Archiv des Autors: Peter Sutter

Klimawandel in Kenia: «Dann können wir wohl am Ende nur auf unseren Tod warten.»

Früh am Morgen treibt Roba Guyo seine kleine Ziegenherde in die dürre Landschaft hinaus. Immer weiter muss er laufen, denn durch die dauernde Hitze wächst kaum Grün an den dornigen Sträuchern, die Erde ist staubig und trocken. Sein Leben lang ist er schon Hirte, aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Roba Guyo ist verzweifelt. «Die Herausforderung durch das Klima macht mich fertig», sagt er. Das größte Problem sei die Trockenheit. «Wir können nichts anderes, wir haben nichts anderes gelernt.» Auf dem Boden liegen überall ausgebleichte Knochen der Tiere herum, die die große Dürre von 2017 nicht überlebt haben. Roba Guyo verlor damals den größten Teil seiner Herde. Den kleinen Rest treibt er jetzt zum Wasserloch. Nur um zehn Uhr morgens dürfen die Hirten es nutzen, so hat es das Dorf Badanreero im Norden Kenias beschlossen. Das Wasser ist zu kostbar. Im Dorf gibt es sogar Waffen, um den Teich zu verteidigen. Erst vor kurzem wurden in den benachbarten Hügeln vier Menschen bei einem Kampf ums Wasser getötet. Immer wieder trocknet das Loch komplett aus. Trocken sei es hier schon immer gewesen, doch das Klima verschärfe sich, erzählt Roba Guyo. Die Hitze werde extremer. Wenn Regen komme, gebe es aufgrund des trockenen Bodens Springfluten. Dima Guyo, die Frau des Hirten, kann es einfach nicht verstehen. «Die Menschen im Norden müssen ihr Verhalten ändern und aufhören mit den Dingen, die am Ende diese Hitze produzieren», sagt sie. «Unsere Tiere sollen nicht sterben.» Und sie denkt vor allem auch an die Kinder, die sich in der Schule vor Hitze kaum konzentrieren können und manchmal auch einfach umfallen. «Wenn sich gar nichts ändert», sagt sie, «dann können wir wohl am Ende nur auf unseren Tod warten.»

(Caroline Hoffmann, Nairobi, www.ard.de)

Wie viele solcher Meldungen braucht es wohl noch, bis auch dem letzten Unbelehrbaren unter uns die Augen aufgehen?

 

Wir brauchen den mündigen Menschen – alles andere ist Augenwischerei

Rund 30 Millionen Passagiere fliegen jedes Jahr ab Schweizer Flughäfen. Mit einer Flugticketabgabe will der Ständerat diese Zahl reduzieren und damit auch die Menge der verursachten Treibhausgase. Doch Urs Ziegler, Leiter der Sektion Umwelt beim Bundesamt für Zivilluftfahrt, verspricht sich von einer solchen Massnahme nicht allzu viel: «Es ist fraglich, ob eine Reduktion der CO2-Emissionen der Luftfahrt mit den vom Ständerat beschlossenen Massnahmen erreicht wird.» Wenn tatsächlich zehn Prozent der Passagiere aufgrund der Abgabe auf einen Flug verzichten würden, bedeute dies noch lange nicht, dass deshalb weniger Flugzeuge fliegen würden. Auch die Swiss rechnet nur mit einer marginalen Reduktion der Emissionen. Als weitere Folge könnte aber die Zahl der Passagiere, die aus der Schweiz über Umwege ans Ziel fliegen, steigen und sich damit die globale CO2-Bilanz noch verschlimmern.

(NZZ am Sonntag, 13. Oktober 2019)

Die wirksamsten Massnahmen gegen den Klimawandel wären Einsicht, Vernunft und gesunder Menschenverstand. Einschränkungen nur über den Geldbeutel herbeizwingen zu wollen, ist der falsche Weg. Denn es gibt stets noch genug Vermögende, die sich, auch wenn alles teurer wird, weiterhin jedes erdenkliche Luxusvergnügen leisten können. Finanzielle Anreize gehen von einem unmündigen Bürger, einer unmündigen Bürgerin aus, die selber nicht denken kann, sondern sich so verhält wie ein Hund, der stets dorthin eilt, wo die schmackhafteste Wurst auf ihn wartet. Abgesehen davon ist der finanzielle Ansatz ohnehin ein Fass ohne Boden: Man müsste dann nämlich konsequenterweise auch alle Tropenfrüchte massiv verteuern, sämtliche Fleischwaren, alle Smartphones, Tablets und Computer, die Kreuzfahrten, alle aus China und anderen fernen Ländern importierten Spielzeuge und Luxusgüter. Wir brauchen den mündigen Menschen, der selber denkt und sein Konsum- und Freizeitverhalten nicht daran orientiert, wie teuer oder billig etwas ist, sondern, wieweit es der Umwelt und dem Klimaschutz schadet oder nützt.

