Doch letztlich sitzen die Klimaprotestierer und die Lkw-Fahrer im gleichen Boot…

 

Am 12. Juli 2023 zerrt ein 41jähriger Lkw-Fahrer bei einer Blockadeaktion der “Letzten Generation” im deutschen Stralsund drei Klimaprotestierer von der Strasse und droht ihnen Schläge an. Dann setzt er sich wieder hinter das Lenkrad und fährt kurz an. Dabei wird ein junger Demonstrant, der sich inzwischen wieder auf die Strasse gesetzt hat, etwa einen Meter nach vorn geschoben. Danach fährt der Lkw-Fahrer weiter, meldet sich aber später bei der Polizei. Nun droht dem Fahrer ein vorübergehender Führerscheinentzug.

So legitim die Aktion der Klimaprotestierer angesichts der drohenden Klimakatastrophe ist, so verständlich ist auch die Reaktion des Lkw-Fahrers, der unter einem ungeheuren Zeitdruck steht, den ihm auferlegten Transportauftrag in der kürzest möglichen Zeit zu erledigen, ansonsten er unter Umständen mit höchst unangenehmen Konsequenzen seitens seines Arbeitgebers zu rechnen hat. Das zutiefst Tragische an diesem Vorfall besteht darin, dass sowohl die Klimaprotestierer wie auch der Lkw-Fahrer letztlich unter dem Druck und der Belastung durch das gleiche, auf Ausbeutung und Profitmaximierung ausgerichtete kapitalistische Wirtschaftssystem stehen, das sowohl für die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen mit all ihren zerstörerischen Folgen wie auch für den gnadenlosen Konkurrenzkampf und das sich laufend verschärfende Tempo in der Arbeitswelt verantwortlich ist.

Ja. Die Klimaprotestierer und der Lkw-Fahrer sind Opfer des gleichen ausbeuterischen Wirtschaftssystems. Doch statt sich gemeinsam, in gegenseitiger Solidarität, dagegen aufzulehnen, machen sie sich gegenseitig zu Feinden. Das gleiche Phänomen stellen wir beispielsweise auch beim sogenannten “Flüchtlingsproblem” fest. Kapitalistische Ausbeutung von Mensch und Natur sind sowohl die Ursache von Armut, Hunger, Dürren, Naturkatastrophen und Kriegen in vielen Ländern des Südens, welche immer mehr Menschen in die Flucht treiben, wie auch die Ursache von Armut, sozialer Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit in den Ländern des Nordens, sodass begreiflicherweise gerade unter den gesellschaftlich Benachteiligten und Zukurzgekommenen die Empörung über jegliche “Willkommenskultur” gegenüber Menschen aus fernen Ländern ganz besonders gross ist. Doch auch hier kommt es nicht zur Solidarisierung zwischen den Opfern auf beiden Seiten, sondern zu Hass, Gewalt und gegenseitigen Schuldzuweisungen. 

Zu verurteilen sind weder die Klimaprotestierer noch die Lkw-Fahrer, weder die Flüchtlinge noch all jene Menschen, die sich von ihnen bedroht fühlen. Zu verurteilen ist einzig und allein das kapitalistische Wirtschaftssystem, welches die Menschen dazu antreibt, sich gegenseitig zu bekämpfen, statt sich, über alle Grenzen und alle gegenseitigen Feindbilder hinweg, für eine bessere und gerechtere Welt zu engagieren. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt vor vielen Jahren sagte: “Was alle angeht, können nur alle lösen.”