“Nachhaltig” – alle reden davon, doch was würde es wirklich bedeuten?

 

“Es ist Anfang 2021”, so WEF-Gründer Klaus Schwab im Tages-Anzeiger vom 25. Januar 2021, “viele erwarten, dass das ein besseres Jahr wird als das vergangene. Diese Chance müssen wir nutzen. Wir müssen einen höheren Grad an gesellschaftlicher Reife anstreben und eine solide Basis für das Wohlbefinden der Menschen und der Erde schaffen.” Und auch der schweizerische Bundespräsident Guy Parmelin hat eine Botschaft für die Zukunft: “Wir müssen”, sagte er in einer Grussbotschaft an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des im Mai in Singapur stattfindenden WEF 2021, “über die Gegenwart hinausschauen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich entschlossen für ein nachhaltiges Wachstumsmodell entscheiden.” Weder Klaus Schwab noch Guy Parmelin sind “linke” oder “grüne” Weltveränderer. Und doch läuft das, was sie sagen, auf nichts anderes hinaus als genau das: eine radikale, tiefgreifende Umkrempelung und letztlich das Ende des kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems, ob ihnen das lieb ist oder nicht, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht. Denn wenn Klaus Schwab einen “höheren Grad an gesellschaftlicher Reife” fordert, so ist diese schlicht und einfach nicht zu haben in einem Wirtschaftssystem, das den Menschen in erster Linie auf seine Funktionen des Produzierens und Konsumierens reduziert. Und wenn er eine “solide Basis für das Wohlbefinden der Menschen” postuliert, so ist auch eine solche nicht zu haben in einem Wirtschaftssystem, das auf gegenseitigem Konkurrenzkampf beruht, der dazu führt, dass die Menschen in immer kürzerer Zeit eine immer grössere Leistung erbringen müssen. Und wenn er “eine solide Basis für das Wohlbefinden der Erde” verlangt, dann ist dies erst recht nicht zu verwirklichen in einem Wirtschaftssystem, das aufgrund seines immanenten Wachstumszwangs die natürlichen Ressourcen der Erde in immer schnellerem Tempo verbraucht und vernichtet. In sich zutiefst widersprüchlich ist auch die Forderung Guy Parmelins nach einem “nachhaltigen Wachstumsmodell”. Wie wenn es möglich wäre, die Wirtschaft weiter wachsen zu lassen und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen auch für kommende Generationen zu sichern. Überhaupt, das Wort “nachhaltig”: Es gibt wohl keinen anderen Begriff, der in politischen Reden so häufig vorkommt, egal ob es sich um Aussagen von”linken” oder “rechten”, “bürgerlichen” oder “grünen” Politikern und Politikerinnen handelt. Ob sich wohl jemand schon mal die Mühe genommen hat, diesen Begriff etwas genauer unter die Lupe zu nehmen? Seinen Ursprung hat das Wort “nachhaltig” im Jahre 1713, als Hans Carl von Carlowitz, ein Oberhauptbergmann aus Sachsen, aufgrund einer drohenden Holzverknappung forderte, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden dürfe, wie durch Aufforstung wieder nachwachsen könne. Was nichts anderes heisst, als dass nur schon allein das Wort “nachhaltig” den Kapitalismus grundlegend in Frage stellt, da es schlicht und einfach nicht möglich ist, die Produktion von Gütern laufend wachsen zu lassen und gleichzeitig mit den Schätzen der Erde und der Natur so umzugehen, dass immer nur soviel verbraucht wird, wie wieder nachwachsen kann – man denke nur ans Erdöl, das über Millionen Jahre in der Erde “angewachsen” ist und infolge der kapitalistischen Welteroberung innerhalb weniger Jahrzehnte verbraucht worden ist, bis schon bald nichts mehr davon übrig bleibt. Wenn Politiker und Politikerinnen hier und heute mit Begriffen wie “nachhaltig”, “zukunftsverträglich”, “Wohlbefinden”, “Gerechtigkeit” und dergleichen um sich werfen, ohne gleichzeitig den Kapitalismus grundsätzlich in Frage zu stellen, dann unterliegen sie, bewusst oder unbewusst, einer gewaltigen Selbsttäuschung: All das, was sie fordern, ist nicht umsonst zu haben. Es hat einen Preis. Und der besteht in nichts Geringerem als dem Abschied vom kapitalistischen Wirtschaftssystem und dem Aufbau einer neuen, tatsächlich gerechten, menschenfreundlichen, nachhaltigen Wirtschaftsordnung und eines guten Lebens nicht nur für wenige Privilegierte, sondern für alle Menschen dieser Erde. 

