Archiv des Autors: Peter Sutter

Der wahre Skandal ist nicht das Betteln

Bahnbrechender Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Er heisst die Beschwerde einer 28jährigen rumänischen Bettlerin, die von der Stadt Genf mit einer Busse von 500 Franken belegt wurde, gut. In der Tat: Der Skandal ist nicht das Betteln. Der wahre Skandal ist die Beraubung der Armen durch die Reichen. Wenn in Genf schon jemand an den Pranger gestellt werden soll, dann sicher nicht die rumänische Frau, die keine andere Wahl als das Betteln hat, um ihre Kinder durch den Winter hindurchzubringen. An den Pranger gestellt werden müssten die Genfer Immobilienhaie, Rohstoffhändler und Diplomaten, die nur deshalb das Leben in ihren Luxusvillen geniessen können, weil der Reichtum weltweit so unsäglich ungerecht verteilt ist.

Sozialdetektive ja oder nein? Die Geschichte von den Mücken und den Elefanten..

 

Am 7. März 2021 stimmen die Zürcherinnen und Zürcher darüber ab, ob Städte und Gemeinden zur Überwachung von Sozialhilfebeziehenden Sozialdetektive einsetzen dürfen. Ursprünglich hätten die bürgerlichen Parteien auch die Möglichkeit unangemeldeter Besuche sowie das Tracking mittels GPS in die Gesetzesvorlage aufnehmen wollen, dies wurde aber von einer knappen linksgrünen Mehrheit verhindert. Trotzdem ist die Vorlage nach wie vor umstritten, insbesondere die Alternative Liste lehnt die Überwachung von Sozialhilfebeziehenden durch Sozialdetektive grundsätzlich ab. Was wir bei der Diskussion über Sozialdetektive verfolgen können, ist die immer wiederkehrende Geschichte von der Mücke und vom Elefanten. Die Mücke, das sind Menschen, die sich oftmals ein ganzes Leben lang am untersten Rand der Gesellschaft immer und immer wieder hochrappeln mussten, immer wieder zurückgeworfen wurden und über Jahre Tag für Tag um jeden Franken kämpfen mussten. Der Elefant, das sind die Menschen am entgegengesetzten Ende der gesellschaftlichen Machtpyramide, Menschen, die infolge einer Erbschaft schon bei der Geburt reicher waren als unzählige andere, Menschen, die dank günstiger Umstände höhere berufliche und gesellschaftliche Positionen erreichen konnten oder dank Börsengewinnen, Spekulation oder Immobilienhandel Vermögen aufbauen konnten, von denen unzählige andere nicht einmal zu träumen wagen. Doch das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte von der Mücke und dem Elefanten, diese geht noch viel weiter. Wenn wir uns nämlich im Einzelnen anschauen, wie die Elefanten zu ihrem Reichtum gelangen, dann stellen wir bald einmal fest, das dieser Reichtum in den seltensten Fällen die Frucht harter Arbeit ist, sondern vielmehr die möglichst geschickte Teilnahme an jenen zahllosen Geschäften und Finanzströmen, in denen sich laufend Arbeit in Geld verwandelt: Wer Aktien einer Rohstofffirma besitzt, wird deshalb reich, weil die Menschen, welche diese Rohstoffe zu Tage fördern, transportieren und bearbeiten, bitterarm sind, das Gleiche gilt für den Besitzer von Aktien einer Firma, die mit Tropenfrüchten handelt, oder einer Firma, die Tropenholz in Designermöbel verwandelt. Jeder Lohn, der an jedem beliebigen Punkt der Produktionskette erwirtschaftet wird, spaltet sich in zwei Teile: In einen, der dem Arbeiter und der Arbeiterin zukommt und so bemessen ist, dass sie gerade davon leben können, und in einen zweiten, der von den Besitzern der Firma abgerahmt wird und den diese einkassieren, ohne selber dafür arbeiten zu müssen – man könnte diesen zweiten Teil des Lohnes durchaus auch als “gestohlenes” Geld bezeichnen. Und dieses Muster wiederholt sich endlos, weltweit, Tag für Tag. Jeder Immobilienbesitzer, jeder Unternehmensberater, jeder Aktionär einer Fluggesellschaft oder eines Luxushotels wird jeden Tag bloss dadurch ein bisschen reicher, weil unzählige andere jeden Tag ein bisschen mehr arbeiten, als sie eigentlich müssten, und dennoch weniger verdienen. Zurück zu den Mücken und den Elefanten. Die eigentlichen “Bösewichte” sind nicht die Mücken, die sich mit ein paar liegengebliebenen Krümeln abfinden müssen. Die eigentlichen “Bösewichte” sind die Elefanten, die weltweit alles abgrasen, was ihnen unter die Füsse kommt. Gestohlenes Geld findet man nicht bei den Mücken, nicht bei den Sozialhilfebeziehenden. Gestohlenes Geld findet man bei den Elefanten, bei den Grossaktionären, Waffenhändlern, Immobilienbesitzern. Nur hat der Kapitalismus alles ins Gegenteil verdreht und wir zeigen mit unseren Fingern nicht auf die Diebe, sondern auf jene, die bestohlen wurden. Eigentlich müsste man die Sozialdetektive nicht zu den Sozialhilfebeziehenden schicken, sondern auf die Chefetagen der multinationalen Konzerne, an die Konferenztische der Grossbanken und in die Luxusvillen der Multimillionäre am Genfersee und am Zürichsee. Dann, endlich, würden wir der Geschichte von den Mücken und Elefanten nach und nach auf die Spur kommen…      

