Archiv des Autors: Peter Sutter

Das Kaufhaus des Westens als Vorbild für Globus: “Hier gibt es nichts, was man wirklich braucht.”

Das Kaufhaus des Westens in Berlin, kurz Kadewe, dient als Vorbild für die Umgestaltung der schweizerischen Globuskette, nachdem diese für eine Milliarde Franken von der Migros an ein thailändisch-österreichisches Konsortium verkauft worden ist. Das Kadewe will gehobene Kundenwünsche erfüllen. “Im Kadewe”, so André Maeder, seit sieben Jahren Geschäftsführer der Kadewe-Gruppe, “gibt es nichts, was man wirklich braucht, aber alles, was das Herz begehrt.” Die Kundinnen und Kunden verbringen durchschnittlich zwei Stunden im Kaufhaus und geben durchschnittlich 180 Franken aus. Die Auswahl reicht, auf sieben Stockwerke verteilt, von der Handtasche für 2’980 Euro über Damenschuhe für 3’495 Euro bis zur Flasche Wein für 4000 Euro. Gegenwärtig wird das Kaufhaus, um seine Attraktivität zu steigern, für 250 Millionen Franken umgebaut, die Bauzeit beträgt drei Jahre. Ein wichtiges Element der neuen Ausstattung ist das Beleuchtungskonzept: “Durch die neue Beleuchtung”, so Maeder, “sieht man jede einzelne Socke und jeden Schuh in vollem Licht.” Im obersten Stock befindet sich die Lebensmittelabteilung mit – auf einer Länge von zwanzig Metern – der längsten Pralinentheke Europas. Nach dem Umbau sollen sechs Restaurants und sieben Bars täglich bis Mitternacht geöffnet bleiben.

(Eco, Wirtschaftsmagazin des Schweizer Fernsehens SRF1, 10. Februar 2020)

Könnte der kleine Adi irgendwo im fernen Afrika, der zeitlebens noch nie ein Stück Schokolade gegessen hat, der jeden Abend hungrig zu Bett geht, dessen Vater zehn Jahre lang arbeiten müsste, um sich in jenem paradiesischen Kaufhaus des Westens ein Paar Schuhe kaufen zu können, könnte der kleine Adi, der wahrscheinlich höchstens vier oder fünf Jahre alt werden wird, könnte dieser kleine Adi das alles wirklich glauben und könnte er jemals begreifen, dass es Orte gibt, wo man ausschliesslich nur Dinge kaufen kann, die man nicht wirklich braucht?

Abstimmung über die Initiative “Mehr bezahlbare Wohnungen”: Demokratie ohne Solidarität ist eine Farce

Dass die Initiative für “Mehr bezahlbare Wohnungen” angesichts der finanziellen Mittel, welche die Gegner in den Abstimmungskampf warfen, an der Urne scheitern würde, war abzusehen. Dazu kamen Angstmacherei und das Operieren mit falschen Zahlen. Einmal mehr wurde eine Initiative aus dem linken politischen Lager, die in den ersten Umfragen noch Zustimmungswerte von über 60 Prozent genoss, schliesslich von einer deutlichen Mehrheit der Stimmenden abgeschmettert. Besonders tragisch: Gemäss einer Tamedia-Umfrage war die Zustimmung zur Initiative umso höher, je geringer das Einkommen. Stimmende mit einem Einkommen von unter 3000 Franken pro Monat sprachen sich mit 54 Prozent für das Anliegen aus, solche mit mehr als 11’000 Franken pro Monat verwarfen es mit 72 Prozent wuchtig. Eine höchst bedenkliche Tatsache, zeigt sich hier doch besonders krass, dass die meisten Bürger und Bürgerinnen offensichtlich auf Grund reinen Eigennutzes und Eigeninteresses abstimmen. Man mag einwenden, dies sei ja nachvollziehbar und nichts als logisch, dennoch ist es alles andere als harmlos, würde es doch im Endeffekt dazu führen, dass stets Mehrheiten über Minderheiten bestimmen und dominieren würden und man auf diese Weise in letzter Konsequenz eines Tages auch die Sozialhilfe oder eine Arbeitslosenentschädigung, da es hier auch wiederum nur um die Interessen von Minderheiten geht, abschaffen könnte. Dies zeigt die Grenzen der Demokratie auf. Eine Demokratie kann nur auf der gegenseitigen Solidarität der Bürgerinnen und Bürger beruhen. Eine Demokratie ohne Solidarität wird sehr bald zur Farce und bringt uns in eine zwar nicht auf den ersten Blick offensichtliche, aber umso heimtückischere Form von Diktatur, die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit, die Diktatur der Reichen gegen die Armen, die Diktatur der Mächtigen gegen die Machtlosen.

