Archiv des Autors: Peter Sutter

Klimaaktivistinnen von Schulfahrt ausgeschlossen

Weil sie eine bzw. zwei Schulstunden am 29. November gefehlt haben, um zum Klimastreik zu gehen, wird nun zwei Schülerinnen unseres Organisationsteams und einer weiteren Aktivistin verboten, an einer viertätigen Fahrt nach Berlin teilzunehmen.

(Fridays For Future Traunstein)

Es ist das gleiche patriarchale Machtgehabe, das mit seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur für die Klimakatastrophe verantwortlich ist und das drei Mädchen, die sich für den Klimaschutz engagieren, von einer Schulfahrt ausschliessen. Und deshalb muss der Kampf weitergehen. Nicht nur gegen den Klimawandel. Sondern auch gegen alle anderen Formen von Machtgier, Rechthaberei, Bevormundung und Ausbeutung. Gebt nicht auf! Die bisherige Klimaschutzbewegung darf nicht das Ende von etwas sein. Sie muss der Anfang sein von etwas, das erst gerade begonnen hat und noch viel, viel grösser werden wird.

«Linksruck» in der SPD: Was uns fehlt, sind die grossen Visionen

Man spricht im Zusammenhang mit der Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zu Vorsitzenden der SPD von einem «Linksruck». Doch was heisst eigentlich «links»? Ist «links» schon, wenn man einen höheren Mindestlohn, eine massive Investitionsoffensive zugunsten von Infrastruktur und Bildung sowie einen rigoroseren Klimaschutz fordert? Müsste man den Begriff «links» nicht viel umfassender und radikaler definieren – im Sinne einer Überwindung des Kapitalismus, wie sie von einer wachsenden Zahl besorgter Bürger und Bürgerinnen und nicht zuletzt auch von einem zunehmenden Teil der Klimabewegung gefordert wird? Von einer solchen Vision sind Walter-Borjans und Esken noch meilenweit entfernt. Selbst die Linke bewegt sich immer noch viel zu stark auf dem Parkett des kapitalistischen Denksystems. Auch Sarah Wagenknecht, so gescheit ihre gesellschaftspolitischen Positionen auch sein mögen, ist, wenn es drauf und dran kommt, keine wirkliche Antikapitalistin. Es ist auch nicht einfach. Eine Überwindung des Kapitalismus bedingt eine Überwindung von 500 Jahren kapitalistischer Gehirnwäsche, das Hinterfragen jener Muttermilch, die uns von Geburt an eingeträufelt wurde, das Infragestellen aller Bäume in dem Wald, durch den wir seit Kindesbeinen gehen. Schade, können Neugeborene noch nicht sprechen. Ich bin fast ganz sicher, sie könnten eine ideale Welt, das Paradies ihrer Träume, in allen noch so kleinen Facetten beschreiben: eine Welt ohne Krieg und Hunger, eine Welt grenzenloser Liebe, eine Welt, in der Geld nicht mehr ein Machtmittel, sondern nur noch ein Tauschmittel wäre, eine Welt, in der sämtliche Waren innerhalb der Länder, aber auch von Land zu Land getauscht würden, ohne dass es dabei Gewinner und Verlierer gäbe, eine Welt, in der alle Menschen den gleichen gerechten Anteil hätten an sämtlichen Lebensgütern, Besitztum und Wohlstand, eine Welt der Kooperation anstelle von Konkurrenzkampf und Wettbewerb, eine Welt, in der die Menschen untereinander und mit der Natur im Einklang leben. Liebe Politiker und Politikerinnen, weshalb tut ihr euch so schwer, weshalb habt ihr solche Bedenken, solche Angst, an radikale Visionen von einer anderen Welt zu glauben? Wären solche Visionen nicht genau das, was in der heutigen Zeit, wo sich alles nur noch im Kreis zu drehen scheint, so schmerzlich fehlt? Ich hätte einen Vorschlag: SPD, Linke und Grüne, legt eure gegenseitigen Schauklappen ab, spannt zusammen, wagt euch auf den Weg zur Überwindung des Kapitalismus, im Bunde mit weltweit gleichgesinnten politischen Kräften. Ich bin fast ganz sicher: In Millionen von Menschen würde dadurch genau jenes Kind, das bei seiner Geburt noch vom Paradies träumte, neu erwachen, und zahllose Menschen, die mit der gängigen Politik nichts mehr am Hut haben wollten, würden zu glühenden Wegbereitern und Wegbereiterinnen einer neuen Zeit.

