Ein gerechtes Lohnsystem noch nicht erfunden?

Anderen zu Diensten sein, lohnt sich nicht. Jene Menschen, die uns die Haare schneiden oder das Essen an den Tisch bringen, die unser Büro putzen oder im Supermarkt einkassieren: all jene Menschen, die unseren Alltag erleichtern, haben es selber oft schwer. Sie verdienen so wenig, dass es nur knapp zum Leben reicht. Dies liegt laut Ökonomen an der Wertschöpfung der Branchen. IT-Unternehmen (oder Banken oder Anwaltskanzleien) setzen viel Geld um. Ein Teil davon fliesst weiter in die Löhne. Die Gastronomie oder die Coiffeurbranche gelten hingegen als «schwachproduktiv». Es kommt nicht viel Geld herein. Folglich gibt es nur wenig zu verteilen. Doch über die Lukrativität der Branchen bestimmt nicht der Markt allein. Sie hängt ab von gesellschaftlichen Wertungen und Machtverhältnissen. Warum kann ein Anwalt pro Stunde viel mehr verlangen als eine Spitex-Mitarbeiterin? Warum erhält eine Primarlehrerin mehr Geld als eine Kleinkindeerzieherin? Ganz einfach: weil wir gewisse Tätigkeiten als wichtiger und wertvoller einschätzen. Es gibt aber akademische Versuche, den Wert von Arbeit neutraler zu beurteilen. So berücksichtigt der «Comparative Worth Index» möglichst viele Anforderungen und Belastungen, die sich vergleichen lassen. Dazu gehört etwa, wie lange Angestellte ohne Unterbruch konzentriert arbeiten müssen. Oder wie oft sie gezwungen sind, von Termin zu Termin zu hetzen. Verwendet man diesen Ansatz, geht die Arbeit von Juristen, jene von Elektroingenieuren und jene von Angestellten im Gesundheitsbereich als gleichwertig hervor. Die drei Berufsgruppen müssten folglich gleich viel verdienen. Die Sache lässt sich weiterdrehen. Es ist nicht zwingend, dass akademische Bildung so stark einschenkt, wie sie das heute tut. Man könnte stattdessen die gesellschaftliche Bedeutung eines Jobs in den Lohn rechnen, die Monotonie bei der Arbeit einbeziehen oder den körperlichen Verschleiss. Ein Lohnsystem das allen gerecht wird, ist noch nicht erfunden.

(Beat Metzler, in: Tages-Anzeiger, 25. Juli 2019)

Es wäre nicht so schwierig, ein gerechtes Lohnsystem zu erfinden. Ganz einfach: Alle Berufstätigen müssten gleich viel verdienen. Denn damit Wirtschaft und Gesellschaft reibungslos funktionieren, braucht es alle, sowohl die Putzfrau wie den Informatiker, sowohl  den Fabrikarbeiter wie die Ärztin, sowohl den Krankenpfleger wie die Anwältin. Würde man auch nur einen einzigen dieser Berufe aus dem Gesamtsystem herausbrechen, so würde sogleich alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Wenn sich das Problem mit der Wertschöpfung nicht lösen lässt, dann müsste man einen Pool schaffen, in den die Besserverdienenden einzahlen und aus dem die Schlechterverdienenden die Differenz ihres Lohnes zum Durchschnittslohn ausbezahlt bekämen. Zu utopisch? Zu verrückt? Wohl kaum verrückter als unser heutiges Lohnsystem, bei dem die höchsten Löhne die niedrigsten um das 300fache übersteigen…