Die USA sind nicht nur ein zutiefst gespaltenes, sondern vor allem auch ein zutiefst kapitalistisches Land

 

Alle Kommentatorinnen und Kommentatoren der US-Präsidentschaftswahlen sind sich einig: Die USA sind ein zutiefst gespaltenes Land, so sehr, dass man zeitweise das Gefühl hat, die Anhängerinnen und Anhänger der Republikaner und jene der Demokraten lebten in zwei verschiedenen Welten, in zwei verschiedenen Sprachen, in zwei verschiedenen Arten des Denkens. Dabei geht leicht vergessen, dass die USA nicht nur ein zutiefst gespaltenes Land sind, sondern, ebenso deutlich, auch ein zutiefst kapitalistisches Land. Ein Land, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich grösser ist denn je. Ein Land, in dem die reichsten Menschen der Welt leben und sich gleichzeitig Millionen von Menschen mit zwei oder drei Jobs pro Tag zu Tode schuften müssen und dennoch kaum genug Geld haben, um davon einigermassen anständig leben zu können. Ein Land, in dem die Schulen nicht vor allem dazu da sind, dass die Kinder möglichst viel lernen, sondern dazu, dass jene Kinder, die aus privilegierten Verhältnissen stammen, auch als Erwachsene wieder zu den Privilegierten gehören werden. Ein Land, in dem permanentes Wirtschaftswachstum nach wie vor einen der wichtigsten, geradezu heiligen Glaubenssätze bildet – allen damit verbundenen ökologischen Zerstörungen und Folgekosten zum Trotz. Ein Land, das sich immer noch damit rühmt, über die grösste und bestgerüstete Armee der Welt zu verfügen. Joe Biden hat versprochen, sein gespaltenes Land zu einen, die Gräben zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten zuzuschütten. Doch das wird nicht genügen. Um das Land tatsächlich von Grund auf zu erneuern und die jahrzehntealten sozialen Missstände zu überwinden, wird es unumgänglich sein, nicht nur an der Oberfläche des kapitalistischen Systems zu kratzen, sondern dieses von Grund auf in Frage zu stellen und durch einen radikal neuen Gesellschaftsvertrag zu ersetzen, mit dem jede Form von Ausbeutung, sozialer Ungerechtigkeit, Raubbau an der Erde und an der Natur sowie militärischer Aufrüstung für immer ein Ende haben wird. Noch ist offensichtlich die Zeit dafür noch nicht reif. Doch Millionen von jugendlichen Amerikanern und Amerikanerinnen haben mit ihrer leidenschaftlichen Unterstützung des pointiert antikapitalistisch politisierenden Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders gezeigt, dass es noch ein anderes Amerika geben könnte als das, woran wir uns über so lange Zeit gewöhnt haben. Sie halten die Hoffnung am Leben, dass eines Tages allen Widerwärtigkeiten zum Trotz die Träume und die Visionen von heute zur Wirklichkeit von morgen werden können…