Schlechte Schulleistungen wegen Klimastreik?

Immer wieder sind «Klimajugendliche» mit dem Vorwurf seitens Erwachsener konfrontiert, sie würden wegen ihrem politischen Engagement die Schule vernachlässigen und sich damit ihre eigenen Zukunftschancen verbauen. Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens: Von was für einer Zukunft reden diese Erwachsenen? Diese Zukunft wird es nämlich gar nicht mehr geben, wenn sich nicht unzählige Menschen hier und heute für den Schutz des Klimas und der Umwelt engagieren. Und zweitens: Man lernt nicht nur in der Schule. «Den grössten Teil dessen, was wir wissen», so der US-amerikanische Reformpädagoge Ivan Illich, «haben wir alle ausserhalb der Schule gelernt. Wie man lebt, lernt jeder ausserhalb der Schule. Wir lernen sprechen, denken, lieben, fühlen, spielen, fluchen,  politisieren und arbeiten, ohne dass sich ein Lehrer darum kümmert.»

Weltklimakonferenz in Madrid: Chance für einen Neubeginn oder nur heisse Luft?

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Madrider Weltklimakonferenz können sich noch so viel Mühe geben, noch so voller guten Willens sein: Wenn sie nicht an die Wurzel des Übels herangehen, nämlich an eine Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, wird alle Mühe vergebens sein und alles bloss in buchstäblich heisser Luft verpuffen. Auch wenn das im ersten Moment Kopfschütteln hervorrufen und an die schlimmsten Zeiten kommunistischer Diktaturen erinnern mag: Wir brauchen, anstelle des Freien Marktes unserer gegenwärtigen Wirtschaftsordnung, so etwas wie eine – demokratisch legitimierte, global institutionalisierte – «Planwirtschaft». Wer ein Haus bauen will, lässt auch zunächst einen Plan zeichnen, alle anstehenden Kosten kalkulieren und die geeignetsten Baustoffe auswählen. Weshalb sollte, was im Kleinen der Bau eines Hauses ist, nicht auch im Grossen, wo es um die ganze Erde und die Zukunft von Milliarden von Menschen geht, nicht auch sinnvoll sein? Dass der so genannte «freie» Markt von Angebot und Nachfrage schon längst nicht mehr funktioniert und alles immer nur noch schlimmer macht, müsste eigentlich mittlerweile auch der eifrigste Befürworter des Kapitalismus zur Kenntnis genommen haben. Gibt es irgendeinen plausiblen Grund dafür, jedes Jahr weltweit eine so grosse Zahl von Textilien herzustellen, dass zwei Fünftel davon im Müll landen? Ist es zu verantworten, immer grössere Teile des brasilianischen Amazonaswaldes abzuholzen, bloss um die unersättlichen Fleischbedürfnisse der europäischen und US-amerikanischen Bevölkerung zu befriedigen? Würde man die immensen Mittel, die für die weltweite Werbeindustrie und ihre Propaganda für den Konsum und die Vermarktung einer immer grösseren Fülle von Luxusgütern verwendet werden, nicht viel gescheiter für die Erfüllung jener Grundbedürfnisse einsetzen, von denen Milliarden von Menschen auch heute noch ausgeschlossen sind? Eine demokratische «Planwirtschaft» würde sämtliche Wirtschaftsabläufe sinnvoll regeln, Produktionsstandorte festlegen, Energiequellen definieren, Transportwege minimieren, für faire Arbeitsbedingungen sorgen, den Grundbedürfnissen Priorität einräumen, die sozialen und ökologischen Kosten jeder Ware kalkulieren – und dies alles unter dem obersten Primat der sozialen Gerechtigkeit und der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen für die heute lebenden wie auch für die zukünftigen Generationen. Getragen wäre diese demokratische «Planwirtschaft» durch ein globales Gremium, in dem alle Länder anteilmässig zu ihrer Bevölkerung vertreten wären. Dabei wäre nicht mehr die gegenseitige Konkurrenzierung zwischen den Ländern, wie das heute der Fall ist, das oberste Prinzip, sondern die gegenseitige Kooperation und das gemeinsame Bemühen um die besten Lösungen, bei denen der Nutzen, den ein einzelnes Land und eine einzelne Volkswirtschaft daraus zieht, zugleich immer auch der Nutzen aller anderen Länder und aller anderen Volkswirtschaften ist. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: «Was alle angeht, können nur alle lösen.»

