Butscha: “Weltweites Entsetzen” und viele offene Fragen…

 

Schweizer Fernsehen, “Tagesschau”, 4. April 2022. Die Bilder: Zwei Männer, die einen Lieferwagen mit Leichen in Plastiksäcken beladen. Eine Strasse mit Panzersperren. Zerborstene und plattgewalzte Autos. Zerschossene Wohnhäuser. Drei tote Männer am Strassenrand. Verkohlte Bäume. Ein zerstörter Tanklastwagen. Und mittendrin, im Kampfanzug, Wolodomir Selenski, der einer Gruppe von nach Butscha angereisten Reportern ein Interview gibt: “Die Vorgänge von Butscha werden von der Welt als Völkermord anerkannt werden. Wir wissen, dass Tausende von Menschen getötet und gefoltert wurden, Gliedmassen abgerissen, Frauen vergewaltigt und Kinder getötet wurden.” Der Sprecher der “Tagesschau” kommentiert: “Zerstörte Wohngebiete in Butscha und Leichen auf offener Strasse. Diese Bilder sorgen weltweit für Entsetzen. Die grausamen Bilder aus Butscha könnten die weiteren Sanktionen gegen Russland beschleunigen.” Man muss kein “Putinversteher” sein, es genügt der gesunde Menschenverstand, um sich angesichts solcher Berichterstattung einige Fragen zu stellen. Zunächst die Aussage, diese Bilder sorgten für “weltweites Entsetzen” – das sind ja nicht nur die Worte des TV-Sprechers, sondern auch die Reaktionen der meisten westlichen Länder, welches das “Massaker” von Butscha aufs Schärfste verurteilen, Russland Kriegsverbrechen vorwerfen und eine weitere Verschärfung der Sanktionen ins Auge fassen. Doch was man als Kriegsverbrechen bezeichnet und was nicht, ist überall willkürlich und vom jeweiligen machtpolitischen Standpunkt abhängig. Man könnte sogar soweit gehen, den Krieg als solchen als Verbrechen zu bezeichnen, jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit. Was die Geschehnisse von Butscha betrifft: Wenn man diese als “Kriegsverbrechen” bezeichnet, dann müsste man das Vorgehen des ukrainischen Regiments Asow gegen die ostukrainische Zivilbevölkerung seit 2014 als mindestens ebenso grosses Kriegsverbrechen bezeichnen, fielen dieser rechtsgerichteten Terrororganisation doch laut dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte zahllose Menschen durch bestialische Folterungen, Massenvergewaltigungen und Scheinhinrichtungen zum Opfer – ohne dass dies alles auch nur im Entferntesten ein “weltweites Entsetzen” ausgelöst hätte. Zweitens die Beschuldigungen und Übertreibungen Selenskis, der von Tausenden Toten und Folterungen spricht, obwohl in der von den russischen Truppen verlassenen Region rund um Kiew “nur” etwa 400 getötete Zivilpersonen gefunden worden sind. Auch für das “Abreissen von Gliedmassen”, “Vergewaltigungen” und das “Töten von Kindern” als Ausdruck der Bestialität der russischen Truppen fehlen offensichtlich die entsprechenden Beweise. Wenn Selenski zu den Journalisten sagt: “Sie sind hier und sehen, was geschehen ist”, so ist das eine reine Lüge, denn diese Journalisten sehen nur einen kleinen Teil von all dem, was Selenski an Gräueltaten aufgezählt hat. Drittens: Das Beispiel des “Tagesschau”-Berichts zeigt auf drastische Weise, wie Manipulation durch Bilder und Worte funktioniert. Die himmelschreienden Bilder einer weitgehend zerstörten Stadt werden mit Behauptungen und scheinbaren “Tatsachen” sowie Begriffen wie “Kriegsverbrechen” oder “Völkermord” zusammengemischt, bis uns buchstäblich der Atem stockt und wir schon gar nicht mehr auf die Idee kommen, es könnte alles auch ganz anders sein. Viertens: Wer die Medien in der Hand hat, der hat auch die Macht in der Hand. So sehr wir auf russische “Propagandasender” mit dem Finger zeigen, so sehr müssen wir uns in Acht nehmen, dass nicht auch unsere eigenen westlichen, angeblich so objektiven Medien immer mehr zu Propagandainstrumenten werden. Begriffe mit so ungeheurer Wirkung wie “Kriegsverbrechen” dürften nicht einfach fraglos übernommen, Beschuldigungen ohne Beweise, egal von welcher Seite, dürften niemals unhinterfragt weiterverwendet werden. Und weshalb zeigt kein einziges Medium in der westlichen Welt die Version des russischen Aussenministeriums über die Vorgänge in Butscha? Trauen wir es uns unseren eigenen Bürgerinnen und Bürgern nicht zu, sich zu alledem eine eigene Meinung zu bilden? Begraben wir nach und nach die Demokratie, in deren Name die Ukraine gegen die russischen Invasoren kämpft, mit unseren eigenen Füssen? Weshalb wird jeder, der nur ein ganz klein wenig Kritik an der ukrainischen Seite übt oder an weniger angenehme historische Ursprünge dieses Konflikts erinnert, sofort als “Putinversteher” abgestempelt und öffentlicher Verurteilung preisgegeben? Sollten wir nicht der Demokratie gerade jetzt, in so schwierigen Zeiten, umso mehr Sorge tragen? Erfreulicherweise hat sich der schweizerische Bundespräsident Ignazio Cassis von der allgemeinen Empörungswelle nicht gänzlich mitreissen lassen: “Ob in Butscha ein Kriegsverbrechen geschehen ist”, so sagte er, “werden die Gerichte klären. Wir sollten übrigens nicht vergessen, dass sich solche Gräueltaten auch anderswo ereignen, vor allem in Afghanistan und in Jemen. Nur sprechen wir darüber bei uns im Westen viel weniger.”