Der Krieg in der Ukraine: Und doch bleibt Hoffnung…

 

Dass die aktuellen Diskussionen um den Ukrainekrieg immer weniger Grautöne zulassen und immer mehr von einem Schwarzweiss- und “Gut-Böse”-Diskurs geprägt sind, hat meines Erachtens vor allem drei Gründe. Erstens: die Macht der Bilder. Die meisten Menschen informieren sich aufgrund von Bildern, sei es im Fernsehen oder in den sozialen Medien, das Lesen langer Zeitungslektüre oder gar von Büchern liegt nur schon aus zeitlichen und oft auch aus finanziellen Gründen gar nicht drin. Diese Bilder aber zeigen uns pausenlos zerbombte Städte, alte, gebrechliche Menschen und Kinder, die über notdürftig zusammengezimmerte Brücken Sicherheit suchen, Menschen, die dicht aneinandergedrängt in U-Bahnstationen Zuflucht vor drohenden Luftangriffen finden. Mit jedem dieser Bilder wächst der Hass auf jene, die an alledem Schuld sind, immer mehr, was durchaus verständlich ist. Doch zeigen freilich alle diese Bilder nur die eine Seite. Würde man die Bilder jener Frau zeigen, die im Mai 2014 in Saporischja von Angehörigen des Regiments Asow entführt, mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen aufgehängt und fünf Stunden lang heftigst verprügelt wurde, oder das Bild jenes Mannes, der, ebenfalls von Angehörigen des Regiments Asow, im August 2014 in Monohopillia gefangen und an einem um den Hals gebundenen Seil solange über ein Feld geschleift wurde, bis er bewusstlos liegenblieb – dann würde die Stimmung möglicherweise sehr schnell ins Gegenteil kippen. Die zweite Komponente: das Sündenbocksyndrom. Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, sich selber, sein Land, seine Nationalität, seine ethnische Herkunft “gut” zu finden und jene von “Andersartigen”, “Fremden”, möglichst “schlecht”. Mit einem Wort: Rassismus. Das zeigt sich in der gegenwärtigen Situation und vor dem Ukrainekonflikt besonders krass und geradezu erschreckend. Der frühere US-Präsident Ronald Reagan nannte die damalige Sowjetunion selbstherrlich das “Reich des Bösen”. Dieses Bild hat sich dann nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf Russland übertragen und prägt, bewusst oder unbewusst, unser Denken bis heute. Anders ist nicht zu erklären, weshalb sich heute in den verschiedensten europäischen Ländern zahlreiche Russinnen und Russen selbst dann, wenn sie sich mutig und öffentlich gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine aussprechen, verschiedenen Formen von Diskriminierung, Beleidigungen und Ausgrenzungen ausgesetzt sehen. Das Sündenbocksyndrom macht blind: Es erkennt im anderen nur noch das Böse, den Feind – und rechtfertigt damit sogar noch etwas so Verbrecherisches wie den Krieg, bloss um dieses “Böse” zu vernichten. Die dritte Komponente ist der fehlende historische Hintergrund: Obwohl wir rund um die Uhr mit Informationen aller Art pausenlos bombardiert werden, fehlt den meisten Menschen ein differenzierter historischer Hintergrund. Dieser Fokus auf den aktuellen Augenblick hindert uns daran, aus der Geschichte zu lernen. Und er führt dazu, dass wir immer und immer wieder in die selben Fallen hineintappen. Hätten wir aus allen bisherigen Kriegen der Weltgeschichte etwas gelernt, dann müssten heute weltweit alle Menschen nur noch Pazifistinnen und Pazifisten sein und es dürfte keine Armeen mehr geben, weil alle Menschen wüssten, dass Kriege noch nie irgendwem etwas genützt haben, weder den sogenannten “Siegern” noch den sogenannten “Verlierern”. Weshalb ist es möglich, dass ein ukrainischer Botschafter, der mit andersdenkenden Politikern und Politikerinnen höchst unzimperlich umgeht, sie bei jeder Gelegenheit blossstellt und nicht einmal vor einem dritten Weltkrieg zurückschrecken würde, von einem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten umarmt wird, während von der Friedensinitiative des Dalai Lama und 15 weiterer Friedensnobelpreisträgerinnen und Friedensnobelpreisträger, die bereits von 950’000 Menschen unterzeichnet worden ist, weit und breit nichts zu hören ist? Und doch bleibt Hoffnung. Hass, Feindbilder, Rassismus und Kriege brauchen nicht ewig Bestand zu haben. Denn, wie Nelson Mandela so wunderbar sagte: “Niemand wird geboren, um einen anderen wegen seiner Hautfarbe, seines Hintergrunds oder seiner Religion zu hassen. Den Menschen wird Hass beigebracht, und wenn Hass gelehrt werden kann, kann das auch die Liebe.”