Klimastreik in Zürich: Das Mädchen mit dem Megaphon

Das Mädchen mit dem Megaphon friert im Regen. Doch unentwegt, immer lauter, bis sich ihre Stimme überschlägt, wiederholt sie die Worte, die sogleich auf die ganze Menge überschwappen und hundertfach entgegenschlagen. Was für eine Stimmung, hier in Zürich, an diesem 29. November 2019, während sozusagen Seite an Seite Zehntausende ihren Black-Friday-Schnäppchen hinterherrennen und offensichtlich immer noch nicht begriffen haben, was die Stunde geschlagen hat. Ich bin einfach nur unendlich dankbar. Dass es euch gibt, diese Hunderttausenden, die auch heute wieder weltweit auf die Strassen gegangen sind. Und dass es dich gibt, du Mädchen mit dem Megaphon, und all die anderen, die vorne hinstehen und jedes Mal wieder die ganze Arbeit auf sich nehmen, um all die Streiks und Demonstrationen zu organisieren, aller Besserwisserei, aller Skepsis und allen Anfeindungen zum Trotz. Ihr seid der Samen, der heute in die Erde gestreut wurde und der schon bald aufgehen wird, während das Zeitalter der unersättlichen Habgier, der grenzenlosen Anhäufung von Reichtum auf Kosten anderer und der zerstörerischen Missachtung gegenüber der Natur längst Vergangenheit sein wird.

Reichtum und Armut als die beiden Kehrseiten der gleichen kapitalistischen Medaille

Die 300 Reichsten der Schweiz sind im vergangenen Jahr noch einmal einen zünftigen Batzen reicher geworden. Zusammen besitzen sie 702 Milliarden Franken, 27 Milliarden (4 Prozent) mehr als im Vorjahr. Das ist Rekord, seit das Magazin «Bilanz» die Liste der 300 Reichsten herausgibt.

Die 702 Milliarden Franken entsprechen einem Vermögen von 2340 Millionen pro Kopf. Zum Vergleich: Vor 30 Jahren waren es noch 660 Millionen. 139 Milliardäre befinden sich unter den 300 Reichsten der Schweiz, das sind fünf mehr als im Vorjahr. Allein die zehn Reichsten sind um 18 Milliarden vermögender geworden und besitzen zusammen 221 Milliarden Franken.

(www.blick.ch)

Da Geld bekanntlich nicht auf den Bäumen wächst und auch nicht in irgendwelchen Tiefseemuscheln zu finden ist, muss das Geld, das sich in den Händen der Reichen und Reichsten laufend weiter vermehrt, irgendwo an einem anderen Ort fehlen – auf allen möglichen und unmöglichen, verschlungenen, geheimnisvollen und versteckten Wegen wandert das Geld von denen, die sowieso schon fast nichts davon haben, zu denen, die in seinem Überfluss schon beinahe ertrinken. Und so haben wir in diesem gleichen Land nicht nur 139 Milliardäre, sondern auch eine halbe Million Menschen, die trotz voller Erwerbstätigkeit so wenig verdienen, dass es kaum für das Lebensnotwendigste reicht. Reichtum und Armut als die beiden unauflöslich miteinander verbundenen Kehrseiten der gleichen kapitalistischen Medaille. Wie viel Reichtum auf der einen Seite und wie viel Armut auf der anderen Seite braucht es noch, bis die ganze bittere Wahrheit ans Licht kommt?

