Archiv des Autors: Peter Sutter

Pharmakonzerne verstaatlichen?

Einen solch grossen Jackpot hat in der Pharmaindustrie niemand zuvor geknackt. Roche hat mit seinen drei wichtigsten Krebsmedikamenten bislang einen Umsatz von über 270 Milliarden Franken erzielt. Sie heissen Mabthera, Herceptin und Avastin. Was Ende der 90er-Jahre mit Umsätzen von unter 800 Millionen Franken begann, erreichte im Spitzenjahr 2017 einen Wert von über 21 Milliarden Franken. Seit der Lancierung des ersten der drei Präparate Ende 1997 erzielte Roche im Schnitt Verkäufe von 11,8 Milliarden Franken – pro Jahr. Die Entwicklung neuer Medikamente sei ein extrem zeitaufwendiger und kostspieliger Prozess, sagt die Sprecherin. Die überwiegende Mehrheit von Wirkstoffen scheitere in der Entwicklung. «Die Gewinne ermöglichen es uns, in die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente zu investieren.» Im letzten Jahr habe Roche 11 Milliarden dafür investiert. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung der Dividende in den letzten 20 Jahren. Sie hat sich zwischen 1998 und heute verzehnfacht, was auch die Erbenfamilien Hoffmann und Oeri freut. Sie besitzen gut 9 Prozent des Kapitals von Roche, was ihnen dieses Jahr eine Dividende von 697 Millionen Franken eintrug.

(www.watson.ch)

 

Man rechne – und staune. Allein mit drei Krebsmedikamenten erzielt Roche einen Jahresumsatz von über 20 Milliarden Franken – von allen übrigen Medikamenten, die Roche auch noch vertreibt, gar nicht zu reden. Da erscheinen die 11 Milliarden Franken, die Roche jährlich in die Forschung steckt, doch reichlich mickrig. Kein Wunder, haben sich die Dividenden zwischen 1998 und heute verzehnfacht, und kein Wunder, erhielten alleine die Familien Hoffmann und Oeri in diesem Jahr eine Dividende von 697 Millionen Franken. Ebenfalls Ausdruck der hohen Profitabilität des Konzerns ist das neue Bürohochhaus, an dem gegenwärtig mit einem Kostenaufwand von drei Milliarden Franken gebaut wird und das nach seiner Fertigstellung mit 205 Metern das höchste Hochhaus der Schweiz sein wird. Gleichzeitig wird der Spardruck in öffentlichen Spitälern und Heimen immer grösser, arbeiten die Angestellten im Gesundheitswesen je länger je mehr bis an den äussersten Rand ihrer Kräfte und steigen die Krankenkassenprämien von Jahr zu Jahr in einem Ausmass, dass sie von immer mehr Familien gar nicht mehr bezahlt werden können. So einfach ist das: Dort, wo es im grossen Stil etwas zu verdienen gibt, regiert die private Hand. Dort aber, wo die Kosten anfallen und wo die Defizite entstehen, muss die öffentliche Hand mühsam ihre letzten Reserven zusammenkratzen. Eigentlich wäre es nur logisch, das gesamte Gesundheitswesen unter ein einziges Dach zu stellen, was nichts anderes bedeuten würde, als die Pharmakonzerne und die gesamte medizinische Forschung zu verstaatlichen, so dass mit den Gewinnen, die am einen Ort entstehen, die Defizite, welche an einem anderen Ort entstehen, ausgeglichen werden könnten. Eine Lösung, an der wir, so utopisch oder gar «verrückt» sie im Moment noch klingen mag, längerfristig wohl nicht vorbei kommen…

 

Moskau und Zürich – erschreckende Parallelen

Bei den neuen Protesten für faire und freie Wahlen in der russischen Hauptstadt nahm die Polizei nach Angaben des Innenministeriums etwa 600 Menschen vorübergehend fest. Die Nichtregierungsorganisation OWD-Info sprach von 828 Personen. Rund 1500 Menschen demonstrierten an der nicht genehmigten Aktion in Moskau. Das teilte die Behörde laut der Agentur Interfax am Samstagabend mit. Die Zahl der Festnahmen war damit doppelt so hoch wie vermutet.

