Die Unsichtbarmachung der Zusammenhänge als Mittel zur kapitalistischen Machterhaltung

 

“Für die Hedgefonds-Manager”, schreibt Nobert Harris in seinem Buch “Endspiel des Kapitalismus”, “war 2020 ein besonders gutes Jahr. Das Vermögen der 25 bestverdienenden Hedgefonds-Manager stieg um insgesamt 32 Milliarden Dollar. Dabei handelt es sich um eine reine Umverteilung. Wenn jemand mit Finanzjonglage in einem Jahr eine Milliarde verdient, dann bezahlt das jemand. Um die 32 Milliarden Dollar für diese zwei Dutzend Menschen zusammenzubringen, müssen 32 Millionen Menschen je 1000 Dollar in den Topf werfen.” Harris zeigt eindringlich, dass jener Reichtum der Reichen, der in der heutigen Zeit immer unverschämtere Ausmasse annimmt, weder geschenkt noch ehrlich verdient wird, sondern von anderen Menschen hart erarbeitet werden muss. Er widerlegt damit die immer noch tief verbreitete Lüge, wonach Reichtum stets ehrlich verdient werde, oder, noch dreister, dass Reichtum stets auch den Armen zugute käme. Das Geheimrezept des Kapitalismus beruht darauf, dass diese permanente Umverteilung von den Armen zu den Reichen systematisch unsichtbar gemacht wird. Durch ein nach aussen scheinbar “legales” Weltsystem unaufhörlichen Räubertums, versteckt hinter sekundenschnellen Finanztransaktionen, digitalen Netzen, Algorithmen und dicken Mauern von Banken und Finanzinstituten, wo das eigentliche Verbrechen unsichtbar bleibt und deshalb nicht als das Verbrechen wahrgenommen wird, das es tatsächlich ist. Würden Tag für Tag vor unserem Fenster pausenlos Eisenbahnwagons voller Goldbarren vorbeidampfen, aus den Wüsten des Elends kommend und in die fernen Paradiese der Reichen donnernd, dann würde wohl ein millionenfacher Aufschrei rund um die Welt gehen, so aber bleibt alles stumm. Doch nicht nur was die Geldflüsse betrifft, auch alle anderen Formen kapitalistischer Ausbeutung beruhen darauf, dass ihre Zusammenhänge und Auswirkungen unsichtbar sind und daher auch keinen weltweiten Aufschrei auslösen. Würden die Spielpuppen unter dem Weihnachtsbaum das Wehklagen kaputtgearbeiteter Fabrikarbeiterinnen aus sich herausschreien, würde man jedes Mal, wenn man auf seinem Teller in ein Stück Fleisch hineinschneidet, die Todesangst des Tieres vor seiner Schlachtung verspüren, und sähe man beim Blick in heute noch unversehrte Naturlandschaften stets unmittelbar auch all die verwüstete, verbrannte oder überschwemmte Erde in zehn oder zwanzig Jahren als Folge unserer heute so verschwenderischen Lebensweise, dann wäre der Kapitalismus wohl schon längst in sich zusammengebrochen. Denn es ist ja nicht so, dass der Mensch kein empfindsames, mitleidvolles Wesen wäre. Er hält es kaum aus, wenn ein geliebter Mensch in seiner Nähe leiden muss, er liebt in der Regel seine Kinder über alles, stirbt sein Hund oder seine Katze, bricht ihm dies fast das Herz. Dies “weiss” das kapitalistische Machtsystem nur zu genau und setzt daher alles daran, die Verbindungen zwischen Tätern und Opfern im weltweiten System von Ausbeutung und Raubrittertum derart gründlich unsichtbar zu machen, dass nur ja an einer keinen Ecke Gefühle von Mitverantwortung und Mitgefühl entstehen, die für das Machtsystem als Ganzes gefährlich werden könnten. Nun könnte man einwenden, es gäbe da ja noch, als Gegengewicht zu dieser Unsichtbarmachung, die Medien. Doch beteiligen sich diese, so unglaublich dies klingen mag, ihrerseits an der Unsichtbarmachung sämtlicher tiefergehender Zusammenhänge innerhalb des kapitalistischen Macht- und Ausbeutungssystems. Typisches Beispiel ist die allabendliche Tagesschau. Da werden Naturkatastrophen, Regierungswechsel, Flüchtlingsdramen, wirtschaftliche Erfolgszahlen, Berichte über Arme und Obdachlose im Minutentakt aneinandergereiht, so als hätte das eine mit dem anderen nicht das Geringste zu tun. Die Fäden, die Verbindungen, die Zusammenhänge, das gesamte Räderwerk: Fehlanzeige. Der Zuschauer, der auf seinem Sofa sitzt und liebevoll seinen Hund krault, sieht Hunderte von Flüchtlingen an der polnisch-belarusischen Grenze, ohne besonders berührt zu sein. Und selbst wenn ein Gefühl von Mitleid aufgekommen wäre, ist da schon die nächste Meldung, welche ihn in seinen Bann zieht. Und so geht es bei alledem nicht so sehr darum, möglichst gründlich nachzudenken, bisher ungeahnte Erkenntnisse zu gewinnen, Hintergründe aufzudecken, als vielmehr darum, dann, wenn die allabendliche “Informationspflicht” abgehakt ist, wieder möglichst schnell zur – kapitalistischen – Tagesordnung überzugehen. So werden nicht nur die 25 bestverdienenden Hedgefonds-Manager, sondern auch Millionen weiterer weltweiter Nutzniesser und Profiteure des kapitalistischen Raubrittertums weiterhin ruhig schlafen können, selbst mitten in einer der grössten Gesundheitskrisen aller Zeiten, mitten in einer Welt, die noch nie so tief gespalten war in Arm und Reich, auf einer Erde, die unter eben diesem Raubrittertum so sehr leidet, dass die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen mehr und mehr in Frage gestellt sind. Und doch bleibt Hoffnung. Das Mitleid, die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, die Liebe – das alles ist nicht ausgestorben, es ist nur zugedeckt, vernebelt, kleingemacht. Um eine Zukunft zu schaffen, in der für alle Menschen über alle Grenzen hinweg ein gutes Leben Wirklichkeit geworden ist, muss das heute noch Unsichtbare sichtbar werden, braucht es eine schonungslose Aufdeckung und Offenlegung aller dieser wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, die heute noch im Dienste der Machterhaltung des Kapitalismus unter den Tisch gewischt werden. Hierfür muss man die Menschen nicht künstlich zu etwas zwingen, sondern, ganz im Gegenteil, sie zum Besten und Wertvollsten ihrer selbst ermutigen und befreien, durch die Werkzeuge der Liebe und der Wahrheitsfindung. Dann wird die Welt zweifellos möglicherweise schon bald nicht mehr die Gleiche sein, die sie einmal gewesen ist.