Digitalisierung und Klimawandel

Eine weisse Wolke am blauen Himmel ist etwas Luftiges, Leichtes, manchmal Verspieltes, beinahe Immaterielles. Wohl deshalb verorten viele die Cloud, die Datenwolke, intuitiv ebenfalls irgendwo «am Himmel» und nutzen die Segnungen der Digitalisierung, ohne an Online-Umweltverschmutzung zu denken. Dabei entfallen auf die globale IT-Branche weltweit rund sieben Prozent des Stromverbrauchs… Gesamthaft wächst der Datenberg gewaltig. Die Internet-Nutzung in all ihren Facetten verdoppelt sich etwa alle ein bis zwei Jahre. Die Daten- und Energiemengen wachsen in astronomische Höhen. Die grossen Treiber sind einerseits die stark zunehmende private und betriebliche Nutzung von Handys, Tablets, PC etc., anderseits die totale globale Vernetzung, das «Internet der Dinge» (IoT), das Cloud-Computing, das Video-Streaming. Zudem ist jeder kleinste Klick im Internet nur dank einer massiven Infrastruktur möglich: Router, Übertragungsnetze, Antennen, Rechenzentren und riesige Serverfarmen… Die gesamte Informations- und Kommunikationsbranche verursacht knapp halb so viel Treibhausgasemissionen wie der gesamte Motorfahrzeugverkehr – und deutlich mehr als die Verkehrsflugzeuge: Der Anteil der Luftfahrt an den globalen CO2-Emissionen liegt bei 2,5 Prozent, der IT-Sektor pustet 3,7 Prozent CO2 in die Atmosphäre… Riesig ist die graue Energie, die für die Produktion eines Smartphones benötigt wird: Insgesamt werden etwa 30 verschiedene Metalle benötigt, um ein Handy zu produzieren. Und im Laufe seines Lebens verbraucht ein Smartphone alles in allem etwa 73,3 Kilogramm an Ressourcen – während es selbst nur etwa 80 Gramm wiegt… Bei jedem Eintritt in die Online-Welt wird eine gewaltige Maschinerie in Gang gesetzt: Wäre das Internet ein Land, hätte es den sechsthöchsten Stromverbrauch… Die Rechenzentren als Datenfabriken des digitalen Zeitalters fressen viel Strom, etwa drei Prozent des schweizerischen Stromverbrauchs; besonders problematisch ist die dauernde Kühlung. Beim Energieverbrauch im IT-Sektor findet ein Wettlauf mit der Zeit statt. Einerseits werden die Geräte effizienter und die Rechenzentren sparsamer, anderseits wachsen die Rechenleistung der Geräte, die Anwendungsfelder und die Datenmenge dramatisch. Eine einzige Überweisung der virtuellen Kryptowährung Bitcoin verbraucht so viel Strom, wie ein US-Amerikaner in einer Woche.

(Jürg Müller-Muralt, www.infosperber.ch, 12. Oktober 2019)

 

Es müsste mal ein Gremium kritischer Nutzerinnen und Nutzer digitaler Medien zusammensitzen und darüber nachdenken, welches sinnvolle Nutzungen sind und auf welche Nutzungen man problemlos verzichten könnte, ohne dass die Lebensqualität erheblich darunter leiden würde. Wetten, dass man den IT-Konsum damit auf maximal zehn Prozent des heutigen Gebrauchs reduzieren könnte. Muss man sich, zum Beispiel, auf seinem Smartphone jederzeit und überall jeden beliebigen Spielfilm anschauen können? Bestehen nicht 90 Prozent der täglich verschickten SMS aus reinem Schrott, den man auf ein paar wenige Worte pro Tag reduzieren könnte? Muss man sich seine Fahrkarte zwingend per Smartphone kaufen oder täte es auch der gute alte Billettautomat am Bahnhof? Gibt es irgendeinen plausiblen Grund, von jeder Ferienreise Hunderte von Bildern zu schiessen, von denen man vermutlich die wenigstens jemals noch anschauen wird? Der Beispiele gäbe es noch viele. Und ein riesiger Handlungsbedarf, nicht zuletzt im Hinblick auf die drohende Klimaerwärmung…

