Der “Wettkampf” der Spitäler: Als ginge es um Löwen und Hyänen

 

“Absicht ist, dass sich die Spitäler einen gegenseitigen Wettkampf liefern, in dem die erfolgreichen überleben und die erfolglosen auf der Strecke bleiben. Das funktioniert nicht von Anfang an, sondern braucht eine gewisse Zeit. Zuerst rüsten alle auf und dann, nach und nach, beginnen die positiven Seiten des Wettbewerbs zu spielen.” Das ist kein Witz, sondern die Aussage von Philipp Sommer, Gesundheitsökonom, in der Dokumentationssendung “Wettkampf der Spitäler” des Fernsehens SRF1 am 4. März 2021. In dieser Logik ist ein Spital nicht viel anderes als ein Schuhgeschäft oder ein Shoppingcenter: Auch diese werden auf die freie Wildbahn gegenseitigen Konkurrenzkampfs geworfen und auch von diesen können, wie Löwen oder Hyänen, nur die stärksten und schnellsten überleben, während die langsameren und schwächeren auf der Strecke bleiben. Dabei sprächen zahlreiche sachliche Gründe dagegen, Spitäler einem gegenseitigen Vernichtungskampf auszusetzen, was vor allem dazu führt, dass die kleinen Spitäler auf dem Lande verschwinden und die grossen Spitäler in den Städten immer grössere Dimensionen annehmen: Kleinere Spitäler auf dem Lande zeichnen sich durch eine persönliche Atmosphäre aus, Patienten und Patientinnen fühlen sich fast wie zuhause, verweilen in ihrem näheren Lebensumfeld. Auch bieten die kleineren Spitäler auf dem Lande attraktive Arbeitsplätze in lebenswerter Umgebung und sind willkommene Kunden lokaler Geschäfte und Zulieferer. Wie beliebt und verwurzelt in ihrer Umgebung kleinere Spitäler auf dem Lande von der jeweiligen Bevölkerung getragen sind, zeigte sich besonders eindrücklich im Kanton St. Gallen, wo sich 2014 in einer Volksabstimmung 90 Prozent der Bevölkerung für die Weiterführung sämtlicher neun Regionalspitäler aussprachen und einem hierzu notwendigen Kredit von 930 Millionen Franken zustimmten. Nun, sieben Jahre später, sollen, als hätte es diese Volksabstimmung nie gegeben, vier bis fünf der neun Spitäler des Kantons St. Gallen geschlossen werden. Geradezu absurd ist das Beispiel des Spitals Wattwil, das soeben neu gebaut wurde: Am Tag der feierlichen Eröffnung wusste man bereits, dass das Spital wahrscheinlich schon geschlossen würde, bevor noch der erste Patient oder die erste Patientin aufgenommen würde. Bereits träumen die Spitalplaner der Zukunft, dass von insgesamt 200 Schweizer Spitälern dereinst nur noch 50 übrigbleiben würden. Was zuletzt nicht auch einen gewaltigen ökologischen Unsinn zur Folge hätte: Bestehende und oftmals erst kürzlich renovierte Spitalgebäude mit intakter Infrastruktur müssen abgebrochen werden, während in der Stadt auf knappem Baugrund eine immer grössere Anzahl von Spitaltürmen in die Höhe wachsen. Seltsamerweise scheinen hier dann die Kosten keine Rolle zu spielen, während man auf der anderen Seite argumentiert, die Landspitäler müssten vor allem deshalb geschlossen werden, weil sie nicht rentierten. Nein, der sogenannte “Freie Markt”, der Wettkampf zwischen den Hyänen und den Löwen, die bis ins Äusserste getriebene Ökonomisierung, das knallharte Kosten-Nutzen-Denken – dies alles hat mit einem Gesundheitswesen, das diesen Namen auch tatsächlich verdient, nichts zu tun. Nicht alles, was sich ändert, ist ein gesellschaftlicher Fortschritt. Änderungen können auch einen gesellschaftlichen Rückschritt bedeuten. Und beim Gesundheitswesen ist genau dies der Fall. Eine Rückbesinnung auf das Wesentliche tut dringend Not: Nicht das Wohl des materiellen Profits darf im Vordergrund stehen, sondern das Wohl der Patienten und Patientinnen wie auch des Personals. Nicht Ranglisten sollen medizinische Angebote vergleichen und bewerten, sondern einzig und allein die Zufriedenheit der Menschen. Wenn die Schweiz das weltweit dichteste Netz an Spitälern aufweist, dann soll sie darauf stolz sein, statt zu einem Kahlschlag auszuholen, der jahrhundertealte Strukturen zerschlägt. Wenn die einen Spitäler mehr rentieren als die anderen, dann soll mit Quersubventionierung ein Ausgleich geschaffen werden. Und wenn man behauptet, es gäbe, um so viele Spitäler aufrechtzuerhalten, zu wenig Personal, dann müsste man eben, was auch ohne Spitalschliessungen dringend notwendig ist, mehr Personal ausbilden und die Arbeitsbedingungen und die Löhne so gestalten, dass nicht so viele Mitarbeitende schon nach wenigen Jahren ihren Job wieder aufgeben. Um solche Wege zu beschreiten, müssen wir uns unverzüglich aus dem selber gebauten Käfig jenes ominösen “Freien Marktes” befreien, der uns pausenlos einzuhämmern versucht, es gäbe zu der ganzen Entwicklung, von der wir gegenwärtig mitgerissen werden, “keine Alternative”. Das wäre, wenn wir tatsächlich ernsthaft daran glaubten, nichts weniger als das Ende der Demokratie.