Eine 19jährige verstümmelte Ukrainerin und die Hoffnung auf einen baldigen Frieden

 

Eine 19jährige Ukrainerin in einem kurzen, blumigen Sommerkleid, doch an der Stelle des einen Beines eine Prothese, das Bein weggerissen, als sie auf eine Mine mit Splittermunition trat. Ein ukrainischer Soldat, beide Beine weggerissen, ein Auge verloren, trotzdem will er weiterkämpfen. Die Bilder gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Und erst recht, was man nicht sieht: Die erlittenen Ängste, als sie auf die Minenfelder getrieben wurden, die alle Vorstellungskraft sprengenden Schmerzen, während sie immerhin noch das Glück hatten, von Kameraden, tief zu Boden gedrückt im Kugelhagel, aus der Gefahrenzone fortgeschleift worden zu sein, während so viele andere rundherum hilflos verbluteten. Allein an diesem Tag fast hundert Gefallene, so eine nackte Zahl, die wenig aussagt, hinter der sich aber ebenso viele Einzelschicksale unendlichen Leidens verbergen…

Und gleichzeitig feiert die reiche ukrainische Oberschicht Party auf Mallorca. Gleichzeitig kurven Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich eine frühe Flucht aus ihrem Land leisten konnten, mit ihren SUVs durch europäische Grossstädte. Gleichzeitig verbreitet der Präsident des Landes, sicher geschützt durch eine Heerschar von Sicherheitspersonal, auf allen Bildschirmen des internationalen Parketts seine Durchhalteparolen und lobt den Mut und die Kampfbereitschaft “seiner” Soldatinnen und Soldaten. Gleichzeitig schwelgen russische Oligarchen, fernab von den todbringenden Schlachtfeldern, in nie dagewesenem Reichtum. Gleichzeitig verbreiten die Medien hüben und drüben der Front Nachrichten über “vom Feind befreite Dörfer”, in denen das Einzige, was sich noch bewegt, die siegreich aufgepflanzte russische oder ukrainische Flagge ist…

Wie konnte es so weit kommen. Wie ist es möglich, dass sich Menschen von anderen Menschen dermassen instrumentalisieren lassen und ihren Lügen zum Opfer fallen. Wie ist es möglich, dass all die Mythen und Irrlehren, die von den Mächtigen immer und immer wieder verbreitet werden, von all den wunderbaren, ganz “gewöhnlichen” Menschen, deren einzige Sehnsucht ein Leben in Sicherheit, ohne Angst, in minimalstem Wohlstand und in Würde wäre, immer wieder geglaubt werden, bis sie es gar noch als Ehre ansehen, auf einem alles an unvorstellbarer Grausamkeit übertreffenden Schlachtfeld ihr Leben aufs Spiel zu setzen. “Stets dachte ich”, so der deutsche Schriftsteller Erich Maria Remarque zur Zeit des Ersten Weltkriegs, “dass alle Menschen gegen den Krieg sind. Bis ich herausfand, dass es auch solche gibt, die dafür sind. Aber nur die, welche selber nicht hingehen müssen.”

Doch es wird und muss eine Zeit kommen, da immer mehr Menschen dieses grausame Spiel durchschauen und sich weigern werden, es weiter mitzumachen. Schon ist von hunderten Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten der Front die Rede, welche sich in immer grösserer Zahl dem “Feind” ergeben. Noch gehen die Meldungen darüber im Getöse blinder Siegeseuphorie der Mächtigen unter. Doch ewig wird sich die Vernunft nicht aufhalten lassen. Irgendwann, eines Tages, wird alles kippen. Das ist die grosse Hoffnung inmitten einer fürchterlichen Zeit, in der sich die Kräfte des Alten noch einmal, und hoffentlich ein letztes Mal, in all ihrer grenzenlosen Gewalttätigkeit aufbäumen. Für die verstümmelte 19Jährige, ihre Abertausenden Leidensgenossinnen und Leidensgenossen sowie auch für alle anderen, welche diese Hölle nicht überleben werden, wird diese neue Zeit leider viel zu spät beginnen und zurückbleiben wird irgendwann nur noch die dunkelste Erinnerung an eine Zeit, in der auf so unfassbare Weise all das zerstört wurde, wonach sich ein jedes Kind schon im Augenblick seiner Geburt so unendlich sehnt: eine Welt voller Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und einem guten Leben für alle…