Die Abstimmung über das Verhüllungsverbot: Wenn das Absurde mehrheitsfähig wird…

 

“Eine Mehrheit der Stimmbevölkerung”, so SRF-Bundeshauskorrespondent Andy Müller in der Tagesschau vom 7. März 2021, “setzte heute ein Zeichen gegen den politischen und radikalen Islam, und das schon zum zweiten Mal nach der Minarettinitiative.” Das Egerkinger Komitee, welches die Verhüllungsinitiative lanciert hat, lässt für diese Aussage danken! Denn Andy Müller scheint mit seiner Analyse den Initianten recht zu geben: Es sei ein Kampf gegen den “politischen und radikalen Islam” und das Egerkinger Komitee um Nationalrat Walter Wobmann habe ihn nun schon zum zweiten Mal gewonnen, zuerst gegen das Minarett, jetzt gegen Burka und Niqab. Bewusst oder unbewusst hat der Bundeshausredaktor des Schweizer Fernsehens die Argumentation von Wobmann und seinen Gesinnungsgenossen übernommen, es handle sich doch bei alledem doch nur um den – berechtigten und notwendigen – Kampf gegen religiösen Fanatismus und Extremismus. Dabei müsste es Andy Müller doch besser wissen: Der angebliche Kampf gegen Fanatismus und Extremismus ist doch nur das vorgeschobene Argument, hinter dem sich nichts anderes verbirgt als die Ablehnung und der Hass gegen andersgläubige und anders aussehende Menschen. Denn mit Fanatismus und Extremismus haben die rund dreissig Burka und Niqab tragenden Musliminnen in der Schweiz nun beileibe nichts zu tun, ebenso wenig wie jene Touristinnen aus arabischen Ländern in Interlaken oder in St. Moritz, von denen einige ebenfalls eine Burka oder einen Niqab tragen. Nicht Extremismus und Fanatismus sind die Motive, sich so zu kleiden, sondern einzig und allein eine Strenggläubigkeit, die sich mit jenem religiösen Eifer vergleichen lässt, der junge Frauen und Männer vor nicht langer Zeit auch in unserem Lande dazu bewog, in ein Kloster einzutreten und ein Leben fern aller irdischen Verlockungen auf sich zu nehmen. Und wenn dann der Bundeshauskorrespondent des Schweizer Fernsehens im gleichen Atemzug noch die Minarettinitiative erwähnt, bei der es offensichtlich ebenfalls um ein “Zeichen gegen den politischen und radikalen Islam” gegangen sei, dann wird alles erst recht absurd: Das Minarett ist genau so wenig ein Symbol für Extremismus und Fanatismus wie eine christliche Kirche. Das Fatale bei alledem liegt vor allem darin, dass politische Bewegungen wie das Egerkinger Komitee und Politiker wie Walter Wobmann letztlich genau das Gegenteil dessen erreichen, was sie angeblich wollen: Ihr “Kampf” gegen Fanatismus und Extremismus heizt diesen erst recht an – das zeigt sich beispielsweise auch in Frankreich, wo seit der Einführung eines Verhüllungsverbots aus Protest eine viel grössere Zahl von Musliminnen einen Niqab trägt als zuvor und diese Frauen zu einem grossen Teil auch radikalisiert wurden, weil sie sich als Opfer eines Systems erleben, das ihnen die Ausübung ihrer religiöser Gepflogenheiten verweigert. Hoffen wir, dass es in der Schweiz nicht auch noch dazu kommt. Und dass das Egerkinger Komitee, beflügelt durch zwei Abstimmungssiege, nicht noch auf die Idee verfällt, nun auch noch das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten und vielleicht eines Tages sogar noch Juden vorzuschreiben, sich im öffentlichen Raum nur noch ohne ihre traditionelle Kopfbedeckung zu bewegen. Höchste Zeit, wieder Vernunft anzunehmen und sich auf die Grundlagen einer liberalen Gesellschaft zurückzubesinnen, in der auffälliges, besonderes und selbst provokatives Aussehen und Auftreten des Einzelnen erst dann geahndet werden darf, wenn damit anderen Menschen Schaden zugefügt wird. Hoffen wir, dass es sich bei der Aussage des SRF-Bundeshauskorrespondenten um einen Ausrutscher gehandelt hat. Und dass wir nicht schon so weit sind, die Parolen eines Egerkinger Komitees für mehrheitsfähig und “salonfähig” hinzunehmen, bloss weil Walter Wobmann und seine Gesinnungsgenossen in der heutigen Volkabstimmung eine – wenn auch knappe – Mehrheit gewonnen haben…