Damit die Hoffnung auf eine friedliche und gerechte Zukunft nicht verloren geht

Am erstaunlichsten an den gegenwärtigen Unruhen in Chile, Ecuador, Bolivien und Kolumbien ist, dass sie nicht schon früher ausgebrochen sind. Denn nirgendwo sonst ist eine der wichtigsten Ursachen für die weltweit auftretenden Phänomene Populismus, Polarisierung und Wutbürgertum so einschneidend wie dort: der Gegensatz zwischen urbanen, globalisierungsfreudigen Eliten und den Angehörigen des strampelnden Prekariats aus der unteren Mittelschicht und dem Heer der Armen. Ein Leben in verbarrikadierten Enklaven des Luxus, mit Privatschulen und exzellenter medizinischer Versorgung, Chauffeuren, Leibwächtern und Haushaltshilfen auf der einen Seite. Eine Existenz in ständiger Ungewissheit auf der anderen. Es gibt wenig Grund zu Optimismus. Am ehesten stimmt einen die Entschlossenheit zuversichtlich, mit der ein wachsender Teil der Bevölkerung die Arroganz der Macht zurückweist. Aber so lange dies bedeutet, dass ein rechter Populist durch einen linken ersetzt wird oder umgekehrt, ist noch nichts gewonnen.

(Tages-Anzeiger, 27. November 2019)

Das ist der springende Punkt. Es genügt nicht, einen Populisten durch einen anderen zu ersetzen. Nicht die Politiker und Politikerinnen sind auszuwechseln. Auszuwechseln ist das System, sprich der Kapitalismus. Denn die himmelschreienden sozialen Gegensätze in diesen Ländern sind kein Zufall, sondern die ganz logische und direkte Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems, das die Reichen immer reicher und gleichzeitig die Armen immer ärmer macht. Gleichzeitig erfährt man, dass gemäss neuem UNO-Klimabericht der weltweite CO2-Ausstoss weiter zunimmt und das Erreichen des Pariser Klimaabkommens in weite Ferne gerückt ist. Und auch hier: Hauptursache und Grundmotor einer Weltwirtschaft, die wider alle Vernunft immer noch auf schrankenloses Wachstum ausgerichtet ist, ist der Kapitalismus mit seinem Drang nach immer mehr, immer schneller, immer billiger. Ob im Sozialen oder im Ökologischen, ob in Südamerika oder beim Weltklima: Der Angelpunkt, das Scharnier, der archimedische Punkt, die Stelle, wo alles mit allem zusammenhängt, ist der Kapitalismus. Wenn am kommenden Freitag weltweit die Klimajugend wieder auf die Strassen geht, dann sollte daher die Forderung nach einem «System Change» lauter und unmissverständlicher erklingen denn je. Damit die Hoffnung auf eine friedliche und gerechte Zukunft, in der die Menschen im Einklang mit sich und mit der Natur leben, nicht verloren geht…

39’000 statt 24’000 Franken: Der Zürcher Kantonsrat meint es gut mit sich

Im Durchschnitt erhält ein Zürcher Kantonsratsmitglied brutto und inklusive Spesen 24’000 Franken im Jahr für den 30-Prozent-Job. Dieser Betrag soll nun nach dem Willen der Mehrheit des Kantonsrats auf 39’000 Franken angehoben werden: 12’000 Franken Grundentschädigung statt wie bisher 4000 Franken, 220 Franken pro Sitzung statt 200 sowie 8100 Franken für Spesen statt 2800. Gleich bleibt einzig das ZVV-Abo 1. Klasse im Wert von aktuell 3671 Franken. Durch alle diese Massnahmen würden die Kosten für das Kantonsparlament von 5,3 auf 8,8 Millionen steigen. Nicht alle Kantonsräte und Kantonsrätinnen sind darüber erfreut. So spricht Hans-Peter Amrein von der SVP von der Abzockermentalität einer «entrückten Politikerkaste».

