Credit Suisse: “Mohr, du hast deine Schuldigkeit getan, jetzt kannst du gehen.”

Als Tidjane Thiam im Sommer 2015 seinen Posten als Credit-Suisse-Chef antrat, hatte keines der anderen grossen Finanzhäuser Europas eine höhere Verschuldungsquote. Vier Monate später präsentierte Thiam eine grundlegend neue, dezentralisierte und auf Märkte statt auf Geschäftsbereiche ausgerichtete Organisation. Er bestellte ein neues Managementteam und setzte ungewohnt konkrete und ehrgeizige Leistungs- und Gewinnziele. “Jetzt”, so ein Mitglied des unteren Kaders, “wird die Credit Suisse endlich wieder nach unternehmerischen Prinzipien geführt.” Thiams Schwung ging auch auf die Investoren über. Diese zeigten sich beeindruckt und brachten in einer ersten Kapitalerhöhung im Herbst 2015 die ersten dringend benötigten Milliarden zur Stärkung der Bilanz. Auch wenn sich ab 2016 der Himmel etwas verdüsterte und die Investmentabteilung nicht mehr die erhofften Gewinne verzeichnen konnte, sind insgesamt die Verdienste Thiams unbestritten. Insbesondere 2019 war ein überaus erfolgreiches Jahr – der Konzerngewinn betrug 3,42 Milliarden Franken, 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Umso überraschender daher die plötzliche Absetzung Thiams als CS-Konzernchef. Immerhin hatte ihn Thomas Gottstein, der nun sein Nachfolger werden soll, als “inspirierend” und “partnerschaftlich” charakterisiert und ihn sogar seinen “Freund” genannt. Auf die Frage eines Korrespondenten der “Financial Times”, weshalb er eigentlich zurücktrete, obwohl er das Unternehmen doch erfolgreich geführt hätte und auch nichts mit der unlängst aufgeflogenen Beschattungsaffäre, von der zwei ranghohe CS-Kaderleute betroffen waren, zu tun gehabt hätte, antwortete Thiam stoisch: “Der Verwaltungsrat hat entschieden, dass es einen Wechsel in der Bankführung geben muss. Mein Job ist, das umzusetzen.”

(Tages-Anzeiger, 14. Februar 2020)

Mitleid wäre fehl am Platz. Immerhin erhält Tidjane Thiam eine Abgangsentschädigung von 30 Millionen Franken. Aber die Art und Weise, wie da ein Konzernleiter, der – im kapitalistischen Sinne – nichts falsch machte, sein Unternehmen vor dem Absturz gerettet hat, einfach kaltschnäuzig – ohne dass man ihm etwas Konkretes vorwerfen konnte – hinausgeschmissen wird, wirft einmal mehr ein erschreckendes Schlaglicht auf die Art und Weise, wie der Kapitalismus funktioniert. Eine immer wieder reproduzierte Karikatur aus dem 19. Jahrhundert zeigt, wie dickbauchige Firmenbosse ihre Arbeiter auswinden, bis nur noch ein leergepresster Schlauch von ihnen übrig bleibt. Diese Schläuche dann werden sie wie ein Stück Abfall fort. Dieses Grundprinzip der kapitalistischen “Verwertungslogik” ist immer noch und mehr denn je aktuell. Unwillkürlich erinnert man sich an die Redewendung: “Mohr, du hast deine Schuldigkeit getan, jetzt kannst du gehen.” Ob auch alles so sang- und klanglos vonstatten gegangen wäre, wenn Tidjane Thiam kein Schwarzer, sondern ein Weisser wäre?