Schwerer Sturz von Urs Kryenbühl in der Abfahrt von Kitzbühel: Die Interessen der Menschen und die Interessen des Geldes

 

Das Abfahrtsrennen von Kitzbühel gilt als eines der gefährlichsten. Das zeigte sich heute einmal mehr, als der Schweizer Skirennfahrer Urs Kryenbühl auf der Schanze kurz vor dem Ziel das Gleichgewicht verlor, mit einer Geschwindigkeit von 150 Stundenkilometern mit dem Kopf auf der pickelharten Piste aufschlug und regungslos im Zielraum liegen blieb, bevor er mit dem Helikopter hospitalisiert wurde. Unglaublich, aber wahr: Sowohl Beat Feuz wie auch Dominique Paris und sogar der unter seinen Kollegen als “Wildsau” geltende Maxence Muzaton hatten die Rennleitung bereits nach dem am Vortag durchgeführten Training darauf hingewiesen, dass der Zielsprung zu gefährlich und daher nicht zu verantworten sei, Carlo Janka bezeichnete den Zielsprung sogar als “tickende Zeitbombe” – offensichtlich ohne Erfolg. Es scheint ganz so, als ob die Einschaltquoten der Fernsehübertragungen und das Geschäft mit der Werbung einen höheren Stellenwert haben als die Gesundheit der Athleten. Wenn dann, sobald etwas Fürchterliches geschieht, ein Aufschrei des Entsetzens durch die Reihen der Verantwortlichen und des Publikums geht, dann ist das mehr als scheinheilig: Man baut die Piste so, dass sie Stürze förmlich provoziert, und gibt sich dann völlig überrascht, wenn tatsächlich genau das passiert, was man eigentlich hätte verhindern können. Doch nicht nur Skirennfahrer und Skifahrerinnen, sondern auch Motorradfahrer, Kunstturnerinnen, Leichtathleten, Schwimmerinnen und Tennisspieler bezahlen mit ihrer Gesundheit, manchmal sogar mit ihrem Leben, für jene Gewinne, die dann früher oder später in die Kassen von Sportorganisatoren, Veranstaltern, Fernsehanstalten und all jener Firmen fliessen, die dank diesem oder jenem Event ihre Profite erzielen. Damit fügt sich der Spitzensport nahtlos in die kapitalistische Kosten-Nutzen-Rechnung ein: So wie der Arbeiter am Fliessband und die Detailhandelsangestellte im Supermarkt sind auch die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler nichts anderes als kleine Rädchen innerhalb einer grossen Maschine, die am Ende auf Teufel komm raus rentieren muss – mit welchen Opfern auch immer. Beat Feuz, Dominique Paris und Maxence Muzaton hätten sich eine andere Piste gewünscht – ihre Meinung zählte nicht. Auch die angehenden Kunstturnerinnen von Magglingen, welche brutalste Trainingsmethoden über sich ergehen lassen müssen, wurden wahrscheinlich nie gefragt, wie viele Trainingsstunden pro Tag sie zumutbar fänden. Und auch die Fahrer der Tour de France müssen sich über himmelhohe Berge quälen und sich auf glitschigem Kopfsteinpflaster der Gefahr von Stürzen aussetzen, ohne dass sie je dazu um ihre Meinung gebeten worden wären. Wie viele Stürze wie den heutigen von Urs Kryenbühl, wie viele kaputttrainierte Kunstturnerinnen, wie viele zerschundene Gelenke von Tennisspielerinnen und wie viele Massenkarambolagen von Radrennfahrern braucht es wohl noch, bis auch der Spitzensport wieder dorthin zurückkehrt, wo er einmal angefangen hatte: beim Wohlergehen und bei der Gesundheit der Menschen und, vor allem, bei ihrem Recht auf Selbstbestimmung: mit dem eigenen Körper nur das zu tun, was ihm guttut und sich nicht von äusseren Interessen, Profitzwecken und der Schaulust des Publikums instrumentalisieren zu lassen.  

