Crédit Suisse im Sinkflug: Die Bankenkrise ist nicht nur eine Bankenkrise, sie ist auch eine Kapitalismuskrise…

„Die Zahlen der Crédit Suisse“, so der „Tagesanzeiger“ vom 16. März 2023, „sind seit Jahren schlecht, die Bank schreibt  gigantische Verluste, Kundinnen und Kunden haben Milliardenbeträge zu anderen Geldhäusern verschoben, und dieser Abfluss ist immer noch nicht gestoppt. Öl ins Feuer eine Nachricht aus Saudiarabien, wo Ammar Al Khodairy, Präsident der Saudi National Bank, des wichtigsten Aktionärs der CS, verkündet, keine zusätzlichen Gelder in die CS einzuschiessen. In der Folge muss der Handel mit CS-Aktien zeitweise ausgesetzt werden. Die Lage ist derart dramatisch, dass sich sogar die französische Premierministerin Elisabeth Borne einschaltet. Sie fordert die Schweiz auf, die Probleme der CS zu lösen. Doch aus dem schweizerischen Finanzministerium und der Finanzmarktaufsicht heisst es nur: kein Kommentar! Und das mit gutem Grund, denn jedes falsche Wort, das zum falschen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangt, könnte fatale Folgen haben und im schlimmsten Fall eine immer schneller drehende Negativspirale auslösen. Noch bevor die Börsen schliessen, sackt die CS-Aktie nochmals um 24 Prozent ab, diejenige der UBS um 9 und diejenige der britischen HSBC um 4 Prozent. Für die CS-Aktie ist es der grösste Tagesverlust, den sie jemals erlitten hat. Der weltbekannte Ökonom Nouriel Roubini sagt, das Problem bestehe darin, dass die CS zu gross sei, um sie scheitern zu lassen, aber auch zu gross, um gerettet zu werden.“

In der folgenden Nacht teilt die CS mit, die wolle das Angebot der Schweizerischen Nationalbank in Form einer Finanzspritze von 50 Milliarden Dollar annehmen. Doch das ist noch lange nicht das Ende des Tunnels. Nach wie vor verlassen Kundinnen und Kunden scharenweise die Bank. Zudem ist durchgesickert, dass die CS-Aktie in letzter Zeit immer mehr zu einem Spielball für Spekulanten geworden sei, zunehmende Leerkäufe seien am Werk. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich bei den Prämien für Versicherungen gegen ein Kreditausfallrisiko, welche bei der CS das Zehnfache dessen betragen, was von der UBS aufgewendet wird. „Woher“, fragt Bankenprofessor Teodoro Cocca, „kommen die künftigen Gewinne, um sämtliche Verbindlichkeiten bedienen zu können?“ Doch wo viel Geld verloren wird, wird, wie immer und überall im Kapitalismus, auch viel Geld gewonnen: „Über 11,7 Milliarden Franken“, so Nicola Siegrist, Präsident der Juso Schweiz, „hat die CS seit 2010 an private Aktionärinnen und Aktionäre ausgeschüttet.“ Und SVP-Nationalrat Thomas Matter erinnert in der TV-Arena vom 17. März, dass die CS in den vergangenen 20 Jahren 42 Milliarden Boni ausbezahlt hat. Die Crédit Suisse – eine Kuh, aus der auch noch der letzte Milchtropfen herausgepresst wurde, bis sie jetzt zu Tode erschöpft liegenbleibt.

Ich gebe zu: Ich verstehe vom herrschenden Finanz- und Bankensystem nur wenig und würde mich auf keine Diskussion über Inflation, Hoch- und Tiefzinspolitik, Börsenkurse und dergleichen einlassen. Aber man muss auch nicht eine Expertin, ein Experte sein, um festzustellen, dass hier – nicht nur was die aktuelle Krise betrifft, sondern auch das weltweite Finanz- und Bankensystem – so ziemlich alles ganz gehörig aus dem Ruder gelaufen ist. Banken sind privatwirtschaftliche, kapitalistische Unternehmen, die kein anderes Ziel haben, als in kürzester Zeit möglichst hohe Gewinne zu machen – zumindest trifft dies vor allem auf all jene Grossbanken zu, welche den Markt beherrschen. Dabei wird jedes Risiko auf sich genommen, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Das Verhältnis der einzelnen Banken zueinander ist nicht auf Kooperation ausgerichtet, sondern auf Konkurrenz. „Wenn die Haie unterwegs sind“, sagt ein Insider der Bankenbranche, „jagen sie diejenigen, die bereits bluten.“ Jetzt, in einer Krise, den CEOs die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben, greift zu kurz. Die Haie tun bloss ihre Pflicht, wenn sie nicht fressen, dann werden sie gefressen. In die Pflicht zu nehmen sind nicht die „schlechten“ oder „unfähigen“ Manager der einen oder der anderen Bank. In die Pflicht zu nehmen ist das kapitalistische Wirtschafts- und Geldsystem als Ganzes. Denn, wie schon Bertolt Brecht sagte: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

Und genau deshalb braucht es eine radikale Alternative. Banken sollten nicht Profitmaximierungsmaschinen im Dienste der Reichen und Mächtigen sein, sondern auf Geldgeschäfte spezialisierte Unternehmen, deren oberste Maxime die soziale Wohlfahrt ist: eine möglichst gerechte Geldverteilung anzustreben, soziale und ökologische Kriterien in den Vordergrund zu stellen, nicht auf Konkurrenz. sondern auf Kooperation ausgerichtet zu sein, eine stabile, vorausschauende Finanzpolitik anzustreben, innovative und zukunftsgerichtete Kreditsuchende vorrangig zu unterstützen, Instrumente aufzubauen, um Löhne und Preise im Gleichgewicht zu halten. Würden wir dies alles ernst nehmen – und es läge zweifellos im ureigenen Interesse sowohl der Wirtschaft, wie auch der Gesellschaft und des einzelnen Individuums -, dann wäre zweifellos die Verstaatlichung der Banken die einzige logische Konsequenz. Es ist ja höchst erstaunlich, dass sich der Bundesrat nach der letzten grossen Finanzkrise 2008 ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzte, was zeigt, dass die Idee offensichtlich gar nicht so exotisch ist, wie man das auf den ersten Blick meinen könnte. Zu hoffen bleibt, dass die gegenwärtige Krise der Crédit Suisse erneut einen Input in diese Richtung bringen könnte. Damit sich im Haifischbecken nicht mehr grosse und kleine Fische gegenseitig auffressen, sondern sich in friedlichem Gewässer bunte Fische aller Art tummeln und sich gegenseitig ihrer Verschiedenartigkeit erfreuen.

ChatGPT: Ein Schritt zu mehr Demokratie, Kreativität und Selbstbestimmung oder möglicherweise doch eher das Gegenteil davon?