«System Change» – kein Sonntagsspaziergang

Weite Teile der Klimajugend fordern einen «System Change». Und auch die Sozialdemokratische Partei der Schweiz hat die «Überwindung des Kapitalismus» als politisches Ziel in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Bloss: Was heisst das konkret, die Überwindung des Kapitalismus? Das wäre alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Es wäre vielmehr eine so umfassende und komplexe Angelegenheit, dass die gängigen Kommunikationsmittel auch nicht im Entferntesten genügen würden, sich vertieft mit diesem Thema zu beschäftigen. Weder eine Nachricht auf Twitter, noch ein Post auf Facebook, noch ein Flyer, ein Transparent oder eine Fahne vermögen auch nur einen Bruchteil dessen zu vermitteln, wie eine Welt ohne Kapitalismus aussehen würde und auf welchem Wege man dorthin gelangen könnte. Es bräuchte ein mindestens 500 Seiten dickes Buch, um Ziele und Methoden dieser politischen Arbeit einigermassen angemessen abzuhandeln. Doch wer liest heute noch 500seitige Bücher und vor allem müsste ein solches Buch überhaupt erst einmal geschrieben werden. Was also tun? Eine Möglichkeit wären vielleicht so etwas wie Zukunftswerkstätten, die sich diesem Thema widmen könnten und an denen sich all jene Kinder und Jugendlichen der Klimabewegung beteiligen würden, die von einem «System Change» träumen. Das wären so etwas wie Wurzeln einer neuen, nichtkapitalistischen Zeit, aus denen dann nach und nach der Stamm und all die Äste und Zweige hervorspriessen würden, die den Baum schliesslich in einer ganzen Vollkommenheit erstrahlen lassen. Dies hat sogar gegenüber dem 500seitigen Buch den grossen Vorteil, dass nicht eine einzelne Person, sondern Millionen von kreativen, phantasievollen, vom herrschenden Denksystem noch weitgehend unverdorbenen jungen Menschen am Aufbau dieser neuen Zeit mitarbeiten könnten – denn woher sonst soll das Neue kommen, wenn nicht aus den Menschen, die hier und heute geboren wurden?

SVP: Fadenscheinige Wahlpropaganda

«Es geht um Ihre Zukunft! Die SVP bekämpft als einzige Partei verlässlich die von den anderen Parteien geplanten Massnahmen wie die Erhöhung der Diesel- und Benzinpreise um mindestens 12 Rappen pro Liter ab 2020, Zwangssanierungen und das Verbot von Ölheizungen. Wer das nicht will, muss jetzt an die Urne. Die SVP ist die einzige Partei, die Ihr Leben nicht verteuert und für Ihre Freiheit und Sicherheit einsteht.» – das lese ich auf dem neuesten Flugblatt der SVP, das ich heute Morgen in meinem Briefkasten vorgefunden habe. Seltsam. Ist die SVP nicht jene Partei, die am lautesten aufschreit, wenn «zu viele» Flüchtlinge an unseren Grenzen stehen und in unserem Land Schutz suchen? Ist der SVP nicht bewusst, dass der Klimawandel, wenn man nichts dagegen unternimmt, früher oder später zu einer dramatischen Zunahme der weltweiten Flüchtlingsströme führen wird, die unweigerlich auch vor Europa und der Schweiz nicht Halt machen werden? Sind es nicht gerade Exponenten der SVP, die immer wieder fordern, man müsse die Probleme «vor Ort» lösen, wenn man verhindern wolle, dass immer mehr Menschen aus armen Ländern den Weg in die reichen Länder des Nordens suchen? Wenn es der SVP mit ihrem Slogan «Es geht um Ihre Zukunft!» wirklich ernst wäre, müsste sie alles Erdenkliche in die Wege leiten, um die Klimaerwärmung zu stoppen und ein Überleben der Menschheit in «Freiheit» und «Sicherheit» auch noch in 50 oder 100 Jahren auf diesem Planeten zu gewährleisten…

