Archiv des Autors: Peter Sutter

Ein langer Weg

Weltweit demonstrierten am Freitag mehrere Millionen Menschen für mehr Klimaschutz. Besonders gross waren die «Klimastreiks» in Deutschland mit insgesamt etwa 1,4 Millionen Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Am Nachmittag legte die deutsche Regierung ein lange erwartetes «Klimaschutzprogramm 2030» vor. Es setzt vor allem auf Subventionen und Steuern und will allein bis 2023 Dutzende von Milliarden investieren, um Verkehr und Wohnen klimafreundlicher zu machen. Die Demonstranten zeigten sich vom Plan, der aus ihrer Sicht viel zu wenig weit geht, bitter enttäuscht.

(Tages-Anzeiger, 21. September 2019)

Wann endlich begreifen wir, dass ein Überleben der Menschheit nur dann möglich ist, wenn wir uns vom kapitalistischen Profitmaximierungsmodell und von der Illusion einer unersättlichen, nach immer mehr überflüssigen Gütern und Dienstleistungen schreienden Luxusgesellschaft befreien? Wenn wir die Lebensweise der «entwickelten» Länder des Nordens zum Massstab nehmen und die «unterentwickelten» Länder des Südens und des Ostens uns in immer schnellerem Tempo nacheifern, dann rückt im gleichen Tempo auch das Ende der Menschheit immer schneller auf uns zu. Es ist eine unbequeme Wahrheit, aber es gibt dazu keine Alternative: In gleichem Masse, wie an anderen Orten der Wohlstand wächst, müssen wir auf der anderen Seite einen Teil unseres Wohlstands und unseres Reichtums abgeben – und zwar genau so lange, bis alles wieder im Gleichgewicht ist, sowohl zwischen den Menschen jedes einzelnen Landes, als auch zwischen den Ländern und zwischen den Menschen und der Erde. Das ist freilich noch ein langer Weg. Ein langer Weg, der mit den gestrigen Klimaprotesten noch nicht am Ende war, sondern erst so richtig begonnen hat…

Flugticketabgabe: Nicht radikal genug

Nun hat der Nationalrat, nachdem er dies letzten Dezember noch abgelehnt hatte, doch noch, mit 112 zu 61 Stimmen bei 10 Enthaltungen, einer Flugticketabgabe zugestimmt. Ein weiterer schöner Erfolg der Klimastreikbewegung.

(www.tagblatt.ch)

Und doch noch lange kein Grund, sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Denn anzunehmen, dies werde zu einer Reduktion des Flugverkehrs führen – sowie, als Folge einer Benzinpreiserhöhung, zu einer Reduktion des Autoverkehrs -, wäre wohl reine Illusion, viel zu gering sind die vorgeschlagenen Abgaben. Und wären sie massiv höher, wäre man sogleich mit dem – berechtigten – Vorwurf konfrontiert, nun könnten sich nur noch die Reichen die Benützung dieser Verkehrsmittel leisten. Was also dann? So verrückt, so unrealistisch, so utopisch es im Moment auch klingen mag, aber wir werden nicht darum herum kommen, auf das Fliegen wie auch auf das Fahren mit einem Privatauto zukünftig schlicht und einfach zu verzichten. Wenn wir es heute nicht freiwillig tun, dann wird uns die «Klimakrise» mit all ihren verheerenden Folgen schon sehr bald dazu zwingen. Schon heute leben Millionen von Menschen in Europa ohne Privatauto und ohne jemals ein Flugzeug zu benützen. Was hindert die anderen Millionen daran, es ihnen gleichzutun?

Was haben die Wahlen in Tunesien mit den Wahlen in der Schweiz zu tun?

An den Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Wochenende in Tunis beteiligte sich nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung. Grund ist eine weit verbreitete Ernüchterung über die soziale und wirtschaftliche Situation des Landes, die Hoffnungen, die mit der Revolution von 2011 und dem Ende der alten Regierung verbunden waren, haben sich weit gehend in nichts aufgelöst. Offensichtlich, so tönt es allenthalben, seien die Politiker, die seit acht Jahren an der Macht seien, nicht willens oder nicht fähig, sich der Sorgen ihrer Bürgerinnen und Bürger anzunehmen.

