Die Behauptung, es gäbe nicht genug Geld, um Armut und Elend zu beseitigen, ist eine Lüge…

 

“Die Preise für Essen, Energie und andere lebensnotwendige Güter”, schreibt die “NZZ am Sonntag” vom 17. Juli 2022, “steigen überall schmerzhaft an.” Und die Global Crisis Response Group der UNO spricht von einer “weltweiten Lebenskostenkrise”. Mit anderen Worten: Das Problem von Hunger und Armut in weiten Teilen des globalen Südens liegt nicht vor allem darin, dass zu wenige Güter für den täglichen Bedarf vorhanden wären, sondern dass zu viele Menschen nicht genug Geld haben, um sie kaufen zu können. Das ist ein himmelschreiendes Versagen des so genannten “Freien Marktes”, in dem angeblich Angebot und Nachfrage zum Wohle aller in einem permanenten Gleichgewicht stünden. Tatsächlich aber fliessen die Güter im “Freien Markt” nicht dorthin, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern dorthin, wo die Menschen genug Geld haben, um sie tatsächlich kaufen zu können. Dies führt zu dem eklatanten Ungleichgewicht, dass weltweit über 800 Millionen Menschen hungern, während in den reichen Ländern des Nordens zwei Fünftel der Lebensmittel ungebraucht im Müll landen. 

Das Versagen des “Freien Marktes” stellen wir aber nicht nur beim Vergleich zwischen reicheren und ärmeren Ländern fest, sondern auch innerhalb jedes einzelnen Landes. So gibt es wohl auch in den allerärmsten Ländern Luxusrestaurants für Reiche, Golfplätze und Fünfsternehotels für ausländische Touristinnen und Touristen und wohl nur selten ist bis heute in einem dieser Länder ein Mitglied der Regierung an Armut oder Hunger gestorben. Und während auch in diesen Ländern die Reichen und Privilegierten in Luxusvillen wohnen, lebt ein grosser Teil der armen Bevölkerung auf der Strasse oder in notdürftig zusammengebauten Wellblechhütten, dem Hunger, dem Elend und der Gewalt preisgegeben. Selbst wenn Eltern ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen und sie auf eine Schule schicken möchten, so ist ihnen auch das viel zu oft verwehrt, weil sie beispielsweise die Kosten für die Schulbücher oder die Schuluniform nicht aufbringen können. Nicht anders in den reichen Ländern. Selbst in einem so vermögenden Land wie der Schweiz gäbe es zwar auf dem Wohnungsmarkt ein genügend grosses Angebot, aber viele Wohnungen sind so teuer, dass ausgerechnet jene Familien, die am dringendsten darauf angewiesen wären, sich eine solche schlicht und einfach gar nicht leisten können. Insgesamt gibt es auch eine genügende Anzahl an Zahnärztinnen und Zahnärzten, aber ein grosser Teil der Bevölkerung muss auch bei gefährlichen Komplikationen und oft unerträglichen Schmerzen aus finanziellen Gründen auf eine Behandlung verzichten. Auch kulturelle Angebote wie Theater, Konzerte oder Ausstellungen, von denen es in der Schweiz eine grosse Vielzahl gibt, sind ausschliesslich denen vorbehalten, die hierfür über ein genug dickes Portemonnaie verfügen.

 “Jede und jeder”, so Artikel 25 der UNO-Menschenrechte, “hat das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschliesslich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Invalidität.” Und im Artikel 26 heisst es: “Jede und jeder hat das Recht auf Bildung.” Schliesslich Artikel 27: “Jede und jeder hat das Recht, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.” Begeht der Kapitalismus, aus dieser Sicht betrachtet, nicht eine tagtägliche millionenfache Verletzung von Menschenrechten? Mit welchem Recht stellen westlich-kapitalistische Politikerinnen und Politiker andere Gesellschaftssysteme an den Pranger, wenn sie selber so gravierend elementarste Menschenrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger missachten? Wären der Kapitalismus und der “Freie Markt” eine menschenfreundliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, dann müsste alles, aber auch alles unternommen werden, um die Grundbedürfnisse aller Menschen so, wie sie die UNO festgehalten hat, zu erfüllen, bevor man auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden könnte, Kreuzfahrtschiffe, Luxushotels, Überschallflugzeuge, Mondraketen oder Atombomben zu bauen. 

Wenn das Geld, das heute noch so unsäglich ungerecht verteilt ist, nicht mehr dazu dienen würde, denen, die es besitzen, zu Privilegien und Macht über andere zu verhelfen, sondern dazu, alles gerecht zu verteilen und auch nicht einen einzigen Menschen von den elementarsten Ansprüchen auf seine Bedürfnisse und Rechte auszuschliessen, dann hätten wir wohl in kürzester Zeit eine Welt, wo niemand mehr hungern müsste, niemand mehr auf der Strasse oder in einer Wellblechhütte leben müsste, niemand mehr auf eine lebensnotwendige Operation verzichten müsste, niemand mehr von kulturellen Anlässen ausgeschlossen wäre, niemand mehr unter Gewalt, Ausbeutung und Krieg leiden müsste. Denn alles Geld, das nicht zum Aufbau einer gerechten Welt verwendet wird, sondern für unnötigen Luxus und für Mittel der Zerstörung und der Vernichtung von Leben, ist verlorenes Geld. “Die Behauptung”, so der deutsche CDU-Politiker Heiner Geissler, “es gäbe nicht genug Geld, um das Elend in der Welt zu beseitigen, ist eine Lüge. Wir haben auf der Erde Geld wie Dreck, es besitzen nur die falschen Leute.”