Wiedereinführung der PTT?

Die Aufsichtsbehörde Postcom kritisiert monopolähnliche Zustände bei der Post. Private Anbieter wie DHL, Quickmail, FedEx usw. seien gegenüber der Post benachteiligt. Ein Beispiel seien die Postfachanlagen, bei welchen viel zu hohe Preise bezahlt werden müssten. Ebenfalls problematisch seien Briefkästen in Mehrfamilienhäusern, die häufig hinter einer Glaswand angeordnet seien und zu denen nur die Post Zutritt habe. Auch gewähre die Post Grosskunden «kombinierte Rabatte» auf leichte Briefe sowie auf schwere Sendungen und Pakete, was unfair sei, da die Konkurrenz solche Kombirabatte gar nicht anbieten könne, weil sie keine leichten Briefe spedieren dürfe.

(www.srf.ch)

Mir hat noch niemand den tieferen Grund für die Zerschlagung des ehemaligen Monopolbetriebs PTT erklären können. In meiner Erinnerung war die PTT ein durch und durch funktionierendes Unternehmen, mit einer ausgezeichneten flächendeckenden Grundversorgung, fairen Preisen und anständigen Löhnen. Ich sehe nichts, was sich daran seit der Liberalisierung und der Zulassung sich gegenseitig konkurrenzierender Betriebe zum Guten gewendet hätte. Dies scheint auch die grosse Mehrheit der Leserinnen und Leser obigen Artikels so zu sehen: «Einfach nur noch krank», schreibt K.W., «einen gut organisierten und funktionierenden Betrieb zu Gunsten internationaler Abzocker zu riskieren.» Für diesen Kommentar erhielt K.W. 192 Zustimmungen und nur gerade 27 Ablehnungen. Ob die Zeit wohl bald wieder reif ist für die Wiedereinführung der PTT als staatlichem Monopolbetrieb?

China: Vor Erschöpfung am Arbeitsplatz gestorben

996, das steht für neun bis neun Uhr und sechs Tage die Woche – 72 Stunden Arbeit. Das ist für viele Mitarbeitende der chinesischen Technologiefirmen die Schlagzahl. Und für manche ist sie sogar noch höher: In Shenzhen, Peking und Shanghai, den Start-up-Zentren der Volksrepublik, müsste man längst von «9106» sprechen, mit Arbeitszeiten von 9 bis 22 Uhr. Auch der freie Sonntag wird oft zum Arbeiten genutzt… Begonnen hatte die Debatte im Januar, als der Gründer eines E-Commerce-Unternehmens aus Hangzhou unter Pseudonym einen Blogbeitrag veröffentlichte: «Wenn Sie keinen Druck verspüren in ihrem Unternehmen, sollten Sie gehen, da die Firma bald bankrott sein wird.» Gegen dieses 996-Plädoyer formierte sich Protest. Im März startete eine Gruppe von Entwicklern im Netz eine Bewegung unter dem Schlagwort «996. ICU». ICU, das steht für «Intensive Care Unit», weil überarbeitete Beschäftigte auf der Intensivstation des Krankenhauses landen können. Übertrieben ist das nicht, es gab bereits Todesfälle von Angestellten, die vor Erschöpfung am Arbeitsplatz gestorben sind.

(Tages-Anzeiger, 18. Mai 2019)

Früher schickte man die Soldaten aufs Schlachtfeld – heute schicken sie ihre Sportler, ihre Arbeiter, ihre Programmierer in den gegenseitigen globalen Vernichtungsfeldzug. Was für ein Fortschritt…

Lysistrata, Bertha von Suttner und Viola Amherd

Die Schweizer Bundesrätin Viola Amherd, erste Frau an der Spitze des eidgenössischen Militärdepartements, hat in ihrer neuen Tätigkeit bereits einige Akzente gesetzt. Insbesondere fordert sie eine separate, nicht mit anderen Vorlagen verknüpfte Volksabstimmung über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge. Zudem plädiert sie für eine massive Steigerung der gesamten Rüstungsausgaben im Umfang von 15 Milliarden Franken. So viel Geld hat noch kein Verteidigungsminister in der Schweizer Geschichte budgetiert.