Bittet man ChatGPT einen Artikel über sich selbst zu schreiben, lautet der erste Absatz so: „ChatGPT ist ein bahnbrechendes Sprachmodell, das eine neue Ära der Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen einläutet. Dieses Modell hat sich als äusserst effektiv erwiesen, um eine breite Palette von Themen und Anforderungen abzudecken.“

Nun, ich mache die Probe aufs Exempel und will von ChatGPT wissen, wie der Ukrainekrieg entstanden sei. „Der Konflikt“, bekomme ich zur Antwort, „begann im Jahre 2014, als die russische Regierung die Halbinsel Krim annektierte und separatistische Kräfte in der Ostukraine unterstützte.“ Also eine eindeutige Schuldzuweisung an die Adresse Russlands und kein Hinweis auf eine mögliche Mitschuld des Westens in Form der NATO-Osterweiterung, des Maidan-Regierungsputschs anfangs 2014, der von ukrainischen Verbänden in der Ostukraine begangenen Menschenrechtsverletzungen und der massiven Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerungsminderheit in der Ukraine. Immerhin räumt ChatGPT ein, dass „im Februar 2015 ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet“ worden sei, „die Kämpfe zwischen ukrainischen Truppen und den Separatisten aber seither immer mehr zugenommen“ hätten. Mit keiner einzigen Silbe wird die Rolle der USA thematisiert, welche die Ukraine ab 2008 zu einer NATO-Mitgliedschaft gedrängt, die ukrainische Armee auf NATO-Standards getrimmt, trainiert und aufgerüstet haben.

Meine zweite Frage lautet: „Was sind die Ursachen des weltweiten Hungers?“ Als Antwort werden genannt: Armut, Klimawandel, Kriege, politische Instabilität, Ungleichheit, Diskriminierung, mangelnde Infrastruktur, übermässiger Fleischkonsum in den „entwickelten“ Ländern. Abgesehen vom letzten Punkt werden die Ursachen für den Hunger also ausschliesslich in den betroffenen Ländern selber geortet. Dass der Nahrungsmittelüberfluss in den reichen Ländern einen direkten Zusammenhang hat mit der Mangelernährung in den armen Ländern, wird, abgesehen vom Fleischkonsum, mit keinem Wort erwähnt, auch nicht die koloniale Vorgeschichte als Hauptursache der heutigen Ungleichheiten, auch nicht die Rolle der globalen Nahrungsmittelkonzerne und schon gar nicht die Tatsache, dass im Kapitalismus – ein Begriff, den ChatGPT nicht zu kennen scheint – die Güter eben nicht dorthin fliessen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern dorthin, wo am meisten Geld vorhanden ist, um sie kaufen zu können.

Meine dritte Frage lautet: „Weshalb gibt es Armut?“ Folgende Gründe werden aufgeführt: Mangel an Bildung und beruflichen Möglichkeiten, Mangel an Ressourcen und Infrastruktur, wirtschaftliche Instabilität und Diskriminierung. Tatsächlich aber ist Armut bloss stets die Kehrseite überbordenden Reichtums. Es ist kein Zufall, dass extreme Armut überall dort auftritt, wo auch extremer Reichtum auftritt, die beiden Kehrseiten der gleichen kapitalistischen Münze, so treffend auf den Punkt gebracht in Bertolt Brechts Parabel vom armen Mann, der zum reichen Mann sagt: „Wär ich nicht arm, dann wärst du nicht reich.“ Nichts von alledem scheint ChatGPT zu interessieren.

Mein Fazit: Wer sich mit ChatGPT „informieren“ will, muss wissen, dass er bestenfalls nur die Hälfte der Wahrheit erfährt. Fatal wäre es, dieses Schreib- und Informationsinstrument zu benutzen im Glauben, damit objektiv und umfassend informiert zu werden. Man könnte es noch krasser formulieren: Tatsächlich handelt es sich bei ChatGPT um nichts anderes als eine Form von Gehirnwäsche, indem herrschendes Mehrheitswissen und -denken zur vermeintlichen „Wahrheit“ erhoben wird, gespiesen aus Millionen von anonymen Quellen, von denen am Ende niemand mehr weiss, von wem, von wo und aus welcher Zeit sie stammen, sozusagen eine Buchstabensuppe, die, wie es ein Kritiker von ChatGPT kürzlich treffend sagte, stets immer wieder neu aufgewärmt wird, ohne dass etwas wirklich Neues, Kreatives, Unerwartetes, Überraschendes dabei herauskommt. Wird sich ChatGPT immer weiter ausbreiten, so werden sich auch die Sprache und das Denken all jener, die es benützen, gegenseitig immer näher angleichen und wo eben noch unterschiedlichste Farben leuchteten, wird alles nach und nach in einem gleichförmigen Grau verschwinden. In der Tat, ChatGPT hat in seiner eingangs zitierten Selbstbeschreibung zweifellos recht: Es wird tatsächlich eine „neue Ära der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine einläuten.“ Die Frage ist nur, ob diese neue Ära neue Formen von Demokratie, Kreativität und Selbstbestimmung hervorbringen wird oder doch möglicherweise eher das Gegenteil davon.

Massaker, Gräueltaten, Zerstörungen, Vergewaltigungen: Ein kurzer Blick in die Geschichte des Kriegs…

 

Die 105 Männer der Kompanie rücken gemeinsam auf den Weiler zu. In den folgenden drei Stunden ermorden sie einen Grossteil der Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen, bei denen es sich ausnahmslos um Zivilpersonen handelt, lediglich ein Einziger ist bewaffnet. Die meisten werden in Gruppen zusammengetrieben und durch das automatische Feuer der Maschinengewehre und durch den Einsatz von Granaten getötet. Die Aktion geht einher mit der vollständigen Vernichtung der Lebensgrundlagen, indem Häuser und Ernteerträge verbrannt, das Vieh getötet und die Brunnen vergiftet werden. Zudem kommt es zu zahlreichen Vergewaltigungen.

Ein aktuelles, besonders krasses Beispiel aus dem gegenwärtigen Ukrainekrieg, welches einmal mehr die Grausamkeit der russischen Kriegsführung dokumentieren soll? Nein, weit daneben. Es handelt sich bei diesem Text vielmehr um die Schilderung des Massakers von My Lai, begangen von US-Soldaten an über 500 vietnamesischen Zivilpersonen am 16. März 1968. Wer heute die „bösen“ Russen an den Pranger stellt, vergisst zu schnell, dass Gräueltaten und Vergewaltigungen, so zynisch dies klingen mag, in jedem Krieg sozusagen an der „Tagesordnung“ sind, ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um „böse“ Russen oder „gute“ Amerikaner oder Angehörige anderer Nationalitäten handelt. Allein im Vietnamkrieg wurden, wie die „Zeit“ am 27. Februar 1976 berichtete, „tausende, wahrscheinlich Hunderttausende von vietnamesischen Frauen vergewaltigt.“

Wie ist das zu erklären? Eine interessante Analyse finden wir im Buch „Die USA im Vietnamkrieg“ von Erik Fischer. Entführungen, Misshandlungen und Vergewaltigungen im Vietnamkrieg seien eine Folge der negativen Erfahrungen der Soldaten gewesen: Mangelerscheinungen von Schlaf und Nahrung, die Herausforderungen der Vegetation sowie die Gefahr eines allgegenwärtigen Todes durch einen kaum auffindbaren bzw. identifizierbaren Gegner. Dazu kämen die vielfältigen Erfahrungen des Verlusts: Verlust der Freunde und Kampfgefährten, Verlust des Vertrauens in sich selbst und seine Umwelt. Ängste und Schmerzen würden sich sodann in Wut, Hass und den Wunsch nach Rache transformieren, im Versuch, einen Platz in der Welt wieder einzunehmen, der einem genommen worden sei.