Viele junge Teilnehmer wurden in Polizeibusse gezerrt. Demonstranten riefen «Schande» und «Russland wird frei sein». Reporter von internationalen Agenturen berichteten von einer bedrohlichen Atmosphäre im Zentrum der russischen Hauptstadt.

(www.tagesanzeiger.ch)

Nur zu berechtigt ist unsere Empörung über solche Vorfälle, die jeden rechtstaatlichen und demokratischen Prinzipien spotten. Doch haben wir ein so kurzes Gedächtnis? Haben wir tatsächlich schon vergessen – oder aus unserer Erinnerung verdrängt -, dass eben noch 70 Klimaaktivisten im Alter von 15 bis 64 Jahren, die den Eingang zum Hauptsitz der Credit Suisse in Zürich besetzt hatten, von der Polizei weggeschafft und verhaftet wurden? Wie Betroffene berichten, gingen dabei Polizisten und Beamte mit den Festgenommenen alles andere als zimperlich um. So berichtet eine der Frauen, sie hätte sich ohne richtige Begründung zur Körperkontrolle drei Mal ausziehen müssen. Sie sei dabei mit Schmerzgriffen zu Boden und gegen die Wand gedrückt worden und man sei auf die draufgestanden. Auch sei sie, bloss weil sie wissen wollte, was man mit ihr vorhatte, als «schwierig» und «dumm» eingestuft worden. Sie sei, so wurde ihr gesagt, «als Kind auf den Kopf gefallen». Auch habe man ihr gesagt, dass sie hier «keine Rechte» hätte. Eine andere Aktivistin berichtet, man hätte es ihr untersagt, ihre Eltern anzurufen – obwohl sie dazu berechtigt gewesen wäre. Schliesslich liess man die Festgenommenen erst zwei Tage später, nach der Übernachtung in heissen Zellen, bei denen das Öffnen der Fenster untersagt wurde, wieder frei – 54 der 70 Aktivistinnen und Aktivisten erhielten einen Strafbefehl, wonach sie sich der Nötigung schuldig gemacht hätten. Einige wurden zusätzlich des Hausfriedensbruchs schuldig gesprochen. Ausgesprochen wurden bedingte Geldstrafen. «Es war alles grauenhaft», berichtet eine 19Jährige, «ich habe die ganze Zeit nur geweint.» Es wird nicht einfach sein, den wesentlichen Unterschied zwischen den heutigen Vorfällen in Moskau und der Besetzung der Credit Suisse in Zürich durch Klimaaktivisten zu erklären. Nur dass das eine in der ältesten Demokratie der Welt geschah und das andere im vielgeschmähten «System Putin», auf dem wir so gerne herumhacken. Müssten wir uns, bevor wir uns selbstherrlich über andere auslassen, nicht zuerst bei der eigenen Nase nehmen?

Die letzten Zuckungen des Kapitalismus?

