Archiv des Autors: Peter Sutter

Weshalb fällt es uns so schwer, auf Auto und Flugzeug zu verzichten?

Flüge für den Schnäppchenpreis von 15 Franken sollen der Vergangenheit angehören: In Zukunft müssen Passagiere für Flüge ab Schweizer Flughäfen eine Abgabe von 30 bis 120 Franken pro Weg entrichten. Das plant die Umweltschutzkommission des Ständerats. Zudem soll der Benzinpreis um bis zu 12 Rappen pro Liter steigen und die CO2-Abgabe auf Heizöl mehr als verdoppelt werden.

(Tagesanzeiger, 17. August 2019)

Alles gut gemeint. Bloss: Anzunehmen, dies werde zu einer Reduktion des Flug- und Autoverkehrs führen, wäre eine reine Illusion, viel zu gering sind die vorgeschlagenen Abgaben. Und wären sie massiv höher, wäre man sogleich mit dem – berechtigten – Vorwurf konfrontiert, nun könnten sich nur noch die Reichen die Benützung dieser Verkehrsmittel leisten. Was also dann? So verrückt, so unrealistisch, so utopisch es im Moment auch klingen mag, aber wir werden nicht darum herum kommen, auf das Fliegen wie auch auf das Fahren mit einem Privatauto zukünftig schlicht und einfach zu verzichten. Wenn wir es heute nicht freiwillig tun, dann wird uns die «Klimakrise» mit all ihren verheerenden Folgen schon sehr bald dazu zwingen. Schon heute leben Millionen von Menschen in Europa ohne Privatauto und ohne jemals ein Flugzeug zu benützen. Was hindert die anderen Millionen daran, es ihnen gleichzutun?

Dringend nötiger Politikwechsel

«Auf nationaler Ebene hat sich leider noch nicht wirklich etwas getan», gesteht Jann Kessler vom Klimarat Schweiz ein. Ja. Die Mühlen der Politik mahlen langsam. Auch die Gletscherinitiative. Selbst bei einer Annahme der Initiative, so Mitinitiant Marcel Hänggi, würde es noch Jahre dauern, bis tatsächlich etwas Konkretes geschähe. Diese politische Behäbigkeit sei trotz des Auftriebs durch die Klimabewegung die grösste Gefahr. Manche meinten, man müsse vor allem mit Vernunft und Augenmass vorgehen. Aber das verkenne die Dramatik der Situation.

(Wochenzeitung, 15. August 2019)

Zwei Welten prallen aufeinander: Hier die Welt der Jugend, jene Bevölkerungsgruppe, die von der heutigen Klimapolitik am meisten und am längsten betroffen sein wird und die am liebsten schon gestern als heute alles auf den Kopf stellen würde. Ihre Forderungen sind klar. Man könnte sie schon hier und heute in die Tat umsetzen, wenn da nur nicht jene andere Welt wäre. Jene Welt der Realpolitik, in der alles gefühlte hundert Mal länger geht und in der oft von den besten Ideen, wenn sie nur genug lange wie heisse Kartoffeln zwischen den verschiedensten politischen Gremien und Institutionen hin- und hergeschoben werden, am Ende kaum mehr etwas Brauchbares übrigbleibt. Der von der Klimajugend geforderte «Systemwechsel», der sich vor allem an die Wirtschaft richtet, ruft dringend auch nach einem «Politikwechsel»: Entscheide von allgemeiner Dringlichkeit müssten rasch, prioritär, direkt, ohne Umschweife behandelt werden. Der Notarzt, der am Bett eines sterbenden Patienten steht, kann sich auch nicht stunden- oder gar jahrelang überlegen, ob und was für Massnahmen er ergreifen will, um das Leben zu retten.