Auf einen weiteren wichtigen Aspekt weist Christoph Ege in einer auf www.grin.com veröffentlichten Seminararbeit aus dem Jahre 2006 hin: Im Vietnamkrieg hätten auf der Seite der USA so genannte „small units“ von fünf bis 25 Soldaten agiert. Um zu überleben, hätte sich der Einzelne seiner Gruppe voll und ganz anpassen müssen. So etwa sei ein Soldat, der mit seiner kleinen Einheit im Dschungel agierte und bei der Verschleppung, tagelangen Vergewaltigung und schliesslich Ermordung einer jungen Vietnamesin nicht mitmachen wollte, von seinem Vorgesetzten als „Schwuler“ und als „Küken“ bezeichnet worden und man hätte ihm sogar mit dem Tode gedroht, falls er von seiner „unmännlichen Zurückhaltung“ nicht ablassen würde. Sexuelle Machtausübung sei den Soldaten von ihren Vorgesetzten sogar explizit gefordert worden, weil diese dazu beitragen würde, die Kampfmoral, die Bereitschaft zum Ertragen von Todesängsten und die Fähigkeit zum Töten aufrechtzuerhalten. In dieser Optik soll der Krieg als Abenteuer, Spass und Ausleben von Heldentum und Männlichkeit erlebt werden, Krieg als ein Ort, wo man neue Dinge entdecken kann, ganz nach dem damals gängigen Werbespruch des Pentagons, wonach man in der US-Army lerne, „was es bedeutet, sich wie ein Mann zu fühlen.“ 

Das Fazit: Im Krieg können auch die sanftmütigsten und friedfertigsten Männer zu Bestien werden, unabhängig davon, welchem Volk oder welcher Nationalität sie angehören – Beispiele dazu gibt es in der Geschichte der Kriege seit Jahrhunderten millionenfach. Die einzige Hoffnung, dass dies für immer ein Ende hat, besteht darin, den Krieg als Mittel der Konfliktlösung zwischen Völkern und Staaten für immer aus der Welt zu schaffen. Wenn der Krieg aufhört, dann hören auch die Gewalttaten, die Zerstörungen und die Vergewaltigungen auf, von denen wir in der Ukraine, aber auch in allen anderen Ländern, wo Kriege geführt werden, tagtäglich Zeugen sind. So einfach wäre das.

Die vielgelobte Demokratie, die angeblich im Kampf der Ukraine gegen Russland verteidigt werden soll, wird uns zur Zeit ganz gehörig unter unseren eigenen Füssen weggezogen…

 

Gemäss Angaben der Veranstalterinnen sind am Samstag, 25. Februar 2023, rund 50’000 Menschen einem von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer lancierten Friedensappell gefolgt und haben in Berlin für eine sofortige Waffenruhe und baldmöglichste Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine demonstriert. Gespannt habe ich am Tag danach in die „Sonntagszeitung“ und in die „NZZ am Sonntag“, die beiden wichtigsten Schweizer Sonntagszeitungen, geschaut, in der Erwartung, noch Ausführlicheres über diese Kundgebung zu erfahren, über die Reden, die da gehalten wurden, über Stimmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Demonstration, über die Wirkung, die dieser Anlass auf die politischen Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen haben könnte. Doch Fehlanzeige auf der ganzen Linie: Kein einziges Wort, kein Bild, einfach nichts zu diesem Thema. Dafür, in der „Sonntagszeitung“, ein zweiseitiger (!) Bericht über eine von Ukrainerinnen in der Schweiz veranstaltete Modeschau mit Kleidern, die während dem Krieg genäht wurden und die nun zur Unterstützung der in der Heimat Verbliebenen verkauft werden sollen.

Dabei hätte man mit einer angemessenen Berichterstattung über die Friedensdemonstration in Berlin eine ganze Zeitung füllen können. Allein die hervorragenden Reden von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer hätten es verdient gehabt, in vollem Wortlaut wiedergegeben zu werden. Und erst recht von allgemeinem Interesse wären die Ausführungen des US-amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs gewesen, zugeschaltet per Videoübertragung, der die Vorgeschichte des russischen Angriffs auf die Ukraine aufrollte und darauf hinwies, dass die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland bereits 2014 mit dem Regierungsputsch auf dem Maidan und dem geplanten Einbezug der Ukraine in die NATO begonnen hatten und man deshalb eigentlich jetzt nicht den ersten, sondern den neunten Jahrestag dieses Kriegs begehen müsste. Interessant wäre es auch gewesen, etwas über die Beweggründe dieser doch immerhin 50’000 Menschen zu erfahren, die sich für die Teilnahme an diesem Anlass entschieden hatten. Und ganz bestimmt hätte man fairerweise auch ein paar Worte darüber verlieren müssen, dass ein so grosser Anlass so friedlich verlief und es – trotz zahlreicher Unkenrufe von allen Seiten – zu keinerlei Gewaltausschreitungen „extremer“ Gruppierungen kam. 

Man kann – seitens der Politik, aber auch seitens der mit ihr mehr oder weniger im Gleichschritt marschierenden Medien – die öffentliche Meinung auf verschiedene Arten beeinflussen. Die eine besteht darin, über gewisse Dinge zu sprechen, über andere aber nicht. Ein besonders krasses Beispiel dafür sind die Anschläge auf die Gaspipeline Nordstream 2 vom 26. September 2022, wo vieles darauf hindeutet, dass die USA, möglicherweise im Bunde mit Norwegen, dahinter stecken könnten, weitere Abklärungen und Informationen aber nach wie vor beharrlich unter dem Deckel gehalten werden. Bemerkenswert und ebenfalls von den Mainstreammedien weitgehend ausgeblendet ist die Tatsache, dass die russische Regierung im Oktober 2022 die offizielle Bitte an Bundeskanzler Scholz gerichtet hatte, russische Experten an der Untersuchung der Anschläge zu beteiligen – eine Anfrage, die bis zum heutigen Tag unbeantwortet geblieben ist, und dies, obwohl Russland die Pipelines gebaut und finanziert hat und immer noch deren Eigentümer ist. Ein weiteres Beispiel ist der Versuch Putins Ende 2021, mit der USA eine Lösung bezüglich NATO-Beitritt der Ukraine auszuhandeln, was von der US-amerikanischen Regierung in Bausch und Bogen verworfen wurde. Ein weiteres Beispiel ist die Initiative des israelischen Ministerpräsidenten Bennett anfangs März 2022, der die Ukraine und Russland beinahe dazu gebracht hatte, einer gemeinsamen Friedenslösung zuzustimmen, wenn nicht die USA und Grossbritannien interveniert und die Initiative zu Fall gebracht hätten.