Abstimmung über den Rosengartentunnel: Chance für einen radikalen Systemwechsel

“Mit einem Schlag verpuffen fast zehn Jahre Verhandlungs- und Planungsarbeit” – so kommentiert der Tages-Anzeiger am 10. Februar 2020 das Abstimmungsresultat über den Milliardenkredit für die Untertunnelung der Zürcher Rosengartenstrasse, durch welche sich heute täglich rund 56’000 Autos wälzen. Der Kredit wurde mit 63,7 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. “Die Rosengartenabstimmung”, so der Tages-Anzeiger, “ist damit zu einem symbolischen Stopp für eine als gestrig empfundene Verkehrspolitik geworden.”

In der Tat. Die Zürcher Rosengartenstrasse steht für eine jahrzehntelange verfehlte Verkehrspolitik. Aber nicht nur in Zürich, sondern weltweit. Und diese verfehlte Verkehrspolitik besteht nicht bloss darin, dass die Strassen zu wenig breit wären, dass die Autos zu schnell fahren würden oder dass der öffentliche Verkehr zu wenig ausgebaut wäre. Sie besteht schlicht und einfach darin, dass sich eine völlig unrealistische Illusion allen gegenläufigen Erfahrungen zum Trotz immer noch hartnäckigst am Leben erhält, die Illusion nämlich, dass jeder Mensch das Recht darauf haben soll, sich mittels eines eigenen, privaten Verkehrsmittels jederzeit frei von A nach B bewegen zu können. Dass es sich dabei tatsächlich um nichts Realistisches handelt, sondern eben um eine reine Illusion, zeigt auch die Tatsache, dass heute bereits 1,4 Milliarden Autos weltweit unterwegs sind. Wäre in sämtlichen Ländern der Anteil an Autos pro Kopf der Bevölkerung so hoch wie heute in der Schweiz, dann wären es weltweit vier Milliarden Autos! Mit einem intelligenten Verkehrssystem hat das nicht mehr das Geringste zu tun, nicht nur aus ökologischen und sozialen, sondern auch aus finanziellen Gründen, ist dieses Verkehrssystem doch längst zu einem Ungeheuer herangewachsen, das, je mehr man es füttert, nur stets noch gefrässiger wird. “Vielleicht”, schreibt der Tages-Anzeiger, “kommt man nach dieser Abstimmung nun vielleicht auf flexiblere Ideen, die vielleicht auch weniger kosten.” Es wäre so einfach. Rund die Hälfte der städtischen Bevölkerung der Schweiz leben es vor: Sie besitzen kein eigenes Auto. Was um alles in der Welt hält den Rest der Bevölkerung davon ab, es ihnen gleich zu tun?

Klimawandel: Nicht nur ein paar hundertausend, sondern Milliarden von Arbeitsplätzen auf dem Spiel

Im Rahmen einer internationalen Erhebung in neun Ländern haben die Genfer Politwissenschafter Marco Giugni und Jasmine Lorenzini die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zweier lokaler Kundgebungen in Genf und Lausanne sowie der nationalen Klimademo vom 28. September 2019 in Bern befragt. Satte 90 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Regierungen der Umwelt den Vorzug geben sollten, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung dagegen sei und entsprechende Massnahmen das Wirtschaftswachstum bremsen und zum Abbau von Arbeitsplätzen führen würden. Die Erwachsenen standen in der Zustimmung zu dieser Frage ihren jüngeren Mitstreitern in nichts nach. Die Zustimmung war mit 94 Prozent sogar noch ein bisschen grösser.

(W&O, 7. Februar 2020)

Den Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten wird immer wieder Blauäugigkeit vorgeworfen, dass sie von Wirtschaft nichts verstehen und leichtfertig hunderttausende Arbeitsplätze aufs Spiel setzen würden. Wer so argumentiert, vergisst aber oder klammert bewusst aus, dass, wenn wir den Klimawandel nicht rechtzeitig stoppen, schon bald nicht bloss ein paar hunderttausend, sondern Milliarden von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen werden. So gesehen sind nicht die Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen blauäugig, im Gegenteil, ihre Einschätzungen sind durch und durch realistisch und von der Wissenschaft tausendfach belegt. Blauäugig und realitätsfremd sind einzig und allein all jene, die den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt haben und sich der Illusion hingeben, mit ein paar wenigen kosmetischen Massnahmen oder gar dem blossen Aussitzen und der Verbreitung von Optimismus könnte das Problem gelöst werden.