(www.srf.ch)

Dass Viola Amherd als erste Frau das Militärdepartment übernahm, wurde als grosser Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen in der Schweiz gefeiert. Doch damit sollten wir uns auf keinen Fall zufrieden geben. Denn wenn diese Frau einfach die Politik ihrer männlichen Vorgänger weiterführt und diese sogar noch auf die Spitze treibt, dann hätten wir ja genau so gut einen Mann in dieses Amt wählen können…

Lysistrata, die «Heeresauflöserin», lehnt sich in der 411 v. Chr. erstmals aufgeführten gleichnamigen Komödie von Aristophanes gegen den Peloponnesischen Krieg auf, der zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Jahre andauert. Wütend über die Männer als Verursacher von Krieg und den damit verbundenen Leiden, bringt Lysistrata die Frauen Athens und Spartas dazu, den Frieden zu erzwingen. Unter der Führung Lysistratas besetzen die Frauen die Akropolis und verweigern sich fortan ihren Gatten sexuell. Nach einigen Verwicklungen und Rückfällen führt der Liebesentzug tatsächlich zum Erfolg – der Krieg wird beendet. Genau 2300 Jahre später veröffentlichte die Deutsche Friedensaktivistin Bertha von Suttner den pazifistischen Roman «Die Waffen nieder!», der grosses Aufsehen erregte und Bertha von Suttner zu einer der prominentesten Vertreterinnen der Friedensbewegung machte. Sie beschrieb die Schrecken des Krieges aus der Sicht einer Ehefrau und traf damit den Nerv der Gesellschaft, die zu dieser Zeit in heftigsten Diskussionen über den Militarismus und den Krieg begriffen war. Das Buch erschien in 37 Auflagen und wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Marie Eugenie delle Grazie schrieb in ihrem Nachruf auf Bertha von Suttner: «Der Titel dieses Buches steht aber schon heute auf der ersten Seite einer neuen Weltgeschichte!»

Wo ist heute von dieser weiblichen Radikalität noch etwas zu spüren? Weshalb sind wir so brav und so angepasst geworden? Wo und warum ist der Pazifismus auf der Strecke geblieben? Weshalb nehmen an den österlichen Friedensmärschen immer weniger Menschen teil? Wo sind die Zehntausende, die anfangs 2003 auf die Strasse gingen, um gegen den drohenden Irakkrieg zu protestieren, heute, 16 Jahre später, da sich mit dem Konflikt zwischen den USA und dem Iran eine möglicherweise noch viel grössere Katastrophe abzeichnet?

Lysistrata und Bertha von Suttner sind vielleicht die bekanntesten, aber längst nicht die einzigen Frauen der Geschichte, die sich gegen die Sinnlosigkeit von Kriegen engagierten. Diese Tradition hat leider mit der neuen Schweizer Bundesrätin keine Fortsetzung gefunden. Schade. Wieder einmal hat das herrschende Machtsystem eine potenzielle Widersacherin verschluckt und sogar zu einer seiner vehementesten Wortführerinnen gemacht. Wie geht es nun weiter? Was bringt den lange ersehnten Zeitenwandel? Welches sind die Forderungen des Frauenstreiktags vom 14. Juni? Streben auch die Frauen Machtpositionen nur deshalb an, um es den Männer gleichzutun? Oder besteht die Hoffnung weiter, sie würden diese Machtpositionen anstreben, um schliesslich die Macht als solche zu überwinden?

 

Die SBB und die neuen Hochgeschwindigkeitszüge: «Schon fast auf einem Nullniveau»

