Corona deckt Mängel des kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems auf

 

Führen wir uns die Coronakrise und ihre gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen in ihrer ganzen Tragweite vor Augen, dann hat dies alles nicht zuletzt auch sehr viel mit dem – kapitalistischen – Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu tun, in dem wir leben. Spitäler, Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, kurz das gesamte Gesundheitssystem ist, gemäss der kapitalistischen Kosten- und Nutzenlogik, auf die betriebswirtschaftliche Rendite ausgerichtet: Das Gesundheitswesen wird, so zynisch dies klingen mag, permanent “gesundgeschrumpft”, das Personal bis zum Äussersten ausgewunden, die Bettenauslastung in den Spitälern ständig optimiert, der Patient und die Patientin nur so lange im Spital behalten, als dies unbedingt nötig ist, unrentable Abteilungen und ganze Spitäler lahmgelegt, der Patient und die Patientin nicht mehr primär als Kranke und Pflegebedürftige betrachtet, sondern als Goldesel, die in kürzester Zeit den höchstmöglichen Gewinn zu erzielen haben. “Früher”, so brachte es eine Pflegefachfrau auf den Punkt, “hatten wir ein Gesundheitswesen, heute haben wir eine Gesundheitsindustrie.” Wer alles so auf den knappestmöglichen Punkt der Rendite zu bringen hat, kann sich logischerweise nicht auf so etwas Unerwartetes und Immenses vorbereiten, wie es nun in Form der Coronapandemie völlig unerwartet über uns gekommen ist: Das Personal war ja schon vorher bis zum Gehtnichtmehr ausgelaugt, die Bettenstationen waren ja schon vorher bis zum Äussersten ausgenutzt, woher also sollen jetzt plötzlich die Ressourcen kommen, um weitere hunderte oder gar tausende Patienten und Patientinnen zu betreuen? Eine vorausschauende Planung, in der ein solcher Katastrophenfall berücksichtigt wäre, würde eine totale Entkoppelung des Gesundheitswesens von kapitalistischem Kosten-Nutzen-Denken erfordern. Und auch in “normalen” Zeiten wäre dies ein mehr als segensreicher Gewinn für alle: Das Personal müsste nicht ständig am Limit arbeiten und alles Zwischenmenschliche, das für eine Genesung ebenso wichtig ist wie das rein Medizinische, hätte wieder seinen Platz. Doch nicht nur das Gesundheitswesen ist der kapitalistischen Kosten-Nutzen-Maxime unterworfen. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft. Schon zu “normalen” Zeiten ist die Rendite das oberste Ziel eines jeden Betriebs, sei es ein Hotel, ein Reiseunternehmen, ein Coiffeursalon, ein Kino, ein Restaurant, ein Modegeschäft, ein Handwerksbetrieb oder ein Sportverein. Alles auf den knappestmöglichen Punkt gebracht, alles Unrentable weggespart, das Personal immer bis zum Äussersten ausgewunden, denn man steht ja beständig in einem gegenseitigen Konkurrenzkampf, in dem nur der Schnellste und Tüchtigste überleben kann. Dass auf diese Weise keine Reserven angelegt werden können, um auch schlechte Zeiten überstehen zu können, ist ja nur logisch. Würde man die Wirtschaft vom kapitalistischen Renditezwang und vom gegenseitigen Konkurrenzkampf abkoppeln, dann könnte ein jeder Betrieb kontinuierlich, Jahr für Jahr, Reserven in einem Umfang beiseitelegen, die ihm ein Überleben auch über ein halbes oder ganzes Jahr ohne Einkünfte sichern würden. Und sollte keine Katastrophe eintreffen, so hätten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sicher genug gute Ideen, wofür man die Reserve brauchen könnte, zum Beispiel für persönliche Weiterbildung und dergleichen. Wäre die Coronapandemie der Anlass, unser kapitalistisches, stets auf kurzfristige Gewinne ausgerichtetes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem kritisch zu überdenken und mögliche Alternativen dazu zu entwickeln? Man kann es sich nur wünschen…