«Der Bentley EXP 100 GT widerspiegelt jene Art von Automobil, die wir in der Zukunft herstellen möchten», sagte Stefan Sielaff, Design-Direktor bei Bentley Motors, vor kurzem anlässlich der Enthüllung am 100. Jahrestag der Gründung der Marke. Der Wagen ist allein von seiner Grösse ein klares Statement, dass Luxus auch im Jahr 2035 nichts von Zurückhaltung wissen will. Der EXP 100 GT ist 5,8 Meter lang, beinahe 2,4 Meter breit und wird in Parkhäusern nicht anzutreffen sein. «Das ist unsere Sichtweise», meint Adrian Hallmark, CEO und Präsident von Bentley Motors. Die Geburt des Automobils hätte damals ein inniges Verhältnis geweckt, das Begriffe wie Freiheit, Selbstentfaltung, soziale Anerkennung und persönlichen Freiraum brachte. «Wir glauben, dass diese Werte auch die künftige luxuriöse Mobilität prägen werden.» Exquisite, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Materialien und feinste Verarbeitung – diese traditionellen Kompetenzen verbindet Bentley im EXP 100 GT mit den Megatrends automatisiertes Fahren und künstliche Intelligenz. Der Innenraum profitiert von beiden und lässt sich entsprechend der gewählten Fortbewegung umgestalten. Bentley spricht in diesem Zusammenhang von biometrischem Sitzen. Die künstliche Intelligenz erkennt über die umfassende Wagensensorik Stimmung und Wohlbefinden der Insassen und bietet dem luxusgewohnten Bentley-Fahrer der Zukunft die passende Umgebung. Fährt der Wagen beispielsweise autonom, wird der Fahrersitz in eine rückwärts gerichtete Position gedreht und das Lenkrad in die Armaturen zurückgezogen. Im Stadtverkehr wandelt sich der Wagen zum temporären Rückzugsort. Sich abdunkelndes Glas schottet das Interieur vor neugierigen Blicken ab, und aktives Noise-Selling sorgt für entspannende Ruhe. Auf Landstrassen dann das Gegenteil: Licht, Gerüche und Geräusche werden ins Innere geleitet, das Erlebnis einer Fahrt – zwischen von der Sonne gemalten Flecken auf dem Boden des Waldes hindurch – verstärkt. Käufer von Luxusprodukten erwarten bereits heute, dass Marken nicht bloss Objekte herstellen, sondern dass deren Ethik, Kompetenzen und Ausrichtung makellos sind. Sie suchen Marken, die ihr Leben mit einzigartigen Produkten bereichern. «Wir sind daher für die Herausforderungen der Zukunft optimal aufgestellt», sagt Adrian Hallmark.

(W&O, 3. August 2019)

Eine «Ethik» des Luxus, aufgestellt für die «Herausforderungen der Zukunft». Ein veritables Eigenheim auf vier Rädern – für Menschen, die im übrigen Leben wohl kaum in einer schäbigen Mietwohnung leben oder – wie weltweit über 100 Millionen Menschen – überhaupt kein Dach über dem Kopf haben. Und das in einer Zeit, da immer mehr Wissenschaftler vor einer bald drohenden Selbstvernichtung der Menschheit infolge einer rasant zunehmenden Klimaerwärmung warnen. Die letzten Zuckungen des Kapitalismus?

EU: Mehr als jede vierte Person kann sich keine Ferien leisten

In der EU konnten es sich im vergangenen Jahr 28,3 Prozent der Bürger nicht leisten, eine Woche in die Ferien zu gehen. Die Schweden sind mit 9,7 Prozent Ferienlosen die Privilegierten. Noch besser dran sind allerdings die Schweizer: Nur 8,5 Prozent der Einwohner über 16 Jahren müssen gemäss Daten des europäischen Statistischen Amts Eurostat aus finanziellen Gründen daheim bleiben. Geschlagen wird das nur von den Norwegern mit 6,4 Prozent Ferienlosen. Von den 28 EU-Mitgliedsstaaten hat Rumänien mit 58,9 Prozent den höchsten Bevölkerungsanteil, für den Ferien unerschwinglich sind. Auch in Kroatien, Griechenland und Zypern muss mindestens jeder Zweite aus Geldmangel zu Hause bleiben.

