Die USA, die Ukraine und die zerstörerische Blutspur der Neokonservativen

 

Gerne wird den Befürworterinnen und Befürwortern einer Friedenslösung zwischen Russland und der Ukraine vorgeworfen, sie seien naiv. Wirklich naiv aber sind all jene, welche immer noch glauben, die USA hätten mit dem Ukrainekonflikt nichts zu tun und die Ukraine sei einzig und allein das unschuldige Opfer eines barbarischen Aggressors in der Gestalt Wladimir Putins. 

“Der Krieg in der Ukraine”, so der US-amerikanische Ökonom Jeffrey D. Sachs in der “Berliner Zeitung” vom 30. Juni 2022, “ist der Höhepunkt eines 30jährigen Projekts der amerikanischen Bewegung der Neokonservativen. In der Regierung Biden sitzen dieselben Politiker, die sich für die Kriege der USA in Serbien (1999), Afghanistan (2001), Irak (2003), Syrien (2011) und Libyen (2011) starkgemacht und die den Einmarsch Russlands in die Ukraine erst provoziert haben.” Die Hauptbotschaft der Neokonservativen laute, so Sachs, dass die USA in jeder Region der Welt die militärische Vormachtstellung anzustreben hätten und den aufstrebenden regionalen Mächten entgegentreten müssten, die eines Tages die globale oder regionale Vorherrschaft der USA herausfordern könnten. Die USA sollten darauf vorbereitet sein, jederzeit bei Bedarf Kriege nach ihrer Wahl zu führen. Die Vereinten Nationen sollten von den USA nur dann genutzt werden, wenn dies für ihre Zwecke nützlich sei. 

“Dieser Ansatz”, so Sachs, “wurde erstmals von Paul Wolfowitz im Jahre 2002 dargelegt. In einem Bericht an das Verteidigungsministerium forderte er die Ausweitung des von den USA geführten Sicherheitsnetzes auf Mittel- und Osteuropa, obwohl der deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher 1990 eine Ausweitung der NATO in Richtung Osten ausdrücklich ablehnte. Wolfowitz plädierte auch für amerikanische Kriege nach eigenem Gutdünken und verteidigte das Recht Amerikas, bei Krisen, die für die USA von Belang seien, unabhängig oder sogar alleine zu handeln. Wolfowitz machte bereits im Mai 1991 klar, dass die USA Operationen zum Regimewechsel im Irak, in Syrien und bei anderen ehemaligen sowjetischen Verbündeten anführen sollten.” Die Neokonservativen, so berichtet Sachs, hätten sich schon für einen NATO-Beitritt der Ukraine eingesetzt, bevor dies 2008 zur offiziellen US-Politik geworden sei. Sie hätten von Anfang an die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine als “Schlüssel zur regionalen und globalen Vorherrschaft der USA” betrachtet. “Die Ansichten der Neokonservativen”, so Sachs, “beruhen auf der Annahme, dass die USA aufgrund ihrer militärischen, finanziellen, technologischen und wirtschaftlichen Überlegenheit in der Lage sind, die Bedingungen in allen Regionen der Welt zu diktieren.

 Tatsächlich aber wurden seit den 1950er-Jahren die USA in fast jedem regionalen Konflikt, an dem sie beteiligt waren, in die Schranken gewiesen oder besiegt. Doch in der Schlacht um die Ukraine waren die Neokonservativen bereit, eine militärische Konfrontation mit Russland zu provozieren, indem sie die NATO gegen die vehementen Einwände Russlands erweiterten, weil sie der festen Überzeugung sind, dass Russland durch die finanziellen  Sanktionen der USA und die Waffen der NATO besiegt werden kann. Die Fakten vor Ort deuten indessen auf etwas anderes hin. Die Wirtschaftssanktionen des Westens haben sich auf Russland kaum negativ ausgewirkt, während ihr Bumerangeffekt auf den Rest der Welt gross war. Darüber hinaus ist die Fähigkeit der USA, die Ukraine mit Waffen und Munition zu versorgen, durch die begrenzten Produktionskapazitäten der USA und die unterbrochenen Lieferketten stark eingeschränkt.” Und so kommt Sachs zum Schluss, dass es endgültig an der Zeit wäre, die neokonservativen Fantasien der letzten 30 Jahre zu beenden und die Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zurückzuholen, den NATO-Beitritt der Ukraine abzublasen und einen tragfähigen Frieden zu finden, der die territoriale Integrität der Ukraine respektiere und schütze. Bleibt zu hoffen, dass möglichst viele politische Entscheidungsträger diesen Artikel in der “Berliner Zeitung” gelesen haben und daraus die folgerichtigen Schlüsse ziehen, denn jeder Tag, an dem der sinnlos zerstörerische Krieg weiterwütet, ist ein Tag zu viel.