Fuss um Fuss (1976)

Dieses Gedicht entstand auf einer Wanderung über die Alpen, von Buchs im St. Galler Rheintal nach Bellinzona im Tessin, rund 300 Kilometer innerhalb von zwei Wochen.

Fuss um Fuss
Meter um Meter
der Sonne entgegen
neuer Geruch
die feuchte Erde am Morgen
Wasser
nach staubtrockener Strasse
wie es anders wird gegen Süden
die Bäume
die Schmetterlinge
die Menschen
am Nachtfeuer sich wärmend
zu ahnen beginnen
was Leben wäre
ohne
die tägliche Gewohnheit
übervoller Teller
so
Fuss um Fuss
Meter um Meter
der Sonne entgegen
in neues Land
lernend
Schritt um Schritt
kein Weg
nicht der Bruchteil eines Weges
ausgelassen
abgekürzt
ALLES
ausgekostet
Holzbrücken
die alten Verbindungswege
als es noch keine Autos gab
auf den Spuren der Menschen von damals
durch tiefe Schluchten
über kaum mehr begangene Pässe
nachts
wenn die Angst
vor Steinlawinen und Sturzbächen
längst vergessenes
Ausgeliefertsein an die Natur
in Erinnerung ruft
sich um tausend Jahre zurückversetzen
so
Fuss um Fuss
Meter um Meter
und nach halb durchwachter Nacht
am neuen Morgen
neue Gesichter
neue Menschen
auf der steilen schmalen
Pflastersteingasse
eine neue Sprache.

Frühling (1975)

Das
altvertraute Rauschen
vom Dorfbach
in den Ohren
des kleinen Mädchens
welches
eben zur Schule ging
es war Frühling geworden
und
das kleine Mädchen
hatte es gemerkt
war
ob dem Rauschen am Dorfbach
stehen geblieben
sah ihm zu
dem lebendigen Wasser
wo
gestern noch Schnee lag
und
hätte beinahe
die Schule vergessen
dort
sass es dann später
lauschte
mit denselben wachen Ohren
seinem Lehrer
wie er vom Frühling redete
vom Wasser
vom Rauschen
doch auf die Fragen des Lehrers
wusste es
nichts zu sagen
ein wenig
zuckte
das kleine Mädchen zusammen
der Blick des Lehrers
hatte es getroffen
es war
Frühling geworden.

Bäume in Afrika (1974)

Die Kinder
vor meinem Fenster
spielen
auf dem einzigen
Baum
unserer
Wiese
Stunden
voller Sonnenschein und Lachen
während
drüben am Stadtrand
Schaufeln Bagger Lastwagen
die Erde aufreissen
die Bäume
die Blumen
die Erde
fortschaffen
in Afrika
habe ich gelesen
sind Bäume etwas
Heiliges.

Im vollen leeren Zug (1970)

Wintergefroren
die Scheiben
Gesichter
von Erwachsenen
geschlossen
Abteil um Abteil
im
vollen
leeren
Zug
verlorene Zeit
zwischen dem Abschiednehmen
und dem
Signal zur Abfahrt
wozu gut?
Ein Blick auf die Uhr
und ein Gähnen
hinter Zeitungen und Mänteln sich
behaglich verstecken
Worte meiden
die doch nichts sagen
so
warten
da
begann das kleine Mädchen
zu singen
so ganz allein
so ganz
hell und rein
in die Stille hinein
eine Weile regte sich nichts
aber dann
auf einmal
es war
wie wenn ein Bann sich löste
nach und nach
immer mehr
da ein Mantel
dort eine Zeitung
Gesichter
Menschen
die zu spüren anfingen
dass sie irgendetwas
tief im Innern
miteinander verband
Augen die einander fanden
Lächeln
das sich traf
da war es stumm
noch wintergefroren
die Scheiben
Abteil um Abteil
Gesichter
von Erwachsenen
im
leeren
vollen
Zug
einander gefunden
zwischen dem Abschiednehmen
und dem
Signal zur Abfahrt.