(www.blick.ch)

Zu gern gefallen sich die Verfechter des Kapitalismus und der freien Marktwirtschaft darin, das Reich des Kapitalismus als das Reich der «Freiheit» zu feiern. Diese «Freiheit» scheint allerdings sehr ungleich verteilt zu sein: Während die einen sogar mehr als einmal pro Jahr nach Mallorca, Sri Lanka oder auf die Malediven fliegen, muss immerhin mehr als ein Viertel der EU-Bürgerinnen und -Bürger zuhause bleiben und kann sich nicht einmal eine einzige Ferienwoche leisten. Man braucht kein Fan der früheren DDR zu sein, aber immerhin gab es da so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz eines «Urlaubs für alle». Der bestand zwar «bloss» aus Ferien in einem staatlichen Gästehaus an der Ostsee. Aber immerhin, besser als gar nichts. Und erst noch ökologisch viel vernünftiger als das weltweit immer mehr grassierende Herumfliegen der Reichen und Superreichen…

Der Kapitalismus hat nicht Fehler, er ist der Fehler

Die Klimajugend hat am Wochenende anlässlich einer Plenarversammlung in Bern die Verabschiedung einer Charta beschlossen, die folgende Forderungen beinhaltet: Ausrufung des Klimanotstands, Klimaneutralität bis 2030 und Klimagerechtigkeit. Noch unklar ist, ob als vierter Punkt die Forderung nach einem «Systemwandel» in die Charta aufgenommen werden soll. Einen Systemwandel fordert ein grosser Teil der Klimajugend für den Fall, dass die ersten drei Forderungen «in unserem aktuellen System nicht erfüllt werden können». Wie radikal manche der jugendlichen Aktivisten einen Systemwechsel herbeiführen möchten, zeigt ein Blick auf die Internetkanäle, über die die Jugendlichen kommunizieren. Genannt werden etwa «die Verstaatlichung von Konzernen, die Abschaffung des Flugverkehrs, Sozialismus und Kommunismus». Es versteht sich von selber, dass solche Forderungen bei den Machtträgern des aktuellen Systems überaus geharnischte Reaktionen auslösen. So etwa sagt der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser: «Wem es ernst ist mit dem Klimaschutz, der verzichtet auf ideologischen Blödsinn. Zum Beispiel ist eine Welt ohne Flugreisen unrealistisch.»

(Tages-Anzeiger, 30. Juli 2019)

Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Ein Systemwandel ist unumgänglich. Die Klimakrise ist ja nur eine der Krankheiten, von denen unsere Erde befallen ist. Eine andere ist die – stets noch wachsende – weltweite Kluft zwischen Arm und Reich. Eine dritte ist das unbeschreibliche Elend, in dem über eine Milliarde von Menschen leben und das dazu führt, das jeden Tag 10’000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs sterben müssen. Eine vierte ist das völlig sinnlose Wachstumsprinzip, dem die kapitalistische Wirtschaft unterworfen ist und das dazu führt, dass immer mehr Güter über immer weitere Strecken transportiert werden und ein immer grösserer Teil davon, weil gar nicht so viel verkauft werden kann, wieder vernichtet werden muss. Eine fünfte ist der wachsende Druck am Arbeitsplatz wie auch in den Schulen, wo der gegenseitige Konkurrenzkampf um die gesellschaftlichen Sonnenplätze immer drastischere Formen annimmt. Eine sechste ist, dass selbst in den «Wohlstandsländern» des Westens eine immer grössere Anzahl Menschen von dem, was sie bei voller Erwerbsarbeit verdienen, kaum mehr menschenwürdig leben können. Eine siebte ist die endlos wachsende Zunahme des Individualverkehrs, der regelmässige Verkehrskollaps in den Grossstädten und die damit verbundenen Belastungen durch Lärm und Schadstoffe. Eine achte sind die Luxusvergnügungen, die sich eine wachsende Minderheit der Weltbevölkerung in immer ungezügelterem Ausmass leisten kann, von fernen Flugreisen über Kreuzfahrten bis zum Flug in den Weltraum. Eine neunte sind die unzähligen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil sie dort aus politischen oder existenziellen Gründen nicht mehr leben können, unzählige Gefahren der Flucht auf sich nehmen müssen und dabei entweder festgenommen und in Internierungslager eingesperrt werden, oder aber ihr Leben verlieren. Eine zehnte ist, dass ausgerechnet aus jenen Ländern, in denen nicht einmal alle Menschen genug zu essen haben, eine Unmenge an Lebensmitteln in jene Länder fliessen, wo sowieso schon alles im Übermass vorhanden ist. Gut und gerne könnte man hier noch viele weitere kleinere und grössere «Krankheiten» aufzählen, von denen unsere Erde befallen ist. Und fraglos ist auch, dass alle diese Krankheiten unauflöslich miteinander verbunden sind und eine zentrale, gemeinsame Ursache haben, nämlich das kapitalistische Wirtschaftssystem: Der Kapitalismus hat nicht Fehler, er ist der Fehler. Zu glauben, man könne die Klimakrise bewältigen und trotzdem am Kapitalismus festhalten, ist, mit den Worten von Ruedi Noser, nichts anderes als «ideologischer Blödsinn». Zu warten bis ins Jahr 2030, ob sich die Klimaziele innerhalb unseres heutigen Systems lösen lassen, und erst dann die Systemfrage zu stellen, ist nichts anderes als verlorene Zeit: Im Gegenteil, der Systemwandel müsste eigentlich die erste und wichtigste Forderung einer «Klimacharta» sein und alles andere wäre dann bloss eine logische Folge davon.