Der Sonderbericht des Weltklimarats und die Angst vor dem eigenen Mut

Eigentlich wollten sie es alle sagen, aber getraut haben sie sich dann doch nicht: Es braucht einen Kurswechsel in der globalen Land- und Forstwirtschaft. Nichts anderes war zwischen den Zeilen des Sonderberichts des Weltklimarats IPCC, der gestern der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, herauszulesen. Denn, so viel ist klar, wenn im bisherigen Stil weitergemacht wird, sind die Folgen unabsehbar: Ein Viertel der eisfreien Landoberfläche läuft Gefahr zu verwüsten oder ist teilweise schon zerstört, Dürren und Starkniederschläge werden sich mit der globalen Erwärmung weiter häufen, Wassermangel und Wildfeuer werden Bauern unter anderem im Mittelmeerraum und in Afrika in ihrer Existenz bedrohen, immer mehr Menschen – bereits heute ist es eine halbe Milliarde – werden in Regionen leben, die allmählich unfruchtbar werden – vor allem in Süd- und Ostasien, um die Sahara-Region, insbesondere in Nordafrika.

(Tages-Anzeiger, 9. August 2019)

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche den Sonderbericht des Weltklimarats erarbeitet hatten, wussten schon, weshalb sie nicht Klartext sprachen und darauf verzichteten, offen und unmissverständlich einen Kurswechsel in der globalen Land- und Fortwirtschaft zu fordern. Hätten sie dies nämlich getan, dann hätten sie im gleichen Atemzug die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems fordern müssen, denn die aktuelle Landwirtschafts- und Forstwirtschaftspolitik ist nichts anderes als fester Bestandteil des weltumspannenden kapitalistischen Machtsystems, in dem Profit, Wachstum und Gewinnsteigerung die oberste Maxime sind und nicht das Wohl der Erde, der Natur, der Tiere, der Pflanzen, des Wassers, der Erde, des Menschen – und schon gar nicht des Lebens zukünftiger Generationen. Zu sehr scheinen selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich dermassen eingehend mit den gravierenden ökologischen Veränderungen unserer Tage auseinandersetzen, selber noch im eigenen kapitalistischen Denken gefangen zu sein und nicht genug Mut zu haben, aus diesem selbergebauten Denkgefängnis auszubrechen. Wie gut, gibt es die Klimajugend, die keine Angst zu haben scheint, mit bisherigen Denkschablonen und Tabus zu brechen und mit ihrer Forderung «System Change not Climate Change» die Sache haargenau auf den Punkt bringt.

Wie vor 500 Jahren

«Wir spüren weder Flugscham noch Greta-Effekt.» Das sagt Michael Niggemann, Finanzchef der Suisse. Die Auslastung habe sich sogar noch erhöht. Monate der Klimastreiks und politischen Debatten haben der Fliegerei nichts anhaben können. Trotzdem ist die Flugscham spürbar. Nicht bei der Swiss, dafür bei den Anbietern von CO2-Kompensationen. Ihre Webrechner laufen auf Hochtouren. Wer seine Flugreise CO2-neutralisieren will, wendet sich dabei häufig an Myclimate. Über den Webrechner der Zürcher Stiftung sind bis Ende Juli 2019 rund 400 Prozent mehr CO2 wettgemacht worden als im selben Zeitraum 2018. Ein Grossteil des Geldes fliesst in Entwicklungsländer und ist dort für lokale Engagements bestimmt, die dem Klimawandel entgegenwirken sollen.

(Tages-Anzeiger, 8. August 2019)

Worüber niemand spricht: Der Schaden, den ein Flugpassagier anrichtet, ist ungleich viel grösser als der Nutzen, den er mit seiner «Kompensationszahlung» bewirkt. Das Ganze erinnert an den mittelalterlichen Ablasshandel, mit dem man sich – so zumindest das Versprechen der Priester – mit barer Münze von seinen Sünden freikaufen konnte, um nicht in die Hölle, sondern in den Himmel zu kommen. Bis Martin Luther kam und dem ganzen Spuk ein Ende setzte. Sind wir tatsächlich, 500 Jahre später, immer noch so blindlings gläubig? Bilden wir uns ernsthaft ein, die Zukunft mit barer Münze retten zu können? Und wo ist ein Martin Luther, der dem ganzen Irrglauben ein Ende setzen könnte?