Eine Lildl-Verkäuferin und der Klimastreik

Detailhandelsfachfrau Francesca Celli prangert die Arbeitsbedingungen in den Lidl-Filialen Fraumünster und Dübendorf an. «Ich musste immer wieder über fünfeinhalb Stunden am Stück an der Kasse arbeiten und durfte dabei auch keine Pause einlegen, um mich zu verpflegen», sagt die 37-Jährige. Ihr sei deshalb auch schwindlig geworden. Im Winter sei es zudem sehr kalt gewesen. «Meine Messungen haben eine Temperatur zwischen 13,6 und 18 Grad am Arbeitsplatz ergeben. Eine Jacke durfte ich nicht anziehen.» Probleme habe es auch mit dem Arbeitsplan gegeben. Dieser sei kurzfristig geändert worden, sagt Celli. «Einmal wurde ich nach 54 Minuten nach Hause geschickt, obwohl ich für einen ganzen Arbeitstag eingeplant war.» Celli habe über all das Buch geführt und später das kantonale Arbeitsinspektorat informiert. Dieses stattete der Filiale Fraumünster im September 2018 einen Besuch ab. Celli war dabei und wollte dem Beamten die mutmasslichen Missstände erklären. Noch am selben Tag sei ihr gekündigt worden. «Das war ein Hammer für mich.»

(www.20min.ch)

Könnte es gelingen, Francesca Celli für die Teilnahme an einem Klimastreik zu gewinnen? Nein, wenn sich die Klimastreiks auf Themen wie Umwelt, Klimaerwärmung und CO2-Ausstoss beschränken. Ja, wenn es gelänge, die Optik auszuweiten und zu erkennen, dass der Klimawandel nur eine von unzähligen Auswirkungen des nimmersatten kapitalistischen Ungeheuers ist und es deshalb einen unauflöslichen Zusammenhang gibt zwischen allen ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Formen von Ausbeutung. Francesca Celli und all die weltweit Milliarden Werktägigen, die unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, leiden unter einem und demselben kapitalistischen Wirtschaftssystem, welches auch die lebensbedrohenden Gefahren zu verantworten hat, denen zukünftige Generationen ausgesetzt sein werden. Könnte man doch diese Zusammenhänge aufzeigen! Wie viele weitere Millionen von Menschen würden sich den bisher rund vier Millionen Klimastreikenden wohl anschliessen?

«Es geht um das Leben, nicht um die Wirtschaft»

«Leider sind unsere Aktionen notwendig. Die Auswirkungen der Klimakrise sind viel dramatischer als jemals erwartet. Laut dem Weltklimarat müssen wir bis 2040 die Treibhausgasemissionen auf netto null absenken, um keine Erderwärmung um über 1,5 Grad zu riskieren. Petitionen, Initiativen und Demonstrationen gab es viele und sie hatten nur zum Teil einen Effekt. Deshalb sehe ich zivilen Ungehorsam als letztes Mittel und nehme dafür auch eine Busse in Kauf. Dabei ist Gewaltfreiheit oberstes Ziel. Extinction Rebellion möchte den Gesamtkollaps verhindern. Es ist klar, dass sich dafür die Wirtschaft sehr schnell ändern muss. Untätigkeit wird für die Wirtschaft und die Gesellschaft noch viel drastischere Folgen haben – es drohen Hungersnöte und Massenvertreibungen ungeahnten Ausmasses. Und das wollen wir verhindern. Es geht ums Leben, nicht um die Wirtschaft.»

Genau. Unsere heutige Welt wird nicht von mehr oder weniger demokratisch gewählten Politikern und Politikerinnen regiert. Sie wird von multinationalen Konzernen, Banken und Wirtschaftsführern regiert. Und diese Diktatur der Wirtschaft und des Geldes fernab jeglicher demokratischer Kontrolle orientiert sich nicht am Wohlergehen der Menschen, sondern am Wohlergehen des Kapitals, der Dividenden und der Börsen. Solange diese Machtverhältnisse unangetastet bleiben, muss jede Forderung nach klimapolitischen Massnahmen zur Rettung der Menschheit Illusion bleiben. Es genügt nicht, wenn Millionen von Menschen auf die Strassen gehen. Der nächste Schritt muss sein, das Primat der Wirtschaft zu brechen und an dessen Stelle das Primat der Politik und der Gesellschaft zu stellen. An oberster Stelle der Macht muss das Wohlergehen der Menschen und der Natur stehen und alles andere muss diesem Ziel untergeordnet werden und ihm dienen. Eine Transformation, die freilich nur weltweit geschehen kann und in der es nicht mehr um das Prinzip der gegenseitigen Konkurrenzierung geht, sondern um das Prinzip der Kooperation und des gemeinsamen Überlebens. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: «Was alle angeht, können nur alle lösen.»

