Eine “Arena” zur Coronakrise: “Wenn ich das höre, blutet mir das Herz.”

 

Schweizer Fernsehen, “Arena” vom 13. November 2020 zum Thema “Corona – wer soll das bezahlen?” Es diskutieren eine SP-Nationalrätin, ein SVP-Nationalrat, ein Nationalrat der Grünen, der Direktor von Avenir Suisse, ein Ökonom und ein Epidemiologe. Gegenseitig wirft man sich Argumente und Gegenargumente an den Kopf, wie es in der “Arena” halt so üblich ist, immer nach dem Motto: Ich bin im Recht und du bist im Unrecht, ich habe alles verstanden und du hast nichts verstanden, ich will ja nur das Beste und du hast es nur leider noch nicht gemerkt. Bis nach etwa einer Stunde der Moderator die Expertenrunde verlässt und das Wort einer jungen Frau in der hinteren Sitzreihe übergibt, die bisher mehr oder weniger geduldig zugehört hat. “Wenn ich so Sachen höre, blutet mir das Herz”, sagt die Frau, die in der Gastronomie tätig ist und einen Food Truck betreibt. Sie sei mit viel Herzblut in die Gastroszene eingestiegen, habe es dann noch mit einem Hofladen versucht und arbeite stundenweise in einem Pferdestall, aber alles habe nichts genützt, jetzt stehe sie vor dem Nichts, und nicht nur ihre, sondern auch ganz viele andere Existenzen stünden auf dem Spiel. Ihre Verzweiflung könne sie nur schwer in Worte fassen. Hier in der “Arena”, meint sie, fühle sie sich am falschen Ort und die bisherige Diskussion hätte bloss dazu geführt, dass sie den Durchblick noch ganz verloren hätte. Ja, da fragt man sich dann wirklich, wer den “Durchblick” verloren hat und wer am “falschen Ort” ist. Wäre die  “Arena” nicht das ideale Gefäss, um vor allem den am meisten von der Krise Betroffenen ein Podium zu geben? Weshalb lädt man sechs “Spezialisten” und “Spezialistinnen” in die Sendung ein, die alle nicht von der Krise existenziell betroffen sind, aber nur eine einzige tatsächlich Betroffene, und weshalb muss diese eine Stunde lang den “Experten” und “Expertinnen” zuhören, bis sie endlich auch einmal etwas sagen darf, aber nur ein paar Minuten lang, bevor das Wort dann wieder an die “Spezialisten” und “Spezialistinnen” zurückgeht? Zeugt dies alles nicht von einem weit verbreiteten, tiefsitzenden Vorurteil, wonach alles, was ein Politiker, ein Ökonom oder ein Wissenschaftler zu sagen hat, ungleich viel “wichtiger”, “wertvoller” und “aussagekräftiger” ist als all das, was eine Mutter, die Betreiberin eines Hofladens, ein  Koch oder eine Coiffeuse zu sagen hat? Wäre es nicht an der Zeit, genau jenen Menschen, die sich das heute noch nicht zutrauen und die das Gefühl haben, am “falschen Ort” zu sein und keinen “Durchblick” zu haben, genau diesen Menschen Mut zu machen, sich politisch und öffentlich für ihre Interessen einzusetzen? Ich träume von einer “Arena”, in der möglichst viele “einfache” Bürgerinnen und Bürger von ihren Ängsten, ihren Nöten und ihrer Verzweiflung berichten und in der die “Spezialisten” und “Spezialistinnen” mindestens eine Stunde lang warten müssen, bis sie dann auch einmal etwas sagen dürfen. Eine “Arena”, in der das Wort einer Floristin, einer Krankenpflegerin oder eines Bauarbeiters genau so viel Gewicht hat wie das Wort eines Universitätsprofessors, einer Politikerin oder eines Wissenschaftlers…