Umverteilung von Reich zu Arm?

Eine Untersuchung der Universität Luzern zeigt, welche Einkommensgruppen wie viel zu den gesamten Steuereinnahmen beitragen. Erstmals sind in der Studie alle Einkommenssteuern von Bund, Kantonen und Gemeinden zusammengefasst. Demnach bezahlt das reichste Prozent der Steuerpflichtigen mit Reineinkommen ab 322’000 Franken fast ein Viertel aller Einkommenssteuern. Die obersten 10 Prozent mit Einkommen ab 107’000 Franken tragen zusammen mehr als die Hälfte der Steuererträge bei. Umgekehrt bringt es die untere Hälfte der Steuerzahler zusammen nur auf knapp 11 Prozent. Bei so viel Umverteilung von Reich zu Arm ist die 99-Prozent-Initiative der Juso, wonach das reichste Prozent der Schweizerinnen und Schweizer mehr Steuern bezahlen sollen als bisher, nicht nur kontraproduktiv, sondern schlicht und einfach überflüssig.

(Tages-Anzeiger, 8. August 2019)

Tönt ja alles sehr gut. So, als wäre das reichste Prozent der Bevölkerung besonders grosszügig. So, als profitierten die weniger reichen 90 Prozent der Bevölkerung von den reichen 10 Prozent. So, als müssten die Ärmeren den Reicheren für dieses «Geschenk» dankbar sein.  Doch wir leben ja nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem eine permanente Umverteilung von Arm zu Reich stattfindet: Indem die Bestverdienenden bis zu 300 Mal höhere Einkommen haben als die am schlechtesten Verdienenden. Indem Geld, das in grosser Menge vorhanden ist, dank Zins und Zinseszins in wachsendem Ausmass von Generation zu Generation weitergegeben wird. Indem man durch Aktien und Dividenden als Mitbesitzer von Firmen mehr verdienen kann als durch die harte Arbeit der eigenen Hände. So gesehen ist das, was die Reichen an Steuern zahlen, alles andere als ein Geschenk an die Armen. Tatsächlich ist dieses Geld bloss ein kleiner Teil dessen, was die Reichen zuvor den Armen «geklaut» haben und nun «grosszügigerweise» zu einem winzigen Teil diesen wieder zurückgeben. So gesehen ist die 99-Prozent-Initiative der Juso weder unnötig noch überflüssig, sondern nicht mehr als ein dringend notwendiger Tropfen auf einen heissen Stein.

