Archiv des Autors: Peter Sutter

Die Kriegsgeschäfteinitiative und der Traum von einer Welt ohne Waffen und Armeen

 

Die Kriegsgeschäfteinitiative, über die in der Schweiz am 29. November 2020 abgestimmt wird, verlangt, dass Investitionen der Schweizerischen Nationalbank, von Schweizer Stiftungen, von der AHV/IV und von den Schweizer Pensionskassen in internationale Kriegsmaterialproduzenten, die beispielsweise Atomwaffen, Panzer oder Kleinwaffen herstellen, verboten werden. Keine Frage: Wem die Verwicklung der Schweiz in internationale Rüstungsgeschäfte schon lange ein Dorn im Auge war und wer sich dafür einsetzen möchte, dass die Schweiz ihrem Ruf als neutralem und friedensförderndem Land mehr als bisher gerecht werden will, wird dieser Initiative aus voller Überzeugung zustimmen. Doch auch wenn diese Initiative angenommen wird, wäre dies bloss ein erster winziger Schritt auf einem schier unendlich langen Weg, der noch vor uns liegt. Auf diesem langen Weg würden wieder all jene Fragen auftauchen, die in pazifistischen Bewegungen früherer Jahrhunderte von unzähligen Menschen auf die Strassen, in die Studierstuben bis hin in Parteiprogramme und ganze Regierungen getragen wurden, Fragen, die seltsamerweise in der heutigen Zeit, da die Welt von Waffen mit aller nur erdenklichen Zerstörungsgewalt mehr als je zuvor nur so strotzt, kaum mehr irgendwo zu hören sind. Selbst die GSoA, die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, trägt ihr ursprüngliches Ziel nur noch in ihrem Namen – wenn ihr, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der von ihr lancierten Kriegsgeschäfteinitiative vorgeworfen wird, es ginge ihr doch letztlich bloss um die Abschaffung der Armee, dann beeilen sich ihre Vertreter und Vertreterinnen sogleich mit der Erklärung, nein, darum ginge es nicht und die Kriegsgeschäfteinitiative hätte nichts, aber auch gar nichts mit der Abschaffung der Armee zu tun. Weshalb diese Ängstlichkeit? Natürlich hat das eine mit dem anderen zu tun. Und davon müsste sich die GSoA nicht distanzieren, sondern könnte sogar im Gegenteil sehr stolz darauf sein. Denn was für eine Vision wäre dringender und erstrebenswerter als eine Welt gänzlich ohne Waffen und Armeen! Dass die bisher zur Abstimmung gelangten Armeeabschaffungsinitiativen Schiffbruch erlitten haben, heisst ja nicht, dass die Idee falsch gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Auch über das Frauenstimmrecht musste mehrmals abgestimmt werden, bis es endlich eine Mehrheit fand, und heute könnte sich niemand mehr vorstellen, es wieder abzuschaffen. Welches Land, wenn nicht die neutrale Schweiz mit ihrer humanitären Tradition, wäre befugter, mit dem guten Beispiel voranzugehen und seine Armee ins Museum zu verbannen. Man stelle sich vor, was weltweit mit den horrenden Summen, die für Waffen und Armeen verschleudert werden, so viel Nützlicheres angefangen werden könnte. Eine Welt ohne Waffen und Armeen würde aber eine neue globale Ordnung voraussetzen, in der die einzelnen Länder nicht mehr gegenseitige Konkurrenten wären, sondern Partner. Eine Welt, in der alle Güter gerecht verteilt wären. Eine Welt, in der es nicht mehr mächtige und weniger mächtige Staaten gäbe. Eine Welt ohne gegenseitige Ausbeutung zwischen den Ländern, den Menschen und der Natur. Wenn diese Welt in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft Wirklichkeit geworden sein wird, dann wird man sich wohl so ungläubig an die Zeit der Waffen und Armeen zurückerinnern, wie wir heutigen Menschen uns an die Zeiten der Hexenverbrennungen und des Sklavenhandels zurückerinnern…

Die Konzernverantwortungsinitiative: ein erster kleiner Tropfen auf einen riesigen heissen Stein…

 