Sparmassnahmen bei Radio und Fernsehen: Über achttausend Jahre Knowhow, Wissen und Erfahrungen gehen verloren, einfach so, sang- und klanglos

 

Nachdem es zuerst verheimlicht wurde, ist es nun doch noch publik geworden: Nach “Aeschbacher”, “Schawinski”, “Eco”, “Sportaktuell”, “Mini Schwiz dini Schwiz”, “52 beste Bücher”, “Blickpunkt Religion” und weiteren Sendungen soll nun auch “Netz Natur” dem Sparhammer zum Opfer fallen, und dies, obwohl “Netz Natur” zu den beliebtesten Fernsehsendungen gehört und mit durchschnittlich 553’000 Zuschauerinnen und Zuschauern einen Marktanteil von 30,6 Prozent erreicht. “Unbeirrt”, so das St. Galler Tagblatt, “setzt SRF-Direktorin Nathalie Wappler ihren Kurs fort, geht mit der Axt durchs Haus und fällt im linearen Fernsehen eine Sendung nach der anderen – darauf hinweisend, dass im digitalen Bereich dafür etwas nachwachsen werde, doch was das sein könnte, weiss heute noch niemand genau.” Logisch, dass sich ein solcher Kahlschlag auch auf den Personalbestand auswirken muss: Zwischen 2015 und 2020 wurden 740 Stellen abgebaut, in den kommenden Jahren sollen weitere 116 Stellen werden. Wenn man davon ausgeht, dass die betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durchschnittlich zehn Jahre lang bei SRF gearbeitet haben, dann bedeuten diese Entlassungen, dass innerhalb von ein paar wenigen Jahren über achttausend Jahre Knowhow, Wissen und Erfahrungen verloren gegangen sein werden, einfach so, sang- und klanglos. Doch den schwarzen Peter bloss Nathalie Wappler in die Schuhe zu schieben, greift zu kurz. Die Axt, welche sie schwingt, hat sie nämlich von all jenen Firmen und Unternehmen bekommen, welche ihre Werbeaufträge bei SRF gekürzt oder gestrichen und damit jene Millionenlöcher geschlagen haben, welche die SRF-Direktorin nun so verzweifelt zu stopfen versucht. Aber selbst diese Firmen und Unternehmen als die eigentlichen “Schuldigen” anzusehen, wäre zu kurzsichtig. Denn auch sie sind letztlich nichts anderes als Marionetten im kapitalistischen Welttheater, dessen Maxime in einem immer gnadenloseren gegenseitigen Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Firmen und Unternehmen besteht, einem Konkurrenzkampf, in dem es stets bloss um die höchstmögliche Rendite geht, nicht aber um das Gemeinwohl und um die sozialen Bedürfnisse und Interessen der Menschen. So lange wir in diesem Wirtschaftssystem leben, besteht die einzige Möglichkeit darin, zu definieren, welche Einrichtungen, Dienstleistungen und Angebote zur Grundversorgung gehören und welche nicht. Elemente der Grundversorgung müssten sodann ausschliesslich durch die öffentliche Hand finanziert werden, um nicht schwankendem privatwirtschaftlichen Engagement unterworfen zu sein. Ob Radio und Fernsehen zu dieser Grundversorgung gehören sollen oder nicht, genau darüber müsste man öffentlich und breit diskutieren. Jetzt und so schnell wie möglich – bevor so viel Geschirr zerschlagen ist, dass es nicht mehr wieder repariert werden kann. 

 

 

SBB Cargo: Man kann etwas auch so lange “gesundschrumpfen”, bis es nicht mehr existiert

 