Defekte Kabelverbindungen. Mangelhafter Zustand von Treppen. Teile, die ungeschützt herumliegen. Fehlender Abstand zwischen Kabeln. Verbleichte Sitze. Fehlende Lüftungskanäle. Lose Schrauben. Fehlende Abdeckungen. Nicht funktionierende Türen. Gebrochenes Glas. Kaputte Elektronik durch Wasserschäden. Eine Tür, die bei einer Hochgeschwindigkeitstestfahrt in Osteuropa weggerissen und 700 Meter weit fortgeschleudert wurde. Und das ist noch längst nicht die ganze Mängelliste bei den von Bombardier für die SBB hergestellten FV-Dosto-Doppelstockzüge. Das komme eben nicht zuletzt daher, so der deutsche Bahnexperte Hans Leister, dass anstelle einer ausreichenden Stammbelegschaft bei Bombardier viele Leiharbeiter angestellt seien. «Und wie man das auch von Baustellen kennt: Die einen machen das kaputt, was die anderen gebaut haben.» Das bestätigt auch ein Mitarbeiter: «Die Qualität lässt zu wünschen übrig, die Fehler wiederholen sich. Die Arbeiter mit Fachkenntnissen verlassen mehr und mehr das Unternehmen oder werden entlassen. Wir, die noch verbleiben, führen uns zunehmend in unserem Berufsstolz verletzt, möchten wir doch nur beste Arbeit leisten, was aber unter diesen Bedingungen gar nicht mehr möglich ist.» Andere Mitarbeiter berichten, dass beispielsweise die unsachgemässe Materialbehandlung dazu führen könne, dass die Fahrzeuge schon nach kurzer Zeit rosteten. Schrauben würden von Hand angezogen, was zur Folge haben könne, dass sie sich später zu lösen drohten. Nicht einmal das notwendige Werkzeug werde zur Verfügung gestellt, die Arbeiter müssten zum Beispiel Bohrer, Schraubenzieher und Drehmomentschlüssel von zuhause mitbringen. «Wie», fragt sich ein Mitarbeiter, «kannst du motiviert bleiben, wenn du nicht weisst, ob du nächste Woche noch hier arbeitest oder nicht. Das Wissen nimmt immer weiter ab, sodass wir uns heute fast auf einem Nullniveau befinden. Auf lange Sicht wird es zu Sicherheitsproblemen kommen.»

(Rundschau, Schweizer Fernsehen SRF1, 15. Mai 2019)

Irgendwann musste es ja soweit kommen: Oben werden die Ansprüche immer mehr in die Höhe geschraubt – die neuen Hochgeschwindigkeitszüge sollen an technischer Leistung und an Komfort alles Bisherige übertreffen – und unten windet man die Arbeiter bis zum Geht-nicht-mehr aus, ersetzt langjährige Fachkräfte durch temporär Arbeitende und setzt vorhandenes Fachwissen leichtfertig aufs Spiel. Die Folge: Das grösste Debakel, das die SBB in ihrer 117jährigen Geschichte wohl je erleiden mussten. Doch das scheint die feinen Herren oben an der Spitze nicht aus der Ruhe zu bringen. Die Chefs von Bombardier finden immer wieder neue Erklärungen für die Mängel der Züge und für die Lieferverzögerungen über mehrere Jahre. Und auch der SBB-Chef Andreas Meyer ist zuversichtlich, dass am Ende alles gut herauskommt, er hat ja auch, mit einem Jahresgehalt von über einer Million Franken, gut lachen…

