Die Überwindung des Kapitalismus – Illusion oder existenzielle Notwendigkeit?

 

“Allerdings”, schreibt der ehemalige SP-Nationalrat Rudolf Strahm im Tages-Anzeiger vom 29. Dezember 2020, “unterliege ich nicht der Illusion, die aktuelle Zeitenwende so radikal zu interpretieren wie jene Gesellschaftsutopisten, die nun gleich das ersehnte “Nullwachstum”, die “Klimarevolution” oder gar die “Überwindung des Kapitalismus” herbeibeschwören. Insofern hat Rudolf Strahm zwar Recht, als “Nullwachstum”, “Klimarevolution” und “Überwindung des Kapitalismus” sich nicht einfach von selber, als Folge der Coronakrise, einstellen werden. Es könnte auch ganz anders herauskommen, Chaos oder das Aufkommen populistischer Bewegungen sind ebenso denkbar wie eine baldige Rückkehr zur kapitalistischen “Normalität”. Nein, Nullwachstum, Klimarevolution und Überwindung des Kapitalismus kommen nicht von selber, man muss sie wollen, man muss für sie kämpfen, man muss für sie Mehrheiten finden. Und insofern haben die von Strahm erwähnten “Gesellschaftsutopisten” eben doch Recht. Ihr Traum von einer anderen, besseren Welt ist aktueller und existenziell notwendiger denn je. Oder wünscht sich Rudolf Strahm allen Ernstes eine Zukunft, in der möglichst alles so weitergeht wie bisher? Sind das unbegrenzte Wirtschaftswachstum, die immer grössere Kluft zwischen Arm und Reich und der drohende Klimakollaps nicht die viel grösseren und gefährlicheren Illusionen als der Traum von einer friedlichen und gerechten Welt, in der Mensch und Natur im Einklang sind und alle Menschen, egal wo sie geboren wurden, ein gutes Leben haben?