Die Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative: ein Zeichen der Hoffnung

 

50,7 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben der Konzernverantwortungsinitiative, mit der Schweizer Konzerne für Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards auch ausserhalb der Schweiz hätten haftbar gemacht werden sollen, zugestimmt. Auch wenn die Vorlage schliesslich am Ständemehr gescheitert ist, können die Initianten und Initiantinnen doch für sich in Anspruch nehmen, eine Mehrheit der Bevölkerung von ihrem Anliegen überzeugt zu haben. Und das wird wohl seine Spuren hinterlassen und sich auch auf zukünftige Vorstösse mit ähnlicher Thematik positiv auswirken. Doch das Ganze hat einen grossen Haken. Denn an dieser Abstimmung teilnehmen durfte ausschliesslich die Schweizer Bevölkerung. Die Bevölkerung jenes Landes also, das eigentlich nur die “Schokoladenseite” jener Handels-, Wirtschafts- und Finanzbeziehungen kennt, an deren anderem Ende sich Minenarbeiter Hunderte von Metern unter dem Boden zu Tode schuften, Kinder an vergiftetem Wasser sterben und Familien gezwungen sind, in Wolken von Staub und schädlichen Abgasen aufs engstem Raum zusammenzuleben. Doch dieses “andere Ende” ist noch viel grösser, weltumspannender. Es sind auch endlose Kakao- und Kaffeeplantagen in Afrika und Lateinamerika, wo Arbeiterinnen und Arbeiter während zwölf oder mehr Stunden pro Tag in sengender Hitze all jene Produkte dem Boden abringen, die wir, am anderen, am goldenen Ende der Kette, pünktlich wiederum in unseren Supermärkten und auf unseren Tischen vorfinden. Es sind auch jene Textilfabriken in Indien und Bangladesh, wo Abertausende von Frauen zu Hungerlöhnen und oft unter Schlägen ihrer Aufseher jene Kleider anfertigen, die wir dann zu Billigstpreisen in unseren Modegeschäften kaufen können. Und es sind auch all die Verwüstungen durch den Klimawandel, der zur Hauptsache von den reichen Ländern verursacht wird, von dessen Folgen aber hauptsächlich die armen Länder betroffen sind. Wenn die Schweiz über die Konzernverantwortungsinitiative abstimmt, dann ist das, wie wenn der König darüber abstimmen würde, ob er seine Sklaven und Sklavinnen begnadigen möchte oder nicht – zweifellos würde er ein dickes Nein in die Urne legen, weil damit nämlich seine ganze Macht und sein ganzes Wohlergehen in sich zusammenbrechen würden. So gesehen ist es eigentlich sensationell, dass die Schweizer Bevölkerung mehrheitlich der Konzernverantwortungsinitiative zugestimmt hat. Aber das ist längst noch nicht genug. Eigentlich hätten all die Männer, Frauen und Kinder, die weltweit in Schweizer Konzernen arbeiten, ebenfalls über diese Initiative abstimmen sollen, denn sie sind ja – im Gegensatz zur Schweizer Bevölkerung – die eigentlich Hauptbetroffenen des Ganzen. Und eigentlich müssten nicht nur diese Frauen, Männer und Kinder, sondern weltweit alle Menschen darüber abstimmen können, ob Ausbeutung, endloses Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung weiterhin die Grundpfeiler der Weltwirtschaft bleiben sollen oder ob nicht an deren Stelle ein von Grund auf anderes, neues Wirtschaftssystem aufgebaut werden müsste, das auf Gerechtigkeit, Frieden und dem Respekt nicht nur gegenüber den Menschen, sondern auch gegenüber der Natur beruhen würde. Eigentlich ist es ein grandioser Anachronismus, dass sich die kapitalistischen Wirtschaftsmächte längst über alle Grenzen hinweg global ausgebreitet und vernetzt haben, während die Demokratie – als angebliche Schwester des Kapitalismus – immer noch nur innerhalb der jeweiligen Landesgrenze stattfindet. Denn auf diese Weise können ausgerechnet jene Länder, die am meisten vom weltwirtschaftlichen Ausbeutungssystem profitieren und zugleich am meisten Macht haben, gleichzeitig auf “demokratische” Weise am erfolgreichsten verhindern, dass sich am weltweiten Machtsystem grundsätzlich etwas ändert. Die Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative ist immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass es dem “König” offensichtlich in seiner Haut nicht mehr ganz so wohl ist und vielleicht sogar er insgeheim von jener Welt träumt, die das “gute Leben” nicht mehr nur für eine kleine Minderheit, sondern für alle Menschen möglich machen würde. Hoffen wir es.