(Tages-Anzeiger,17. September 2019)

Was haben die Präsidentschaftswahlen in Tunesien mit den Parlamentswahlen in der Schweiz vom kommenden Oktober miteinander zu tun? Auf den ersten Blick: nichts. Auf den zweiten Blick: sehr viel. Nichts, wenn man die nationalstaatlichen Grenzen zum Massstab nimmt: Hier die Schweiz, dort Tunesien, zwei voneinander gänzlich unabhängige, unterschiedliche Staatsgebilde mit ihren je spezifischen Strukturen, Gesetzen, Verfassungen, Organisationen und Parteien. Viel dagegen haben die Wahlen in der Schweiz und in Tunesien miteinander zu tun, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die weltweiten – kapitalistischen – Wirtschaftsverflechtungen weder an der Grenze der Schweiz, noch an der Grenze von Tunesien Halt machen. Beide Länder sind Teil einer globalisierten Welt, in der einzelne Länder und Regionen zu den Gewinnern gehören und andere zu den Verlierern, was nicht so sehr eine Frage «fähiger» oder «unfähiger» Politiker und Politikerinnen ist, sondern viel mehr die Frage, in welche Rolle der kapitalistische Markt dieses oder jenes Land gedrängt hat. Tunesien könnte noch so fähige Politiker und Politikerinnen haben, die Lage der Bevölkerung würde sich kaum merklich verbessern. Und umgekehrt könnte die Schweiz noch so unfähige Politiker und Politikerinnen haben, der hierzulande herrschende Wohlstand wäre kaum gefährdet. Dass die Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern so gross sind, hat damit zu tun, dass wir zwar in einer – immer stärker – globalisierten Welt wechselseitiger Wirtschafts- und Ausbeutungsbeziehungen leben, die Politik, erstarrt in den Strukturen des 19. Jahrhunderts, uns aber immer noch vorgaukelt, das Entscheidende und Wesentliche sei der Nationalstaat. Wir bräuchten daher, um diese Wechselbeziehungen offen zu legen, so etwas wie ein Weltparlament, in dem jeder Staat gemäss seiner Bevölkerungszahl angemessen vertreten wäre. Denn, ob Klima, Politik, Wirtschaft oder Soziales: Dauerhafte Lösungen können niemals darin bestehen, dass sich Einzelne Vorrechte gegenüber anderen erkämpfen und die Welt weiterhin in Sieger und Verlierer aufgeteilt bleibt. «Was alle angeht», sagte schon der bekannte Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, «können nur alle lösen.»

Globales Finanzsystem: «Es gibt keinen Notausgang»

In der grossen Finanzkrise 2008 wechselten Behörden und Zentralbanken überall auf der Welt in den Notfallmodus. Sie retteten Banken, Staaten und den Euro vor dem Zusammenbruch. Alle Patienten erhielten dasselbe Medikament: frisches Geld. Bis heute wurde die Dosis stetig erhöht. Doch was damals heilsame Medizin war, ist mittlerweile pures Gift. Die Geldpolitik der Zentralbanken ist ausser Kontrolle geraten. «Wir sind immer noch im Ausnahmezustand», sagt Volkswirtschaftsprofessor Aymo Brunetti von der Uni Bern. «Geldpolitisch sind wir in einer Welt, in der wir noch nie waren.» Die Zentralbanken hätten einen Ozean an Liquidität geschaffen. «Das Ausmass ist gigantisch.» – «An den Börsen sieht man die Übertreibungen glasklar», sagt Adriel Jost, Chefökonom beim Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners. «Die Fallhöhe wird immer grösser.» – «Die Börsen sind im Drogenrausch», sagt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff . «Die Dosierungen werden höher und höher.» Die Gefahr, dass die Blase platze, werde immer grösser. «Irgendwann haut uns eine Überdosis um.» Gibt es keine Exitstrategie aus dieser geldpolitischen Misere? «Nein», sagt Martin Neff, «es ist eine Art Schrecken ohne Ende. Es gibt keinen Notausgang.»