Künstliche Intelligenz und menschliche Intelligenz

«Was soll der ganze Hype um die Künstliche Intelligenz? Was nützen die Millionen, die da investiert werden? Sinn machender, da lebensrettend, wäre die gesunde, verantwortungsbewusste Intelligenz von Menschen weltweit, welche sich um die Erhaltung der Lebensgrundlagen der Menschen aktiv und effektiv kümmern würden! Künstliche Intelligenz: Wofür soll diese effektiv gut sein, wessen Lebensgrundlage kann sie retten….?»

D.S., Kommentar zum Thema KI auf www.srf.ch)

Ausgezeichneter Kommentar zum Thema Künstliche Intelligenz und menschliche Intelligenz. Man könnte sogar einen Schritt weitergehen und feststellen, dass das Thema Künstliche Intelligenz, obwohl darüber soviel Aufhebens gemacht wird, von der Geschichte bereits überholt worden ist. Denn während die Wissenschaftler und Forscher der Künstlichen Intelligenz noch hinter verschlossenen Türen von dem Tag träumen, da der Mensch vollends durch Roboter ersetzt werden könnte, ziehen Milliarden von Vätern und Müttern auch widrigsten Umständen zum Trotz ihre Kinder auf, wehren sich Millionen von Menschen von Venezuela über Moskau und den Sudan bis Hongkong mit allen Mitteln der Phantasie für ihre politischen Rechte und hat sich mit der Klimaschutzbewegung eine alles überbietende Welle jugendlichen Engagements und beeindruckendster Beharrlichkeit formiert. Und dies alles ohne einen Funken künstlicher Intelligenz…

Millionen unverkaufter Luxusartikel im Müll

Parfums, Schuhe oder Taschen: Jährlich landen Millionen unverkaufter Luxusartikel im Müll. Die meisten werden verbrannt. Die britische Edelmarke Burberry vernichtete 2017 nagelneue Kleidung und Kosmetika im Wert von 37 Millionen Franken. Die dänische Bekleidungsfirma Beststeller kaufte 2016 und 2017 Güter im Wert von insgesamt 400 Millionen Franken von Händlern zurück. Nur ein Teil der Waren konnte rezykliert werden – viele landeten im Müll. Der amerikanische Grosskonzern Amazon soll 2018 3,2 Millionen neue Produkte vernichtet haben. Dies, weil das Aufbewahren von unverkäuflichen Gütern mehr kostet als deren Vernichtung. Das schwedische Textilunternehmen H&M verbrannte von 2013 bis 2017 etwa 60 Tonnen neue, nicht verkaufte Kleidung. Ein Viertel von allen unverkauften Gütern in Frankreich sind Hygiene- und Schönheitsprodukte. Diese Waren haben insgesamt einen Wert von 693 Millionen Franken.

