Die unsichtbaren Zimmermädchen von Ibiza: Am untersten Rand der kapitalistischen Machtpyramide

“Wir Zimmermädchen sind unsichtbar. Dagegen kämpfe ich. Als ich vor fünf Jahren von der Gastronomie in die Hotelreinigung wechselte, glaubte ich nicht, was über die Branche erzählt wurde. Die übertreiben alle, dachte ich. Doch der Alltag war noch viel schlimmer. Wir transportieren Matratzen allein auf den Schultern, manchmal trifft man auf Kot am Boden, und wenn wir ein Zimmer allein putzen, sind wir nicht vor sexuellen Übergriffen geschützt. In vielen Hotels hat man nur 15 Minuten pro Zimmer, egal in welchem Zustand man es vorfindet. Da kann man gar nicht sauber putzen. Und wenn der Hotelmanager am nächsten Morgen eine negative Bewertung auf Tripadvisor findet, fällt das auf das jeweilige Zimmermädchen zurück. Von all dem erzählten wir 2018 dem damaligen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Wir, das sind Las Kellys, ein Zusammenschluss spanischer Zimmermädchen, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Wir verzeigen etwa Arbeitgeber, die sich nicht ans Arbeitsrecht halten, und demonstrieren vor Hotels, die die Zimmerreinigung an Reinigungsunternehmen auslagern. Am Anfang hatte ich Angst vor den Hotelmanagern, jetzt haben sie Angst vor uns. Trotzdem denke ich oft daran auszugeben. Weil es ein Stress ist, in den Medien zu sein, neben oder sogar während der Arbeit Interviews zu geben, das Telefon zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt. Ich habe keine Zeit mehr für mich gehabt, entwickelte eine nervöse Bulimie, machte eine Scheidung durch. Woher ich die Kraft nehme, um weiterzumachen? In der Scheisse zu stecken, das gab mir Kraft. Dabei könnte es ja eine schöne Arbeit sein. Zugang zu einem total intimen Raum zu haben. Das gefällt mir. Doch irgendwann kannst du einfach nicht mehr dreissig Zimmer an einem einzigen Tag putzen.”

(Myriam Barros, Präsidentin von Las Kellys, einer Lobbygruppe spanischer Zimmermädchen, in: TAM, 1. Februar 2020)

Ob all jene Gäste, die nach einem Hotelbesuch im Internet eine negative Wertung abgeben, sich auch schon mal gefragt haben, was sie damit anrichten? Sie könnten, wenn sie mit der Sauberkeit ihres Zimmers nicht zufrieden sind, ja auch das zuständige Zimmermädchen ansprechen und würden dann vielleicht erfahren, dass dieses Zimmer auch mit dem besten Willen in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht besser hätte gereinigt werden können. Sie würden sich dann vielleicht vom Zimmermädchen ein Putztuch geben lassen, den störenden Flecken beseitigen oder zum Hotelmanager gehen, um ihn aufzufordern, die Zeitlimiten für das Reinigen der einzelnen Zimmer heraufzusetzen. Aber nein, lieber schweigen sie, machen ein freundliches Gesicht und gehen, sobald sie zu Hause sind, ins Internet, um ihre Beanstandung loszuwerden. Genau so ist das im Kapitalismus: Statt einander zu helfen und füreinander Sorge zu tragen, drückt jeder den anderen in den Boden hinein. Vielleicht ist ja der Gast, der seine Beanstandungen übers Internet loswird, in seiner eigenen beruflichen Tätigkeit selber ebenfalls permanenter Kontrolle, grossem Stress und häufigen Beanstandungen ausgesetzt, so wie das fast in sämtlichen Berufen immer öfters der Fall ist. Was für eine Verschleuderung menschlicher Ressourcen, was für ein Unding, die eigenen Frustrationen an anderen abzuladen und damit das Ganze immer nur noch schlimmer und schlimmer zu machen. Das Fatalste daran ist, dass ausgerechnet jene Werktätigen, die mit härtester Arbeit und geringster Entlohnung am untersten Rand dieser Machtpyramide stehen, zugleich die geringste Chance haben, sich für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen, weil sie, wie das Beispiel der spanischen Zimmermädchen zeigt, schlicht und einfach von ihrer Arbeit schon so erschöpft und ausgelaugt sind, dass sie gar keine Kraft mehr haben, sich politisch oder gewerkschaftlich zu betätigen. Dem Abhilfe schaffen könnte einzig und allein eine weltweite Einheitsgewerkschaft, in der sich sämtliche Berufstätigen, ob sie nun Bankangestellte, Lehrer, Gärtnerinnen oder Zimmermädchen sind, gegenseitig und füreinander solidarisieren. Gewerkschaften dagegen, die nur eine einzelne Berufsgruppe umfassen, haben mit echter Solidarität wenig zu tun und sind eigentlich nur Interessenvertreter einer bestimmten Gruppe innerhalb der kapitalistischen Machtpyramide.