(Tages-Anzeiger, 26. November 2019)

Sind 24’000 Franken für einen 30-Prozent-Job als Kantonsrat bzw. Kantonsrätin zu wenig? Oder sind 39’000 Franken zu viel? Eine schwierige Frage, da es ja keine objektiven Kriterien für die Festlegung einer solchen Entschädigung gibt und auch keinen freien Markt von Angebot und Nachfrage wie in der Privatwirtschaft. Das Einzige, was als Richtschnur dienen könnte, wäre der Durchschnittslohn der Bevölkerung. Man könnte sehr gut dahingehend argumentieren, dass ein Kantonsrat bzw. eine Kantonsrätin nicht mehr und nicht weniger verdienen wollte als der durchschnittlich verdienende Lohnbezüger bzw. die durchschnittlich verdienende Lohnbezügerin. Schliesslich sind sie «Diener» und «Dienerinnen» des Volkes und würde es ihnen schlecht anstehen, vom insgesamt zur Verfügung stehenden Kuchen ein grösseres Stück abzuschneiden, als insgesamt, auf alle gleichmässig verteilt, zur Verfügung stehen würde. Geht man nun von einem monatlichen Durchschnittslohn von 6500 Franken aus, so käme man mit einem 30-Prozent-Job ziemlich genau auf 24’000 Franken. Mit der geplanten Erhöhung auf 39’000 Franken springt der Kantonsrat also ziemlich hoch in die obere Hälfte des gesamtschweizerischen Lohnspektrums. Die Kritik seitens der SVP, die von der Abzockermentalität einer «entrückten Politikerkaste» spricht, ist daher nicht ganz von der Hand zu weisen. Dies umso mehr, als eine Lohnerhöhung in diesem Ausmass – von 24’000 auf 39’000 Franken – wohl weit und breit nicht einmal in der Privatwirtschaft gang und gäbe ist. Die vielbeklagte Kluft zwischen politischen und staatlichen Institutionen auf der einen Seite und einem wachsenden Teil der Bevölkerung, die sich von allem Politischen schon längst verabschiedet haben mit der Begründung, dass «die da oben», sowieso nur das machen, «was sie wollen», diese Kluft wird durch die geplanten Lohnerhöhung des Zürcher Kantonsrats wohl kaum vermindert. Hätte man die 3,5 Millionen Mehrkosten nicht auch für alleinerziehende Mütter und Väter, für Wohnheime für Behinderte, für Kindertagesstätten, für Frauenhäuser oder für eine Erhöhung der Sozialhilfe ausgeben können?

Digitalisierung im Küchenbau: «Sonst wird es uns eines Tages nicht mehr geben.»

In der Produktion der schweizerischen Küchenbaufirma Veriset ist der Digitalisierungsprozess weit fortgeschritten. Damit wird die gesamte Wertschöpfungskette vom Bestellungseingang bis hin zur Auslieferung der fertigen Küchen auf Tempo getrimmt und mit dem gleichen Personalbestand wird ein 25 Prozent höheres Volumen produziert. «Wir in der Schweiz», so Produktionsleiter Rafael Duss, «müssen innovativ sein, damit wir gegenüber dem Ausland bestehen können. Wenn wir nicht digitalisieren und innovativ sind, dann würden wir vom nahen Ausland überholt werden und dann wird es uns eines Tages nicht mehr geben.»