Eine zweite Möglichkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, besteht darin, dem „Gegner“ unlautere Motive zu unterstellen. So waren die westlichen Führungsmächte dem Vorschlag Chinas für eine Friedenslösung zwischen Russland und der Ukraine von Anfang an skeptisch bis ablehnend gegenüber eingestellt, indem China vorgeworfen wurde, an der Seite Russlands zu stehen, obwohl sich China von Anfang an bewusst neutral verhalten hatte. Man schlug die Türe zu, bevor sie noch richtig aufgemacht worden wäre. Überhaupt werden Meinungsäusserungen einzelner Politikerinnen und Politiker sowie von Regierungen höchst unterschiedlich gewertet und öffentlich dargestellt, je nachdem, von welcher Seite sie kommen. Während bei Wortführerinnen und Wortführer einer Friedenslösung wie Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer oder Ex-General Erich Vad auch noch das kleinste Haar in der Suppe gesucht wird, darf die deutsche Aussenminister Analena Baerbock in aller Öffentlichkeit bekanntgeben, Deutschland befinde sich mit Russland im Krieg und Ziel müsse es sein, Russland zu ruinieren, während der ukrainische Präsident Selenski ohne mit der Wimper zu zucken vom Westen die Lieferung von international geächteten Waffen wie Streumunition und Phosphorbomben fordert und dennoch immer noch als Held im Kampf für Freiheit und Demokratie gefeiert wird.

Wer mit Tatsachen und der Wahrheit so einseitig und so liederlich umgeht, wie das die tonangebenden westlichen Führungsmächte und der grosse Teil der Mainstreammedien tun, macht sich verdächtig. Wer die Wahrheit scheut, scheint von Angst getrieben zu sein. Wer keine Angst hat, braucht auch die Wahrheit nicht zu scheuen, kann alles ehrlich offenlegen, braucht nichts unter den Teppich zu kehren und kann es – das zumindest müsste man von einer Demokratie erwarten – getrost den Bürgerinnen und Bürgern überlassen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Die vielgelobte Demokratie, die angeblich im Kampf der Ukraine gegen Russland verteidigt werden soll, wird uns zur Zeit ganz gehörig unter unseren eigenen Füssen weggezogen… 

Kameras zur Gesichtserkennung in 57 schweizerischen Bahnhöfen: So schnell wird das eben noch Undenkbare Wirklichkeit…

 

Die schweizerischen Bundesbahnen, so berichtet der „Tagesanzeiger“ am 17. Februar 2023, haben vor, 57 grössere Bahnhöfe mit speziellen Kameras auszustatten, welche Gesichter erkennen können. Folgende Informationen sollen damit gewonnen werden: auf welchem Weg Reisende durch den Bahnhof gehen, wie alt sie sind, welches Geschlecht sie haben und welche Grösse, was für Gepäck und Gegenstände wie Kinderwagen, Rollstuhl oder Velo sie mitführen, wie lange sie sich im Bahnhof aufhalten, welche Geschäfte sie besuchen, wie sie sich in den einzelnen Geschäften verhalten und wie viel Geld sie in Apotheken, Lebensmittelgeschäften oder an Kiosken ausgeben. Mit den gesammelten Daten sollen Rückschlüsse auf das Kaufverhalten gezogen werden, um das „Einkaufserlebnis“ zu verbessern, was wiederum zu höheren Umsätzen führen kann. Die Daten werden in der Cloud des US-Softwareherstellers Microsoft gesammelt und können daher jederzeit von Ermittlungsbehörden aus den USA angefordert werden.

Das Erschreckende an alledem ist nicht nur, dass hier mitten in der Schweiz im Kleinen ein Überwachungsstaat mit unabsehbaren Folgen und unabwägbaren Risiken etabliert werden soll. Das noch viel Erschreckendere ist, dass innerhalb so kurzer Zeit etwas möglich geworden ist, das man vor kurzer Zeit noch für völlig unmöglich gehalten hätte. Es sind keine zehn Jahre her, da erreichten uns Meldungen aus China, wo Überwachungssysteme eingeführt worden waren, welche, ebenfalls mittels Gesichtserkennung, das Verhalten der Menschen im öffentlichen Raum registrieren und mit Belohnungs- und Bestrafungssystem verknüpft sind. Diese Nachrichten lösten hierzulande helles Entsetzen aus und wurden als übelstes Instrument einer Diktatur zur permanenten Überwachung und Kontrolle ihrer Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen. Zehn Jahre später, man glaubt es kaum, scheinen auch wir Schweizerinnen und Schweizer schon so digital „weichgeklopft“ zu sein, dass etwas so Unglaubliches wie die Überwachung der Menschen im öffentlichen Raum via Gesichtserkennung kaum noch auf nennenswerten Widerstand stösst. „Verhindern lässt sich die Gesichtserkennung in den Bahnhöfen wohl kaum“, schreibt der „Tagesanzeiger“. Und dies, obwohl sich in einer von der gleichen Zeitung durchgeführten Onlineumfrage 90 Prozent der Befragten dahingehend geäussert haben, dass sie das Ganze überaus problematisch fänden. Doch die Meinung der Bevölkerung scheint schon längst nicht mehr zu zählen. Man darf zwar über alles Mögliche und Unmögliche abstimmen, aber bei der Digitalisierung hört der Spass auf. Als wäre es ein Naturereignis, das sich nicht mehr abwenden lässt und nur von ein paar wenigen Ewiggestrigen in Frage gestellt würde. Als wäre die Digitalisierung eine unsichtbare Krake, die sich immer enger über unseren Köpfen zusammenzieht und das eben noch Undenkbare nach und nach zur Normalität werden lässt.

„Einmal erfasst“, warnt Laetitia Ramelet, Expertin für Technologiefolgen-Abschätzung, „können biometrische Daten eine Person ein Leben lang identifizierbar machen. Sie können Aufschluss über den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand geben – oder auch über Emotionen. Das Gesicht wird analysiert, um zu sehen, wie jemand auf ein Ereignis reagiert. Zudem können solchen Systeme die politischen Rechte beeinflussen: Die Versammlungsfreiheit kann gestört werden, wenn man weiss, dass am Bahnhof viele Überwachungskameras installiert sind und man dann möglicherweise davor zurückschrecken würde, an einer Demonstration in der Nähe des Bahnhofs teilzunehmen.“

Die SBB wollen ja angeblich mit dieser Massnahme das „Einkaufserlebnis“ in den Bahnhöfen verbessern. Ich hätte, um dieses Ziel zu erreichen, noch eine andere Idee: Wie wäre es, das Geld statt für teure Überwachungssysteme und Technologien gescheiter dafür zu verwenden, um die Mieten in den Bahnhofsläden zu reduzieren, damit dort auch Geschäfte mit geringeren Renditemöglichkeiten existieren können und die Preise in den Geschäften nicht so weit in die Höhe geschraubt werden müssen, dass immer mehr weniger zahlungskräftige Kundinnen und Kundinnen von jenem „Einkaufserlebnis“ ausgeschlossen werden, welches die SBB angeblich mit allen Mitteln fördern wollen…

Syrien: Wenn man ein ganzes Volk einfach im Stich lässt…

 

Wenn du dir ein Bild davon machen möchtest, wie es in der Hölle aussieht, dann brauchst du nicht deine Phantasie anzustrengen. Es genügt, wenn du dich an einen der Orte in der Türkei oder in Syrien begibst, die in diesen Tagen von verheerenden Erdbeben heimgesucht worden sind. Eltern, die verzweifelt nach ihren unter dem Schutt begrabenen Kindern suchen, auch noch mitten in der Nacht bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt, Menschen, die all ihr Hab und Gut verloren haben, Notfallstationen, die bis zum Erdboden zertrümmert sind und wo nicht mehr die geringste Hilfe zu holen ist, Hunger, Durst, Kälte, schmerzende Wunden, Hoffnungslosigkeit…

