Bis das ganze Haus zusammenfällt

Laut einer Studie der Firma x28 waren in der Schweiz am 15. Februar 2019 196’841 Jobs unbesetzt. Am meisten gesucht sind Arbeiter im Baugewerbe. Rund 9500 Stellen sind in dieser Branche ausgeschrieben. Danach folgt das Gesundheitswesen mit etwas über 8500 offenen Stellen. Auch in der Gastronomie und der Hotellerie werden Mitarbeiter händeringend gesucht. Dort sind 8400 Stellen offen. Auch Elektromonteure sind rar: Schweizweit waren 4000 Stellen ausgeschrieben. Schreiner, Sanitärinstallateure, Zimmerleute und Maurer finden sich unter den 25 Jobs, die am meisten ausgeschrieben sind.

(Tages-Anzeiger, 5. April 2019)

Kein Wunder, sind in diesen Branchen so viele Stellen unbesetzt. Was ist das Gemeinsame von Bauarbeitern, Pflegefachleuten und Hotelangestellten? Sie alle erbringen eine überdurchschnittlich harte Arbeitsleistung bei gleichzeitig vergleichsweise tiefen Löhnen. Wer kann, strebt zu «Höherem» – zu beruflichen Tätigkeiten, die bei weniger harten Arbeitsbedingungen dennoch ein höheres Einkommen versprechen und erst noch ein höheres gesellschaftliches Ansehen. Vermutlich wird sich diese Entwicklung zukünftig weiter verschärfen und der Fachkräftemangel in zahlreichen Berufsgruppen weiter zunehmen – bis das ganze Haus, in dem alle nach den Sonnenplätzen auf der Dachterrasse streben, eines Tages in sich zusammenfällt, weil das Fundament, auf dem alles aufgebaut wurde, zu brüchig geworden ist. Doch dann ist es zu spät. Schon jetzt müsste alles unternommen werden, um dies zu verhindern. Erstens durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, indem man zum Beispiel die Arbeitszeiten bei besonders belastenden Berufsgruppen den tatsächlichen physischen und psychischen Belastungen anpassen würde – so dass dann zum Beispiel eine Krankenpflegerin weniger lange arbeiten müsste als ein Bankangestellter, usw. Zweitens, indem die Betriebe mehr Personal als bisher anstellen, damit sich die Arbeitsbelastung auf mehr Köpfe und Hände verteilt. Drittens, indem man einen Einheitslohn einführen würde, denn es ist nicht einzusehen, weshalb jene, die am Fundament des Hauses bauen, weniger verdienen sollen als jene, die sich auf der Dachterrasse des Hauses sonnen.