Eigentlich müssten gemäss der vom Schweizer Volk angenommenen Alpeninitiative Güter innerhalb der Schweiz vermehrt von der Strasse auf die Schiene umgelagert werden. Doch in der Realität ist genau das Gegenteil der Fall: Betrug der Anteil der auf der Schiene transportierten Güter 1980 noch rund 60 Prozent, sind es heute gerade noch 23 Prozent. Wie ein Beitrag der “Rundschau” am Schweizer Fernsehen vom 7. Oktober 2020 drastisch aufzeigte, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis SBB Cargo, das seit 2019 keine Subventionen mehr erhält und gemäss Gütertransportgesetz “eigenwirtschaftlich”, das heisst rentabel funktionieren muss, so gründlich gesundgeschrumpft ist, dass es am Ende gänzlich von der Bildfläche verschwunden sein wird. Alle Fakten und Zahlen deuten jedenfalls darauf hin: So wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche kleinere Umladestationen aufgehoben und damit die Attraktivität des Angebots für viele Firmen aufgehoben. Zudem wurde die Belegschaft zwischen 2001 und 2020 von 5’091 auf 2’240 Angestellte reduziert, für die folgenden drei Jahre ist ein weiterer Abbau von 800 Stellen geplant. Kein Wunder, spricht Isabelle Betschart Kühne, Leiterin Produktion SBB Cargo, von einer unerträglichen Situation: “Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, uns geht buchstäblich das Geld aus, damit wir auch in Zukunft die Löhne bezahlen können.” Da tönt es wie ein schlechter Witz, wenn Nils Planzer, Geschäftsführer der Planzer Transport AG und Mitbesitzer von SBB Cargo, meint, am Schluss müsse “SBB Cargo etwas Gesundes sein, das eigenwirtschaftlich ist und sich selber tragen kann.” Dies, so Planzer, werde sicher bedeuten, dass SBB Cargo zukünftig weniger Mitarbeitende haben werde als jetzt. Wie weit sind wir eigentlich gekommen, dass der CEO eines Privatunternehmens, welches Güter auf der Strasse transportiert, auf die zukünftige Entwicklung der SBB Cargo offensichtlich mehr Einfluss hat als die öffentliche Hand? Es gibt nun mal aus strukturellen Gründen Unternehmen, die sich eben nicht “selber tragen können”. Was ist denn so schlecht daran, diesen unter die Arme zu greifen, vor allem dann, wenn höhere Interessen wie das Gemeinwohl oder, in diesem Falle, der Klimaschutz betroffen sind? Wenn SBB Cargo 1980, als es noch Bundessubventionen erhielt, 60 Prozent der Güter transportierte und heute nur noch 23 Prozent, dann müsste man schon sehr gute Argumente ins Feld führen, um nicht schleunigst wieder eine wie auch immer ausgestaltete Form von “Subvention” von SBB Cargo einzuführen…   

 

 

 

Acht Herren aus Boston und das Schweizer Fernsehen: So wird die Demokratie ausgehebelt…

 

Bain & Company ist spezialisiert auf Unternehmensberatung, hat den Hauptsitz in Boston und betreibt auch ein Büro in Zürich. Bis zu acht Berater gingen während Wochen am Leutschenbach ein und aus und analysierten die Arbeitsprozesse beim Schweizer Fernsehen. Nun warten alle gespannt auf die Massnahmen, die SRF-Chefin Nathalie Wappler am kommenden 8. Oktober bekannt geben wird. Unter den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von Schweizer Radio und Fernsehen ist der Unmut beträchtlich. Einige befürchten, dass der eigene Unternehmensbereich weggespart werden könnte. Andere kritisieren, dass mit der Verlagerung von Sendungen und Beiträgen auf digitale Kanäle immer nur über Strukturen und kaum über Inhalte geredet werde. Dessen ungeachtet treibt Wappler das Projekt “2024” unbeirrt voran. Ziel ist es, ein junges Publikum zu erreichen, das sich abends nicht mehr vor der Flimmerkiste niederlässt. Wappler gab im August bereits die Absetzung der Sendungen “Eco”, “Einstein Spezial”, “Sportaktuell” und “Viva Volksmusik” bekannt. Gleichzeitig kündigte sie an, SRF werde vermehrt mit Angeboten auf Youtube und Instagram präsent sein, mit Comedy-Beiträgen in den sozialen Medien, mit einer digitalen Wissensplattform, Podcasts, Livestreams von Sportveranstaltungen und anderem mehr. Es ist davon auszugehen, das Wappler das traditionelle Fernsehprogramm weiter ausdünnen wird. Ein Fernsehjournalist spottet, im Oktober werde Wappler die “Tagesschau” und “10 vor 10” liquidieren. SRF verbreite seine Informationen künftig in einminütigen Filmchen auf Tiktok.(www.msn.ch)

Weshalb haben die TV- und Radiokonsumenten und -konsumentinnen am 4. März 2018 überhaupt über die No-Billag-Initiative abgestimmt? Über 71 Prozent der Stimmenden verwarfen diese Initiative und bekannten sich damit zur geltenden Gebührenordnung, um weiterhin ein qualitativ hochstehendes TV- und Radioprogramm sicherzustellen. Und nun gehen acht Berater eines US-amerikanischen Instituts ein paar Wochen lang durch die Studios des Schweizer Fernsehens ein und aus und stellen alles auf den Kopf. So wird Demokratie ausgehebelt. Wann gelangen wir endlich an den Punkt, nicht alles bloss an den Einschaltquoten zu messen? Eine Demokratie lebt nicht nur von der Mehrheit, sondern ganz besonders auch von den Minderheiten. Auch eine Sendung mit “nur” 150’000 Zusehenden hat – vorausgesetzt, sie ist qualitativ gut – ihre Berechtigung. 150’000 Menschen, die sich ein Wirtschaftsmagazin wie “Eco” oder die naturwissenschaftliche Sendung “Einstein Spezial” anschauen, können eine ungleich viel grössere gesellschaftliche Wirkung entfalten als eine halbe Million Menschen, die sich eine Schlagersendung oder einen Quiz zu Gemüte führen, bei dem der Sieger oder die Siegerin 100’000 Franken gewinnen kann. Gesellschaftliche und soziale Veränderungen sind noch nie von Mehrheiten ausgegangen, sondern stets nur von Minderheiten. Sie zu schützen, ihnen die notwendigen Räume und Plattformen zu bieten sowie die hierfür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen: das wäre das höchste Gut der Demokratie. Hoffentlich vermag sich diese Einsicht noch rechtzeitig durchzusetzen, bevor die Herren aus Boston alles plattgewalzt haben…

