Crédit Suisse im Sinkflug: Die Bankenkrise ist nicht nur eine Bankenkrise, sie ist auch eine Kapitalismuskrise…

“Die Zahlen der Crédit Suisse”, so der “Tagesanzeiger” vom 16. März 2023, “sind seit Jahren schlecht, die Bank schreibt  gigantische Verluste, Kundinnen und Kunden haben Milliardenbeträge zu anderen Geldhäusern verschoben, und dieser Abfluss ist immer noch nicht gestoppt. Öl ins Feuer eine Nachricht aus Saudiarabien, wo Ammar Al Khodairy, Präsident der Saudi National Bank, des wichtigsten Aktionärs der CS, verkündet, keine zusätzlichen Gelder in die CS einzuschiessen. In der Folge muss der Handel mit CS-Aktien zeitweise ausgesetzt werden. Die Lage ist derart dramatisch, dass sich sogar die französische Premierministerin Elisabeth Borne einschaltet. Sie fordert die Schweiz auf, die Probleme der CS zu lösen. Doch aus dem schweizerischen Finanzministerium und der Finanzmarktaufsicht heisst es nur: kein Kommentar! Und das mit gutem Grund, denn jedes falsche Wort, das zum falschen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangt, könnte fatale Folgen haben und im schlimmsten Fall eine immer schneller drehende Negativspirale auslösen. Noch bevor die Börsen schliessen, sackt die CS-Aktie nochmals um 24 Prozent ab, diejenige der UBS um 9 und diejenige der britischen HSBC um 4 Prozent. Für die CS-Aktie ist es der grösste Tagesverlust, den sie jemals erlitten hat. Der weltbekannte Ökonom Nouriel Roubini sagt, das Problem bestehe darin, dass die CS zu gross sei, um sie scheitern zu lassen, aber auch zu gross, um gerettet zu werden.”

In der folgenden Nacht teilt die CS mit, die wolle das Angebot der Schweizerischen Nationalbank in Form einer Finanzspritze von 50 Milliarden Dollar annehmen. Doch das ist noch lange nicht das Ende des Tunnels. Nach wie vor verlassen Kundinnen und Kunden scharenweise die Bank. Zudem ist durchgesickert, dass die CS-Aktie in letzter Zeit immer mehr zu einem Spielball für Spekulanten geworden sei, zunehmende Leerkäufe seien am Werk. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich bei den Prämien für Versicherungen gegen ein Kreditausfallrisiko, welche bei der CS das Zehnfache dessen betragen, was von der UBS aufgewendet wird. “Woher”, fragt Bankenprofessor Teodoro Cocca, “kommen die künftigen Gewinne, um sämtliche Verbindlichkeiten bedienen zu können?” Doch wo viel Geld verloren wird, wird, wie immer und überall im Kapitalismus, auch viel Geld gewonnen: “Über 11,7 Milliarden Franken”, so Nicola Siegrist, Präsident der Juso Schweiz, “hat die CS seit 2010 an private Aktionärinnen und Aktionäre ausgeschüttet.” Und SVP-Nationalrat Thomas Matter erinnert in der TV-Arena vom 17. März, dass die CS in den vergangenen 20 Jahren 42 Milliarden Boni ausbezahlt hat. Die Crédit Suisse – eine Kuh, aus der auch noch der letzte Milchtropfen herausgepresst wurde, bis sie jetzt zu Tode erschöpft liegenbleibt.

Ich gebe zu: Ich verstehe vom herrschenden Finanz- und Bankensystem nur wenig und würde mich auf keine Diskussion über Inflation, Hoch- und Tiefzinspolitik, Börsenkurse und dergleichen einlassen. Aber man muss auch nicht eine Expertin, ein Experte sein, um festzustellen, dass hier – nicht nur was die aktuelle Krise betrifft, sondern auch das weltweite Finanz- und Bankensystem – so ziemlich alles ganz gehörig aus dem Ruder gelaufen ist. Banken sind privatwirtschaftliche, kapitalistische Unternehmen, die kein anderes Ziel haben, als in kürzester Zeit möglichst hohe Gewinne zu machen – zumindest trifft dies vor allem auf all jene Grossbanken zu, welche den Markt beherrschen. Dabei wird jedes Risiko auf sich genommen, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Das Verhältnis der einzelnen Banken zueinander ist nicht auf Kooperation ausgerichtet, sondern auf Konkurrenz. “Wenn die Haie unterwegs sind”, sagt ein Insider der Bankenbranche, “jagen sie diejenigen, die bereits bluten.” Jetzt, in einer Krise, den CEOs die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben, greift zu kurz. Die Haie tun bloss ihre Pflicht, wenn sie nicht fressen, dann werden sie gefressen. In die Pflicht zu nehmen sind nicht die “schlechten” oder “unfähigen” Manager der einen oder der anderen Bank. In die Pflicht zu nehmen ist das kapitalistische Wirtschafts- und Geldsystem als Ganzes. Denn, wie schon Bertolt Brecht sagte: “Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?”

Und genau deshalb braucht es eine radikale Alternative. Banken sollten nicht Profitmaximierungsmaschinen im Dienste der Reichen und Mächtigen sein, sondern auf Geldgeschäfte spezialisierte Unternehmen, deren oberste Maxime die soziale Wohlfahrt ist: eine möglichst gerechte Geldverteilung anzustreben, soziale und ökologische Kriterien in den Vordergrund zu stellen, nicht auf Konkurrenz. sondern auf Kooperation ausgerichtet zu sein, eine stabile, vorausschauende Finanzpolitik anzustreben, innovative und zukunftsgerichtete Kreditsuchende vorrangig zu unterstützen, Instrumente aufzubauen, um Löhne und Preise im Gleichgewicht zu halten. Würden wir dies alles ernst nehmen – und es läge zweifellos im ureigenen Interesse sowohl der Wirtschaft, wie auch der Gesellschaft und des einzelnen Individuums -, dann wäre zweifellos die Verstaatlichung der Banken die einzige logische Konsequenz. Es ist ja höchst erstaunlich, dass sich der Bundesrat nach der letzten grossen Finanzkrise 2008 ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzte, was zeigt, dass die Idee offensichtlich gar nicht so exotisch ist, wie man das auf den ersten Blick meinen könnte. Zu hoffen bleibt, dass die gegenwärtige Krise der Crédit Suisse erneut einen Input in diese Richtung bringen könnte. Damit sich im Haifischbecken nicht mehr grosse und kleine Fische gegenseitig auffressen, sondern sich in friedlichem Gewässer bunte Fische aller Art tummeln und sich gegenseitig ihrer Verschiedenartigkeit erfreuen.