(www.blick.ch)

Ein globales Finanzsystem, das ausser Rand und Band geraten ist. Experten, die weder ein noch aus wissen und keine Rezepte mehr zur Verfügung haben, um das Ganze wieder in den Griff zu bekommen. Das Eingeständnis, dass es auch keinen «Notausgang» mehr gibt. Heisst dies alles nicht, dass es definitiv höchste Zeit ist für einen radikalen Systemwechsel? Jedenfalls werden die Probleme des kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystems nicht mit kapitalistischen Instrumenten zu lösen sein. Es braucht ein von Grund auf neues System, das sich von jener Scheinwelt, «in der wir noch nie waren», verabschiedet, um wieder auf dem Boden der Realität anzukommen. Geld nicht mehr als Machtmittel, nicht mehr als Seifenblasen, die früher oder später platzen müssen, nicht mehr als Spielzeug zwischen verschiedenen Scheinwelten, sondern: Geld als das, was sein ursprünglicher Zweck war, nämlich reines Tauschmittel und Äquivalent zu realen Dingen und Dienstleistungen. Vielleicht ist es falsch, das Finanzsystem den Finanzexperten zu überlassen, die sind mittlerweile so sehr in ihrem selber gebauten Denkgefängnis eingebunden, dass sie sich etwas von Grund auf anderes wohl schon gar nicht mehr vorzustellen vermögen. Vielleicht wäre es besser, wenn ganz «gewöhnliche» Menschen über alle Grenzen hinweg, von der kanadischen Hausfrau über den indischen Reisbauern bis zur australischen Biologiestudentin, sich an einen Tisch voller weisser Blätter setzen würden, um das globale Finanzsystem noch einmal neu zu erfinden…

 

Die SVP und das Schweizer «Erfolgsmodell»

«Die Konsequenzen der ungesteuerten Massenzuwanderung von einer Million mehr Menschen in den letzten 13 Jahren sind für unsere Bürgerinnen und Bürger täglich spürbar», lesen wir in der Wahlzeitung der SVP, welche in alle Haushaltungen verteilt worden ist. Und weiter: «Staus auf den Strassen, herumlungernde, betrunkene und gewalttätige Asylsuchende und jugendliche Migranten sowie verbaute Grünflächen, steigende Gesundheits- und Sozialhilfekosten, Respektlosigkeit und Gewaltandrohung gegenüber Polizisten, Lehrerinnen, Pflegefachfrauen, Sozialarbeiterinnen und jungen Frauen im Ausgang sind an der Tagesordnung.» In der Folge, wie könnte es anders sein, plädiert die SVP für eine weitgehende Beschränkung der Zuwanderung, um alle diese Missstände in den Griff zu bekommen und das «Erfolgsmodell Schweiz» zu retten.

Menschenverachtender geht es nicht mehr. Wenn hier argumentiert wird, weniger Ausländerinnen und Ausländer einwandern zu lassen, um das «Erfolgsmodell» Schweiz zu retten, so ist das nichts anderes als ein Schlag ins Gesicht all jener Ausländerinnen und Ausländer – Putzfrauen, Bauarbeiter, Serviceangestellte, Köche, Landarbeiter, Kehrichtmänner, Zimmermädchen, Ärzte, Krankenpflegerinnen, Fabrikarbeiter, usw. -, ohne deren unermüdlichen Arbeitseinsatz zu meist karger bis sehr karger Entlöhnung das «Erfolgsmodell Schweiz» schon längstens in sich zusammengebrochen wäre. Ist die SVP nicht jene Partei, die sich an vorderster Front für Schweizer «Werte» starkmacht? Gehören dazu nicht auch Ehrlichkeit, Respekt, Bescheidenheit und Toleranz? Wie wäre es, wenn die SVP all jenen Hunderttausenden von Ausländerinnen und Ausländern, die unser Schweizer «Erfolgsmodell» überhaupt erst möglich machen, für einmal ein Dankeschön aussprechen würde, statt bloss bei jeder Gelegenheit auf ihnen herumzuhacken?

Und niemand müsste sich schämen…

Grosses Verwechslungschaos bei der Migros-Tochter Micarna: Viele Mitarbeiter des Fleischverarbeitungsbetriebs erhielten am Mittwoch per Post zusätzlich zum eigenen Lohnauszug jeweils den eines anderen Mitarbeiters. «Die Angestellten», so R.A. (24), «haben sich extrem darüber aufgeregt. Denn niemand will, dass der andere erfährt, wie viel er verdient.»