Die Konzernverantwortungsinitiative, über die in der Schweiz am 29. November 2020 abgestimmt wird, verlangt, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte sowie internationale Umweltstandards auch ausserhalb der Schweiz zu respektieren haben. Dazu sollen Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung verbindlicher Umweltstandards haftbar gemacht werden, unabhängig davon, wo die entsprechenden Handlungen vonstatten gingen. Das ist eine so plausible und selbstverständliche Forderung, dass man eigentlich gar nicht darüber diskutieren müsste, ebenso wenig, wie man darüber diskutiert, ob ein Hausbewohner, der seinem Nachbar einen Steinbrocken in den Garten wirft und damit eine Fensterscheibe zertrümmert, für diesen Schaden aufkommen sollte oder nicht. Die Konzernverantwortungsinitiative geht nicht, wie ihre Gegner ihr vorwerfen, zu weit, sondern, im Gegenteil, viel zu wenig weit. Denn skandalös ist nicht nur, Flüsse mit lebensgefährlichen Chemikalien zu vergiften oder Kinder mit zwölf Jahren in eine Kobaltmine zu schicken. Skandalös ist das gesamte Wirtschaftssystem, das dahintersteckt, auf den unersättlichen Raubbau an Mensch und Natur ausgerichtet ist und am einen Ende so viel Profit erzeugt, wie am anderen Ende die Menschen an Armut und Elend dafür zu bezahlen haben. Skandalös ist, dass ausgerechnet jene Länder, in deren Erde die wertvollsten Mineralien und Rohstoffe schlummern, am Profit mit diesen Stoffen den geringsten Anteil haben, während Länder wie die Schweiz, in deren Boden kein Tropfen Öl und kein Gramm seltener Erde vorkommen, durch das Kaufen, Verkaufen und durch den Handel mit diesen Stoffen Milliardengewinne erzielen. Skandalös ist, dass Rohstoffe so billig und Industrieprodukte so teuer sind, dass die eh schon reichen Länder laufend noch reicher und die armen laufend noch ärmer werden. Skandalös ist, dass die gesamte Wertschöpfungskette von den Minen, Plantagen und Fabriken des Südens bis in die multinationalen Konzerne des Nordens darauf aufbaut, dass ganz zuunterst nicht nur die anstrengendste und gefährlichste, sondern zugleich auch die am schlechtesten bezahlte Arbeit verrichtet wird, während ganz zuoberst Aktionäre und Aktionärinnen nicht einmal arbeiten müssen und dennoch sagenhaft reich werden. Die weltweite Ausbeutung der Armen durch die Reichen im Dienste endloser Profitmaximierung ist so allumfassend, dass die Konzernverantwortungsinitiative nicht mehr wäre als ein erster, aber umso notwendiger Tropfen auf einen heissen Stein, ein Tropfen, dem schon möglichst bald viele, viele weitere folgen müssten und der erst dann sein Ziel erreicht hätte, wenn die gesamte Weltwirtschaft nicht mehr auf Ausbeutung und Profitmaximierung ausgerichtet wäre, sondern auf das Wohlergehen aller Menschen, auf eine gerechte Verteilung aller Güter und auf den Respekt gegenüber Natur und Erde. Denn auch mit einer Annahme der Konzernverantwortungsinitiative wäre die Welt noch längst nicht in Ordnung. Vor uns liegt noch ein weiter Weg, aber jeder noch so weite Weg beginnt bekanntlich mit einem ersten Schritt. Und genau dieser erste kleine Schritt muss am 29. November Wirklichkeit werden! 

Schweiz: Besitz- und Vermögensverhältnisse wie zur Zeit der Französischen Revolution…

 

Gemäss neuster Vermögensstatistik des Bundes besitzen alle Schweizer Steuerpflichtigen zusammen ein Reinvermögen von 1994 Milliarden Franken. Davon befinden sich gerade mal 1,4 Prozent in den Händen der ärmeren Hälfte der Schweizer Bevölkerung, während die reichere Hälfte 98,6 Prozent dieser Summe besitzt. Die reichsten 0,3 Prozent der Bevölkerung verfügen sogar über 32 Prozent des gesamten Reinvermögens. Dass solche Eigentumsverhältnisse nicht schon längst zu einer Revolution geführt haben, ist das reinste Wunder. Denn die heutige Vermögensverteilung in der Schweiz entspricht ungefähr der Vermögensverteilung in Frankreich im 18. Jahrhundert, und dort kam es als Folge davon im Jahre 1789 immerhin zu einer Revolution, die das gesamte frühere Regierungssystem und die herrschenden Besitzverhältnisse auf den Kopf stellte. Nun, dass die Revolution hierzulande immer noch auf sich warten lässt, hat vermutlich vor allem zwei Gründe. Erstens sind unser Lebensstandard und unsere sozialen Sicherheitsnetze insgesamt auf einem genug hohen Niveau, so dass, im Gegensatz zum damaligen Frankreich, vorläufig noch niemand verhungern muss und sich selbst die Ärmsten unter Aufbietung aller Kräfte bis zu körperlicher und psychischer Erschöpfung gerade noch knapp über Wasser halten können. Der zweite Grund ist das Märchen, das uns einmal erzählt wurde und an das wir, ob Reich oder Arm, auf wundersame Weise immer noch alle glauben. Dieses Märchen besagt, dass alle, die reich sind, dies auch redlich verdient hätten, während demzufolge all jene, die arm sind, an ihrer Armut selber Schuld seien. Tatsächlich aber trifft das Gegenteil zu: Wer viel arbeitet, wird deswegen nicht reich. Sonst müssten nämlich alle Köche, Serviceangestellte, Bauarbeiter, Putzfrauen, Coiffeusen und Krankenpflegerinnen Millionäre und Millionäre sein. Die Wahrheit ist: Reich wird nicht, wer viel arbeitet, reich wird, einfach gesagt, wer viel besitzt. Sei es in Form einer Erbschaft, sei es in Form gewinnbringender Obligationen, Aktien oder anderer Wertpapiere, sei es in Form von Immobilien, die in Form von Mieten nicht selten horrende Gewinne abwerfen, sei es durch Handeln, Kaufen und Verkaufen von Geld und Gütern mit Riesenprofiten, ohne dass dafür ein Finger gekrümmt werden muss, sei es in Form von Löhnen auf den obersten Etagen der kapitalistischen Machtpyramide, die jeglichem gesunden Menschenverstand spotten. Aber es geht noch viel weiter: Wenn die Reichen ihren Reichtum immer grösser anwachsen lassen, dann müssen andere dafür umso grössere Opfer erbringen: all jene Menschen, die Tag für Tag hart arbeiten und dennoch einen viel zu geringen Lohn bekommen, der weit unter dem liegt, was ihre Arbeit eigentlich Wert wäre. Die permanente Umverteilung von unten nach oben. Oder, anders gesagt: Der permanente Raubzug der Reichen gegen die Armen. Wie lange kann das so weitergehen, bis es dann vielleicht doch noch eines Tages zur Revolution kommt? 