Auf dem besten Weg, es den Chinesen gleich zu tun

Dank GPS-Trackern kann der Chef des Transportunternehmens jeden Meter, den seine Fahrer zurücklegen, nachverfolgen um festzustellen, wie schnell oder wie langsam sie fahren, wie oft sie anhalten, wie sachte oder wie brüsk sie bremsen, wie sie ihr Fahrzeug in den Kurven steuern, ob und wie lange sie Pausen einlegen, wie pünktlich oder mit wie viel Verspätung sie am Zielort eintreffen, wie viel Zeit sie zum Abladen benötigen und wann sie wieder einsatzbereit sind. Hinter jedem Fahrer sitzt sozusagen sein Chef unsichtbar und ohne Unterlass im Nacken. Immer häufiger wird diese Technik eingesetzt. Waren 2014 europaweit 4,4 Millionen Trackingsysteme in Betrieb, waren es 2019 bereits 10,6 Millionen! Eine solche permanente Überwachung und Disziplinierung, so Unia-Mitarbeiter Roman Künzler, führe bei den betroffenen Fahrern häufig zur Beeinträchtigung der  psychischen und physischen Gesundheit. Nur schon wenn der Fahrer dringend pinkeln muss, sei er nun verunsichert, ob das noch drin liege oder nicht gleich schon der Chef anrufe werde, was denn da los sei.

(Schweizer Fernsehen SRF1, 10vor10, 3. Februar 2020)

China, wo mittlerweile die Menschen bis in ihr tägliches Privatleben hinein rund um die Uhr überwacht und kontrolliert werden, lässt grüssen. Zwar gefallen wir uns immer noch darin, mit erhobenem Finger auf die menschenverachtenden Praktiken des asiatischen Grossreichs zu zeigen. Tatsächlich aber sind wir auf dem besten Wege dazu, es ihnen Schritt um Schritt gleichzutun…

Bank Julius Bär: Eine Mustergeschichte für das Bilderbuch des Kapitalismus

Die Bank Julius Bär zieht die Sparschraube an. Der 2019 erzielte Reingewinn von 772 Millionen Franken blieb unter den Erwartungen des Verwaltungsrats. Während zwar die Aktionäre weiterhin eine unveränderte Dividende von 1,5 Franken pro Titel erhalten, wird der Sparhebel bei den Personalausgaben angesetzt: 300 von weltweit rund 6000 Stellen werden gestrichen, 200 davon in der Schweiz.

(W&O, 4. Februar 2020)

Kaum zu glauben. Ganze rund 130’000 Franken Gewinn hat jeder einzelne Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin der Bank Julius Bär im Jahr 2019 erwirtschaftet. Aber dem kapitalistischen Moloch ist das immer noch nicht genug. Statt die Angestellten für diese grossartige Leistung zu belohnen und ihnen vielleicht sogar noch einen Extrabonus auszuzahlen, lässt man jeden Zwanzigsten von ihnen über die Klinge springen, zerstört man Hunderte hoffnungsvoller Karrieren, stürzt man Menschen im besten Alter in eine Lebenskrise, setzt man das sorglose Zusammenleben ganzer Familien aufs Spiel. Während die Aktionäre gänzlich ungeschoren davon kommen und weiterhin, ohne sich dafür auch nur im Geringsten anstrengen zu müssen, ihre jährlichen Dividenden einstreichen dürfen. Eine Mustergeschichte, ein Paradebeispiel im Bilderbuch des Kapitalismus, von dem unsere Kinder und Kindeskinder eines Tages, wenn alles vorüber ist, nur noch ungläubig und kopfschüttelnd Kenntnis nehmen werden…

Was sind schon 150’000 Kinder gegen 362 Opfer des Corona-Virus

Manchmal prägen Massenmedien und Regierungspropaganda die Realität weitaus mehr als umgekehrt. Man kann dieser Tage keine Zeitung aufschlagen und keinen Blick in die Fernsehnachrichten oder ins Internet werfen, ohne dass einem sogleich eine Schar weissgekleideter Sicherheitsleute entgegenspringen, irgendwelche Gesundheitsminister mit sorgenvollem Gesicht eine Stellungnahme abgeben und man im Zeitraffertempo den Aufbau riesiger Spitalanlagen sozusagen live mit verfolgen kann. Das Corona-Virus. Es hat bis heute weltweit 362 Menschenleben gefordert. Im gleichen Zeitraum, den vergangenen zwei Wochen, sind weltweit rund 150’000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs gestorben, weil sie zu wenig zu essen hatten, kein sauberes Trinkwasser oder keine Medikamente gegen eine tödliche Infektion. Wo sind die Sicherheitsleute, die dagegen ankämpfen? Wo sind die Gesundheitsminister, die ob diesem entsetzlichen Geschehen ihre Stirn in Falten legen und uns, die Menschen in den reichen Ländern, an unsere Mitschuld und unsere Verantwortung für die Menschen des Südens erinnern? Und wo endlich werden jene Spitäler aus dem Boden gestampft, ohne die das Sterben der Ärmsten gnadenlos ungehindert weitergehen wird?