(20minuten, 13. September 2019)

Kein Wunder, ist das bestgehütete Geheimnis der Schweizerinnen und Schweizer der Lohn. Ein nahezu religiöses Dogma: Über den Lohn spricht man nicht. Denn dann müsste man sich ja schämen: Entweder weil man so viel mehr verdient als andere, was man gar nicht wirklich verantworten kann. Oder weil man so wenig verdient, dass jeder andere denkt, der sei zu faul oder mit dem stimme sonst etwas nicht. Aber wahrscheinlich spüren nur alle eine riesige Ungerechtigkeit. Und wahrscheinlich wären sie wirklich am glücklichsten, wenn sie alle genau gleich viel verdienen würden. Dann müsste sich niemand mehr schämen, alle könnten offen über ihren Lohn sprechen und am Abend könnten sie sich mit gutem Gewissen zu Bett legen. In der Schweiz würde der Einheitslohn etwa 6500 Franken betragen, von der Putzfrau über den Baggerführer bis zum Chefarzt. Es wäre schon fast so etwas wie das Paradies…

Eine Demokratie der verzauberten Bäume

Ob auf Wahlpodien, in Abstimmungszeitungen oder in Diskussionssendungen am Fernsehen: Kein Politiker fordert eine öffentliche Einheitskrankenkasse, obwohl sich eine solche auf die Gesundheitskosten ohne Zweifel überaus mässigend auswirken würde. Und keine Politikerin fordert ein generelles Waffenausfuhrverbot, obwohl es auch hierfür mehr als genug gute Gründe gäbe. Und schliesslich gibt es auch weit breit keinen Politiker und keine Politikerin, die eine Abschaffung der Schweizer Armee befürworten würde. Der Grund liegt auf der Hand: Über alle diese und vieleweitere Postulate wurde vor kürzerer oder längerer Zeit abgestimmt, sie fanden an der Urne keine Mehrheit, somit sind sie sozusagen abgehakt, erledigt

Doch das wirft ein paar grundsätzliche Fragen auf: Denn es ist ja nicht so, dass weit und breit niemand den betreffenden Abstimmungsvorlagen Sympathien entgegengebracht hätte. Im Gegenteil: Nicht selten betrug der Ja-Anteil 30 Prozent oder mehr, was nichts anderes heisst, als dass rund eine Million Schweizer und Schweizerinnen der betreffenden Vorlage zugestimmt hatten. So etwa erhielt 1987 die Initiative für eine koordinierte Verkehrspolitik 45,5 Prozent Ja-Stimmen. Der Armeeabschaffungsinitiative von 1989 stimmten 36 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zu. 33,3 Prozent sagten im Jahre 1998 Ja zum Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulation. 2000 erhielt die Initiative für eine Halbierung des motorisierten Strassenverkehrs – ein aus heutiger Sicht brandaktuelles Begehren – 21,3 Prozent Ja-Stimmen. 2001 würde über Tempo 30 generell innerorts abgestimmt, 20,3 Prozent waren dafür. Der Einführung einer sozialen Einheitskrankenkasse stimmten 2007 28,8 Prozent der Bevölkerung zu. 2007 wurde über eine Initiative gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtschutz der Tiere abgestimmt, 29,5 Prozent sagten ja. 2009 ging es um ein Verbot von Kriegsmaterialexporten, 31,8 Prozent waren dafür. Im gleichen Jahr hatten die Schweizerinnen und Schweizer über die Einführung von sechs Wochen Ferien für alle zu befinden, 33,5 Prozent fanden es eine gute Idee. Um die Einführung eines Mindestlohns von 4000 Franken ging es 2012, 23,7 Prozent stimmten dieser Vorlage zu. 2014 kam es zu einer Neuauflage einer Einheitskrankenkassenvorlage, diesmal gab es immerhin bereits 38,1 Prozent Ja-Stimmen. Und schliesslich die Abstimmung über die Vorlage «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln», ebenfalls 2014, mit einem Ja-Anteil von 40,1 Prozent.

Was bedeutet dies? Es ist eine Demokratie der «Sieger», eine Demokratie der mathematischen Mehrheit, die, davon gehen wir offensichtlich aus, immer Recht hat. Die «Verlierer» bleiben auf der Strecke, ihre Argumente verschwinden in nichts, ihre Ideen, Wünsche und Visionen werden, selbst wenn sie einen Stimmenteil von 49,9 Prozent erzielt hätten, im Augenblick der Abstimmung, welche sie verloren haben, pulverisiert. Dabei haben sie sich mit den entsprechenden Vorlagen wohl ebenso gründlich auseinandergesetzt wie ihre politischen «Gegner», nur sind sie zu anderen Schlüssen gelangt. Wäre Demokratie nicht bloss die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, dann müsste man Mittel, Wege und Instrumente entwickeln, mit denen das Gedankengut, das Wissen, die Ideen und der Erfahrungsschatz der «Unterlegenen» in die jeweilige Ausgestaltung neuer gesellschaftlicher Konzepte einfliessen könnten.