Donald Trump, Joe Biden und die Sehnsucht aller Menschen nach einem “guten Leben”

 

Jörg Wimalasena, der in den letzten Jahren 38 US-Gliedstaaten bereiste und dort die unterschiedlichsten Menschen traf, schreibt in der heutigen “NZZ am Sonntag” vom 1. November 2020: “Entgegen der oft gehörten Meinung, die USA seien ein zutiefst gespaltenes Land, habe ich im Alltag nicht das Gefühl, dass die Gesellschaft besonders gespalten wäre. So unterschiedlich denken die Leute nicht. Jeder möchte im Grunde krankenversichert sein, möchte, dass seine Kinder gute Schulen besuchen und in einer sicheren Nachbarschaft leben.” Ja, die innerste Sehnsucht nach einem guten Leben in Sicherheit, Frieden, körperlicher und seelischer Gesundheit, Gerechtigkeit und Frieden, diese Sehnsucht ist wohl allen Menschen gemein, nicht nur in den USA, auch in allen anderen Ländern der Welt. Wenn die heutige US-Gesellschaft im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen vom 3. November dennoch bis zu einem gewissen Grad gespalten ist, dann nur insofern, als ein Teil der Bevölkerung davon überzeugt ist, dass ihre Sehnsucht nach dem guten Leben eher durch eine Wahl von Donald Trump in Erfüllung gehen könnte, während der andere Teil der Meinung ist, dass sie eher durch eine Wahl von Joe Biden in Erfüllung gehen könnte. Das Bittere ist, dass sich weder die Sehnsucht der einen noch die Sehnsucht der anderen erfüllen wird. Das Problem liegt nämlich nicht in der Wahl zwischen Trump und Biden. Das Problem liegt darin, dass die USA ganz unabhängig davon, ob nun Trump oder Biden zum Präsidenten gewählt wird, ein zutiefst kapitalistisches Land ist und bleiben wird. Ein Land, das die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht. Ein Land, in dem sich die einen mit zwei oder drei Jobs pro Tag zu Tode schuften müssen, damit die anderen ihre Traumvillen mit Swimmingpool und exotischen Parkanlagen bauen und auf Kreuzfahrtreisen oder per Flugzeug in die Karibik verreisen können. Ein Land, in dem der schulische Erfolg als Schlüssel zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg immer mehr davon abhängt, wie viel die Eltern dafür bezahlen können und in welchem Quartier sie leben. Ein Land, das nach wie vor in der Illusion eines immerwährenden Wirtschaftswachstums gefangen ist und dadurch mehr als die meisten anderen Länder für weltweite Umweltzerstörung und die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Ein Land, in dem soziale Verelendung, Überschuldung, psychische Leiden und Drogenmissbrauch immer drastischere Formen annehmen. Ein Land, in dem als unmittelbare Folge einer knallharten Klassengesellschaft und des Kampfs um Privilegien auch die Gewalt zwischen den sozialen und ethnischen Gruppen allgegenwärtig ist. Ob Trump oder Biden: Sie sind, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, nichts anderes als zwei Köpfe des gleichen kapitalistischen Ungeheuers. Und die Sehnsucht nach dem “guten Leben”, wird, wie schon zu Obamas Zeiten, einmal mehr bitter enttäuscht werden. Der “Wahlkampf” zwischen den beiden “Kontrahenten” lenkt einmal mehr die öffentliche Aufmerksamkeit von der tatsächlichen Schicksalsfrage ab, von der Frage nämlich, ob es nicht höchste Zeit wäre, das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem durch eine von Grund auf neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu ersetzen, welche das “gute Leben” nicht nur für eine privilegierte Minderheit, sondern für sämtliche Bürgerinnen und Bürger dieses Landes verwirklichen würde. An der Sehnsucht der Menschen jedenfalls würde es nicht fehlen…  

