Die deutsche Linke und jene, die sie kritisieren: Wer ist denn da rückgewärtsgewandt und wer nicht?

Die deutsche Linkspartei könnte nach der nächsten Bundestagswahl sogar mit Regierungsverantwortung betraut werden. Wer indes hoffte, die Aussicht auf einen Machtzuwachs im Bund würde die Linken geschmeidiger machen, sieht sich nun eines Besseren belehrt: Die Berliner Linken präsentierten sich auf ihrem Landesparteitag in vielerlei Hinsicht als rückwärtsgewandte und antikapitalistische Totalopposition.

(www.nzz.ch)

Wer glaubt denn allen Ernstes immer noch daran, der Kapitalismus habe eine Zukunft? Dieser Kapitalismus, der die Menschen unaufhörlich und immer heftiger in einen gegenseitigen Konkurrenz- und Überlebenskampf zwingt, aus dem wenige als Gewinner und viele als Verlierer hervorgehen. Dieser Kapitalismus, der zwischen Arm und Reich einen Graben aufgerissen hat, wie er tiefer noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit gewesen ist. Dieser Kapitalismus, der darauf beruht, dass ausgerechnet jene, die am härtesten arbeiten, am wenigsten von den Früchten ihrer Arbeit profitieren, während andere durch blossen Besitz von Reichtum, ohne dafür arbeiten zu müssen, immer noch reicher und noch reicher werden. Dieser Kapitalismus, der immer noch, aller Vernunft zum Trotz, am Dogma eines unaufhörlichen Wachstums festhält und damit selbst das Überleben der Menschheit in 50 oder 100 Jahren in Frage stellt. Wenn man nun politische Kräfte, welche diesen Kapitalismus grundsätzlich in Frage stellen, als “zu wenig geschmeidig” und “rückwärtsgewandt” bezeichnet, dann zeigt dies nur, wie tief sich der Kapitalismus über die Jahrhunderte seiner Herrschaft hinweg in unser Denken und Fühlen hineingefressen hat – so tief, dass wir uns offensichtlich eine grundsätzlich andere Wirtschafts- und Gesellschaftsform schon gar nicht mehr vorzustellen vermögen. Doch weshalb sollte der Kapitalismus die letzte Weisheit der Menschheit sein? Ist es nicht vorstellbar und ganz plausibel, dass auf die Epoche des Kapitalismus eine neue Epoche folgt, eine Epoche, in der zwischen den Menschen, zwischen den Ländern, aber auch zwischen den Menschen und der Natur, wieder Gerechtigkeit und Frieden herrschen? Ist das so schwer vorstellbar? Ist es nicht das Nächstliegende, ist es nicht der gemeinsame Traum aller Kinder im Augenblick ihrer Geburt, über alle Grenzen hinweg? Wenn etwas rückwärtsgewandt ist, dann ist es nicht die Linke, sondern all jene politischen Kräfte, die noch immer, aller besseren Einsicht zum Trotz, am Weiterbestehen des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems festhalten…