 

 

Der Klimaplan des Klimastreiks – und wo bleibt das mediale Echo?

 

Am 8. Januar 2021 präsentierten Aktivisten und Aktivistinnen des Schweizer Klimastreiks der Öffentlichkeit ihren druckfrischen “Klimaplan”, an dem zusammen mit Wissenschaftlern und Expertinnen während eines ganzen Jahres intensiv gearbeitet worden war. Das Papier umfasst 377 Seiten und enthält 138 Massnahmen, unter anderem die Förderung alternativer Energien, neue Wohnformen, ein Verbot von fossilen Brennstoffen, grössere Flächen für Spiel und Freizeit, ein Moratorium für Neubauten und vieles, vieles mehr. Wer nun erwartet hätte, die Vorstellung dieses Klimaplans hätte ein dem geleisteten Aufwand und der Brisanz des Themas entsprechendes mediales Echo ausgelöst, sieht sich doppelt und dreifach getäuscht. Weder in den grösseren Tageszeitungen, noch am Fernsehen war etwas von dem mit so viel Herzblut und Engagement erarbeiteten Massnahmenpapier der Klimajugend zu hören und zu lesen. Offensichtlich war es den Medien zu wenig spektakulär. Unwillkürlich erinnert man sich an den 22. November 2018, als Jugendliche, um gegen die Geldpolitik der Crédit Suisse zu protestieren, in einer Zürcher Filiale der Bank Tennis spielten. Und ebenso erinnert man sich an den 1. Mai 2019, als junge Aktivisten und Aktivistinnen gegen die Fassaden der Crédit Suisse und der UBS in St. Gallen Farbbomben warfen. Und unvergessen bleibt ebenfalls die “widerrechtliche” Besetzung des Berner Bundesplatzes durch mehrere hundert Klimastreikende Ende September 2020. Auf jedes dieser Ereignisse stürzten sich die Medien wie hungrige Wölfe und tagelang konnte man weder eine Zeitung aufschlagen noch sich die Tagesschau am Fernsehen anschauen, ohne sich mit dem einen oder anderen dieser Themen konfrontiert zu sehen. Offensichtlich ist das Interesse der Medien an ein paar Demonstranten und Demonstrantinnen, welche Farbbomben werfen, am falschen Ort Tennis spielen oder an einem Ort, wo sie eigentlich nicht sein dürften, ihre Zelte aufschlagen, ungleich viel grösser als an einem Papier, an dem ein ganzes Jahr lang gearbeitet wurde und das, nähme man es ernst, eine geradezu bahnbrechende Wirkung auf die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung unseres Landes haben könnte. Freilich kann man an dieser Stelle nicht allein den Medien die “Schuld” geben. Sie sind bloss Teil eines gesellschaftlich-wirtschaftlichen Systems, in dem es in einem sich gegenseitig laufend beschleunigenden Konkurrenzkampf darum geht, stets das spektakulärste Bild, die treffendste Schlagzeile zu ergattern, möglichst immer die Nase zuvorderst zu haben und immer ein bisschen schneller zu sein als alle anderen. Dass da ein 377 Seiten umfassendes Werk keine Chance hat auf eine entsprechende Würdigung, ist ja logisch. Welcher Journalist oder welche Journalistin hätte schon die nötige Zeit und Musse, sich damit zu befassen, sich einzulesen, geschweige denn das Ganze zu kommentieren. Zu den 138 vorgeschlagenen Massnahmen des Klimaplans käme somit eine weitere wichtige dazu: Die Medien müssten vom gegenseitigen Konkurrenzdruck und der Jagd auf die möglichst spektakulärsten Schnäppchen befreit und zu ihrer ureigenen demokratischen Aufgabe verpflichtet werden: Information, Bildung, Aufklärung. Journalisten und Journalistinnen müssten ohne Zeitdruck arbeiten können und die verschiedenen Zeitungen und weiteren Medien müssten eine möglichst grosse Vielfalt unterschiedlicher Meinungen und Gesichtspunkte zum Ausdruck bringen – nicht so wie heute, wo sich die Medien immer häufiger Artikel gegenseitig abschreiben. Eine eigenständige und vielfältige Medienlandschaft, die nicht dem Geld, sondern den Menschen verpflichtet wäre, ist eine Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie. In einer solchen Medienlandschaft hätte der Klimaplan des Klimastreiks zweifellos eine gebührende Beachtung erfahren, wäre auch ausführlich kommentiert, von verschiedenen Seiten beleuchtet worden und hätte wohl so manches “Schnäppchen” an den Rand verdrängt. Ja, auf dem Weg zu jener “anderen Welt”, welche die Verfasserinnen und Verfasser des Klimaplans fordern, wäre die Demokratisierung der Medien ein wesentlicher, unumgänglicher Schritt…

