Der Hass im Internet und seine gesellschaftlichen Ursachen

“Es geht darum, dass man sich mithilfe des Cybermobbings ein Machtgefühl holt. Wer sich ohnmächtig fühlt und bei wem es im Leben nicht so richtig funktioniert, der hat nun über das anonyme Internet die Möglichkeit, seine Phantasien loszulassen gegen eine andere Person, die dann sozusagen zu seiner Projektionsfläche wird. Wer gegen einen anderen Menschen einen Shitstorm loslässt, fühlt sich nachher stark.”

(Regula Schwager, Psychotherapeutin, in “Der Club” zum Thema Cybermobbing, Schweizer Fernsehen SRF1 vom 25. Februar 2020)

Wie viele Angestellte werden von ihren Vorgesetzten schikaniert, nicht weil diese besonders “böse” Menschen wären, sondern weil auch sie von ihren eigenen Vorgesetzten wiederum schikaniert werden und alle miteinander gegenseitig unter immer grösserem Zeit- und Leistungsdruck arbeiten müssen. Wie viele Menschen fühlen sich gedemütigt, weil sie viel weniger verdienen als andere, obwohl sie mindestens so lange und so hart arbeiten. Wie viele Menschen erfahren für ihre tägliche Arbeit, die sie mit grossem Einsatz leisten, nur wenig Wertschätzung, Dankbarkeit und Anerkennung. Wie viele Menschen haben eine Riesenwut im Bauch, weil sie, nachdem sie viele Jahre treu ihrer Firma gedient haben, plötzlich von einem Tag auf den andern ihren Job verloren haben. Und wie viele Menschen empfinden es als höchst erniedrigend, auf Sozialhilfe- oder Arbeitslosengeld angewiesen zu sein. Ist es da ein Wunder, wenn sie alle, die Frustrierten und Gedemütigten, sich dann nachts an ihre Computer setzen und ihren ganzen Frust, ihre Wut, ihre Verzweiflung und ihre Minderwertigkeits- und Ohnmachtsgefühle an anderen Menschen auslassen, um damit ihr kaputtes Selbstwertgefühl aufzumöbeln? Es greift zu kurz, diese “Internettäter” als skrupellose, seelenlose Bösewichte abzustempeln. Böse sind nicht die Verbreiter von Beleidigungen und Hasstiraden im Internet. Böse ist die kapitalistische Leistungsgesellschaft, welche überhaupt erst dazu führt, dass sich so viele Menschen als nutzlos, minderwertig und ohnmächtig fühlen…