Zwei Milliarden Klimaflüchtlinge

Mohammed Ibrahim besass 60 Kamele. Sie waren die Lebensgrundlage seiner Familie. 55 davon sind gestorben. Verdurstet. Nun lebt er am Tschadsee, dem wichtigsten Frischwasservorkommen in Zentralafrika. 25’000 Quadratkilometer umfasste die Fläche des Lebensspenders noch in den 1960er Jahren. Doch sein Schicksal gleicht dem der Kamelherde von Ibrahim: Heute umfasst er noch 2500 Quadratkilometer Fläche – er ist um erschreckende 90 Prozent geschrumpft. Mohammed Ibrahims Geschichte zeigt, was gemäss Experten für einen Fünftel bis einen Viertel der Menschheit bis im Jahr 2050 Wirklichkeit werden wird. Denn Ibrahims Wanderung durch Niger, Nigeria und Tschad war eine Flucht aus unbewohnbar gewordenen Landstrichen nach einem Ort, in dem Leben überhaupt noch möglich ist… In Indonesien dagegen hat es nicht zu wenig, sondern zu viel Wasser: Sämtliche 17’000 Inseln des Archipels und 18’000 Kilometer Küste werden bis 2050 im Meer versunken sein. Das Meer vor Jakarta steigt jedes Jahr zwischen vier bis sechs Millimeter an. Doch die Megacity, die mit ihrem Umland für rund 30 Millionen Menschen Heimat ist, wird nicht nur vom Meer bedroht, sondern auch regelrecht verschluckt: Der Grundwasserspiegel sinkt jedes Jahr um drei bis 20 Zentimeter, wie der Klimabeauftragte des Inselstaates, Professor Rahmat Witoelar, erklärt. Er rechnet damit, dass bis 2050 65 Prozent der Bevölkerung seines Landes aus ihren angestammten Wohnorten flüchten müssen… Überflutungen, Erdrutsche, Wirbelstürme und dann wieder Dürreperioden – die südlichen und nördlichen Erdteile leiden jetzt schon ganz konkret unter den Folgen der Erderwärmung. Und in der Nähe der beiden Pole tickt eine weitere Zeitbombe: Der Permafrost muss umbenannt werden, denn permanent ist er schon längst nicht mehr. Betrug die Schmelze im sibirischen Permafrostgebiet im Jahr 1996 noch rund 45 Zentimeter Bodentiefe, sind es heute mit 87 Zentimetern bereits das Doppelte. «Wir werden hier unsere ganze Infrastruktur verlieren», sagt der Klimaökologe Nikita Zimov. Bei einer Wasseraufbereitungsanlage, die er als Beispiel zeigt, sind die Fundamente innert weniger Jahre freigelegt worden, das Erdreich, in dem das Gebäude befestigt war, ist einfach weggebrochen…  Experten erwarten bis 2050 bis zu zwei Milliarden Flüchtende, weil das Klima die Lebensgrundlage dieser Menschen zerstören wird.

(Monique Ryser, www.infosperber.ch)

Und dann sind genau jene, die bei jeder Gelegenheit gegen Flüchtlinge und Migranten hetzen, an vorderster Front mit dabei, wenn es darum geht, den menschlichen Einfluss auf die Klimaerwärmung in Frage zu stellen. Ist es wohl ihr heimlicher Wunsch, möglichst viele weltweite Flüchtlingsströme auszulösen – um aus der daraus entstehenden Fremdenfeindlichkeit politisches Kapital schlagen zu können?

Diese Bürde nicht den Jugendlichen alleine überlassen

Schon am dritten Tag liegen bei den Klima-Teenies die Nerven blank. Die Unzufriedenheit unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des «Smile For Future»-Klimagipfels in Lausanne ist förmlich zu spüren. Journalisten werden gebeten, den Raum zu verlassen. Die europäische Klimajugend will unter sich sein, wenn sie sich zofft und über ihre Probleme redet. Am heftigsten knallt es vor dem Saal. Ein Mädchen mit pinken Haaren stürmt raus, bricht heulend zusammen. Ein anderes setzt sich trotzig im Schneidersitz vor die Tür. Sie halte es da drinnen nicht mehr aus, erklärt sie. Nach und nach kommen weitere Teilnehmer dazu, knien neben ihr. Auch Greta Thunberg. Sie hört aufmerksam zu. Als das Mädchen in Tränen ausbricht, zögert Greta nicht, umarmt und tröstet sie. Die Tränen und Zusammenbrüche zeigen: Beim Strategietreffen in Lausanne stösst die europäische Klimajugend an Grenzen. Die Atmosphäre ist angespannt. Frust hat sich aufgestaut. Seit sieben Monaten gehen die «Fridays», wie sich die Teilnehmer der «Friday for Future»-Bewegung nennen, für den Klimaschutz auf die Strasse. Doch die Ergebnisse ihres Engagements werden nur langsam sichtbar. Viele fragen sich, ob sie stärker provozieren müssten – und sogar Gesetze brechen, wie es die Klimaschutz-Extremisten von «Extinction Rebellion» machen. Stark beschäftigt die Jugendlichen auch die Frage eines möglicherweise notwendigen «Systemwandels» – hier gehen die Meinungen weit auseinander, zwischen denen, die eine Lösung nur in Form einer Überwindung des Kapitalismus sehen, und jenen, die davon überzeugt sind, eine Lösung auch innerhalb des kapitalistischen Systems hinzukriegen. Auch ist immer noch unklar, was am Ende des Klimagipfels stehen soll: ein Strategiepapier? Ein Forderungskatalog? Die Teilnehmer sind in dieser Frage hoffnungslos zerstritten. Am Montag gab es kurzzeitig mehr als 30 Forderungen. Viele davon sind extrem spezifisch und beinhalten konkrete Massnahmen und Klimaziele. Das Problem: Die Forderungen sollen europaweit gelten und von allen Teilnehmern mitgetragen werden.