 

 

 

Klimaplan der Grünen: Nicht Wolkenkuckucksheim, sondern Zeichen einer neuen Zeit

 

Francesco Benini, Verfasser eines Kommentars im “St. Galler Tagblatt” vom 13. Januar 2021, hat offensichtlich keine Freude am neuen Klimaplan der Schweizer Grünen, der dieser Tage der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Despektierlich bezeichnet Benini das neue Positionspapier der Grünen als “Wolkenkuckucksheim” – was immer damit gemeint sein mag. Die Grünen, so Benini, planten eine “Umerziehung der Gesellschaft”, die künftig weniger konsumieren solle. Auch sei den Grünen “die Freiheit der Menschen offensichtlich gleichgültig”, sollte die Bevölkerung doch “mit Werbeverboten vom Kauf nicht erforderlicher Güter abgehalten werden.” Dem “Monstrum” dieses Klimaplans, der die Menschen “bevormunden” wolle, könne er, Benini, mit dem besten Willen nichts Positives abgewinnen. Nun, schauen wir uns doch die zentralen Begriffe in Beninis Argumentation etwas genauer an. Es sind die typischen Begriffe, wie sie in Diskussionen zu den Themen Klima- und Umweltschutz und Klimawandel immer und immer wieder ins Feld geführt werden. Erstens: Die Grünen strebten eine “Umerziehung” der Bevölkerung an. Dazu ist zu sagen, dass auch die heutige Warenwelt und die Konsumgesellschaft, in die wir alle von klein auf hineinwachsen, alles andere als frei ist von Beeinflussung, Manipulation und, im weitesten Sinne, “Erziehung”. Fast täglich werden neue Produkte auf den Markt geworfen, der Kundschaft mit allen Mitteln der Verführung angepriesen und gleichzeitig immer neue Bedürfnisse geweckt, so dass nicht nur der täglich produzierte Warenberg, sondern gleichzeitig auch die nicht mehr benötigten und fortgeworfenen Dinge immer weiter in den Himmel wachsen. Wenn nun die Grünen dazu auffordern, unsere täglichen Konsumgewohnheiten zu hinterfragen, so hat dies nichts mit einer “Umerziehung” zu tun, sondern, im Gegenteil, mit einem Aufdecken und Hinterfragen jener subtilen und allgegenwärtigen Form von “Erziehung”, der wir in einer unaufhörlich wachsenden Warenwelt von klein auf ausgesetzt sind. Und damit sind wir beim zweiten Begriff, dem Begriff der “Freiheit”. Ein Werbeverbot für “überflüssige” Dinge, wird behauptet, bedeute eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Doch ist es wirklich “Freiheit”, wenn ich unter möglichst vielen verschiedenen Turnschuhen, Fahrrädern und Feriendestinationen “frei” auswählen kann? Geht es da nicht viel eher um die Freiheit der Wirtschaft, wann und wo und wie auch immer die Bedürfnisse der Konsumenten und Konsumentinnen anzustacheln und in die gewünschten Bahnen zu lenken? Alles, was auf den ersten Blick als “Bevormundung” und “Einschränkung” erscheinen mag, ist auf den zweiten Blick in Tat und Wahrheit das Gegenteil: Wir müssen wohl auf einen Teil unseres bisherigen Luxuskonsums verzichten. Dafür aber gewinnen wir eine Zukunft, in der die Menschen auch in 50 oder 100 Jahren auf diesem Planeten immer noch ein gutes Leben haben können. Und zwar nicht nur auf einzelnen Wohlstandsinseln, sondern weltweit. Was heute noch als “Monster” und “Wolkenkuckucksheim” bezeichnet wird, das wird dannzumal, rückblickend, als eines von vielen Zeichen einer neuen Zeit gefeiert werden.