Kunstturnerinnen und Sportgymnastinnen: Nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs…

 

Das “Magazin” des “Tagesanzeigers” vom 31. Oktober 2020 berichtet von den erschütternden Zuständen bei den Trainingsmethoden für Kunstturnen und Rhythmische Gymnastik in Magglingen, wo schon elfjährige Mädchen bis an ihre Schmerzgrenzen und weit darüber hinaus gequält werden und viele von ihnen buchstäblich daran körperlich und psychisch zerbrechen. Wenn man die Erfahrungsberichte der Mädchen und jungen Frauen liest, voller Verzweiflung und Erniedrigung bis hin zu Suizidgedanken, dann kann man es kaum fassen, dass so etwas, was man früher nur von Rumänien oder Bulgarien kannte, mitten in einem so demokratischen und aufgeklärten Land wie der Schweiz auch heute noch möglich ist. Doch im Grunde genommen ist das nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Dieser Eisberg, das ist jenes Konkurrenzprinzip, das sämtliche Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft in mehr oder weniger drastischem Ausmass durchzieht: Wenn die Mädchen von Magglingen für die nächsten Olympischen Spiele trainieren, dann stehen sie dabei in direkter Konkurrenz zu den Mädchen in Deutschland, in den USA oder in Russland. Und je mehr und härter die Mädchen in allen anderen Ländern trainieren, umso mehr müssen auch die Mädchen hierzulande trainieren, wenn sie auch nur annähernd eine Chance haben wollen, unter den zehn besten Ländern zu rangieren. Es ist eine Art Krieg. Jeder Peitschenhieb, mit dem am einen Ort eine höhere Leistung herbeigeprügelt wird, hat unzählige weitere Peitschenhiebe an unzähligen anderen Orten zur Folge, um eine noch höhere Leistung hervorzubringen. Es ist ja kein Zufall, sondern eine logische Folge davon, dass die Übungen, welche von Jahr zu Jahr gezeigt werden, immer extremer und gefährlicher werden, denn nur so kann man sich an der Spitze noch einigermassen behaupten. Das Gleiche bei den Skirennfahrern und Skirennfahrerinnen, die von Jahr zu Jahr in immer schnellerem Tempo, mit grösserem Risiko und grösserer Unfallgefahr die Pisten hinuntersausen, nur um ein paar Tausendstel Sekunden schneller zu sein als die Konkurrenz. Das Ganze beginnt schon in der Schule, spätestens dann, wenn Prüfungen benotet werden: Jedes Kind steht in Konkurrenz zu seinen Mitschülern und Mitschülerinnen und je eifriger sich das einzelne Kind auf die Prüfung vorbereitet, umso mehr zwingt es alle anderen dazu, eine noch grössere Leistung zu vollbringen, um möglichst mit den anderen mithalten zu können. Und erst recht in der Arbeitswelt, wo jede Firma in einem permanenten Konkurrenzkampf steht zu allen anderen Firmen: Wer schneller und billiger produziert, zwingt alle anderen Firmen dazu, noch schneller und noch billiger zu produzieren, um den Anschluss nicht zu verpassen und nicht auf der Strecke zu bleiben. Nun könnte man einwenden, dies alles sei ja gar nicht so schlimm, sondern führe dazu, dass jeder stets das Beste gibt und sich dadurch die Qualität von allem laufend verbessere: immer spektakulärere Darbietungen im Kunstturnen, immer schnellere Skirennfahrer, immer gescheitere Schüler und Schülerinnen, immer billigere und qualitativ bessere Produkte. Das Problem ist nur: Jeder Erfolg, der in diesem Konkurrenzkampf errungen wird, muss, wie das Beispiel der Kunstturnerinnen am drastischsten zeigt, mit immer grösserem Aufwand, grösseren Opfern und grösserem Leiden erkauft werden, denn die Spirale der Konkurrenz dreht sich naturgemäss immer schneller. Und am Ende stehen dann ein paar wenige “Sieger” im Rampenlicht und viele andere, die sich ebenso angestrengt und mit ihrem Einsatz den Konkurrenzkampf überhaupt erst möglich gemacht haben, gehen leer aus. Doch was wäre die Alternative zum Konkurrenzprinzip? Ein System der Kooperation, bei der jeder auf seinem Gebiet das Beste zum Gelingen des Ganzen beiträgt, ohne stets mit anderen verglichen und gegen andere ausgespielt zu werden. Ein System, in dem die Menschenwürde im Mittelpunkt stehen würde und Zustände, wie sie die Mädchen von Magglingen heute noch erleiden müssen, hoffentlich für immer der Vergangenheit angehören würden..