Archie Harrison Mountbatten-Windsor: 1 Million für ein Baby

Die Welt ist um ein Royal-Baby reicher. Gestern wurde der kleine Archie Harrison Mountbatten-Windsor das erste Mal von seinen stolzen Eltern Prinz Harry (34) und Herzogin Meghan (37) der Öffentlichkeit präsentiert. Doch auch wenn der royale Wonneproppen erst am Sonntag das Licht der Welt erblickt hat, kostete Archie seine Eltern schon über eine Million Franken. «The Sun» hat ausgerechnet, wie viel Geld die Schwangerschaft von Mama Meghan kostete – und kam dabei umgerechnet auf rund 914’200 Franken. Doch wie setzt sich diese atemberaubende Summe zusammen? Einen der wohl teuersten Aspekte der Schwangerschaft mussten die Royals glücklicherweise nicht ganz selbst bezahlen. Im Februar reiste die Herzogin nach New York, um mit ihren amerikanischen Freunden eine sogenannte Baby Shower, also eine Party zu Ehren des ungeborenen Kindes, zu feiern. Dort dinierten sie in den teuersten Restaurants im Big Apple und liessen es in der grössten Suite des Luxus-Hotels The Mark so richtig krachen. Die Rechnung für die eigentliche Feier, umgerechnet rund 76’000 Franken, soll allerdings Meghans beste Freundin, Tennis-Star Serena Williams (37) übernommen haben. Trotzdem soll der Kurz-Trip etwa 203’000 Franken gekostet haben….  Für die Baby-Feier reiste die sonst so Klima-bewusste Meghan stilecht im Privat-Jet an. Dafür soll eine Freundin von ihr 76’000 Franken aus eigener Tasche bezahlt haben…  Vor der Geburt des kleinen Archie zogen Meghan und Harry vom Buckingham Palast in das nahe gelegene Frogmore Castle. Dort richteten sie ein luxuriöses Kinderzimmer ein und setzten dabei voll auf Umweltfreundlichkeit. So sollen laut einem Insider Solarzellen den Strom liefern und die Wände wurden nur mit «veganer Farbe» gestrichen. Kostenpunkt: 66’200 Franken…  Auch hochschwanger war Herzogin Meghan immer perfekt gestylt. Während ihre Royal-Kollegin Herzogin Kate (37) manchmal auch auf Mode von Grossverteiler wie H&M setzt, trägt die US-Amerikanerin nur Kleider von Luxus-Designern. So kommt ein ordentliches Sümmchen zusammen. Die Umstandsmode von Dolce & Gabbana, Manolo Blahnik oder Versace soll laut «Glamour»-Magazin 509’000 Franken gekostet haben. Wenigstens wäre Meghan schon für eine zweite Schwangerschaft eingedeckt… Kurz vor der Geburt gönnten sich Meghan und Harry noch ein entspannendes Wochenende in Heckfield Place, einem Luxus-Spa in Hampshire (England). Das Fünfsterneresort bietet Massagen, Akupunktur-Sitzungen und Gesichts-Peeling. Alles für einen Spottpreis von 40’000 Franken für drei Übernachtungen… Eigentlich soll Herzogin Meghan eine Hausgeburt geplant haben. Am Sonntag Abend mussten sie und Prinz Harry aber trotzdem von Scotland-Yard-Agenten in das Portland-Spital in London gebracht werden. Die Luxus-Geburtenklinik ist beliebt bei den Reichen und Berühmten – Stars wie Victoria Beckham (45), Liz Hurley (53) oder Jools Oliver (44), die Frau von Promi-Koch Jamie (43) brachten dort ihre Kinder auf die Welt. Doch Annehmlichkeiten wie Champagner nach der Geburt oder ein Hummer-Menu kommen mit einem hohen Preis. Die eigentliche Geburt vom kleinen Archie soll 20’000 Franken gekostet haben.

(www.blick.ch)

Und das in einer Welt, in der jeden Tag 10’000 Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben, weil sie zu wenig zu essen oder kein Trinkwasser haben oder ihnen die minimalsten hygienischen Bedingungen fehlen…

Kündigung per SMS

Diese Woche erhielten 13 Frauen, die beim Onlinehändler Zalando in Arbon als Packerinnen tätig waren, ihre Kündigung innerhalb von fünf Tagen. Die Frauen, die für Zalando zu einem Stundenlohn von 23 Franken gearbeitet hatten, konnten es nicht fassen. Sie erhielten die Kündigung nicht in Briefform, auch nicht mündlich, sondern – per SMS! Mit einem SMS, das nicht einmal eine persönliche Anrede enthielt, sondern den einzigen Satz: «Hiermit kündigen wir Ihren Einsatz auf Freitag, den 10. Mai 2019.» Ohne Erklärung, ohne Begründung, ohne Entschuldigung, ja selbst ohne ein «Es tut uns leid, dass…»

(www.20minuten.ch)

Man stelle sich einmal vor, man würde einer Ärztin, einem Abteilungsleiter in einem Supermarkt oder einem Lehrer in dieser Form kündigen, einfach so per SMS und ohne Erklärung. Unvorstellbar! Das Beispiel zeigt, dass wir, auch wenn wir auf unsere Schweizer Demokratie noch so stolz sind, in unseren Köpfen doch immer noch zutiefst in einer Klassengesellschaft leben. In einer Klassengesellschaft, in der Packerinnen eines Onlinehändlers auf einem der untersten Ränge leben, dort, wo man mit den Menschen fast alles machen kann, was man will: sie härteste körperliche Arbeit zu Tiefstlöhnen verrichten lassen, ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, sie mit engen Zielvorgaben permanent unter zeitlichen Druck und Stress setzen und ihnen, sobald es sie nicht mehr braucht oder wenn sie der immensen Belastung nicht mehr gewachsen sind, per SMS auf die Strasse werfen.

