Die neueste Daimlerlimousine und die Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung: zwei Welten im gleichen Land

 

“Das Auto”, so Thomas Sauter-Servaes, Mobilitätsforscher an der School of Engineering in Zürich, im “Tages-Anzeiger” vom 22. Juni 2021, “das Auto wird in Zukunft noch viel attraktiver werden. Gerade wird es zu einer riesigen Erlebnismaschine ausgebaut. So zum Beispiel hat Daimler in der neuen Elektro-Luxuslimousine einen Hyperscreen eingebaut, der zieht sich von einer Seite des Autos zur anderen. Dieser Bildschirm soll lernend sein und die Funktionen, die der Nutzer gerne hat, auf die erste Ebene holen. Das Auto wird damit noch persönlicher. Es wird zu einem grossen Smartphone auf Rädern. Es wird die Vorlieben der Nutzenden immer besser kennen und wird passgenaue Angebote machen, beispielsweise einen Rabatt bei der Cafékette, deren Filiale auf dem geplanten Weg liegt.” Verrückt. Während die gesellschaftspolitische Debatte im Hinblick auf den drohenden Klimawandel immer mehr in die Richtung einer verstärkten Förderung des öffentlichen Verkehrs, autofreier Innenstädte und gemeinschaftlicher Nutzung von Mietfahrzeugen geht, weiss die Autoindustrie nichts Gescheiteres, als den uralten und längst zur Groteske verkommenen Traum des Autos als zweitem Zuhause unter Aufbietung sämtlicher technischer Raffinessen wieder neu aufleben zu lassen. Zugegeben, bei den neuesten Serien handelt es sich mehrheitlich um Elektromobile. Aber verschlingt deren Herstellung nicht gleichermassen eine Unmenge an Energie und Rohstoffen? Wie viele seltene Metalle müssen aus der afrikanischen Erde geschürft werden, um diesen Hyperscreen herzustellen, der sich von der einen Seite des Autos zur anderen hinzieht? Liegt nicht eine umweltgerechte Entsorgung der Batterien immer noch in weiter Ferne? Verstopfen Elektroautos nicht genau so wie von Benzin angetriebene Fahrzeuge unsere Städte und erfordern stets immer weitere Strassen und den Verschleiss von wertvollem Kulturland? Ist nicht hinlänglich bekannt, dass die gesamte Ökobilanz eines Elektroautos kein bisschen besser ist als jene eines von Benzin angetriebenen Autos? Wenn ich mir das so vorstelle: Hier eine Automobilindustrie, die alles daran setzt, das Automobil der Zukunft in ein riesiges Smartphone zu verwandeln, das augenblicklich alle noch so ausgefallenen Wünsche seiner Insassen erfüllen wird – und dort die Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung, die bei Wasser und Brot wochenlang in Baumhütten ausharren, um den Bau einer Autobahn durch ein Waldgebiet zu verhindern, wenn ich mir das so vorstelle, dann überfällt mich unwillkürlich der Gedanke, ob das noch die eine und dieselbe Welt ist, in der beides gleichzeitig möglich ist. Oder ob hier nicht schon ein Graben aufgerissen worden ist, der sich nicht mehr zuschütten lassen wird. Ja, vielleicht steuern wir da tatsächlich auf einen “Kipppunkt” zu, der den Übergang in ein von Grund auf neues, anderes Gesellschaftssystem mit sich bringen wird. Denn während auf der einen Seite die Auswüchse einer weltweiten Luxusgesellschaft immer groteskere Formen annehmen, werden gleichzeitig das Unverständnis, die Ungeduld und die Wut all jener jungen Menschen, die ihren Traum von einer besseren, gerechteren und friedlicheren Welt noch nicht verloren haben, immer stärker. Welche Seite obsiegen wird – das ist nicht mehr und nicht weniger als die Frage des Überlebens der Menschheit. Oder wollen wir allen Ernstes so lange warten, bis die Daimlerlimousine dereinst durch menschenleere Dörfer segeln wird und alle längst ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten nur noch auf dem Hyperscreen zu bewundern sind, der sich von der einen Seite des Autos auf die andere hinzieht?   

 

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