Plätze auf der Intensivstation nur noch für “verdiente Mitglieder der Gesellschaft”: Gefährliche Gedankenspiele…

 

Simon Hehli setzt sich in der heutigen NZZ vom 30. Oktober 2020 mit der Frage auseinander, welche Coronapatienten im Falle einer Überlastung der Intensivstationen noch einen Platz bekommen sollten und welche nicht. Es könnte, so Hehli, eine Frage des Alters bzw. der zu erwartenden Lebenserwartung sein. Dann aber geht Hehli noch einen Schritt weiter und bringt den Gedanken ins Spiel, dass man allenfalls “verdiente Mitglieder der Gesellschaft oder Privatversicherte” bevorzugen könnte. Freilich sei dies, so Hehli, für die Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW kein Thema. Doch dass man einen solchen Gedanken, und so es bloss ein “Gedankenspiel”, überhaupt an die Öffentlichkeit bringt, muss schon sehr zu denken geben. Was wären denn “verdiente Mitglieder der Gesellschaft”? Gehörte zum Beispiel die Zürcher Stadtpräsidentin in diese Kategorie, nicht aber die Migrosverkäuferin, welche täglich die Gestelle befüllt, wo die Stadtpräsidentin ihre Einkäufe besorgt? Oder gehörte ein Uniprofessor in diese Kategorie, nicht aber der Tramchauffeur, der den Universitätsprofessor täglich pünktlich zur Arbeit fährt? Oder gehörte der CEO eines multinationalen Konzerns in diese Kategorie, nicht aber seine Arbeiterinnen und Arbeiter, ohne deren Einsatz der ganze Konzern augenblicklich in sich zusammenbrechen würde? Und wie steht es mit dem Pflegepersonal, gehört das zu den “verdienten” oder zu den “weniger verdienten” Mitgliedern der Gesellschaft und könnten Pflegende dann in letzter Konsequenz, wenn sie selber krank würden, von all den Pflegeleistungen, die sie für andere erbrachten, am Ende selber ausgeschlossen werden? Von “verdienten” und “weniger verdienten”, “wichtigen” und “unwichtigen” Mitgliedern der Gesellschaft zu sprechen ist ein Hohn gegenüber all jenen, die ganz “unten”, an der Basis, all jene harte, anspruchsvolle, verantwortungsvolle, gefährliche und ermüdende Arbeit leisten, ohne welche die gesamte Gesellschaft keinen Tag lang funktionieren könnte und ohne die es weder eine Stadtpräsidentin gäbe, noch einen Universitätsprofessor und erst recht keinen CEO eines multinationalen Konzerns. Doch das “Gedankenspiel” des NZZ-Journalisten geht ja noch weiter: Man könnte die Privatversicherten gegenüber den Allgemeinversicherten vorziehen. Was nichts anderes heissen würde, als die Reichen gegenüber den Armen zu bevorzugen. Was für ein menschenverachtender Gedanke! Ausgerechnet die, welche schon ein Leben lang auf hunderttausende Annehmlichkeiten verzichten mussten, die für andere selbstverständlich waren, sollen nun, vor dem möglichen Ende ihres Lebens, in der Warteschlange noch einmal auf die hintersten Plätze verwiesen werden. Zum Glück sind das, wie der Autor betont,  alles nur “Gedankenspiele” und weit davon entfernt, in der Bevölkerung oder in politischen Gremien Mehrheiten zu finden. Und doch scheint es mir mehr als fragwürdig, überhaupt mit solchen Gedanken zu spielen und damit Diskussion in Gang zu setzen, die dann vielleicht im schlimmsten Falle doch noch eines Tages Wirklichkeit werden könnten…

 

 

“Frauenberufe” und “Männerberufe”: Was “Gleichstellung” ist und was sie eigentlich sein müsste

 

Eine soeben veröffentlichte Studie des Bundes kommt zum Schluss, dass nach wie vor ein überwiegender Teil der Mädchen traditionelle “Frauenberufe” wählt und ein überwiegender Teil der Knaben traditionelle “Männerberufe”. Zwar ist der Anteil von Mädchen in Männerberufen und Knaben in Frauenberufen im Laufe der Jahre gestiegen und wird voraussichtlich auch weiterhin steigen. Dies nicht zuletzt als Folge einer von Frauenorganisationen wie auch von Berufs- und Wirtschaftsverbänden gezielt vorangetriebenen “Gleichstellungspolitik”. Dabei geht es aber vor allem darum, Mädchen dazu zu animieren, in “Männerberufe” einzusteigen, und weniger um das Umgekehrte, nämlich darum, Knaben dazu zu bringen, “Frauenberufe” zu ergreifen. Denken wir uns das weiter, dann würden wir von Jahr zu Jahr immer mehr Frauen in “Männerberufen” finden, dafür hätten es typische “Frauenberufe” immer schwerer, noch genügend Auszubildende zu bekommen und mit der Zeit blieben immer mehr Stellen in diesen Berufssegmenten unbesetzt. Etwas, was sich schon heute abzuzeichnen beginnt. Deshalb müsste eine Gleichstellungspolitik, die diesen Namen auch tatsächlich verdient, dafür sorgen, dass Löhne und Arbeitsbedingungen der traditionellen “Frauenberufe” von der Coiffeuse über die Kleinkinderzieherin und die Detailhandelsangestellte bis zur Krankenpflegerin mit jenen der traditionellen “Männerberufe” vergleichbar wären, damit ebenso viele Knaben in “Frauenberufe” einsteigen wie Mädchen in “Männerberufe”. Vergleichbar bedeutet in letzter Konsequenz: gleicher Lohn für alle. Denn es gibt keinen einzigen plausiblen Grund dafür, dass ein Bankangestellter mehr verdienen sollte als eine Krankenpflegerin oder eine Kleinkinderzieherin weniger verdienen sollte als ein Hochschulprofessor. Das ist alles nur deshalb so, weil wir uns über zu lange Zeit daran gewöhnt haben und uns im Moment etwas anderes noch nicht vorstellen können. Doch wollen wir wirklich warten, bis die letzte Krankenpflegerin in Pension gegangen ist, die letzte Coiffeuse ihren letzten Kunden verabschiedet hat, die letzte Floristin ihren letzten Blumenstrauss gebunden, die letzte Serviceangestellte den letzten Tisch abgeräumt hat und die letzten Gäste gegangen sind?

