«Der höchstgelegene Spielplatz Europas»

Der Sohn des – mit einem geschätzten Vermögen von 49 Milliarden Dollar – reichsten Inders, Akash Ambani, und die Tochter des grössten indischen Diamantenunternehmers, Shloka Mehta, laden zu ihrer zweitägigen Pre-Wedding-Party nach St. Moritz ein. 850 Gäste werden erwartet, dazu 500 eigens anreisende Bedienstete… Ein Dutzend Sattelschlepper haben in den vergangenen Tagen unablässig Material aus Grossbritannien und Irland herangekarrt…  In St. Moritz wollen Akash Ambani und Shloka Mehta ihren Gästen ein «Winter-Wonderland» bieten. Weil ihnen das in glitzerndes Weiss gehüllte Engadin offenbar nicht zauberhaft genug ist, haben sie ihr eigenes Märchenland herstellen lassen – von einer britischen Eventagentur, die auch für das englische Königshaus tätig ist. Die Kosten belaufen sich auf schätzungsweise 100 Millionen Dollar… Die gigantische Dimension der Eventhalle am Ufer des St. Moritzersees ist auch für den weltbekannten Nobelkurort neu. Vom gefrorenen See und von den Terrassen des Fünfsternhotels Badrutt’s Palace aus betrachtet, wirkt sie mit ihrem halbrunden, durchsichtigen Eingangsbereich wie ein Raumschiff aus einer fernen Galaxie, das in den Alpen notlanden musste. Die fast 2000 Quadratmeter grosse Halle wurde von den Designern zweigeteilt. Vorne ist eine Weihnachts-Chilbi mit spiralförmiger Rutschbahn und Karussell, dahinter befinden sich, durch einen weissen Vorhang getrennt, die Konzertbühne und die Eisbahn. Damit die Gäste, die mit zwei gecharterten Flugzeugen eingeflogen werden, nicht frieren, blasen Dutzende Heizkanonen warme Luft in die Halle. Neben der Halle befindet sich ein Vergnügungspark mit Riesenrad… Die Hoteliervereinigung betont, dass die Wertschöpfung «riesig» sein werde. Für diese ausgabefreudigen Gäste sei darum kein Aufwand zu gross. Und auch der Gemeindepräsident weiss, dass St. Moritz solche Events braucht, weil sich das Dorf im Kampf um die reichen Gäste aus aller Welt nicht nur auf seine gloriose Vergangenheit abstützen dürfe: «St. Moritz ist der höchstgelegene Spielplatz Europas. Und hier sollen alle mitspielen dürfen.»

(Tages-Anzeiger, 23. Februar 2019)

Ein weiteres Beispiel dafür, dass den Reichen weltweit alle Türen und Grenzen offenstehen, während den Armen überall Mauern, Grenzwälle und Stacheldrahtzäune in den Weg gestellt werden. Aber es ist noch viel schlimmer: Wenn wir uns fragen, woher die Reichen ihren Reichtum haben, so ist dieses Geld zweifellos nicht durch die Arbeit der eigenen Hände erworben worden, sondern auf all jenen verschlungenen und unsichtbaren Wegen, mit denen das kapitalistische Macht- und Wirtschaftssystem seine unaufhörliche Umverteilung von den Armen, Besitzlosen zu den Reichen, Besitzenden betreibt. Kurz: Zu 99 Prozent handelt es sich beim Reichtum der Reichen um gestohlenes Geld, das am einen Ort nur deshalb in so unglaublicher Menge vorhanden ist, weil es an anderen Orten in ebenso unglaublichem Ausmass fehlt. Schuld daran ist das Grundprinzip des Kapitalismus, wonach man nicht durch Arbeit reich wird, sondern durch Besitz – über Zinsen, Derivate, Obligationen, Aktien, Börsengewinne, Erbschaft und zahllosen weiteren Instrumenten der wundersamen kapitalistischen Geldvermehrung. Daher ist der Kapitalismus nichts anderes als die legalisierte Beraubung der Armen durch die Reichen. Wenn eines Tages die letzte Stunde des Kapitalismus geschlagen haben wird, dann wird man auf unsere heutige Zeit ebenso fassungslos zurückblicken wie wir heutigen Menschen auf die Verbrechen des Nationalsozialismus.