Bomben und Artillerie gegen kurdische Dörfer und Städte – und wo bleibt der Aufschrei des Westens?

 

“Seit knapp zwei Wochen”, so berichtet die schweizerische “Wochenzeitung” in ihrer Ausgabe vom 1. Dezember 2022, “greift die Türkei mit Artillerie und Luftschlägen Rojava – die Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens – sowie weitere Gebiete in Syrien, etwa um Aleppo, und Teile des Nordiraks an. Überall dort werden Stellungen der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vermutet, die angeblich, obwohl hierfür nach wie vor die Beweise fehlen, am 13. November einen Bombenanschlag in Istanbul verübt haben soll. Beim völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei sollen bisher mindestens 67 Menschen getötet worden sein. Diese Angriffe richten sich nicht nur gegen militärische Ziele, sondern verursachen auch schwere Schäden an der Infrastruktur der Region, an Schulen, Krankenhäusern, Öl- und Gasfeldern sowie Elektrizitätswerken und zielen darauf ab, die Lebensgrundlage der Bevölkerung langfristig zu zerstören, weshalb auch vor allem Kleinstädte und Dörfer bombardiert werden. In einem Fernsehinterview sprach der türkische Präsident Erdogan gar davon, Nordsyrien ethnisch säubern zu wollen, da diese Region für den Lebensstil der Kurden nicht geeignet sei.

Eigentlich müsste jetzt ein gewaltiger Aufschrei all jener westlichen Regierungen ertönen, die eben noch so vehement den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt haben. Eigentlich müssten jetzt gegen türkische Oligarchen und Unternehmer ebenso harte Sanktionen ergriffen werden wie gegen russische Unternehmer und Oligarchen. Eigentlich müssten gegen die Türkei ebenso einschneidende Wirtschaftssanktionen verhängt werden wie gegen Russland. Eigentlich müssten jetzt Türkinnen und Türken ebenso mit Einreiseverboten, mit der Verweigerung von künstlerischen Auftritten und dem Verbot staatlicher Fernsehsender belegt werden, wie das alles gegen Russland praktiziert worden ist. Eigentlich müsste die deutsche Aussenministerin Analena Baerbock mit der gleichen Vehemenz, mit der sie die Zerstörung der russischen Wirtschaft forderte, auch die Zerstörung der türkischen Wirtschaft fordern. Und eigentlich müsste der ukrainische Präsident Selenski, dem angeblich nichts so sehr am Herzen liegt wie die Wahrung der Menschenrechte und der unlängst die Forderung nach einer Überführung des russischen Präsidenten Putin an ein internationales Kriegsverbrechertribunal in den Raum gestellt hat, dasselbe auch für den türkischen Präsidenten verlangen.  

Doch nichts davon geschieht. Der Westen hüllt sich in Schweigen. Keine offizielle Verurteilung, keine Wirtschaftssanktionen, keine Boykotte, keine Einreiseverbote, kein Einfrieren von Oligarchengeldern, nichts von alledem. Scheinheiliger, doppelzüngiger, widersprüchlicher, verlogener geht es nicht. Damit zeigen die westlichen Regierungen und ihr militärisches Bündnis ihr wahres Gesicht. Es geht und ging auch nie um das, was sie “Menschenrechte”, “Freiheit” und “Demokratie” nennen. Es geht und ging stets nur um nackte Machtpolitik. Wer auf unserer Seite ist, das sind die “Guten”, egal wie viele Verbrechen sie begehen. Und wer auf der anderen Seite ist, das sind die “Bösen”, selbst wenn es sich um Kinder, Frauen und Männer handelt, die in ihrem ganzen Leben noch nie jemandem etwas zuleide getan haben.

44 Militäroperationen vom Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki über den Vietnamkrieg bis zum Überfall auf den Irak 2003 haben die USA seit 1945 begangen – mit über 50 Millionen Todesopfern und über 500 Millionen Verwundeten. Dennoch wurde kein einziger der kriegführenden US-Präsidenten jemals einem Kriegsverbrechertribunal überwiesen, alle genossen und geniessen nach wie vor höchstes Ansehen oder wurden sogar, wie Barack Obama, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Wann endlich erwacht die westliche Welt aus diesem verhängnisvollen Tiefschlaf, der es immer noch, dieses Mal in Rojava, möglich macht, dass unschuldige Menschen vor lauter Angst vor dem nächsten Bombenangriff nicht schlafen können und Kinder am nächsten Morgen erfahren müssen, dass ihre Mütter und Väter nicht mehr leben.

Es gibt keine “guten” und “schlechten” Kriege, jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Und wer, zu Recht, den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt, müsste erst recht jede noch so kleine Kriegshandlung, die im Namen des “freien” und “demokratischen” Westens geschieht, aufs Schärfste verurteilen. Der uralte Spruch vom “Auge um Auge, Zahn um Zahn”, die uralte Lehre von der stets wiederkehrenden Rache und Vergeltung, sie müsste endlich dort landen, wo sie hingehört: auf den Schrottplatz der Geschichte. Denn wenn man, wie Mahatma Gandhi so treffend sagte, das Prinzip vom “Auge um Auge” zu Ende denkt, dann führt es zu nichts anderem, als dass am Ende alle blind sind.