Die Anschläge auf die Gaspipelines in der Ostsee und die Rolle der Medien: Wie sich Meinungen und Hypothesen nach und nach in scheinbare “Wahrheiten” verwandeln…

 

“Die Frage, wer es war, wird vielleicht nie mit abschliessender Sicherheit geklärt werden”, so schreibt der “Tagesanzeiger” vom 1. Oktober 2022 in Bezug auf den Anschlag auf die Gaspipelines in der Ostsee vom 28. September. Und weiter: “Waren es vielleicht doch die USA, oder gar die Ukraine selber?” Doch dann der Sprung, wie das Kaninchen aus dem Zauberhut, als hätte der Journalist nicht soeben noch die USA und die Ukraine als mögliche Tatverdächtige genannt und nicht soeben festgestellt, dass das Ereignis vielleicht nie aufgeklärt werden würde: “Als Hauptverdächtiger bleibt Wladimir Putin.” Damit nicht genug. Später im Text heisst es: “Der Angriff auf die Nordstream-Pipelines ist letztlich auch eine Kriegserklärung an den Westen. Da sucht jemand die Eskalation.” Ich bin sprachlos…

Einen Tag später scheinen auch noch die letzten Zweifel verflogen zu sein. “Es ist ein Krieg im Schatten”, schreibt die “NZZ am Sonntag” am 2. Oktober, “ein Krieg, den der Kreml, seine Geheimdienste und das Militär schon seit Jahren gegen den Westen führen. Die Europäer haben diese Woche vielleicht ein besonders spektakuläres Zeugnis dieses Kriegs in der Grauzone gesehen. Der offenkundige Sprengstoffanschlag auf die Nordstream-Pipelines in der Ostsee könnte von einer Spezialeinheit des russischen Militärs ausgeführt worden sein. Eine Tat ganz in der Tradition militärischen Denkens der Sowjetunion und Stalins, um die Öffentlichkeit im Westen wie im eigenen Land in die Irre zu führen.” Kein einziger Hinweis im Artikel auf die USA oder einen der NATO-Staaten als mögliche Urheberschaft. Und auch nirgendwo die Frage, wie es denn überhaupt russischen Spezialeinheiten hätte möglich sein sollen, solche Anschläge ausgerechnet in der engmaschig von NATO-Flottenverbänden kontrollierten Ostsee durchzuführen.

Wer an dieser “offiziellen” Version noch seine Zweifel hat, dem bleibt immer noch die Hoffnung, dass wenigstens die Untersuchungen über die Ursache der Anschläge noch Licht ins Dunkle bringen könnten. Doch auch das ist eine Fehlanzeige: Die Untersuchungen werden ausschliesslich von westlichen Spezialisten ausgeführt, Russland, das die Leitungen immerhin geplant und gebaut hat und deren Eigentümer ist, bleibt aussen vor. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was bei diesen “Untersuchungen” wohl herauskommen wird.

Das also ist die vielgelobte Meinungsvielfalt und Objektivität, derer sich die westlichen Länder so gerne rühmen und mit der man sich bei jeder Gelegenheit von den Propagandamethoden autokratischer Staaten abzugrenzen versucht. Ein “scheibchenweiser” Vorgang, in dem in fast unmerklich kleinen Portionen die Rhetorik der Kriegstreiber zur Rhetorik der Meinungsmacher wird, in so kleinen Portionen, dass der allmähliche Übergang von der Öffentlichkeit kaum mehr als solcher wahrgenommen wird und sich nach und nach Meinungen und Hypothesen in scheinbare “Wahrheiten” verwandeln. Dabei hätten doch an vorderster Stelle die Medien die Aufgabe kritischer und möglichst objektiver Berichterstattung – um eben nicht blindlings bestehende Feindbilder zu übernehmen, sondern, im Gegenteil, diese auf Schritt und Tritt zu hinterfragen und dem öffentlichen Diskurs unterschiedlichster und auch gegensätzlicher Meinungen in gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Toleranz Raum zu geben. Denn wenn das Aufbauen nicht hinterfragter Feindbilder der Anfang vom Krieg ist, dann ist das Aufdecken und Hinterfragen dieser Feindbilder der Anfang vom Frieden.