Berlin auf dem Weg in den Sozialismus?

Die Kernforderung des Berliner Bündnisses «Deutsche Wohnen & Co. enteignen», das aus zivilgesellschaftlichen Mieterinitiativen hervorgegangen ist, ist die Enteignung gewinnorientierter Immobilienkonzerne, die jeweils mehr als 3000 Wohnungen in Berlin besitzen. Das Bündnis strebt zu diesem Zweck einen Volksentscheid in Berlin an. Hintergrund ist die massive Erhöhung der Wohnungsmieten in den vergangenen zehn Jahren und das Fehlen preisgünstiger Wohnungen für Minderbemittelte. Von einer Enteignung betroffen wäre vor allem Deutsche Wohnen als wichtigster privatwirtschaftlicher Akteur auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Die Firma besitzt etwa 112’000 der mehr als 200’000 Wohnungen, die im Fokus der Enteignungsabsichten stehen. Laut der kürzlich veröffentlichten Bilanz 2018 stieg der operative Gewinn von Deutsche Wohnen um elf Prozent auf 480 Millionen Euro. Das Unternehmen kündigte daraufhin eine Erhöhung der Aktiendividende an. Die Erfolgsaussichten des Volksbegehrens sind nicht schlecht: Zwei repräsentative Umfragen im Auftrag von «Berliner Zeitung» und «Tagesspiegel» ergaben im Januar, dass 44 bzw. 54,8 Prozent der Berliner Enteignungen auf dem Wohnungsmarkt für sinnvoll halten. Das Bündnis bezieht sich in seiner Argumentation auf Artikel 15 des Grundgesetzes: «Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.»

(www.tagesschau.de)

Hoppla. Da ist man, mitten im Kapitalismus, auf ein in der Verfassung festgeschriebenes Grundgesetz gestossen, das von den heute in Deutschland herrschenden politischen Kräften bis weit in die Mitte oder gar in die «Linke» hinein schlichtweg als «sozialistisch» oder gar «kommunistisch» bezeichnet werden dürfte. Aber, oh Wunder: Rund die Hälfte der Bevölkerung steht dem Ansinnen, über 100’000 Wohnungen vom Privatbesitz in öffentlichen Besitz überzuführen, positiv gegenüber. Denkt also die Hälfte der Bevölkerung «sozialistisch» oder gar «kommunistisch»? Oder orientiert sie sich ganz einfach an jener Vision einer gerechten und menschenwürdigen Gesellschaft, die in der deutschen Bundesverfassung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs festgeschrieben wurde? Höchste Zeit, dass das Rad auf ein vernünftiges Mass zurückgedreht wird. Und da könnte man, wenn man sich diesen Artikel 15 des Grundgesetzes vor Augen führt, noch einige Überraschungen erleben…