Zurück zu unseren Politikern und Politikerinnen, die gewisse Themen gar nicht mehr ansprechen, weil sie bereits irgendwann durch eine entsprechende Volksabstimmung «erledigt» wurden. Das erinnert an Bäume, die verzaubert wurden. Und verzauberte Bäume berührt man nicht mehr. Mit anderen Worten: Man spricht nicht mehr von der Einführung einer Einheitskrankenkasse. Man spricht nicht mehr von der Abschaffung der Armee. Man spricht nicht mehr von einem generellen Ausfuhrverbot von Kriegsmaterial. Man spricht nicht mehr von sechs Wochen Ferien für alle. Man spricht nicht mehr von einem Mindestlohn für alle. Man spricht auch nicht mehr – obwohl dieses Problem dringender denn je einer Lösung bedarf – von einer Halbierung des motorisierten Strassenverkehrs. Das alles sind Tabus, verzauberte Bäume. Eine fatale Entwicklung, führt sie doch dazu, dass immer mehr Bäume verzaubert sind und der Platz dazwischen, wo noch neue Bäume gepflanzt werden können, immer kleiner wird…

Parlamentswahlen: Demokratie pur oder nur Scheindemokratie?

Kein Tag, an dem am Fernsehen und Radio keine Diskussionssendung zu den bevorstehenden National- und Ständeratswahlen ausgestrahlt wird. Keine Strasse ohne Wahlplakate. Keine Zeitung ohne Inserate mit den für die Parlamentswahlen kandidierenden Köpfe. Kein Briefkasten, in dem nicht beinahe im Tagesrhythmus Flyer und Wahlprospekte zu finden sind. Keines der sozialen Medien, auf dem nicht mit allen möglichen und unmöglichen für Kandidierende geworben wird. Demokratie pur in einem Land, in dem die freie Meinungsäusserung zu einem der höchsten gemeinsamen Güter gehört. Und doch hat das Ganze einen Riesenhaken. Schaut man sich nämlich die Aussagen, politischen Positionen und Versprechungen der einzelnen Kandidierenden etwas genauer an, dann stellt man sehr schnell einmal fest, dass nicht ein einziger dieser Politiker, nicht eine einzige dieser Politikerinnen das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem grundsätzlich in Frage stellt und die Einführung einer nichtkapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fordert. Niemand stellt das Privateigentum in Frage. Niemand findet, dass die Fabriken denen gehören sollten, die darin arbeiten. Niemand fordert einen Einheitslohn. Niemand stellt das Dogma des immerwährenden Wirtschaftswachstums grundsätzlich in Frage. Niemand hat die Entliberalisierung und Entprivatisierung öffentlicher Dienstleistungsunternehmen auf seiner politischen Agenda. Niemand fordert die Abschaffung der wundersamen Geldvermehrung durch Zins und Zinseszins. Und so entpuppt sich unsere angeblich lupenreine Demokratie in Tat und Wahrheit als alles durchdringende Diktatur des Kapitalismus, in der sich die verschiedenen politischen Parteien zwar in einzelnen Themen und Fragestellungen mehr oder weniger voneinander unterscheiden mögen, im Grunde jedoch im gemeinsamen Konsens zur Erhaltung des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems insgeheim miteinander verbündet sind. Was nichts anderes bedeutet, als dass wir sozusagen in einer Scheindemokratie leben, in der die angeblich so unterschiedlichen politischen Parteien bloss einzelne Fraktionen einer letztlich grossen kapitalistischen Einheitspartei sind. Das Fatale daran ist nicht nur, dass auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit alternativen, nichtkapitalistischen Visionen verunmöglicht wird, sondern vor allem auch, dass kapitalistisches Denken offensichtlich schon so umfassend in unsere Köpfe eingedrungen ist, dass wir uns eine Alternative zum Kapitalismus offensichtlich schon gar nicht mehr vorzustellen vermögen.