 

«Extinction Rebellion»: Weil die meisten immer noch schlafen

Fahnen in bunten Farben wehen im leichten Wind, junge und ältere Menschen sitzen auf Picknickdecken und spielen Karten, andere liegen in ihren Schlafsäcken und sonnen sich im vormittäglichen Licht. Seit den frühen Morgenstunden haben Aktivisten von Extinction Rebellion den Großen Stern in Berlin, die Umgehungsstraße um die Siegessäule und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, besetzt. An allen fünf Zufahrtsstraßen haben sie sich auf die Straße gesetzt. Für Autos gibt es kein Durchkommen. Seitdem bauen sich die Leute vor Ort ihre eigene Welt. Zwei Künstler erschaffen mit riesigen Netzen Seifenblasen und lassen sie über die Menge schweben. Verschiedene Kleingruppen machen Musik, initiieren Kanons, andere bemalen die Straßen mit dem XR-Symbol, einer stilisierten Sanduhr in einem Kreis, die die Welt und die davonlaufende Zeit darstellen soll. Immer wieder gibt es Sprechchöre. «Extinction!» ruft einer unvermittelt, «Rebellion» heißt es lautstark aus der Runde zurück. Insgesamt herrscht auch dank des sonnigen Wetters eine sommerliche Volksfestatmosphäre. Ein Fest für alle, unabhängig von Alter, Geschlecht und Beruf.

In anderen Städten hat zumindest die Polizei etwas gegen einige Teilnehmer: In den Niederlanden und Großbritannien gab es zahlreiche Festnahmen. Die Amsterdamer Polizei nahm etwa 50 Demonstranten bei einer Blockade-Aktion in Gewahrsam. Die Demonstranten hatten am frühen Montagmorgen eine wichtige Durchgangsstraße versperrt und Dutzende kleine Zelte aufgestellt. Mit «zivilem Ungehorsam» solle die Regierung gezwungen werden, mehr für den Klimaschutz zu tun, sagte ein Sprecher der Demonstranten im niederländischen Radio. Die Stadt hatte die Protestaktion aber an dieser Stelle verboten. In London legten Teilnehmer des Klimaprotests teilweise den Verkehr in der britischen Hauptstadt lahm. Mehrere Gruppen von Demonstranten blockierten am Morgen die Westminster Bridge und mehrere Straßen im Regierungsviertel. Bereits wenige Stunden nach Beginn des Protests hatte es mehr als 20 Festnahmen gegeben. Auch in Australien und Neuseeland demonstrierten Hunderte Aktivisten, Dutzende wurden festgenommen, wie die Polizei mitteilte. Aktionen sollte es unter anderem auch in Paris, Madrid, New York und Buenos Aires geben

(www.stern.de)

Schuld an den Aktionen der «Extinction Rebellion» sind nicht ein paar Wirrköpfe und Träumer. Schuld sind all jene Politiker und Politikerinnen, die nicht den Mut haben, endlich Klimagesetze durchzubringen, die auch tatsächlich jene Ziele zu erreichen versprechen, die im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben wurden. Schuld sind auch all jene Menschen in den «entwickelten» Ländern des Nordens, die nicht bereit sind, auch nur auf einen Bruchteil ihres bisherigen verschwenderischen Lebensstils zu verzichten. Und abgesehen davon: Die «Gewalt», welche die Aktivisten und Aktivistinnen von «Extinction Rebellion» mit dem Blockieren von Strassen und Brücken anwenden, ist nichts im Vergleich zu jener millionenfach grösseren Gewalt, welche vom herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystem ausgeübt wird, das auf dem besten Wege ist, die gesamte Menschheit im Verlaufe der nächsten 50 bis 100 Jahren auszulöschen.

