Die Initiative “Züri autofrei” – “Rückfall in die verkehrspolitische Steinzeit”?

Die Wirtschafts- und Autoverbände feiern ihren Sieg: Sie haben die Juso-Initiative für eine autofreie Stadt Zürich vor Bundesgericht niedergerungen. Zum Glück hat die oberste juristische Instanz des Landes so entschieden und das unverständliche Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts korrigiert. Sonst hätte der Stadt der Rückfall in die verkehrspolitische Steinzeit gedroht. Bei einem Ja zur mobilitätsfeindlichen, illusorischen Initiative der Jungsozialisten hätte sich Zürich de facto von ihrer Zentrumsfunktion und ihrem Anspruch, Grossstadt zu sein, verabschiedet.

(NZZ, 18. Juni 2020)

Die NZZ, die Wirtschafts- und Autoverbände frohlocken zusammen mit den bürgerlichen Parteien über den Entscheid des Bundesgerichts, die Juso-Initiative “Züri autofrei” abzulehnen und somit der Stimmbevölkerung der Stadt Zürich das demokratische Recht abzusprechen, in eigener Kompetenz über diese Vorlage zu befinden. Ob diejenigen, die nun ihren “Sieg” feiern, nicht zur Kenntnis genommen haben, dass sich unlängst Wien zur autofreien Stadt erklärt hat und auch andere europäische Städte ähnliche Bestrebungen verfolgen? Werden diese Städte alle ihre “Zentrumsfunktion” verlieren und sich von ihrem Anspruch, Grossstadt zu sein, “verabschieden”? Die Frage, wer nun in der Steinzeit lebe und wer nicht, kann man unterschiedlich interpretieren. Wer, als Fussgänger, an einer vielbefahrenen Strasse steht und ein Auto ums andere an sich vorbeiziehen sieht, meist nur mit einer einzigen Person besetzt, sieht das Ganze wahrscheinlich ein bisschen anders als jene, die selber in den Autos sitzen. Und erst recht kommt man ins Grübeln, wenn man sich vorstellt, was für eine Masse an Stahl und Blech mit was für einem riesen Aufwand an Rohstoffen und Energie und mit was für einer Platzverschwendung da in Bewegung gesetzt wird, bloss um ein kleines Menschlein von A nach B zu bringen, das diesen Weg ebenso gut mit einem Tram, auf einem Velo oder zu Fuss hätte zurücklegen können. Käme hier und heute ein Wesen von einem anderen Planeten auf die Erde, empfände es dies alles als hellen Wahnsinn, umso mehr, als diese Vehikel ja an vorderster Front dafür verantwortlich sind, dass sich unser Klima immer mehr erwärmt und die Erde als Folge davon früher oder später im schlimmsten Falle unbewohnbar geworden sein wird. Nur weil wir Autos schon von klein auf gesehen und weil die meisten von uns als Kinder nicht nur mit Puppen, sondern vor allem auch mit kleinen Autos gespielt haben, ist das Auto sozusagen als etwas “Normales” in unser Bewusstsein eingedrungen, von allem Anfang an, schon mit der Muttermilch sozusagen. Ja mehr noch: Viele von uns vergöttern das Auto geradezu, sehen es als Ausdruck von Reichtum und Wohlstand, fühlen sich darin fast so heimisch wie in ihrem Wohnzimmer, wenden Stunden dafür auf, es jeden Sonntag immer wieder auf Hochglanz zu bringen, lassen ihre Motoren aufheulen und gefallen sich darin, auf der Autobahn möglichst viele andere Autos zu überholen. Heute noch frohlocken die Gegner autofreier Städte und bezeichnen ein Fahrverbot in der Stadt als “Rückfall in eine verkehrspolitische Steinzeit”. Doch möglicherweise haben sie zu früh frohlockt, denn wahrscheinlich kommt schon bald eine Zeit, in der sich die Menschen an das private Automobil ebenso ungläubig erinnern werden wie wir heutigen Menschen an die Dinosaurier. Dann, im Rückblick, werden politische Bewegungen wie die Initiative “Züri autofrei” nicht so sehr Zeichen eines historischen Rückfalls gewesen sein, sondern, ganz im Gegenteil, erste Vorboten eines neuen Zeitalters, in dem mit der Erde, den Rohstoffen, dem vorhandenen Boden, der Mobilität und der Energie so umgegangen wird, dass es auch in tausend Jahren noch genug von alledem gibt…