 

                                   

Wie Apple-CEO Tim Cook einen historischen Beitrag für die Menschheit leisten will…

“Wenn wir in die Zukunft schauen, von dort zurückblicken und uns die Frage stellen, was der grösste Beitrag von Apple für die Menschheit war, wird es um Gesundheit gehen.” So kündigte Apple-CEO Tim Cook Anfang 2019 in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNBC seine ganz grossen Visionen an. Und tatsächlich: Bereits kann die Apple Watch ein EGK an der Fingerkuppe erstellen und Stürze erkennen. Die neuste, soeben auf den Markt gekommene Version misst mit speziellen optischen Sensoren den Sauerstoffgehalt im Blut und soll frühzeitig Panikattacken oder erhöhten Stress feststellen. Den Userinnen und Usern dienen jede Menge kleiner Stupser, die sie zu einem gesunden Lebensstil ermuntern sollen: Erinnerungen für kurze Atemübungen, Vibrationen bei zu langem Sitzen oder “personalisiertes Ziel” täglich verbrauchter Kalorien. Und die für Smartwatches von Fitbit entwickelte App “JalapeNO!” soll Userinnen und User mithilfe einer kurzen Vibration am Handgelenk davon abhalten, sich ständig ins Gesicht zu fassen…

(Wochenzeitung, 10. September 2020)

Und dabei ist das noch längst nicht alles. Vitaminpräparate, Schlankheitskuren, Yoga, Säuglingsturnen, Wellnessferien, Ayurvedamassagen, Vorsorgeuntersuchungen, Ernährungsberatung, Fitnessclub, Pilates, Altersturnen, Schönheitsoperationen – wohl zu keiner anderen Zeit und an keinem anderen Ort haben sich die Menschen so intensiv um ihre persönliche Gesundheit und ihr persönliches Wohlergehen gekümmert wie in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren in den wohlhabenden Ländern des Nordens bzw. in jenen Gesellschaftsschichten, die sich alle diese Angebote überhaupt finanziell leisten können. Doch was für ein Gegensatz zwischen solcher persönlicher Gesundheitsvorsorge und dem, was man als “globale” Gesundheit bezeichnen könnte. Fast scheint es, je extremer sich viele Menschen um ihre persönliche Gesundheit kümmern, umso beharrlicher verschliessen sie die Augen vor jener anderen, viel umfassenderen Gesundheit, welche das Wohlergehen aller Menschen weltweit, das Wohlergehen der Natur, der Tiere, der Erde und der zukünftigen Generationen betrifft. Es ist nachgerade zynisch: Zum Fitnessclub, wo man seinen Körper stählt, fährt man mit dem Auto, verpestet die Umwelt und leistet seinen ganz persönlichen Beitrag zum Untergang der Menschheit. Mit technischen und elektronischen Apparaturen, welche die persönliche Gesundheit rund um die Uhr kontrollieren, beteiligt man sich, wissentlich oder unwissentlich, am Raubbau an seltener Erde und immer mehr zur Neige gehender Rohstoffe. Und selbst einen Flug um die halbe Erde mit all seinen katastrophalen ökologischen Auswirkungen nimmt man in Kauf, um sich an der Südküste von Sri Lanka in den Schatten eines Baumes zu legen, eine Ayurvedamassage zu geniessen und sich dazu köstliche Fruchtsäfte zur Reinigung und Stärkung des Verdauungsapparates servieren zu lassen. Wie wäre es, wenn Apple-CEO Tim Cook sein Versprechen, einen historischen Beitrag zur Gesundheit der Menschheit zu leisten, wirklich ernst nähme? Dann aber müsste er eine von Grund auf andere Apple Watch schaffen. Eine, die mit schrillem Ton jede Erwärmung der Erdatmosphäre um ein Tausendstel Grad signalisiert. Eine, die auf jede unnötige Autofahrt oder jeden unnötigen Flug mit dem Hinweis reagiert, dies alles sei tödlich. Eine, die auf ihrem Display pausenlos Bilder von Waldbränden, von schmelzendem Packeis und von ausgetrockneter, unfruchtbarer Erde zeigt und uns damit ohne Unterlass in Erinnerung ruft, dass Gesundheit nicht nur etwas Persönliches und Individuelles ist, sondern ein Allgemeingut in einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt…