(www.blick.ch)

Ist ja logisch, dass es früher oder später so weit kommen musste. Alles ändere wäre reine Augenwischerei. In Anbetracht der Grösse und der Bedeutung des Vorhabens – schliesslich geht es um nicht weniger als das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten – versteht sich ja von selber, dass in der «Klimajugend» das Diskutieren unterschiedlicher Lösungswege auch zu Spannungen, zu gegensätzlichen Positionen bis hin zu Streitigkeiten und vielleicht sogar persönlichen Verletzungen führen kann. Dazu kommt die verständliche Enttäuschung, dass bis heute noch kaum sichtbare Fortschritte erzielt werden konnten – weiterhin wird immer mehr Energie verbraucht und weiterhin nimmt der Verkehr auf den Strassen und in der Luft von Tag und Tag weiter zu. Jetzt ist es endgültig an der Zeit, dass sich auch die bisher noch passiv gebliebenen Erwachsenen der Sache annehmen. Wir können schlicht und einfach nicht die Jugendlichen diese schwere Bürde, die sie sich aufgeladen haben, alleine tragen lassen – bis sie aus Erschöpfung oder Enttäuschung daran zerbrechen. Denn, wie es einst der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt so treffend formulierte: «Was alle angeht, können nur alle lösen.»

Problem der Klimaerwärmung bloss vor sich hergeschoben

In einem soeben veröffentlichten Papier mit dem Titel «Kurzstreckenflüge Zug um Zug auf die Schiene verlagern» fordern fünf Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, die DB bis 2035 nicht nur auf allen innerdeutschen Strecken «zur schnelleren, komfortableren und günstigeren Alternative zu machen», sondern auch im näheren grenzüberschreitenden Verkehr. Die Pünktlichkeit soll erhöht, die Bahnangebote in den Abend- und Morgenstunden ausgeweitet und der flächendeckende Ausbau stabiler Mobilfunk- und W-Lan-Verbindungen an Bord umgesetzt werden. Auch zu einer Rückkehr der eingestellten Nachtzüge soll es kommen. Und um den Verlagerungseffekt tatsächlich zu erreichen, soll nach dem Willen des grünen Quintetts nicht nur die Umsatzsteuer von 19 Prozent für den innerdeutschen Streckenanteil internationaler Flüge gelten, sondern auch eine europäische Kerosinsteuer für EU-weite Flüge eingeführt werden. Gleichzeitig soll der schienengebundene Fernverkehr nur noch mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent belegt werden.

