Der Zins – des einen Fluch, des anderen Segen

Während der Zins des einen finanzieller Fluch, ist er des anderen finanzieller Segen. Wer ihn zu seinem Vorteil nutzt und damit seinen Vermögensaufbau betreibt, steht auf der finanziellen Sonnenseite des Lebens. Wer sich jedoch verschuldet, kann schnell in die Schuldenfalle gesogen werden. Das exponentielle Wachstum der Vermögen (durch Zins und Zinseszins) auf der einen Seite muss also auf der Gegenseite exponentiell wachsende Schulden (und damit auch Zinseslasten) hervortreiben. Diese müssen von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, den Habenichtsen, erarbeitet werden. Somit ist die Akkumulation von Zins und Zinseszins die Hauptursache der sich beschleunigenden, auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die eingepreisten Zinsabgaben in Produkten und Dienstleistungen. Diejenigen, die sich über ihre Zinserträge auf einem Sparbuch oder aus Aktien freuen, übersehen die in den Preisen verdeckten Zinsabgaben völlig. Diese Abgaben liegen aber im Durchschnitt bei 35 Prozent. Das heisst, dass etwa ein Drittel des Produktpreises aus zinsbedingten Kapitalansprüchen besteht. Mit anderen Worten: Jeder dritte Euro, den wir beim Einkaufen ausgeben, fliesst direkt oder indirekt in Zinsen. Damit gehört die Mehrheit der Menschen ganz eindeutig zu den Verlierern des Systems. Erst ab einem Anlagevermögen von ca. 500’000 Euro beginnt sich das Blatt zu wenden. Dann übersteigen die jährlichen Zinseinnahmen langsam die direkten als auch indirekten (versteckten) Zinsausgaben. Zu diesen Glücklichen zählt jedoch weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Der grosse Rest muss diese Zinsabgaben, direkt oder indirekt, erbringen – ohne Zinseinnahmen auf der anderen Seite. Jährlich findet so allein in Deutschland eine zinsbedingte Umverteilung von Arm zu Reich von mehr als 400 Milliarden Euro statt.

(Dominik Mikulaschek, «Du wist die Welt verändern?»)

Deshalb ist die Forderung, man müsse, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, die «Armut bekämpfen», nichts als hohles Gerede. Man kann, um Gerechtigkeit zu schaffen, die Armut nur dann wirksam bekämpfen, wenn man gleichzeitig auch den Reichtum ebenso vehement bekämpft. Armut und Reichtum sind die beiden Kehrseiten der kapitalistischen Medaille, untrennbar miteinander verbunden durch Zins und Zinseszins, der die grosse Mehrheit der Bevölkerung zu Sklaven macht einer kleinen Minderheit, die, hat sie erst einmal genug Geld zusammengescheffelt, nun einfach die Hände in den Schoss legen kann, um das Geld – beziehungsweise die anderen Menschen – für sich arbeiten zu lassen. Wir kommen daher, wenn wir eine gerechte Gesellschaft schaffen wollen, nicht darum herum, den Zins abzuschaffen. Der Besitz von Geld darf nicht mehr dazu führen, dass man ab einer gewissen Summe selber nicht mehr arbeiten muss und die Arbeit einfach an andere delegieren kann. Das Geld muss wieder das sein, was es einmal war: ein reines Tauschmittel auf dem Markt gleichberechtigter Produzenten und Konsumenten, ohne sich auf wundersame Weise selber zu vermehren oder dem, der es im Übermass besitzt, Macht zu verleihen über andere.