Zukunftstaugliche Verkehrsplanung: Das Ende des privaten Automobils

 

In nicht allzu weit entfernter Zukunft werden wir uns wohl die Augen reiben und nicht mehr begreifen können, dass so etwas je einmal möglich war: Da steht das mit einem Riesenaufwand an Material, Technik und Geld hergestellte und gekaufte private Motorfahrzeug zwölf oder vierzehn Stunden lang vor der Haustür und wartet darauf, dass ein siebzig oder achtzig Kilo leichtes Menschenwesen darin Platz nimmt, um sodann eine halbe oder nicht selten sogar eine ganze Tonne Stahl und Blech in Bewegung zu setzen, um dieses Menschenwesen in einer vielleicht halbstündigen Fahrt von A nach B zu bringen, auf endlosen Betonpisten im Gerangel mit Abertausenden Artgenossen, um sodann wieder vier oder acht Stunden stillzustehen und dabei erneut wieder eine Fläche zu beanspruchen, die man ebenso gut für eine Wiese, einen Kinderspielplatz oder einen Gemüsegarten hätte brauchen können. Zukünftige Generationen werden sich an das private Automobil in ähnlicher Weise erinnern wie wir heutigen Menschen an die Dinosaurier: zu gross, zu fett, zu unbeweglich, zu gefrässig, nicht zukunftstauglich. Doch noch, aber das ist vielleicht bloss so etwas wie ein letztes Aufbäumen, ist immer noch etwas Heiliges um dieses private Glück auf vier Rädern, das nicht selten aufmerksamer und liebevoller gepflegt und gehätschelt wird als die eigenen Kinder. Noch geht ein Aufschrei durchs Land, wenn einer kommt und den Verzicht auf das eigene Privatauto fordert. Dabei wäre es doch so einfach und würde allen, sowohl denen, die heute noch ein Auto besitzen, wie auch denen, die bereits heute auf eines verzichten, unschätzbar viel mehr Vorteile als Nachteile bringen. Man stelle sich vor: Ein Land, in dem sich die Menschen ausschliesslich mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen, in einem Netz, das so stark ausgebaut, fein verästelt und mit einem Taxidienst ergänzt würde, dass man nahezu jederzeit von jedem beliebigen zu jedem anderen beliebigen Ort gelangen könnte. Ein Land, in dem alle nur erdenklichen Anstrengungen unternommen würden, um Wohn- und Arbeitsorte so nahe zusammenzubringen, dass sich die Pendlerströme in Zügen und Bussen auf ein erträgliches Mass reduzieren würden. Ein Land, in dem nur noch Handwerker, Ambulanzen, die Feuerwehr und die Polizei mit Autos unterwegs wären und selbst die grossen Überlandlastwagen immer seltener anzutreffen wären, da die Güter in immer grösserer Zahl mit der Eisenbahn transportiert würden. Ein Land, in dem Abertausende von Quadratkilometern, die heute von Strassen, Brücken und Parkplätzen beansprucht werden, wieder frei wären für Fussgänger und Velofahrerinnen, für spielende Kinder und Vergnügungspärke, für Grünflächen, Bäume und Gemüsegärten. Nicht eine verlockende Vorstellung? Alle würden etwas gewinnen, niemand würde etwas verlieren. Und wäre die Schweiz nicht das ideale Land, um ein solches Experiment zu verwirklichen? Fast schon einmal hätte es geklappt, nämlich im Kanton Graubünden, wo der Regierungsrat im Jahre 1900 ein Verbot aller Automobile auf den Strassen des Kantons erliess, welches erst 1925 durch eine Volksabstimmung wieder rückgängig gemacht wurde. Heute, fast hundert Jahre später und fast hundert Jahre gescheiter, könnten wir doch an diesem Punkt noch einmal neu anfangen. Kaum auszudenken, was dies auch weit über die Grenzen unseres Landes hinaus bewirken würde…