Arbeitsverhältnisse dürfen keine Machtverhältnisse sein. Jeder und jede Beschäftigte hat den gleichen Anspruch auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Wertschätzung und – in letzter Konsequenz – den gleichen Lohn. Denn keine berufliche Tätigkeit kann funktionieren ohne alle anderen. Auch ein so mächtiger Konzern wie Zalando baut seinen ganzen Reichtum und seinen ganzen Erfolg auf denen auf, die ganz unten sind. Würden die Packerinnen, Fabrikarbeiterinnen und Transporteure ihren Dienst versagen, würde das ganze Unternehmen innerhalb weniger Sekunden in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Wenn schon, müssten die Packerinnen mehr verdienen als die in der Administration und auf den Chefetagen Tätigen. Denn es ist wohl um einiges anstrengender, von früh bis spät Pakete herumzuschleppen und retournierte Artikel zu reinigen, als vor einem Computer zu sitzen und Telefonanrufe zu beantworten…

Kreuzfahrtschiffe: Arbeitszeiten von 95 Stunden oder mehr

Die Arbeitsbedingungen auf den meisten Kreuzfahrtschiffen sind katastrophal: Stress, überlange Arbeitszeiten, geringer Lohn. «Im Vertrag war die Rede von 48 bis 72 Stunden pro Woche», berichtet Petru Sinescu, ehemaliger Kellner auf einem Schiff der Viking Cruises, einer Schweizer Reederei mit Sitz in Basel, «doch wir arbeiteten 95 Stunden und mehr. Man versprach mir 3000 Euro im Monat, aber auch das war nicht wahr. Ich erhielt bloss 950 Euro. Wir waren erschöpft, müde, gereizt, kein Lachen, alle waren am Rennen, von einem Ort zum andern.»

(Schweizer Fernsehen SRF1, «Eco», 29. April 2019)

Das Kreuzfahrtschiff als Abbild der kapitalistischen Klassengesellschaft. Ob, auf dem Deck, sitzen die feinen Damen und Herren und lassen es sich wohl ergehen. Ihren Reichtum, der ihnen die Kreuzfahrt überhaupt erst möglich macht, verdanken sie alle, auf welchen Wegen auch immer, dem kapitalistischen Grundprinzip, wonach sich das Geld dorthin bewegt, wo es bereits in grosser Menge vorhanden ist – während es sich von den Orten, wo es bereits Mangelware ist, weiter und weiter fortbewegt. Und das ist dann eben die andere Seite der kapitalistischen Medaille: Je unverschämter die oben auf dem Deck prassen, um ihr überschüssiges Geld loszuwerden, umso schmerzvoller und erniedrigender der Alltag jener, die rund um die Uhr für das Wohl der feinen Damen und Herren besorgt sein müssen. Das zutiefst Ungerechte daran ist, dass es sich hier um eine Art doppelter Ausbeutung handelt: Zuerst schafft das kapitalistische Geldsystem und die mit ihm verknüpften Umverteilungsmechanismen eine Pyramide, auf deren obersten Etagen sich Millionen von Reichen und Reichsten tummeln, während die auf den untersten Etagen Leben nichts anderes kennen als den knallharten täglich Kampf ums nackte Überleben. Die zweite Ausbeutung besteht darin, dass diejenigen, die man beraubt hat, nun ihrerseits gezwungen sind, denen, die sie beraubten, als Sklaven zu dienen und sich die unmenschlichsten Arbeitsbedingungen gefallen lassen zu müssen. Die Arroganz der «Oberen» geht sogar so weit, dass die meisten von ihnen vermutlich noch davon überzeugt sind, dass die «Unteren» doch dankbar sein müssten, überhaupt einen Job zu haben und Geld zu verdienen, das sie die «Oberen», «grosszügigerweise» zur Verfügung stellen.