Nur eine pointiert antikapitalistische Sozialdemokratie hat eine Zukunft

“Gibt es bald keine Linken mehr?” – so titelt die NZZ am Sonntag vom 2. Februar 2020, um dies dann mit den folgenden Zahlen zu belegen: Aktuell noch 13 Prozent Wähleranteil in Deutschland, 7 Prozent in Frankreich, 21 Prozent (6 Prozent weniger als bei den letzten Wahlen) in Österreich, 8 Prozent Verlust in Grossbritannien, noch 16,8 Prozent Wähleranteil in der Schweiz – das schlechteste Ergebnis aller Zeiten.

Die Frage “Gibt es bald keine Linken mehr?” könnte man ebenso gut ersetzen durch die Frage “Gibt es bald keine Demokratie mehr?” Denn in unserer kapitalistischen Einheitswelt tragen politische Parteien, die bloss Lakaien des Kapitalismus sind, nicht wirklich etwas zu einer echten Demokratie bei. Da sie stets nur dem folgen, was die Wirtschaftsmächte vorgeben, könnte man sie ebenso gut ersatzlos streichen, ändern würde sich dadurch nichts Grundlegendes. Von Bedeutung zur Erhaltung der Demokratie sind einzig jene Parteien, die dem kapitalistischen Mainstream bewusst etwas grundsätzlich anderes, Alternatives entgegensetzen, so dass sich die Wählerinnen und Wähler zwischen systemkonformen – kapitalistischen – Lösungen und systemkritischen – antikapitalistischen – Lösungen frei entscheiden können. Nur das ist echte Demokratie. Und genau deshalb ist die Sozialdemokratie so wichtig. Allerdings nur, wenn sie eine gezielt antikapitalistische Politik betreibt und sich nicht ins Fahrwasser der bürgerlichen – systemkonformen – Parteien hineinziehen und sich von den falschen Versprechungen des Kapitalismus betören lässt. Dass die schweizerische Sozialdemokratie im Vergleich mit den meisten übrigen europäischen Schwesterparteien in der Wählergunst immer noch relativ gut abschneidet, hat wohl genau damit zu tun, dass sie einen ziemlich pointierten Linkskurs fährt, selbst wenn dieser noch weit von dem entfernt ist, was eine radikale antikapitalistische Politik sein könnte. Die Schlussfolgerung aus alledem: Die Sozialdemokratie muss radikaler, pointierter, kompromissloser, antikapitalistischer werden als je zuvor. Damit wird sie nicht nur sich selber retten, sondern vor allem auch die Demokratie als Ganzes.

Technische Lösungen allein bringen uns nicht weiter

Mit einem neuen Computerprogramm der US-Firma Talespin können Arbeitgeber üben, wie sie auf möglichst empathische Weise Mitarbeitende entlassen können. Der Nutzer kann aus verschiedenen Sätzen auswählen, wie er dem Mitarbeiter die Botschaft überbringen will. Wenn man sich geschickt anstellt, akzeptiert Barry, der fiktive Angestellte, sein Schicksal fast klaglos. Wählt man die falschen Formulierungen, fängt er an zu weinen oder wird gar aggressiv. Dabei bewegt Barry seine Gesichtszüge so detailreich, dass er fast wie ein echter Mensch wirkt. Seine Körperhaltung stammt von einem Schauspieler, dessen Bewegungen aufgezeichnet wurden. Psychologen, Verhaltensforscher und Designer haben Barrys emotionale Reaktionen entworfen. Wer die Simulation spielt, kann durchaus das Gefühl entwickeln, er habe es mit einem echten Menschen zu tun. Bei der Verwendung des Programms stellen die Probanden allerdings fest, dass ihre Empathie, wenn sie Barry einige Male gefeuert haben, nach und nach einer gewissen Gleichgültigkeit weicht, was somit dazu führen könnte, dass es ihnen in Zukunft sogar leichter fallen würde, Mitarbeitende zu entlassen.