«Renn zur Million» – egal, was für einen Preis du dafür bezahlen musst

Sie war Sportsoldatin bei der Bundeswehr, professionelle Bobfahrerin und Teilnehmerin des diesjährigen Dschungelcamps. Doch so eine Blessur wie bei den Dreharbeiten zur ProSieben-Show «Renn zur Million … wenn Du kannst!» hat sich Sandra Kiriasis in ihrer gesamten Laufbahn nicht zugezogen. Die 44-Jährige stürzte aus drei Metern Höhe von einem Hindernis und rammte sich ihr Knie an das rechte Auge. «Beim Überqueren einer sich drehenden Walze bin ich abgerutscht. Während ich gefallen bin, dachte ich nur: Scheiße …! Leider hat es dann gekracht und ich hatte mein eigenes Knie am Kopf. Und ziemlich schnell bekam ich ein Riesen-Horn über der Augenbraue. Ich wurde direkt vor Ort versorgt und dann ins Krankenhaus gefahren und untersucht. Es war zum Glück nichts gebrochen», sagte Kiriasis.

(www.stern.de)

Kurz nach dem Vorfall beeilte sich der TV-Sender ProSieben mitzuteilen, dass in der abendlichen Ausstrahlung der Sendung der Sturz von Sandra Kiriasis in voller Länge gezeigt würde. Was die Einschaltquoten in die Höhe treibt, ist heilig. Und so wird die 44jährige Dschungelkämpferin in all den Sendungen, bei denen sie mitmachte, den betreffenden TV-Anstalten wohl um einiges mehr an Profit eingebracht haben, als sie jemals an Preisgeld bekommen wird. Schöne kapitalistische Welt. Und Millionen von Menschen schauen zu und haben ihre helle Freude daran…

Synthetisches Kerosin als einzige Alternative?

Ein Modell für schadstoffarmes Kerosin – das haben der grünliberale Nationalrat und Chemiker Martin Bäumle, ETH-Professor Anthony Patt sowie Peter Metzinger, FDP-Politiker und Physiker, gemeinsam entwickelt. Der Plan sieht so aus: Auf Flugtickets wird eine Gebühr erhoben, die tief angesetzt ist. Das Geld fliesst nicht wie bei einer Lenkungsabgabe an die Bevölkerung zurück; es wird für die Entwicklung von synthetischem Kerosin eingesetzt. Der Flughafen Zürich und die Fluggesellschaft Swiss reagieren positiv auf den neuen Plan. Eine Swiss-Sprecherin erklärt, es handle sich um die einzige Option, die das Fliegen künftig klimaneutral machen könnte.

(NZZ am Sonntag, 8. September 2019)

Wenn die Swiss-Sprecherin meint, synthetisches Kerosin wäre die einzige Option für klimafreundliches Fliegen, dann irrt sie sich gewaltig. Es gibt nämlich eine viel näherliegende Option: überhaupt nicht zu fliegen. Weshalb können sich das so viele Menschen nicht vorstellen? Es muss etwas zu tun haben mit dem Grundbedürfnis nach «Freiheit»: Sowohl das Auto wie auch das Flugzeug vermitteln dieses Gefühl von Freiheit, zu jedem beliebigen Zeitpunkt schnell und bequem von jedem beliebigen Punkt A an jeden beliebigen Punkt B zu gelangen. Ein Gefühl, das vermutlich gerade deshalb so wichtig ist, weil es anderen Orten, insbesondere in der Arbeitswelt, aber auch in der Schule, viel zu kurz kommt. Wir sprechen zwar immer von der «freien» Marktwirtschaft, doch der einzelne Mensch wird immer mehr zu einem winzigen Rädchen, das je länger je mehr nur nach vorgeschriebenen Zwängen zu funktionieren hat. Wird die Freiheit am einen Ort dermassen eingeschränkt, so muss man sich nicht wundern, wenn sie am anderen umso heftiger aufbricht. So legt der durchschnittliche Schweizer, die durchschnittliche Schweizerin pro Jahr fast 25’000 Kilometer zurück, das ist die Distanz von Zürich nach Hawaii und umgekehrt, den allergrössten Teil davon mit Flugzeug und Auto – eine Steigerung von 21 Prozent in den letzten fünf Jahren! Das, liebe Swiss-Sprecherin, wäre doch auch eine Option: Dass die Arbeitswelt so umgestaltet wird, dass sich jeder Mensch in seiner täglichen Arbeit möglichst frei, autonom und selbstbestimmt fühlen kann. Wetten, dass dadurch das Bedürfnis nach möglichst vielem und weitem Reisen mit Auto und Flugzeug schlagartig abnehmen würde…