lassen und von denen die Allerreichsten gar eine private Weltraumrakete ihr Eigen nennen. Millionen von Männern, Frauen und Kinders, denen härteste Arbeit zu geringstem Lohn aufgezwungen wird, bloss um die laufend wachsenden Luxusbedürfnisse der Reichen und Reichsten zu befriedigen. Lohnunterschiede zwischen den höchsten und tiefsten Einkommen, die grösser sind als alles, was die Geschichte je gesehen hat. Der unerbittliche Glaube an ein immerwährendes Wirtschaftswachstum, dem alle Schätze der Erde, die ganze Vielfalt der Natur, das Wasser, die Luft und selbst das Überleben der Menschheit in den nächsten 20 oder 50 Jahren rücksichtslos geopfert werden. Und wie wenn das alles nicht schon mehr als genug wäre, stehen weltweit mit einem Riesenarsenal an Atomwaffen Massenvernichtungsmittel bereit, die jederzeit die gesamte Menschheit nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach auslöschen könnten. Wären Lebewesen eines anderen, höher entwickelten Planeten in der Lage, auf die Erde zu schauen, sie würden es nicht begreifen, würden sich ungläubig die Augen reiben und würden buchstäblich die Welt nicht mehr verstehen. Und auch der kleine Prinz in der bekannten Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry, der schon vor vielen Jahren auf der Erde landete und damals schon ob dem Treiben der Menschen zutiefst verwundert war, würde heute wohl noch viel früher als damals die Erde fluchtartig wieder verlassen.

Eigentlich gibt es angesichts dieses Zustands der Erde und der Menschheit nur zwei Möglichkeiten: Resignation oder Hoffnung. Ich plädiere für die Hoffnung. So “naiv” oder “realitätsfern” dies im Moment auch erscheinen mag. Doch die Vorstellung einer Zukunft ohne Kriege, ohne soziale Ungerechtigkeit, ohne Ausbeutung von Mensch und Natur zwecks Profitmaximierung und ohne zukunftsbedrohenden Raubbau an der Natur und den Schätzen der Erde, ist so viel einfacher, klarer, logischer als diese so komplizierte und so verrückte Welt, in der wir heute leben. “Ich weigere mich”, sagte Nadine Gordima, Schriftstellerin und Anti-Apartheid-Kämpferin, “ohne Hoffnung zu leben.” Ja, Hoffnung gibt Kraft. Und diese Kraft brauchen wir, die von so grossem Leid, so unermesslicher Zerstörung, so verstörenden Zukunftsängsten so müde und kraftlos geworden sind, dass wir höchstens noch die letzten Reste privater Glückseligkeit geniessen, uns aber nicht mehr um das grosse Ganze kümmern, weil doch schon alles verloren zu sein scheint. 

Hoffnung bedeutet: sich jene andere Welt vorzustellen, die als tiefe Sehnsucht in uns allen verborgen liegt und die mit jedem Kind, das in die Welt kommt, neu geboren wird. Man muss die vorhandene Wirklichkeit übersteigen. Man muss das Unmögliche denken, damit es möglich wird. Je schöner und farbiger die Vision einer Welt ohne Krieg, ohne soziales Unrecht, ohne Ausbeutung und ohne Raubbau an der Natur erscheint, umso hässlicher wird die Fratze der gegenwärtigen Weltordnung dastehen. Und dann, irgendwann, wird das Ganze kippen. Dann werden die, welche heute als Träumerinnen, Naivlinge und Spinner verschrien werden, als “realistisch” und “vernünftig” angesehen werden, und all jene, die heute noch mit dem Kriegsbeil herumrennen und nicht einmal vor der Zerstörung ihrer eigenen Lebensgrundlagen zurückschrecken, bloss noch als Relikte einer vergangenen, überwundenen Zeit.

“Mehr als die Vergangenheit”, sagte Albert Einstein, “interessiert mich die Zukunft, denn in ihr werde ich leben.” Ja, diese Zukunft kann erst dann Wirklichkeit werden, wenn wir sie in unseren Gedanken und Visionen vorwegnehmen. Nach allen Anstrengungen, nach allem Leiden, nach allen Entbehrungen vergangener Jahrhunderte wäre das wohl die vornehmste und vordringlichste Herausforderung, die man sich nur vorstellen kann. Damit sich die Bewohnerinnen und Bewohner jenes fernen Planeten, die uns beobachten, nicht mehr voller Abscheu von uns abwenden müssten, sondern nichts lieber täten, als uns einen Besuch abzustatten. Und der kleine Prinz für immer auf der Erde bleiben würde. “Du hast die Wahl”, sagte der US-Publizist Noam Chomsky, “du kannst sagen: Ich bin Pessimist, das wird alles nichts. Oder du orientierst dich an den Hoffnungsschimmern und sagst, dass wir vielleicht eine bessere Welt errichten werden. Eigentlich hast du gar keine Wahl.”