Klimastreik: Böse Unterstellungen der NZZ

«Burn capitalists, not forests» – solche und ähnliche Slogans waren auf Pappschildern und Transparenten an der grossen Berner Klimademo vom 29. September zu sehen. Zwischen 60’000 und 100’000 Menschen gingen «für das Klima» und «gegen die Kapitalisten» auf die Strasse.

(NZZ, 5. Oktober 2019)

Ist es böse Unterstellung oder bloss fehlende Sorgfalt? Wie dem auch sei, ich jedenfalls habe nirgends ein Transparent mit dem Slogan «Burn the capitalists» gesehen. Wohl aber, auf zahlreichen Transparenten, den Slogan «Burn capitalism». Ebenso wenig habe ich auch nur von einem einzigen Teilnehmer oder einer einzigen Teilnehmerin der Klimademo die Aussage gehört, sie seien auf der Strasse, um «gegen die Kapitalisten» anzukämpfen. Wer den Klimastreikenden unterstellt, sie wollten andere Menschen bekämpfen oder gar verbrennen, giesst, bewusst oder unbewusst, Öl ins Feuer und liefert all jenen, die der Klimajugend skeptisch oder gar ablehnend gegenüberstehen, willkommene Munition für ihren Hass und ihre Argumentationen. Es ist im Gegenteil der Klimastreikbewegung zugute zu halten, dass es ihr um die Sache als solche geht und nicht darum, andere Menschen schlechtzumachen und zu diffamieren. Man kann, so die Philosophie der Bewegung, nicht glaubwürdig für das Leben zukünftiger Generationen einstehen und gleichzeitig das Leben hier und heute lebender Menschen bedrohen. Was die Klimabewegung weltweit so faszinierend, erfolgreich und unwiderstehlich macht, ist gerade ihre Friedfertigkeit, ihre Gewaltlosigkeit und ihre Liebe zu den Menschen.

Arena-Diskussion: «Die Schweiz wird nach den Wahlen keine andere sein.»

4. Oktober 2019: In der letzten «Arena»-Sendung des Schweizer Fernsehens vor den Schweizer Parlamentswahlen diskutieren die Präsidentinnen und Präsidenten der acht grössten Parteien über den Frauenanteil in den Parlamenten und Regierungen, den Klimawandel, die steigenden Gesundheitskosten und das Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz. Kein Wort vom steigenden Druck und Stress am Arbeitsplatz und den zunehmenden körperlichen und psychischen Belastungen, mit denen die Menschen durch ihre Berufsarbeit konfrontiert sind. Kein Wort von den exorbitanten Lohnunterschieden und dass die höchsten Löhne die niedrigsten um das bis zu 300fache übertreffen. Kein Wort von jenen rund 400’000 Working poor, die trotz voller Erwerbstätigkeit von ihrem Lohn nicht ausreichend leben können. Kein Wort davon, dass alle diese Probleme – von den Tiefstlöhnen über die körperliche und psychische Gesundheit der Menschen bis hin zum Klimawandel – nichts anderes sind als die Folge des globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems, in dem stets der materielle Profit, das Gewinnstreben und ein immer noch unbeirrbarer Wachstumsglaube Vorrang haben vor dem Wohl der Menschen und der Natur. Nicht einmal SP-Präsident Christian Levrat kommt darauf zu sprechen, obwohl ja die «Überwindung des Kapitalismus» in seinem Parteibuch steht. Früher oder später werden wir, ob wir wollen oder nicht, nicht darum herumkommen. Und was spricht dagegen, schon heute damit zu beginnen? Mit ihrer Forderung nach einem «System Change» zeigt die «Klimajugend» immer drängender ihre Sehnsucht nach grundlegenden Antworten und Visionen auf dem Weg in eine neue Welt, in welcher sich die Menschen nicht mehr gegenseitig unterdrücken und ausbeuten und Friede herrscht zwischen den Menschen und der Natur. Politisches Denken und Handeln sollte gesellschaftlichen Entwicklungen vorangehen und nicht ihnen hinterher hinken. Davon war an dieser «Arena»-Sendung kaum etwas zu spüren. Und so hat der Tages-Anzeiger vom 5. Oktober 2019 wohl nicht ganz Unrecht, wenn er schreibt: «Die Schweiz wird nach den Wahlen keine andere sein.» Müsste sie aber…