Sudan: Die Zukunft ist weiblich

Seit mehreren Monaten demonstrieren in der sudanesischen Hauptstadt Khartum Zehntausende gegen die Regierung. Die Bewegung feierte vor zwei Wochen einen ersten grossen Erfolg, als der langjährige, verhasste Machthaber Al-Bashir von der Armee abgesetzt wurde. Doch die Demonstranten und Demonstrantinnen geben sich damit nicht zufrieden und gehen weiterhin täglich auf die Strasse. Sie fordern den Rücktritt der gesamten Regierungselite und einen demokratischen Neubeginn. Hauptgründe für die Aufstände sind die jahrelange Unterdrückung, insbesondere der Frauen, die wirtschaftliche Misere und die weit verbreitete Armut – jeder zweite Sudanese muss mit weniger als einem Franken pro Tag auskommen, der Brotpreis hat sich innert weniger Wochen verdoppelt und selbst die Grundnahrungsmittel sind so teuer, dass sie für die Ärmsten beinahe unerschwinglich sind. Hoffnungsträgerin und Ikone des Widerstands ist die 22jährige Architekturstudentin Alaa Salah. «Der Sudan», sagt sie, «sollte ein demokratisches Land werden, in dem die Menschen frei und stolz leben können.» So charismatisch und populär Alaa Salah ist, so bescheiden ist sie zugleich: «Ich bin nur eine von vielen. Bevor ich bekannt wurde, war ich mit ihnen auf der Strasse, am Singen und Protestieren.» Die Hoffnungen auf eine neue Zeit sind riesig. «Ich wünsche mir», sagt eine der Demonstrantinnen, «dass wir eine bessere Zukunft haben, die Zukunft, von der wir immer geträumt haben.» Und, bezogen auf Alaa Salah, meint die Frauenrechtlerin Ihsan Fagiri: «Asaa transportiert unsere Revolution in die Welt hinaus.»

(Schweizer Fernsehen SRF1, «10vor10», 25. April 2019)

Ist das der Beginn jener Revolution, von der wir schon so lange träumten? Oder hat sie schon mit dem von Greta Thunberg initiierten Klimastreik angefangen? Oder findet sie soeben in den USA statt, wo sich immer mehr junge Menschen zum Sozialismus und damit zu einem radikalen politischen Neubeginn bekennen? Wie dem auch sei: Die Zeichen sind unverkennbar. Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir ohne Übertreibung vom Beginn eines neuen Zeitalters sprechen können – genau so, wie es die Frauenrechtlerin Ihsan Fagiri prophezeit: Asaa Salah werde die sudanesische Revolution in die ganze Welt hinaustragen. Was – durch den Wahnsinn des Kapitalismus – aus dem Lot geraten ist, muss wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Und dass es überall an vorderster Front die Frauen sind, die nun das Szepter in die Hand nehmen, ist ebenfalls kein Zufall: Der Kapitalismus war ein Projekt der Männer. Die Zukunft aber ist weiblich…

Ostdeutschland: Moderne Variante von Kolonialismus

Wie schlecht Ostdeutsche an den Spitzen deutscher Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur vertreten sind, zeigt eine Studie ostdeutscher Soziologen: 1,7 Prozent beträgt ihr Anteil insgesamt – ihr Prozentsatz an der Bevölkerung ist zehnmal so gross. So krass untervertreten sind nicht einmal Frauen im Topmanagement deutscher Konzerne. Kein Rektor einer deutschen Hochschule ist Ostdeutscher, nur 3 von 336 Bundesrichtern, nur 2 von 200 Generälen, nur 3 von 190 Chefs grosser Konzerne…

(Tages-Anzeiger, 28. März 2019)

Die Zahlen belegen: Die Eingliederung der ehemaligen sozialistischen DDR in die kapitalistische Bundesrepublik Deutschland war nicht so sehr eine Verbrüderung auf Augenhöhe, sondern vielmehr ein Akt der Okkupation. Statt die historische Chance zu nutzen, aus den Vorzügen der beiden unterschiedlichen Gesellschaftssysteme etwas Gemeinsames, Neues zu schaffen, wurde die DDR einfach wie ein Niemandsland auf einer weissen Landkarte in den kapitalistischen Westen einverleibt. Dies zeigt den wahren Charakter des Kapitalismus: So «freiheitlich» er sich auch gebärdet, in Tat und Wahrheit ist er ein totalitäres System, das keinen Widersacher neben sich duldet – das war schon zur Zeit des Kolonialismus nicht anders, als ganz Afrika von den europäischen Grossmächten erobert und ihren wirtschaftlichen Interessen unterworfen wurde. Die Demütigung, die damals von den Afrikanern und Afrikanerinnen empfunden wurde, wird heute auch von den Menschen der ehemaligen DDR empfunden. Und deshalb ist es auch kein Zufall, dass die AfD genau in Ostdeutschland mit ihren populistischen und fremdenfeindlichen Parolen so grossen Zulauf hat.