Dabei sind die Menschen im syrischen Teil des Erdbebengebiets noch um einiges härter betroffen. Denn das Erdbeben ist bei Weitem nicht die einzige Katastrophe, die im Verlaufe der vergangenen Jahre über sie hereingebrochen ist. Da ist auch ein Bürgerkrieg, der vor 13 Jahren begann, weite Teile des Landes in Schutt und Asche gelegt, weit über 500’000 Todesopfer gefordert und 13 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben hat. Da sind auch die katastrophalen hygienischen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern, der weitgehende Zusammenbruch des Gesundheitssystems und eine Choleraepidemie, die sich im Verlaufe des vergangenen Jahrs nach und nach im ganzen Land ausgebreitet hat. Da ist auch der Mangel an Nahrungsmitteln, von dem mehr als zwölf Millionen Menschen betroffen sind, davon 2,6 Millionen Kinder. Da ist auch der Zusammenbruch der Elektrizitätsversorgung und des Transportsystems. Und da sind vor allem auch die Wirtschaftssanktionen, die kurz nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs von den USA und der EU verhängt wurden und wiederholt von verschiedensten humanitären Organisationen aufs Schärfste verurteilt worden sind, so zum Beispiel vom „Global Network for Syria“, das im Februar 2021 mit folgender Begründung ein Ende der Sanktionen forderte: „Die derzeitigen Wirtschaftssanktionen gegen Syrien blockieren den Zugang zu lebenswichtigen Gütern, verhindern den Wiederaufbau und tragen zu einem beispiellosen Zusammenbruch der Wirtschaft und des Gesundheitssystems bei. Sie bilden eine kollektive Bestrafung der syrischen Zivilbevölkerung.“ Oder von Chalid Hbubati, dem Vorsitzenden des Syrisch-Arabischen Roten Halbmonds, der sagte, die Sanktionen hätten sich in ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verwandelt. Nicht zu fassen, dass ausgerechnet westlich-demokratische Staaten immer noch zu diesem Machtmittel greifen, wo doch spätestens seit den Sanktionen gegen den Irak 1991, denen über eine halbe Million Kinder zum Opfer fielen, endgültig klar sein müsste, dass Wirtschaftssanktionen stets nur die Schwächsten treffen. Wer das immer noch nicht glaubt, sollte sich nur mal die Bilder jener verzweifelten Männer und Frauen vor Augen führen, die jetzt in syrischen Dörfern und Städten mit blossen Händen in den Trümmern zerfallener Häuser nach Überlebenden graben, weil infolge der Sanktionen kein geeignetes Bergungswerkzeug vorhanden ist.

Und, wie bei so vielen Katastrophen: Wieder einmal sind die Frauen und die Kinder die Hauptleidtragenden: In den innersyrischen Flüchtlingscamps sind 20 bis 40 Prozent der Schwangeren und der stillenden Mütter unterernährt, fast jedes Kind in den Camps leidet Hunger. Und es ist nicht nur die Gegenwart. Auch die ganze Zukunft der Kinder und Jugendlichen, die alle von einem Leben in Glück und Frieden träumen, wird Tag für Tag systematisch zerstört. Letzten Endes sind sie allesamt Opfer männlicher Machtdemonstration, patriarchaler Herrschaftsgewalt, herrschsüchtiger Eroberungslust, von den Anführern islamistischer Rebellen über den syrischen Regierungsapparat bis hin zu den Heerführern, den Chefs von Rüstungskonzernen und den fein säuberlich in Anzug und Krawatte gekleideten Politikern sich gegenseitig zerstrittener Grossmächte. Wie eine Welt aussähe, die nicht von Männern, sondern von Frauen und Kindern regiert wäre, kann man sich nur in seinen schönsten Träumen ausmalen…

Und noch einmal wird die schreiende Ungerechtigkeit in ihrem ganzen Ausmass deutlich, wenn wir uns das Verhalten der Schweiz, die sich doch so gerne ihrer humanitären Tradition rühmt, vor Augen führen. Werden Flüchtlinge aus der Ukraine mit offenen Armen aufgenommen und mit einem besonderen Aufnahmestatus privilegiert, geniessen Flüchtlinge aus Syrien, obwohl auch sie aus einem Kriegsgebiet stammen, keine vergleichbare Rücksichtnahme. Und während die Schweizerische Rettungskette unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Erdbebens eine Kolonne in die Türkei abdelegierte, erklärten die zuständigen Verantwortlichen des EDA, eine vergleichbare Aktion für Syrien sei nicht geplant, da „nicht genügend Kapazitäten für zwei Rettungskettenstaffeln“ bestünden. „Wir können nicht verstehen“, so Michael Albs, Generalsekretär des Kirchenrats des Nahen Ostens, „dass der Westen sich immer wieder auf das Christentum und die Bibel beruft und dann ein ganzes Volk einfach im Stich lässt.“

„Es wird“, sagte Papst Franziskus, „in dem Masse Frieden herrschen, in dem es der ganzen Menschheit gelingt, ihre ursprüngliche Berufung wiederzuentdecken, eine einzige Familie zu sein.“ Davon sind wir leider offensichtlich noch weiter entfernt denn je.

Serbien: Auf der falschen Seite der Geschichte?

  

Zähneknirschend, so berichtet das schweizerische „Tagblatt“ vom 25. Januar 2023, gibt der serbische Präsident Aleksandar Vucic bekannt, dem von der EU diktierten „Kosovoplan“ zuzustimmen, wonach Serbien und der Kosovo zwar einander nicht formell anerkennen, jedoch ihre staatliche Existenz in den gegenwärtigen Grenzen akzeptieren, was unter anderem zur Folge hat, dass Serbien die Mitgliedschaft des Kosovos in internationalen Organisationen nicht mehr verhindern kann.

Der „Kosovoplan“ mag zwar ein taugliches Instrument sein, um die Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo abzubauen. Fragwürdig ist und bleibt aber die Art und Weise, wie dieser Plan Serbien gegenüber vom Westen aufgezwungen wird, ein Vorgehen, bei dem man schon fast von Erpressung sprechen müsste, haben die westlichen Staaten doch gedroht, sämtliche Handelsbeziehungen mit Serbien abzubrechen, wenn es dem Plan nicht zustimme. „Dabei“, so Vucic, „kann es für uns keine schlimmeren Sanktionen als den Rückzug der ausländischen Investitionen geben.“ Und weiter: „Beide Seiten müssen Zugeständnisse machen, das haben wir verstanden. Aber das Problem ist, dass die andere Seite alles tun kann, was sie will, und dafür noch vom Westen belohnt wird.“

Serbien bezahlt jetzt bitter dafür, dass Präsident Vucic bisher einen Mittelkurs gefahren hat und sowohl freundschaftliche Beziehungen zu Russland gepflegt hat wie auch zum Westen. Dies lässt sich in der aktuell aufgeheizten und polarisierten Stimmung im Zuge des Ukrainekriegs offensichtlich nicht mehr aufrechterhalten. Entweder gehört man zu den „Guten“ oder zu den „Bösen“, nichts dazwischen. Egal, ob Vucic sich mehr nach Osten oder mehr nach Westen ausrichten möchte, stets ist er auf der falschen Seite der Geschichte. Dabei wären doch Staaten, die anstelle gegenseitiger Konfrontation Brücken zwischen den verfeindeten Lagern bauen möchten, gerade angesichts der heutigen globalen Spannungen dringender nötig denn je.