Corona deckt Mängel des kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems auf

 

Führen wir uns die Coronakrise und ihre gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen in ihrer ganzen Tragweite vor Augen, dann hat dies alles nicht zuletzt auch sehr viel mit dem – kapitalistischen – Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu tun, in dem wir leben. Spitäler, Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, kurz das gesamte Gesundheitssystem ist, gemäss der kapitalistischen Kosten- und Nutzenlogik, auf die betriebswirtschaftliche Rendite ausgerichtet: Das Gesundheitswesen wird, so zynisch dies klingen mag, permanent “gesundgeschrumpft”, das Personal bis zum Äussersten ausgewunden, die Bettenauslastung in den Spitälern ständig optimiert, der Patient und die Patientin nur so lange im Spital behalten, als dies unbedingt nötig ist, unrentable Abteilungen und ganze Spitäler lahmgelegt, der Patient und die Patientin nicht mehr primär als Kranke und Pflegebedürftige betrachtet, sondern als Goldesel, die in kürzester Zeit den höchstmöglichen Gewinn zu erzielen haben. “Früher”, so brachte es eine Pflegefachfrau auf den Punkt, “hatten wir ein Gesundheitswesen, heute haben wir eine Gesundheitsindustrie.” Wer alles so auf den knappestmöglichen Punkt der Rendite zu bringen hat, kann sich logischerweise nicht auf so etwas Unerwartetes und Immenses vorbereiten, wie es nun in Form der Coronapandemie völlig unerwartet über uns gekommen ist: Das Personal war ja schon vorher bis zum Gehtnichtmehr ausgelaugt, die Bettenstationen waren ja schon vorher bis zum Äussersten ausgenutzt, woher also sollen jetzt plötzlich die Ressourcen kommen, um weitere hunderte oder gar tausende Patienten und Patientinnen zu betreuen? Eine vorausschauende Planung, in der ein solcher Katastrophenfall berücksichtigt wäre, würde eine totale Entkoppelung des Gesundheitswesens von kapitalistischem Kosten-Nutzen-Denken erfordern. Und auch in “normalen” Zeiten wäre dies ein mehr als segensreicher Gewinn für alle: Das Personal müsste nicht ständig am Limit arbeiten und alles Zwischenmenschliche, das für eine Genesung ebenso wichtig ist wie das rein Medizinische, hätte wieder seinen Platz. Doch nicht nur das Gesundheitswesen ist der kapitalistischen Kosten-Nutzen-Maxime unterworfen. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft. Schon zu “normalen” Zeiten ist die Rendite das oberste Ziel eines jeden Betriebs, sei es ein Hotel, ein Reiseunternehmen, ein Coiffeursalon, ein Kino, ein Restaurant, ein Modegeschäft, ein Handwerksbetrieb oder ein Sportverein. Alles auf den knappestmöglichen Punkt gebracht, alles Unrentable weggespart, das Personal immer bis zum Äussersten ausgewunden, denn man steht ja beständig in einem gegenseitigen Konkurrenzkampf, in dem nur der Schnellste und Tüchtigste überleben kann. Dass auf diese Weise keine Reserven angelegt werden können, um auch schlechte Zeiten überstehen zu können, ist ja nur logisch. Würde man die Wirtschaft vom kapitalistischen Renditezwang und vom gegenseitigen Konkurrenzkampf abkoppeln, dann könnte ein jeder Betrieb kontinuierlich, Jahr für Jahr, Reserven in einem Umfang beiseitelegen, die ihm ein Überleben auch über ein halbes oder ganzes Jahr ohne Einkünfte sichern würden. Und sollte keine Katastrophe eintreffen, so hätten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sicher genug gute Ideen, wofür man die Reserve brauchen könnte, zum Beispiel für persönliche Weiterbildung und dergleichen. Wäre die Coronapandemie der Anlass, unser kapitalistisches, stets auf kurzfristige Gewinne ausgerichtetes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem kritisch zu überdenken und mögliche Alternativen dazu zu entwickeln? Man kann es sich nur wünschen…