Nähereien in England: Zustände wie in Bangladesh

Mit flinken Händen schieben sie die Stoffe durch die ratternden Nähmaschinen. Ein gebeugter Rücken reiht sich an den andern. Der Notausgang am Ende der stickigen Halle ist verbarrikadiert. Viele der gut hundert Frauen, die hier arbeiten, sehen müde aus. Gerade jetzt in Zeiten von Corona müssen sie Überstunden leisten. Selbst wer krank ist und sich mit Covid-19 infiziert hat, muss weiter schuften. Niemand lehnt sich auf, vielmehr droht jeder Arbeiterin, die sich beklagt, die Kündigung. Da viele von ihnen illegal beschäftigt sind, sind sie ihrem Arbeitgeber schutzlos ausgeliefert. Zudem gibt es weder Masken noch Abstandsregeln. Solche Szenen spielen sich nicht etwa in einer Nähfabrik in Bangladesh ab, sondern in den Sweatshops in der Stadt Leicester mitten in England. Die Frauen nähen hier für einen Hungerlohn, der nicht einmal der Hälfte des britischen Mindestlohns entspricht. Viele der tausend zum Teil illegalen Nähereien hielten auch während des landesweiten Corona-Lockdown den Betrieb aufrecht, um für Grosskunden wie die britische Textilmarke Boohoo produzieren zu können. Die tiefen Preise, mit denen Boohoo vor allem bei Teenagern Werbung macht, verlangen nach möglichst tiefen Kosten. Die Lieferanten von Boohoo treffen sich wöchentlich am Hauptsitz des Konzerns in Manchester, wo die Aufträge an die Nähfabriken vergeben werden. Den Zuschlag erhält jeweils die Näherei, die etwa einen Minijupe für 4 statt für 5 Pfund (4 Franken 75 statt 5 Franken 95) produzieren kann. Im Jargon heisst dies: die Suche nach der “billigsten Nadel”. Das sei wie auf dem Viehmarkt, hatte ein Händler einer parlamentarischen Untersuchungskommission erklärt, die ihren Bericht zu den Zuständen in der Branche Anfang vergangenen Jahres veröffentlichte.

(NZZ am Sonntag, 12. Juli 2020)

Ob die Schlachthöfe von Tönnies in Deutschland, die Erdbeerplantagen in Spanien oder eben die Textilfabriken in England: Wer sich immer noch eingebildet hat, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gäbe es nur in Billiglohnländern wie Indien, Vietnam oder Brasilien, dem müssten spätestens jetzt die Augen aufgehen: Längst verlaufen die Grenzen zwischen Arm und Reich, zwischen Ausbeutern und Ausbeuteten nicht mehr zwischen Ländern und Kontinenten. Sie gehen mitten durch jedes kapitalistische Land hindurch und teilen in jedem dieser Länder in mehr oder weniger drastischem Ausmass die Menschen in Gewinner und Verlierer – und der Graben zwischen ihnen wird gar von Tag zu Tag noch tiefer. Glücklicherweise – und das ist das Gute daran – wird dieses unvorstellbare, grenzenlose Leiden nicht zuletzt infolge der Coronakrise offensichtlich einer immer breiteren Öffentlichkeit zunehmend bewusst. So hat eine unlängst in Grossbritannien durchgeführte Umfrage ergeben, dass 54 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, dass es nach der Coronakrise nicht mehr so weitergehen dürfte wie bisher, es bräuchte eine andere, gerechtere Wirtschaftsordnung und mehr Respekt gegenüber der Natur. Umfragen in Deutschland haben ein ähnliches Resultat ergeben. Darf man also, trotz all der Schreckensmeldungen, mit denen wir täglich konfrontiert sind, vielleicht doch noch ein klein wenig Hoffnung schöpfen? 

Eine Stunde schneller von Zürich nach München – und dann?

Ab dem kommenden Fahrplanwechsel im Dezember wird die Bahnreise von Zürich nach München nur noch vier statt wie bisher fünf Stunden betragen. Damit sagen SBB und DB ihrer Konkurrenz in der Luft und auf der Strasse den Kampf an. Wählen heute noch 5’000 Reisende pro Woche für diese Strecke den Fernbus, 3’900 die Bahn und 3’700 das Flugzeug, soll die Bahn zukünftig die unbestrittene Nummer eins sein. Doch das hat seinen Preis: 500 Millionen Euro gibt Deutschland aus, um die Strecke zwischen Lindau und München zu elektrifizieren, 50 Millionen steuert die Schweiz bei. Unzählige Signale, Weichen, Stellwerke und Bahnübergänge werden ersetzt, in Lindau entsteht nach zweijähriger Bauzeit ein neuer Durchgangsbahnhof und eine 5300 Tonnen schwere Brücke, die um 13 Meter in ihre Endposition verschoben werden muss, wird gebaut. Allein die zu errichtenden Lärmschutzwände verschlingen ein Fünftel der gesamten Bausumme. Und dies alles, um die Strecke zwischen Zürich und München um eine Stunde schneller zu machen.