(NZZ am Sonntag, 2. Februar 2020)

Ein besonders drastisches Beispiel für den sich immer mehr ausbreitenden Trend, ein gesellschaftliches Problem mit technischen Mitteln lösen zu wollen. Dabei liegt das eigentliche Grundproblem ja nicht daran, wie empathisch oder unempathisch ein Angestellter auf die Strasse gestellt wird. Das eigentliche Grundproblem liegt vielmehr daran, dass Unternehmen überhaupt – aufgrund des gegenseitigen Konkurrenzkampfs und des Zwangs zu laufend steigender Rentabilität – Menschen, die über Jahre hervorragende Leistungen erbracht haben, von einem Tag auf den andern auf die Strasse stellen müssen. Das Computerprogramm gaukelt nun vor, dass Entlassungen in dieser Firma fortan ganz besonders sorgfältig und “menschlich” vorgenommen werden – und versperrt damit zugleich den Blick auf die grundlegenden Ursachen des Problems sowie möglicher gesellschaftspolitischer Lösungsansätze. Genau das Gleiche beim Automobil: Eifrigst beschäftigt man sich zurzeit mit der Entwicklung von Alternativen zum herkömmlichen Benzinauto. Und auch hier wird durch in Aussicht gestellten technische Lösungen der Blick auf die grundlegenden gesellschaftspolitischen Aspekte verbaut, auf die Frage nämlich, ob es tatsächlich sinnvoll – und ökologisch verantwortbar – ist, dass jeder Mensch auf ein eigenes privates Verkehrsmittel Anspruch hat oder ob es nicht viel sinnvoller wäre, den öffentlichen Verkehr so umfassend auszubauen, dass es das private Automobil gar nicht mehr brauchen würde. Besonders krass zeigt sich der Trend, sämtliche gesellschaftliche Probleme mit technischen Mitteln lösen zu weisen, auch im Bildungswesen. An einzelnen Schulen, vor allem in den USA, ist die Digitalisierung bereits so weit vorangeschritten, dass die Schülerinnen und Schüler schon die meiste Unterrichtszeit am Computer sitzen und die früheren Lehrkräfte aus Fleisch und Blut weitgehend überflüssig geworden sind – mit der Folge, dass die Schülerinnen und Schüler kaum mehr miteinander reden, sich gegenseitig über Erlebnisse, Ideen, Erfahrungen und Gefühle kaum mehr austauschen und nicht zuletzt auch ihr kritisches Denken auf der Strecke bleibt. Dass allenthalben technische Lösungen verfolgt werden, wo eigentlich grundlegende gesellschaftspolitische Diskussionen gefragt wären, ist freilich kein Zufall: Sowohl mit einem Computerprogramm für Mitarbeiterschulung, wie auch mit Elektromobilen, der Digitalisierung der Schulen und vielem, vielem mehr lassen sich Unsummen von Geld verdienen. Das Fatale daran: Der Kapitalismus, der dies alles überhaupt erst möglich macht, wird durch all das erst recht verfestigt. Wo alle nur noch in ihre Bildschirme starren und sich elektronisch miteinander verkabeln und berauschen lassen, wird nirgendwo mehr zwischen zwei Menschen jener Funken springen, der die Revolution oder wenigstens den ersten Schritt dazu auslösen könnte…

Frank A. Meyer wirft den Grünen eine Verbotsideologie vor: Kann man denn tatsächlich so kurzsichtig sein?

“Nicht nur in Zürich, in der Schweiz, in Europa ist die Grüne Partei eine Bewegung der Verbote. Vom Autoverbot übers Fleischverbot zum Flugverbot ist die anmassende Utopie-Moral der autoritär gestimmten Grünen gespickt mit Verbotsideen.”

(Frank A. Meyer, in: www.blick.ch, 2. Februar 2020)

Kann man so kurzsichtig sein! Wenn die Grünen unser heutiges Konsumverhalten kritisch hinterfragen und allenfalls auch einschränken möchten, so tun sie das ja nicht, weil sie irgendwem etwas nicht gönnen möchten. Im Gegenteil: Lebensqualität hat auch für die Grünen oberste Priorität. Nur möchten die Grünen nicht, dass von dieser Lebensqualität nur die heutige Generation profitiert und blindlings so viel verprasst, dass für zukünftige Generationen nichts mehr übrig bleibt. Damit die Menschen auch in 50 oder 100 Jahren noch etwas Essbares auf dem Teller haben, kommen wir wohl nicht daran vorbei, unseren heutigen Konsum und unsere Freizeitvergnügungen drastisch einzuschränken. Ist, lieber Herr Meyer, dieses bisschen Solidarität mit unseren Kindern und Kindeskindern schon zu viel verlangt? Ich hoffe, Sie kommen in 100 Jahren noch einmal zur Welt. Dann werden sie wohl eine ganz andere Kolumne schreiben als die, welche sie heute geschrieben haben…