 

 

 

 

 

 

 

Arbeiten bei Amazon: Die inneren Widersprüche des kapitalistischen Konkurrenzprinzips

 

Mimi Harris, so berichtet die “Wochenzeitung” am 22. Oktober 2020, arbeitet bei Amazon. Während des Shutdowns sei die Rate von 250 Objekten pro Stunde auf 400 erhöht worden. Und am Ende jeder Schicht hätte das Management eine Liste vorgelesen, von den schnellsten Angestellten zu den langsamsten. Sie, so Harris, sei häufig weit unten gewesen und diese öffentliche Demütigung hätte sie mit der Zeit fertiggemacht. Andere hätten bis zum Kollaps gearbeitet, nur um auf der Rangliste möglichst weit oben zu sein… Die Rangliste ist wohl das hinterhältigste Werkzeug in der Hand des Kapitalismus. Das beginnt spätestens im Kindergarten, wenn die Zeichnungen der Kinder miteinander verglichen werden oder wenn die Lehrerin, vielleicht ganz beiläufig und unbewusst, ein Kind, das seine Schuhe noch nicht selber binden kann, darauf hinweist, dass ein anderes dies schon kann. Aber so richtig los geht es dann in der Schule, wenn Prüfungen benotet werden und den Kindern knallhart bewusst wird, an welcher Stelle der Klassenrangliste sie stehen. Aber nicht nur die Kinder der einzelnen Schulklasse werden miteinander verglichen, mittels der internationalen Pisastudie werden sogar die Schulen weltweit miteinander verglichen und jedes Land kann dann schauen, welchen Platz auf der internationalen Rangliste es erreicht hat. Lernen die Kinder in der Schule allenfalls noch zu wenig, Ranglisten zu verinnerlichen, dann tragen sportliche Aktivitäten eifrigst das Ihrige dazu bei: Rennen, Klettern, Schwimmen um die Wette, und immer steht am Schluss eine Rangliste, ein Podest, ein Oben und ein Unten. So sind die Kinder dann bestens vorbereitet auf eine Arbeitswelt, wo jeder Einzelne wiederum bis zum Gehtnichtmehr beurteilt, bewertet und mit seinen Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen verglichen wird: Wie viele Briefe und Pakete pro Stunde verteilt der einzelne Briefbote im Vergleich zu seinen Kollegen, wie viel Umsatz generiert die einzelne Serviceangestellte im Vergleich zu ihren Kolleginnen, wie viele Klienten und Klientinnen pro Tag bewältigt die Angestellte auf dem Sozialamt. Und das geht so immer weiter bis zum nationalen Bruttosozialprodukt, in dem sich die “Wettbewerbsfähigkeit” der gesamten Wirtschaft widerspiegelt und auch dies wiederum im Vergleich zu allen übrigen Ländern der Welt, Ranglisten, über die sich die “Guten” freuen und die bei den “Schlechten” wahrscheinlich ähnliche Gefühle auslösen, wie sie die Amazon-Mitarbeiterin empfindet, wenn sie am Ende eines harten Arbeitstages erfahren muss, dass sie doch wieder nur einen der letzten Plätze auf der Rangliste erreicht hat. Mit der Rangliste werden Menschen, Schulen, Firmen und ganze Länder dazu angestachelt, auf der Rennbahn zukünftigen Erfolgs das Äusserste und Beste zu geben. Und dennoch werden immer nur die Stärksten und Schnellsten diesen Erfolg auch tatsächlich erreichen – es liegt in der Natur der Sache, dass es in jedem beliebigen Unterfangen Sieger und Verlierer geben muss, wie bei einem Skirennen, bei dem alle Beteiligten unmenschliche Leistungen vollbringen, am Ende aber doch nur drei von allen auf dem Podest stehen, weil sie ein paar Tausendstel Sekunden schneller gewesen sind als die anderen. Oder wie bei einer Schulklasse, in der alle Kinder den gleichen IQ haben könnten, es aber dennoch genug winzige Unterschiede zwischen ihnen gäbe, um sie in “gute” und “schlechte” Schülerinnen und Schüler aufzuteilen. Die Rangliste ist eine riesige Lüge. Sie tut so, als wäre es jedem und jeder, die am Start steht, möglich, am Ende des Rennens auf dem Podest zu stehen, sie verschweigt aber die Tatsache, dass es gar nicht anders möglich ist, als dass eben nur ein Einziger oder eine Einzige dies auch tatsächlich schaffen wird, da ja selbst die winzigsten, geradezu vernachlässigbaren Unterschiede zum Anlass genommen werden, die Rangliste zu erstellen. Zwei fatale Auswirkungen hat die Rangliste: Erstens zwingt sie die Menschen, gegeneinander zu arbeiten statt miteinander. Zweitens demütigt sie permanent all jene, die “nur” auf den hinteren Rängen landen. Auch die Amazon-Mitarbeiterin, die auf dem letzten Platz gelandet ist, hat am Ende des Tages eine ungeheure Leistung vollbracht, ihr Rücken und ihre Beine schmerzen kein bisschen weniger als der Rücken und die Beine jener, die auf den vorderen Plätzen rangieren, dennoch bekommt sie am Ende kein Dankeschön, sondern höchstens Vorwürfe oder böse Blicke ihres Vorgesetzten. Genau so wie das Schulkind, das eine schlechte Note bekommen hat, obwohl es sich ebenso viel oder sogar noch mehr Mühe gegen hat als sein Mitschüler, der mit der Bestnote glänzt. Wettbewerbe und Ranglisten, bei denen sich die Sieger ihre Siege dadurch erkaufen, dass sich die Verlierer mit ihren Niederlagen abfinden müssen, verschütten viel zu viel menschliches Potenzial, richten masslosen persönlichen, sozialen wie auch wirtschaftlichen Schaden an und sollten möglichst bald der Vergangenheit angehören…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