(10vor10, Schweizer Fernsehen SRF1, 29. Juni 2020)

Wird das alles genügen, um die Konkurrenten auf der Strasse und in der Luft zu bezwingen?  Werden die Fernbusse und die Luftfahrtgesellschaften nicht alles daran setzen, durch möglichst tiefe Preise so viele Passagiere wieder von der Schiene wegzulocken auf die Strasse und in die Luft? Und was werden sich SBB und DB hernach einfallen lassen, um trotz alledem wieder von neuem die Nummer eins zu sein? Werden sie eine Brücke über den Bodensee bauen oder an all jenen Stellen, wo infolge von Kurven nur langsam gefahren werden kann, Tunnels bauen lassen? Das alles mag absurd klingen, wäre aber nichts anderes als die logische Folge dessen, was vor 50 Jahren auch noch nicht denkbar gewesen wäre, heute aber so normal erscheint, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Doch so kann es nicht endlos weitergehen. Früher oder später werden wir uns von der Vorstellung lösen müssen, das Verkehrssystem sei eine Art Supermarkt, aus dem man stets das billigste und bequemste Produkt frei auswählen könne. Wir brauchen nicht drei oder vier Varianten, um von Zürich nach München reisen zu können, es genügt eine einzige Variante, und diese soll, im Vergleich mit allen anderen, über die beste wirtschaftliche, soziale und ökologische Gesamtbilanz verfügen, egal, ob diese Reise dann vier, fünf oder sechs Stunden dauert. Das bedrohe aber die individuelle Freiheit des Einzelnen, werden Gegner eines solchen integralen Verkehrssystems einwenden. Nun gut, aber soll die Freiheit des Einzelnen tatsächlich so weit führen, dass wir ganze Landschaften zubetonieren, Rohstoffe masslos ausbeuten, die Klimaerwärmung immer noch mehr und noch mehr anheizen und in letzter Konsequenz die Natur und den ganzen Planeten, auf dem wir leben, zerstören?

Die Diskussion rund um den Mohrenkopf und wie sie weitergehen müsste…

Die Diskussion, ob der Mohrenkopf weiterhin Mohrenkopf heissen soll, mag ja durchaus ihre Berechtigung haben. Doch der wirkliche Skandal ist ja nicht, dass der Mohrenkopf Mohrenkopf heisst. Der wirkliche Skandal besteht darin, dass auch heute noch die Pflückerinnen und Pflücker der Kakaobohnen, aus denen die Schokolade hergestellt wird, nur einen winzigen Bruchteil dessen verdienen, was die in der Schweiz ansässigen Fabrikanten, Händler und Verkäufer der Schokolade an Gewinn einheimsen. Und das ist nur eines von zahllosen Beispielen, wie sich die Ausbeutung und das Elend des Südens in den Luxus und in das Gold des Nordens verwandeln: die beiden Kehrseiten der kapitalistischen Münze, welche die einen, obwohl sie immer härter arbeiten, dennoch immer ärmer macht, während sie die anderen, obwohl sie sich gar nicht so sehr anzustrengen brauchen, dennoch immer reicher werden lässt. Es ist gut, wenn man dem Mohrenkopf einen neuen Namen gibt. Und es ist auch gut, wenn man darüber diskutiert, ob die Statuen und Denkmäler früherer Sklavenhändler weiterhin öffentlich ausgestellt bleiben sollen. Aber noch viel wichtiger wäre es, die Geschichte von 500 Jahren kolonialer Ausbeutung bis in unsere Gegenwart hier und heute aufzuarbeiten. Und noch wichtiger wäre es, eine zukünftige Wirtschaftsordnung aufzubauen, die nicht mehr auf Ausbeutung und der himmelschreienden Ungleichheit zwischen Arm und Reich aufbaut, sondern auf fairen Tausch- und Handelsbeziehungen und dem elementaren Recht auf ein gutes Leben nicht für eine wohlhabende Minderheit der Weltbevölkerung, sondern für alle Bewohner und Bewohnerinnen der Erde hier, heute und in Zukunft…