(Der Freitag, 31/2019)

Alles gut gemeint. Und doch hat die Sache einen gravierenden Haken. Nicht durch Einsicht, sondern durch finanzielle Anreize sollen mit diesen Forderungen die Menschen vom Flugzeug auf den Zug umsteigen. Bloss: «Schnellere» und «komfortablere» Züge, eine Erhöhung der Pünktlichkeit, eine Ausweitung der Bahnangebote in den Abend- und Morgenstunden, eine Rückkehr der Nachtzüge sowie flächendeckende Mobilfunk- und W-Lan-Verbindungen – dies alles hat seinen Preis und verschlingt wiederum einen Teil jener Energie, die bei den Kurzstreckenflügen im besten Falle eingespart wird. Zudem ändert eine 19prozentige Umsatzsteuer auf Flugstrecken nichts an der Tatsache, dass das Fliegen weiterhin einen unverantwortbaren Anteil an der Klimaerwärmung hat. Die vorgeschlagenen Massnahmen wollen uns vorgaukeln, wir könnten unseren räuberischen, verschwenderischen Lebensstil unhinterfragt weiterfahren und müssten auf nichts, aber auch rein gar nichts verzichten. Appelliert wird letztlich an den unmündigen, ferngesteuerten Bürger, der nicht grundsätzliche Alternativen zur laufend zunehmenden Mobilität sucht, sondern bloss das gerade billigste und schnellste Verkehrsmittel. Damit schieben wir das Problem der Klimaerwärmung bloss vor uns her, statt es tatsächlich nachhaltig zu lösen.

Mit «Goodies» Lehrlinge ködern

Wer bei Lidl die Lehre macht, bekommt vom Betrieb ein General-Abo geschenkt. Der Detailhändler erhofft sich damit, als attraktiver Ausbildungsbetrieb wahrgenommen werden – der Discounter hat für 2020 knapp 50 Lehrstellen zu besetzen. Doch Lidl ist nicht der einzige Händler, der solche Anreize bietet: Bei Coop gibts unter anderem einen Laptop-Gutschein im Wert von 500 Franken. Die Migros wirbt um Lernende mit zusätzlichen Ferien und finanziellen Vorteilen bei der eigenen Bank. Media-Markt gibt Lehrlingen einen Laptop, den sie nach dem Abschluss behalten dürfen. Manche Firmen locken sogar mit Geldprämien. Der Kleiderhändler Chicorée zahlt für besonders gute Noten Semesterprämien von bis zu 1100 Franken – und 600 Franken beim Lehrabschluss als Detailhandelsfachfrau. Auch bei Ikea Schweiz gibts bei guten schulischen Leistungen ein Geschenk – und Aldi Suisse stellt ausser Erfolgsprämien auch Reisegutscheine in Aussicht. Weshalb sind alle diese Firmen plötzlich so grosszügig? Die Antwort ist einfach: Es wird immer schwieriger, die offenen Lehrstellen im Bereich Detailhandel zu besetzen – derzeit sind schweizweit 7500 Lehrstellen offen und der Markt ist völlig ausgetrocknet.

(www.20minuten.ch)

Vielleicht müsste man sich, statt grosszügig Geschenke zu verteilen, einige grundsätzliche Fragen stellen. Denn der Lehrlingsmangel betrifft ja nicht nur den Detailhandel, sondern vor allem auch Handwerksberufe wie Sanitär, Maurer oder Elektromonteur, Coiffeuse und viele mehr. Drei Massnahmen könnten diesem Missstand Abhilfe schaffen: Erstens die Einführung eines Einheitslohns. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb eine Detailhandelsangestellte weniger verdienen soll als eine Juristin oder eine Kinderärztin – braucht es doch, damit Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes funktionieren, alle beruflichen Tätigkeiten und würde alles wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, wenn die auf den «unteren» Etagen Arbeitenden sich nicht Tag für Tag im Schweisse ihres Angesichts abplagten, um das Leben und Arbeiten auf den «oberen» Etagen überhaupt erst möglich zu machen. Zweitens: Alle beruflichen Tätigkeiten verdienen nicht nur den gleichen Lohn, sondern, damit verknüpft, auch das gleiche gesellschaftliche Ansehen. Es wäre dann nicht mehr eine Frage des «Prestiges», welchen Beruf ein junger Mensch ergreifen würde, ausschlaggebend wären einzig und allein das persönliche Interesse und die vorhandenen Begabungen und Talente. Drittens: Dem Lehrlingsmangel am wirkungsvollsten begegnen würde man mit einer Abschaffung der Gymnasien. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb nicht  jeder junge Mensch nach dem Abschluss der Volksschule eine praktische Berufslehre absolvieren sollte, ein Ausbildungsweg, der auf ideale Weise Praxis und Theorie miteinander verbindet – schon heute können sämtliche Berufe auf diesem Weg, mit entsprechender späterer Fort- und Weiterbildung erlernt werden. Das immense Potenzial arbeitsfähiger junger Menschen im Alter von 16 bis 20 Jahren könnte somit sinnvoll für Wirtschaft und Gesellschaft genutzt werden, statt in einer theoretischen und praxisfernen schulischen «Scheinwelt» zu verpuffen.