UBS-Angestellte bekommen Lohnerhöhung, Pflegepersonal geht leer aus…

 

Wer bei der UBS arbeitet, bekommt für 2020 einen zusätzlichen Wochenlohn. Dies, so teilt die Grossbank mit, sei ein “Zeichen der Wertschätzung für den besonderen Einsatz in der schwierigen Coronazeit.” Die UBS lässt sich diesen Zustupf rund 30 Millionen Dollar kosten. Davon kann das Pflegepersonal in den Spitälern nur träumen: Pflegerinnen und Pfleger gehen leer aus, für sie gibt es weder eine Prämie noch eine Lohnerhöhung. Solche unsägliche Ungerechtigkeit ist nur deshalb möglich, weil Wirtschaft und Arbeitswelt nach rein betriebswirtschaftlicher Logik funktionieren: Firmen, die einen höheren Gewinn erzielen, können ihren Angestellten auch einen entsprechend höheren Lohn auszahlen, jene, die sich kaum über Wasser halten können, speisen ihre Angestellten mit entsprechend geringeren Löhnen ab, was so weit gehen kann, dass viele Menschen selbst bei voller Erwerbstätigkeit nicht einmal ausreichend von ihrem Lohn leben können. Diese betriebswirtschaftliche Logik klammert aus, dass alles mit allem zusammenhängt und jede Firma auf die Arbeit und die Leistungen anderer Firmen angewiesen ist, um überhaupt existieren zu können. Wenn die UBS trotz Krisenzeit so hohe Gewinne erzielt, dass sie ihren Angestellten einen zusätzlichen Wochenlohn bezahlen kann, dann ist dies nur möglich, weil irgendwer irgendwo das Essen hergestellt hat, das die UBS-Angestellten zu sich nehmen, weil irgendwer irgendwo die Häuser gebaut hat, in denen die UBS-Angestellten wohnen oder arbeiten, weil irgendwer irgendwo die Autos gebaut hat, mit denen sie herumfahren, und weil sich irgendwo irgendwer um sie kümmern wird, wenn sie krank werden – die Aufzählung liesse sich beliebig weiterführen. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass wir uns von der betriebswirtschaftlichen Logik lösen müssen hin zu einer “gemeinwirtschaftlichen” Logik. Was auf den ersten Blick utopisch oder kompliziert erscheinen mag, ist die einfachste Sache der Welt: In den afrikanischen Dörfern zur Zeit, als die Europäer den Kontinent noch nicht erobert hatten, galt das Prinzip des Teilens in der Gemeinschaft. Morgens zog man los zur Affenjagd, gegen Abend kam man mit den erbeuteten Tieren zurück ins Dorf. Einige der Jäger hatten drei oder vier Affen erbeutet, andere überhaupt keinen. Und nun ass nicht einfach jeder die von ihm erbeuteten Tiere, sondern alles wurde und unter alle gleichmässig verteilt – so wie wir das bei jedem Kindergeburtstagsfest machen, wenn jedes Kind ein gleich grosses Stück des Kuchens bekommt. Die Abkehr von der betriebswirtschaftlichen Logik hin zur gemeinwirtschaftlichen Logik ist völlig plausibel und wird dem Umstand gerecht, dass jeder Betrieb eben nur Teil eines grösseren Ganzen ist und dass daher für den Erfolg der einen direkt oder indirekt immer auch alle anderen ihren Beitrag leisten. Wie aber sollte man einen solchen Systemwechsel in die Praxis umsetzen? Nun, das ist eigentlich bloss eine Frage des Willens und des gesellschaftlichen Konsenses. Wenn sich nämlich alle einig wären, dass dies eine gerechte Lösung wäre, dann liesse sich bestimmt auch ein Weg finden, sie in die Tat umzusetzen. So könnte beispielsweise jede Firma am Ende des Monats den erzielten Reingewinn (die erbeuteten Affen) in eine schweizerische Gemeinschaftskasse einzahlen und aus dieser Kasse erhielten dann alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihren je gleichen Anteil des gesamten Kuchens, also eine Art “Einheitslohn”. So einfach wäre das – man müsste es nur wollen…