(W&O, 27. Juli 2019)

Und das in einer Welt, in der für Milliarden von Menschen nur schon ein einziges Paar Schuhe, ein Jupe, ein Hemd, eine Bluse, eine Hose oder Kosmetika nahezu unerschwingliche Luxusartikel sind…

Bloss Launen der Natur?

Der Triftbach in Zermatt führt enorm hohes Wasser. Grund ist ein geplatzter unterirdischer Gletschersee. Dabei handle es sich, so die Gemeindepräsidentin von Zermatt, um eine «nicht kalkulierbare Laune der Natur». Und fast am gleichen Tag, nämlich am 24. Juli, ereignete sich um 9 Uhr am Zermatter Matterhorn ein tödlicher Bergunfall. Zwei Personen verloren dabei ihr Leben. Ein Felsausbruch riss die beiden in die Tiefe. Der Felsausbruch habe sich, so schreibt die Polizei, «aus unbekannten Gründen» ereignet.

(www.tages-anzeiger.ch & www.20minuten.ch)

Einen Tag später dann ergänzende Kommentare in den Medien: Ja, die beiden Ereignisse könnten sehr wohl eine Folge der Klimaerwärmung sein: Wasser schmelzender Gletscher staut sich unterirdisch auf und kann dann plötzlich «platzen». Und ja, die hohen Temperaturen bis auf 5000 Meter über Meer können dazu führen, dass der Permafrost aufgetaut wird, sich Felsformationen lösen und in die Tiefe stürzen. Die ersten Reaktionen zeigen genau das, was uns allen wohl am liebsten wäre: dass es unerklärbare Einzelfälle seien, Launen der Natur – aber nichts mit uns unserem Verhalten zu tun haben. Die Wahrheit, dass es eben doch der Klimawandel und damit der Mensch ist, der hinter allem steckt, diese Wahrheit ist bitter und nur schwer auszuhalten, logisch, dass man ihr ausweicht, sie negiert, sie nicht wahrhaben will – so, wie das die SVP in grossem Stil hartnäckigst tut. Doch früher oder später werden wir nicht darum herumkommen, uns einzugestehen, dass es sich bei alledem um nichts anderes als eine weltweite, «hausgemachte» Krise handelt. Doch damit sind wir noch immer nicht am Ende. Denn wenn wir es schon mit einer weltweiten, hausgemachten Krise zu tun haben, dann werden wir uns auch eines Tages die Frage stellen müssen, welches denn die tieferen Ursachen dieser Krise sind. Und dann kommen wir unweigerlich zum kapitalistischen Wirtschaftssystem mit seinem unersättlichen Profitmaximierungswahn und seiner endlosen Wachstumssucht, die uns dazu zwingt, immer schneller und härter zu arbeiten, immer mehr zu produzieren, immer mehr Waren über immer weitere Distanzen zu transportieren und in immer kürzerer Zeit immer mehr zu konsumieren. Ohne Kapitalismus keine Klimakrise, denn der Kapitalismus ist jenes Wirtschaftssystem, das sich selber zum Massstab nimmt und sich über die Gesetze des Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur hinausschwingt. Diese Erkenntnisse werden uns alles ganz anders sehen lassen als heute. Und wahrscheinlich, wenn die Zeit reif ist, werden dann sowohl die Zermatter Gemeindepräsidentin wie auch die Walliser Kantonspolizei, sollten dereinst wieder ähnliche Ereignisse auftreten, in ihren Kommentaren vermelden, dass die Ursache der Ereignisse einmal mehr und immer wieder der Kapitalismus sei.

Ein gerechtes Lohnsystem noch nicht erfunden?