Flugverkehr: Der Wettbewerbsdruck und seine Folgen

«Die sich häufenden Sicherheitsprobleme von Flugzeugen haben mit dem aktuellen Marktumfeld zu tun. Es besteht ein riesiger Wettbewerbsdruck. Und vor allem in der ganzen Angebotskette der Luftfahrtindustrie, bei der von Boeing und von Air Bus auf die ganze Kette Druck ausgeübt wird, sind der Druck und die Konkurrenz sehr, sehr gross. Das merken ja auch wir Passagiere. Wir bezahlen so wenig wie noch nie für ein Flugticket. Und das schlägt durch bis am Schluss zum Produzenten. Schliesslich wird auch bei der Ausbildung der Piloten gespart.»

(Andreas Wittmer, Aviatikexperte, Schweizer Fernsehen SRF1, 10vor 10, 27. März 2019)

Und wieder sind wir beim kapitalistischen Konkurrenzprinzip und seinen verheerenden Auswirkungen angelangt. Nicht nur, dass die Sicherheit der Flugzeuge darunter leidet und die Arbeitsbedingungen von Piloten und Kabinenpersonal. Ebenso schlimm ist der Preisdruck auf die Flugtickets, die mittlerweile um ein Vielfaches günstiger sind als Bahn- oder Schiffsbillette und die damit die Anzahl der Flugpassagiere von Jahr zu Jahr ins Unermessliche steigen lassen – mit allen bekannten Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Das Verkehrs- und Transportwesen gehört nun mal nicht in die private Hand. Der Flugverkehr müsste von einem öffentlichen, im Auftrag aller Staaten der Welt tätigen Unternehmen betrieben werden, welches sämtliche Standards bis hin zu den Flugpreisen verbindlich festlegt und regelt. Das sei ja fast noch schlimmer als Kommunismus, werden die Kritiker eines solchen Modells zu bedenken geben. Aber was ist denn schlimmer, ein Flugverkehrswesen, das gewisse Elemente «kommunistischer Planwirtschaft» aufweist, oder der Untergang der Menschheit infolge eines Klimakollapses? Ganz abgesehen davon, dass man das Flugzeug am besten sowieso ins Museum stellen würde, denn es gibt keinen einzigen wirklich plausiblen Grund dafür, dass man Menschen und Waren nicht auch auf alle möglichen anderen, vielleicht weniger schnellen, dafür aber auch weitaus weniger schädlichen Wegen von A nach B schaffen kann.

(Seitens der SVP wird immer wieder das Argument ins Feld geführt, eine Erhöhung der Flugticketpreise sei unsozial, da sich dann nur noch die Reichen das Fliegen leisten könnten. Zynischer geht es nicht mehr, sind es doch ausgerechnet Politiker der SVP, die sich für eine Kürzung der Sozialhilfe in mehreren Kantonen stark machen und damit ausgerechnet auf jenen Menschen herumtrampeln, die nicht einmal davon zu träumen wagen, je in einem Flugzeug zu sitzen. Aber selbst wenn die Flugtickets so billig wären, dass auch noch der letzte Sozialhilfebezüger sich dann und wann einen Flug leisten könnte, wäre auch dies wiederum alles andere als sozial, denn es geschähe nur auf dem Buckel und auf Kosten jener Abermillionen Menschen in den Ländern des Südens, die heute schon von den Auswirkungen des Klimawandels existenziell bedroht sind. Das einzig wirklich Soziale wäre ein – weltweiter – Einheitslohn. Dann könnten sich nämlich alle  Menschen – wenn es denn tatsächlich noch Flugzeuge gäbe – genau gleich viele Flugreisen leisten. Aber dafür wird die SVP wohl kaum zu gewinnen sein…)