Doch Serbien steht nicht zum ersten Mal auf der falschen Seite der Geschichte. Schon am 24. März 1999 wurde es zum Opfer westlicher Machtpolitik, als die Nato das Land zu bombardieren begann mit der Begründung, Serbien hätte dem Vertrag von Rambouillet, der den Konflikt zwischen serbischen Sicherheitsbehörden und der kosovarischen Befreiungsarmee UCK hätte beenden sollen, nicht zugestimmt. Tatsächlich war der Vertrag von Rambouillet aber sowohl am Widerstand der Serben wie auch an jenem der UCK gescheitert. „Der Rambouillettext“, so der frühere US-Aussenminister Henry Kissinger, „war ein ungeheuerliches diplomatisches Dokument, das niemals in dieser Form hätte präsentiert werden dürfen. Kein Serbe mit Verstand hätte Rambouillet akzeptieren können.“ Weil nämlich, so Kissinger, dieses Dokument den Durchmarsch von Nato-Truppen durch Serbien genehmigt hätte und eigentlich bloss dem Westen als Vorwand dafür gedient hätte, Serbien bombardieren zu können. Die am 24. März 1999 von der Nato begonnene Militäroperation war der erste Krieg, den die Nato sowohl ausserhalb des Bündnisfalls, als auch ohne ausdrückliches UN-Mandat führte und  der daher bis heute unter dem Aspekt des internationalen Völkerrechts höchst umstritten ist.

An diesem 24. März 1999 also schlug die Nato mit 200 Flugzeugen und 50 Lenkwaffen zu. Nachdem zuerst nur militärische Ziele ausgewählt worden waren, erfolgte in einer zweiten Phase die Ausweitung auf die zivile Infrastruktur, zahlreiche Wohngebäude, Schulen, Krankenhäuser, Fernsehstationen und Brücken wurden zerstört. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht davon aus, dass die Militäroperation der Nato den Tod von rund 500 Zivilpersonen verursacht hat. Von der US Air Force und der Royal Air Force wurden auch die später international geächteten Streubomben eingesetzt, zahllose Blindgänger stellen bis heute eine erhebliche Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Ebenfalls beschossen wurden zahlreiche Chemieanlagen, Mediziner machen die dabei freigesetzten, enormen Mengen an Schadstoffen sowie die verwendete Uranmunition dafür verantwortlich, dass Serbien heute die höchste Rate von Lungenkrebs in Europa aufweist.

Das Beispiel Serbien zeigt, wie weit wir immer noch von einer Welt entfernt sind, in der Demokratie und Selbstbestimmung nicht nur für jene Gültigkeit haben, die auf der „richtigen“ Seite der Geschichte stehen. Das Recht scheint nach wie vor stets nur das Recht der Starken und Mächtigen zu sein. Je nachdem, auf welcher Seite der Geschichte man steht, erlebt man demzufolge dann auch die Welt sehr unterschiedlich. Man braucht die Augen vor der komplexen Geschichte ethnischer Spannungen auf dem Gebiet des früheren Staates Jugoslawien keineswegs zu verschliessen. Aber wenn man sich auch nur ein klein wenig in die Gefühlslage der Serbinnen und Serben hineinzuversetzen versucht, dann werden wohl die Nato-Militäroperation vom 24. März bis 10. Juni 1999 und die aktuelle Erpressungspolitik durch den Westen tiefe Wunden hinterlassen, die nicht so schnell verheilen werden…

(Quellen: „Tagblatt“ 25.1.23; Wikipedia)  

„Der Rambouillet-Text, der Serbien dazu aufrief, den Durchmarsch von NATO-Truppen durch Jugoslawien zu genehmigen, war eine Provokation, eine Entschuldigung dafür, mit den Bombardierungen beginnen zu können. Kein Serbe mit Verstand hätte Rambouillet akzeptieren können. Es war ein ungeheuerliches diplomatisches Dokument, das niemals in dieser Form hätte präsentiert werden dürfen. […] Die Serben haben sich vielleicht in der Bekämpfung des KLA- (UÇK-)Terrors barbarisch verhalten. Jedoch wurden 80 % der Brüche des Waffenstillstandes, zwischen Oktober und Februar, von der KLA begangen. Es war kein Krieg der ethnischen Säuberung zu dieser Zeit. Wenn wir die Lage korrekt analysiert hätten, hätten wir versucht den Waffenstillstand zu unterstützen und nicht die ganze Schuld auf die Serben geschoben.“

 Henry Kissinger[21] 

Europäischer Strommarkt: Wie die Fahrt auf einer Achterbahn…

 

„Wer derzeit die Tagespreise an den europäischen Strommärkten verfolgt“, schreibt das schweizerische „Tagblatt“ am 5. Januar 2022, „muss sich vorkommen wie auf einer Achterbahn. Ende August kostete eine Megawattstunde für den nächsten Tag 725 Euro, Ende Jahr war es nach einigen Berg-und-Tal-Fahrten noch ein Bruchteil davon: sieben Euro. Inzwischen sind die Preise schon wieder auf deutlich über 100 Euro geklettert.“ Nutzniesser, so das „Tagblatt“, seien die grossen Energiekonzerne. So erwarte die BKW für 2022 ein „ausserordentliches Resultat“, wie der Energiekonzern mitteile. Man gehe von einem Betriebsgewinn von rund einer Milliarde Franken aus, nach 395 Millionen im Vorjahr. Der wesentliche Grund für die Gewinne seien die „extremen Verwerfungen an den Energiemärkten“. Allerdings sei auch das Gegenteil möglich, so stünden die Axpo und die Alpiq derzeit vor gravierenden Liquiditätsproblemen…

Wie heisst es immer so schön? Die „Freie Marktwirtschaft“ beruhe auf einem Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage und sei deshalb das beste und einzige Wirtschaftsmodell um eine optimale Verteilung von Ressourcen und Gütern innerhalb einer Volkswirtschaft herzustellen. Tatsache ist jedoch, dass sich dieses Versprechen je länger je deutlicher als gigantischer Trugschluss erweist. Hätten alle an einem „freien Markt“ Beteiligten die gleich langen Spiesse, würde das Ganze vielleicht tatsächlich funktionieren. In der Realität aber sind diese Spiesse höchst unterschiedlich lang und die Folge ist, dass sich die Güter eben nicht gleichmässig verteilen und stets nicht dorthin fliessen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern dorthin, wo am meisten Geld vorhanden ist, um sie tatsächlich kaufen zu können.