Anderen zu Diensten sein, lohnt sich nicht. Jene Menschen, die uns die Haare schneiden oder das Essen an den Tisch bringen, die unser Büro putzen oder im Supermarkt einkassieren: all jene Menschen, die unseren Alltag erleichtern, haben es selber oft schwer. Sie verdienen so wenig, dass es nur knapp zum Leben reicht. Dies liegt laut Ökonomen an der Wertschöpfung der Branchen. IT-Unternehmen (oder Banken oder Anwaltskanzleien) setzen viel Geld um. Ein Teil davon fliesst weiter in die Löhne. Die Gastronomie oder die Coiffeurbranche gelten hingegen als «schwachproduktiv». Es kommt nicht viel Geld herein. Folglich gibt es nur wenig zu verteilen. Doch über die Lukrativität der Branchen bestimmt nicht der Markt allein. Sie hängt ab von gesellschaftlichen Wertungen und Machtverhältnissen. Warum kann ein Anwalt pro Stunde viel mehr verlangen als eine Spitex-Mitarbeiterin? Warum erhält eine Primarlehrerin mehr Geld als eine Kleinkindeerzieherin? Ganz einfach: weil wir gewisse Tätigkeiten als wichtiger und wertvoller einschätzen. Es gibt aber akademische Versuche, den Wert von Arbeit neutraler zu beurteilen. So berücksichtigt der «Comparative Worth Index» möglichst viele Anforderungen und Belastungen, die sich vergleichen lassen. Dazu gehört etwa, wie lange Angestellte ohne Unterbruch konzentriert arbeiten müssen. Oder wie oft sie gezwungen sind, von Termin zu Termin zu hetzen. Verwendet man diesen Ansatz, geht die Arbeit von Juristen, jene von Elektroingenieuren und jene von Angestellten im Gesundheitsbereich als gleichwertig hervor. Die drei Berufsgruppen müssten folglich gleich viel verdienen. Die Sache lässt sich weiterdrehen. Es ist nicht zwingend, dass akademische Bildung so stark einschenkt, wie sie das heute tut. Man könnte stattdessen die gesellschaftliche Bedeutung eines Jobs in den Lohn rechnen, die Monotonie bei der Arbeit einbeziehen oder den körperlichen Verschleiss. Ein Lohnsystem das allen gerecht wird, ist noch nicht erfunden.

(Beat Metzler, in: Tages-Anzeiger, 25. Juli 2019)

Es wäre nicht so schwierig, ein gerechtes Lohnsystem zu erfinden. Ganz einfach: Alle Berufstätigen müssten gleich viel verdienen. Denn damit Wirtschaft und Gesellschaft reibungslos funktionieren, braucht es alle, sowohl die Putzfrau wie den Informatiker, sowohl  den Fabrikarbeiter wie die Ärztin, sowohl den Krankenpfleger wie die Anwältin. Würde man auch nur einen einzigen dieser Berufe aus dem Gesamtsystem herausbrechen, so würde sogleich alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Wenn sich das Problem mit der Wertschöpfung nicht lösen lässt, dann müsste man einen Pool schaffen, in den die Besserverdienenden einzahlen und aus dem die Schlechterverdienenden die Differenz ihres Lohnes zum Durchschnittslohn ausbezahlt bekämen. Zu utopisch? Zu verrückt? Wohl kaum verrückter als unser heutiges Lohnsystem, bei dem die höchsten Löhne die niedrigsten um das 300fache übersteigen…

Klimaanlagen in jedem Hotelzimmer

Im für 50 Millionen Franken totalrenovierten Bad Ragazer Luxushotel Quellenhof verfügt nun jedes Gästezimmer über eine Klimaanlage. Im Neubau des Grabser Kantonsspitals im St. Galler Rheintal sind in den Patientienzimmer keine Klimaanlagen vorgesehen, und dies, obwohl dies sowohl für die unter Schmerzen und Unpässlichkeiten aller Art leidenden Patientinnen und Patienten wie auch für das Personal eine wahre Wohltat wäre – während die Gäste des Quellenhofs ihre Zimmer meist nur aufsuchen, um dort zu schlafen. Die Zweiklassengesellschaft lässt grüssen….