CO2-Gesetz, Trinkwasser- und Pestizidinitiative: Ökologische Reformen auf dem Buckel der sozial Schwächsten?

 

Die Gegnerinnen und Gegner des CO2-Gesetzes argumentieren, dass sich wegen der Erhöhung der Flugpreise eine Familie mit kleinem Einkommen künftig keine Ferien auf Teneriffa mehr leisten könne. Und auch den Schreiner auf dem Land, der täglich auf sein Auto angewiesen sei, werde eine Erhöhung des Benzinpreises empfindlich treffen. Auch die Gegnerinnen und Gegner der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative führen ins Feld, dass eine Erhöhung der Lebensmittelpreise insbesondere Familien mit geringem Einkommen hart treffen würde. Mit dieser Argumentation kann man zukünftig alle sozialen und ökologischen Reformen abschmettern, denn jede Erhöhung von Preisen oder Abgaben trifft stets die Schlechtverdienenden ungleich viel stärker als die Gutverdienenden. Das zeigten auch die monatelangen Protestaktionen der “Gelbwesten” gegen die von der französischen Regierung verhängte Benzinpreiserhöhung. Doch wer daran etwas ändern will, muss nicht hinten anfangen, sondern vorne, nämlich bei den Löhnen und Einkommen. Der wahre Skandal sind nicht die höheren Preise für Flugtickets, Benzin und Lebensmittel – alle diese Konsumgüter sind heute sowieso schon viel zu billig. Der wahre Skandal besteht vielmehr darin, dass schweizweit rund 700’000 Menschen unter oder an der Armutsgrenze leben und jeden Franken zweimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben können. Der wahre Skandal besteht darin, dass es immer noch keinen landesweit verbindlichen Mindestlohn gibt und sich viele Menschen mit Hungerlöhnen von 3000 oder 3500 Franken zufrieden geben müssen. Der wahre Skandal besteht darin, dass die am besten verdienenden Schweizerinnen und Schweizer bis zu 300 Mal mehr verdienen als die am schlechtesten bezahlten. Der wahre Skandal besteht darin, dass die 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer 709 Milliarden Franken besitzen – mehr als die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung der Schweiz und mehr als das jährliche Militärbudget der USA! Es ist nur zu bezeichnend, dass ausgerechnet jene politischen Kreise wie die SVP, welche soziale und ökologische Reformen aus angeblicher Rücksicht auf Minderbemittelte an vorderster Front bekämpfen, sich ebenso vehement gegen jegliche Bemühungen um mehr soziale Gerechtigkeit, höhere Löhne und stärkere Besteuerung von Gutverdienenden und Unternehmen wehren. Doch wir werden nicht daran vorbeikommen, unsere Zukunft nicht nur “grüner”, sondern vor allem auch sozialer zu gestalten. Denn mehr soziale Gerechtigkeit und ein weniger grosses Gefälle zwischen Gut- und Schlechtverdienenden sind unentbehrliche Voraussetzungen dafür, dass auch weitergehende ökologische Reformen eine Zukunft haben – ökologische Reformen, die dann nicht nur auf den Schultern ausgerechnet jener liegen, die sowieso schon auf vieles verzichten müssen, sondern von der ganzen Gesellschaft solidarisch mitgetragen werden.