(Wirtschaftsmagazin «Eco», Schweizer Fernsehen SRF1, 25. November 2019)

Eigentlich ist es ja völlig sinnlos, in immer kürzerer Zeit immer mehr zu produzieren, denn das führt bloss dazu, dass sich die Produzenten, um ihre Produkte überhaupt noch verkaufen zu können, einen immer härteren gegenseitigen Wettkampf liefern müssen. Bezeichnenderweise begründet der Produktionsleiter von Veriset die Digitalisierung seines Unternehmens denn auch nicht damit, dass diese zu einer Qualitätsverbesserung der Produkte oder gar zu besseren Arbeitsbedingungen der Angestellten führe, sondern einzig und allein damit, dass man, wenn man darauf verzichten würde, gegenüber der ausländischen Konkurrenz nicht mehr bestehen könnte. Dies zeigt den Charakter des globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems: Es handelt sich um einen goldenen Käfig, in dem alle gleichermassen gefangen sind und, bloss um überleben zu können, auch noch die absonderlichsten Dinge tun, die jeglicher Vernunft und jeglichem gesunden Menschenverstand widersprechen. Denn diese Vernunft und dieser gesunde Menschenverstand würden uns sagen, dass in einer Welt begrenzter Ressourcen wirtschaftliches Wachstum gar keine Zukunft mehr hat. Es genügt freilich nicht, wenn nur einzelne Produzenten aus dem goldenen Käfig aussteigen und das Feld den anderen überlassen – dann würden sie, wie Rafael Duss sagt, tatsächlich von der Bildfläche verschwinden. Es braucht ein gemeinsames Aussteigen aller aus dem goldenen Käfig. Denn, wie schon Friedrich Dürrenmatt sagte: «Was alle angeht, können nur alle lösen.»

Klimadiskussion in der «Sternstunde Philosophie»: Die Hauptpersonen fehlen

In der «Sternstunde Philosophie» vom 24. November am Schweizer Fernsehen SRF1 wird diskutiert über die Frage, ob sich Wirtschaftswachstum und Klimaschutz vereinbaren lassen oder ob es, um das Klima zu retten, eine radikale Abkehr von der kapitalistischen Wachstumsideologie bedarf. Am Gespräch beteiligen sich Niko Paech, Wachstumskritiker und Postwachstumsökonom, Simone Rosa Miller, Philosophin und Kulturjournalistin, Reiner Eichenberger, Ökonom und Universitätsprofessor, und Katja Gentinetta, Philosophin und Beraterin. Zudem kommen eine Vertreterin von Extinction Rebellion sowie ein Jungpolitiker der FDP kurz zu Wort. Angesichts der Tatsache, dass der ökologische Fussabdruck der Schweiz fast drei Erden beträgt – die Schweiz verbraucht fast drei mal mehr Ressourcen, als die Erde im gleichen Zeitraum zu erneuern vermag -, mutet die Aussage von Reiner Eichenberger, wonach die Schweiz nachgerade ein ökologisches Musterland sei, doch reichlich seltsam an. Doch während Eichenberger jede Menge Sendezeit zur Verfügung steht, um seinen Unsinn zu verbreiten, fehlen in der Runde ausgerechnet jene, die mit ihrem unermüdlichen Engagement auf den Strassen über Monate hin die ganze Klimadiskussion erst so richtig angestossen haben: die Kinder und Jugendlichen der Klimabewegung. Sie hätten wohl mindestens so viel Brauchbares zu sagen gehabt wie Reiner Eichenberger. Aus was für unerfindlichen Gründen haben sich die Programmverantwortlichen von SRF dafür entschieden, keine Vertretung der Klimajugend in diese Sendung einzuladen? Weshalb tun wir uns immer noch so schwer, Kinder und Jugendliche als vollwertige politische Partnerinnen und Partner ernst zu nehmen? Hätten nicht gerade die öffentlich-rechtlichen Medien die gesellschaftspolitisch unverzichtbare Aufgabe, für die jungen Menschen eine Lanze zu brechen und ein längst fälliges Umdenken in die Wege zu leiten? Dies umso mehr, als die heutigen Kinder und Jugendlichen von den Auswirkungen des Klimawandels weit stärker betroffen sein werden als die heutigen Erwachsenen…