Die Botschaft der Liebe

«Wir können nicht Individuen und Politiker für die Klimakrise verantwortlich machen. Das Problem ist das System. Wir sollten nicht so wütend gegenüber Politikern sein, wir sollten gegen sie keinen Hass hegen. Ich kenne viele, die gerne mehr tun würden, es aber nicht können. Menschen sind nicht böse, sie verstehen nur die Tragweite der Situation noch nicht.»

(Greta Thunberg an der Lausanner Weltklimakonferenz, www.nau.ch)

 

Was für eine wunderbare Botschaft der 16jährigen Klimaaktivistin. Auf der einen Seite ihr kompromissloser, unmissverständlicher Einsatz für eine dauerhafte und nachhaltige Bekämpfung der Klimaerwärmung. Auf der anderen Seite ihr ebenso kompromissloser Kampf gegen Hass und persönliche Schuldzuweisungen. Ja, das Problem sind nicht die Menschen. Das Problem ist das System, jener um etwa 1500 erfundene Kapitalismus, der seither Land um Land erobert hat bis zur heutigen Weltherrschaft, so dass wir uns etwas von Grund auf anderes schon kaum mehr vorzustellen vermögen. Keiner jener machtgierigen Männer und Welteroberer, die während Jahrhunderten die Herrschaft des Kapitalismus über die ganze Erde ausgebreitet haben, ist jemals dafür zur Rechenschaft gezogen worden. Die Bürde ist von Generation zu Generation weitergegeben worden und wurde dabei immer schwerer. Die heute lebenden Menschen haben nun das auszufressen, was uns im Laufe der Jahrhunderte aufgeladen wurde. Und genau deshalb sind wir alle nicht nur Täter, sondern vor allem Opfer in einem von unseren Vätern und Vorvätern gebauten Gefängnis, aus dem wir nur alle miteinander ausbrechen können oder mit dem wir alle miteinander untergehen. Die Botschaft der Liebe ist wohl Greta Thunbergs wichtigste Botschaft. Anders als frühere Revolutionen, in denen stets Menschen gegen Menschen kämpften und die daher auch nie wirklich erfolgreich waren, ist der heutige Kampf für ein Überleben auf diesem Planeten ein Kampf, der nur dann erfolgreich sein kann, wenn nicht Menschen gegen Menschen kämpfen, sondern alle Menschen gemeinsam für die Überwindung dieses kapitalistischen Systems, zu dessen Sklaven und Sklavinnen wir alle geworden sind. Noch sind wir ganz am Anfang, der Hass, der Greta Thunberg und ganz allgemein der Klimajugend in den sozialen Methoden entgegenschlägt, ist noch weit davon entfernt, sich in Liebe zu verwandeln. Umso bewundernswerter die Aufrichtigkeit, der Mut, die Entschlossenheit der jungen Menschen, an ihrem Credo der Liebe und des Friedens festzuhalten und nicht aufzugeben, bevor nicht eine Welt entstanden ist, die von Grund auf eine andere ist als die heutige.