Würde die „freie Marktwirtschaft“ tatsächlich zum Wohle der Menschen funktionieren, dann würden nicht über 800 Millionen Menschen weltweit hungern, während multinationale Nahrungsmittelkonzerne Milliardengewinne scheffeln, 40 Prozent der gekauften Lebensmittel in den reichen Ländern des Nordens im Müll landen und durch Spekulation an den globalen Nahrungsmittelbörsen die Lebensmittelpreise dermassen in die Höhe getrieben werden, dass sich immer mehr Menschen in den armen Ländern selbst die einfachsten Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können. Würde die „freie Marktwirtschaft“ zum Wohle der Menschen funktionieren, dann würden nicht, wie das zum Beispiel in Grossstädten wie Zürich, Paris, London oder Berlin der Fall ist, viel zu viele Luxuswohnungen gebaut, während günstiger Wohnraum für Minderbemittelte immer mehr zur Seltenheit wird. Würde die „freie Marktwirtschaft“ zum Wohle der Menschen funktionieren, dann würden nicht, infolge der unterschiedlichen Bodenpreise, Wohnorte und Arbeitsorte immer weiter auseinandergerissen, was früher oder später zu einem Totalkollaps des gesamten Verkehrssystems führen muss. 

Dies sind nur wenige Beispiele, unzählige weitere könnten hinzugefügt werden. Sie alle zeigen, dass es eine Illusion wäre anzunehmen, die „freie Marktwirtschaft“ diene in erster Linie den Bedürfnissen der Menschen.. Sie dient in erster Linie dem Kapital und seiner Selbstvermehrung. Früher oder später werden wohl radikale Gegenmassnahmen unausweichlich sein, werden doch die Berg-und-Tal-Fahrten des „freien Marktes“ immer verrücktere Ausmasse annehmen. Eine mögliche radikale Gegenmassnahme wäre die Verstaatlichung all jener Unternehmen, die für die allgemeine Grundversorgung mit lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung, Wohnen, Gesundheit und Energie zuständig sind. Gewiss ein Vorhaben, das zurzeit noch auf erbitterten Widerstand von verschiedenster Seite stossen würde. Doch sollte es beim Blick in die Zukunft nicht schon zum Vornherein Denkverbote geben. Vielleicht gibt es ja noch andere, bessere Ideen. Fest steht nur, dass der Schaden, den die „freie Marktwirtschaft“ heute schon weltweit anrichtet, so immens ist, dass jede Alternative dazu, so verrückt sie im Moment erscheinen mag, dennoch um ein Vielfaches besser wäre. 

Selenski vor dem US-Kongress: Auch die absurdesten und widersprüchlichsten Aussagen von Standing Ovations weggespült…

22. Dezember 2022: Der ukrainische Präsident Selenski vor dem US-Kongress. Noch bevor er richtig zu reden angefangen hat: Standing Ovations. „Entgegen aller Widrigkeiten und Schwarzmalereien ist die Ukraine nicht gefallen. Die Ukraine lebt und ist quicklebendig.“ Dann spricht er davon, Europa sei heute stärker und unabhängiger als je zuvor. „Wir haben keine Angst und niemand in der Welt sollte Angst haben.“ Weiter geht es mit der Forderung, der Kreml müsse „nicht nur in den Köpfen“, sondern auch „auf dem Schlachtfeld“ besiegt werden, und dass „dieser Kampf“ nicht „eingefroren“ oder „verschoben“ werden könne, denn „von den Vereinigten Staaten bis China, von Europa bis Lateinamerika und von Afrika bis Australien“ seien die Teile der Welt „zu sehr miteinander verbunden und voneinander abhängig“, so dass niemand abseits stehen und sich sicher fühlen könnte. Und dann das: „Bevor ich nach Washington D.C. gekommen bin, war ich an der Front bei Bachmut. Letztes Jahr lebten dort noch 70’000 Menschen. Heute sind nur noch wenige Zivilpersonen übrig. Jeder Zentimeter dieses Landes ist von Blut getränkt. Stündlich ertönen Geschützdonner. Die Schützengräben wechseln mehrmals am Tag den Besitzer – in heftigen Kämpfen manchmal sogar im Handgemenge.“

Nebst allen Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten in der immer wieder von Stand Ovations unterbrochenen Rede sind es zwei Aussagen, die besonders ins Auge stechen: Die erste ist, dass weder die Ukraine noch irgendwer in der Welt Angst haben sollte. Was denkt sich wohl das Kind, das mit seiner Mutter in einem schon halb zerbombten, eiskalten Keller Schutz gesucht hat und keine Sekunde lang sicher sein kann vor einer nächsten Bombe, bei einer solchen Aussage? Kann es allen Ernstes Krieg geben ohne Angst? Wenn das Selenski für sich allein gemeint hat, dann ist es seine Sache. Wenn er es aber für das ganze ukrainische Volk gemeint hat, ist es eine reine Farce, eine unbeschreibliche Beleidigung all jener Menschen, die seit Monaten täglich um ihr Leben zittern müssen, nicht nur in halb zerbombten Kellern, sondern auch in Schützengräben und in Panzern. Die furchtlosen Helden der Armee waren stets schon und sind es, solange es Kriege gibt, eine reine Fiktion, von der Zivilbevölkerung gar nicht zu reden.

Die zweite Aussage, die ins Auge sticht: Dass die Ukraine „lebe“ und „quicklebendig“ sei. Selenski scheint sich der Unerhörtheit dieser Aussage offensichtlich nicht bewusst zu sein und berichtet sogar von seinem Besuch in Bachmut, wo von den ehemals 70’000 Bewohnerinnen und Bewohnern nicht mehr viel übrig geblieben und der Boden „von Blut durchtränkt“ sei. Das also ist sein „lebendiges“, „quicklebendiges“ Volk? Was wohl all jene, die in diesem Krieg schon Angehörige verloren haben oder selber schon verletzt wurden, bei einer solchen Aussage Selenskis denken mögen?

Schaut man sich Selenskis Rede genauer an, dann strotzt diese von Floskeln, unbegründeten Behauptungen und reinen Durchhalteparolen ohne jeglichen realen Hintergrund. Aber etwas anderes ist ja auch gar nicht zu erwarten. Krieg ist etwas so Widersinniges, Absurdes, Widersprüchliches, dass auch die Sprache all jener, welche den Krieg zu rechtfertigen versuchen, nicht anders sein kann als ebenso absurd, widersinnig und gewalttätig.

Hört man Selenski zu, dann scheint es zwei Sorten von Ukrainerinnen und Ukrainern zu geben. Das eine, das sind die, die „keine Angst“ haben und die „quicklebendig“ sind. Das andere sind die, welche jede Nacht um ihr Leben zittern, im eiskalten Schützengraben stehen oder mit amputierten Beinen in einem notdürftig aufgestellten Feldlazarett liegen. Doch die Angehörigen des US-Kongresses, welche Selenskis Rede hörten und ihr frenetisch zujubelten, sehen nur die angstfreie, quicklebendige Seite der Realität. Würde nicht der ukrainische Präsident vor ihnen stehen, sondern ein jämmerlich weinendes ukrainisches Kind, das soeben seine Eltern durch einen Bombenangriff verloren hat, dann würden vielleicht auch die Mitglieder des US-Kongresses das Ganze mit ein wenig anderen Augen anschauen. 

Was Selenski verkörpert, ist die brutalste Form der Klassengesellschaft: Ein Teil der eigenen Bevölkerung wird geopfert, damit der andere Teil „angstfrei“ und „quicklebendig“ leben kann. Die einen haben den Job zu leiden und zu sterben, die anderen haben den Job, siegreich einer goldenen Zukunft in „Freiheit“ und „Demokratie“ entgegenzugehen. Wie weit sind wir da von echter Gleichberechtigung entfernt, wie lange noch lassen es sich so viele Menschen gefallen, für andere verheizt und von den Interessen anderer vereinnahmt zu werden? Was muss noch geschehen, bis endlich alle Soldaten der Welt aufstehen und sich für immer ihrer Waffen entledigen? „Ich dachte immer, alle Menschen seien gegen den Krieg“, sagte der deutsche Schriftsteller Erich Maria Remarque“, bis ich herausfand, dass es auch solche gibt, die für den Krieg sind, diejenigen, die selber nicht hingehen müssen.“

Zum Krieg gehört die Rhetorik des Kriegs. Selenski beherrscht sie zweifellos meisterhaft. Er kann die grössten Absurditäten von sich geben, Dinge miteinander verknüpfen, die nichts miteinander zu tun haben, Parolen ohne jeden realen Hintergrund hinausposaunen – trotzdem ist ihm der Jubel, ja geradezu die frenetische Begeisterung seiner Zuhörerinnen und Zuhörer sicher. Wohl nicht zuletzt, weil er in seinem Rollkragenpullover so sympathisch und „volkstümlich“ daherkommt. Ganz am Rande war zu hören, ein paar wenige Kongressabgeordnete hätten demonstrativ auf ihr Handy gestarrt und sich bewusst dem Applaus der Masse versagt. Das braucht in so kriegerischen Zeiten schon eine ganz schöne Portion Mut. Wie sehr wäre zu wünschen, dass noch viel, viel mehr Menschen aufstehen und sich dem allgemeinen Kriegsgeheul und einer so verhängnisvollen Kriegslogik verweigern, die weder mit „Freiheit“ noch mit „Demokratie“ etwas zu tun hat, sondern nur mit blinder Zerstörung, unendlichem Leiden und dem Schüren von Hass auf Generationen hinaus.

Bomben und Artillerie gegen kurdische Dörfer und Städte – und wo bleibt der Aufschrei des Westens?

 

„Seit knapp zwei Wochen“, so berichtet die schweizerische „Wochenzeitung“ in ihrer Ausgabe vom 1. Dezember 2022, „greift die Türkei mit Artillerie und Luftschlägen Rojava – die Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens – sowie weitere Gebiete in Syrien, etwa um Aleppo, und Teile des Nordiraks an. Überall dort werden Stellungen der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vermutet, die angeblich, obwohl hierfür nach wie vor die Beweise fehlen, am 13. November einen Bombenanschlag in Istanbul verübt haben soll. Beim völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei sollen bisher mindestens 67 Menschen getötet worden sein. Diese Angriffe richten sich nicht nur gegen militärische Ziele, sondern verursachen auch schwere Schäden an der Infrastruktur der Region, an Schulen, Krankenhäusern, Öl- und Gasfeldern sowie Elektrizitätswerken und zielen darauf ab, die Lebensgrundlage der Bevölkerung langfristig zu zerstören, weshalb auch vor allem Kleinstädte und Dörfer bombardiert werden. In einem Fernsehinterview sprach der türkische Präsident Erdogan gar davon, Nordsyrien ethnisch säubern zu wollen, da diese Region für den Lebensstil der Kurden nicht geeignet sei.

Eigentlich müsste jetzt ein gewaltiger Aufschrei all jener westlichen Regierungen ertönen, die eben noch so vehement den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt haben. Eigentlich müssten jetzt gegen türkische Oligarchen und Unternehmer ebenso harte Sanktionen ergriffen werden wie gegen russische Unternehmer und Oligarchen. Eigentlich müssten gegen die Türkei ebenso einschneidende Wirtschaftssanktionen verhängt werden wie gegen Russland. Eigentlich müssten jetzt Türkinnen und Türken ebenso mit Einreiseverboten, mit der Verweigerung von künstlerischen Auftritten und dem Verbot staatlicher Fernsehsender belegt werden, wie das alles gegen Russland praktiziert worden ist. Eigentlich müsste die deutsche Aussenministerin Analena Baerbock mit der gleichen Vehemenz, mit der sie die Zerstörung der russischen Wirtschaft forderte, auch die Zerstörung der türkischen Wirtschaft fordern. Und eigentlich müsste der ukrainische Präsident Selenski, dem angeblich nichts so sehr am Herzen liegt wie die Wahrung der Menschenrechte und der unlängst die Forderung nach einer Überführung des russischen Präsidenten Putin an ein internationales Kriegsverbrechertribunal in den Raum gestellt hat, dasselbe auch für den türkischen Präsidenten verlangen.  

Doch nichts davon geschieht. Der Westen hüllt sich in Schweigen. Keine offizielle Verurteilung, keine Wirtschaftssanktionen, keine Boykotte, keine Einreiseverbote, kein Einfrieren von Oligarchengeldern, nichts von alledem. Scheinheiliger, doppelzüngiger, widersprüchlicher, verlogener geht es nicht. Damit zeigen die westlichen Regierungen und ihr militärisches Bündnis ihr wahres Gesicht. Es geht und ging auch nie um das, was sie „Menschenrechte“, „Freiheit“ und „Demokratie“ nennen. Es geht und ging stets nur um nackte Machtpolitik. Wer auf unserer Seite ist, das sind die „Guten“, egal wie viele Verbrechen sie begehen. Und wer auf der anderen Seite ist, das sind die „Bösen“, selbst wenn es sich um Kinder, Frauen und Männer handelt, die in ihrem ganzen Leben noch nie jemandem etwas zuleide getan haben.

44 Militäroperationen vom Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki über den Vietnamkrieg bis zum Überfall auf den Irak 2003 haben die USA seit 1945 begangen – mit über 50 Millionen Todesopfern und über 500 Millionen Verwundeten. Dennoch wurde kein einziger der kriegführenden US-Präsidenten jemals einem Kriegsverbrechertribunal überwiesen, alle genossen und geniessen nach wie vor höchstes Ansehen oder wurden sogar, wie Barack Obama, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Wann endlich erwacht die westliche Welt aus diesem verhängnisvollen Tiefschlaf, der es immer noch, dieses Mal in Rojava, möglich macht, dass unschuldige Menschen vor lauter Angst vor dem nächsten Bombenangriff nicht schlafen können und Kinder am nächsten Morgen erfahren müssen, dass ihre Mütter und Väter nicht mehr leben.

Es gibt keine „guten“ und „schlechten“ Kriege, jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Und wer, zu Recht, den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt, müsste erst recht jede noch so kleine Kriegshandlung, die im Namen des „freien“ und „demokratischen“ Westens geschieht, aufs Schärfste verurteilen. Der uralte Spruch vom „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, die uralte Lehre von der stets wiederkehrenden Rache und Vergeltung, sie müsste endlich dort landen, wo sie hingehört: auf den Schrottplatz der Geschichte. Denn wenn man, wie Mahatma Gandhi so treffend sagte, das Prinzip vom „Auge um Auge“ zu Ende denkt, dann führt es zu nichts anderem, als dass am Ende alle blind sind.