Grossbritannien in der Coronapandemie: Jahrelange Sparpolitik hinterlässt ihre Spuren…

 

Schreckliche Bilder aus Grossbritannien zur Zeit der Coronapandemie: Dutzende von Ambulanzen stauen sich vor den Spitaleingängen, Patientinnen und Patienten müssen oft stundenlang in der Kälte warten, bis sie eingelassen werden. Das Pflegepersonal ist hoffnungslos überlastet. Chris Whitty, medizinischer Chefberater der britischen Regierung, warnt vor einem baldigen Zusammenbruch des Nationalen Gesundheitsdienstes. Doch dass es zu solchen Zuständen kommen konnte, liegt nicht nur an der täglich wachsenden Zahl Coronakranker. Es liegt auch daran, dass das britische Gesundheitssystem seit Jahren einem rigorosen Sparprogramm unterworfen worden ist. So etwa standen beim Ausbruch der Coronapandemie gerade mal insgesamt 5000 Beatmungsgeräte zur Verfügung, nicht einmal sieben pro 100’000 Einwohner, womit Grossbritannien auf Platz 24 von 31 europäischen Ländern lag. Auch bei der Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern wurde jahrelang gespart. Die Folgen dieser Sparpolitik zeigen sich auch bei der Anzahl Krankenhausbetten: Grossbritannien verfügt über 228 Krankenhausbetten pro 100’000 Einwohner, drei Mal weniger als Deutschland. Dies hatte zur Folge, dass der Nationale Gesundheitsdienst bereits in den vergangenen Jahren immer wieder auch schon bei den ganz gewöhnlichen Grippewellen an den Anschlag kam. Die tieferliegende Ursache von alledem liegt im Finanzierungssystem des britischen Gesundheitswesens: Es gibt keine gesetzliche Krankenversicherung, das Gesundheitswesen ist Teil der allgemeinen Haushaltspolitik und daher direkt von dieser abhängig. Unter der seit Jahren betriebenen Politik des “schlanken Staates” leidet dann eben auch der gesamte öffentliche Bereich inklusive Gesundheitswesen. Hier zeigt sich der kapitalistische Staat in seiner ganzen Widersprüchlichkeit: Während Grossbritannien in Bezug auf sein nationales Gesamtvermögen an Immobilien, Aktien und Bargeld mit über 14 Milliarden Dollar weltweit auf Platz vier liegt und die britische Wirtschaft jedes Jahr um 1,3 bis 2,6 Prozent wächst, bekommt der grosse Teil der Bevölkerung kaum etwas davon zu spüren. Im Gegenteil: Die sozialen Gegensätze verschärfen sich weiter von Jahr zu Jahr, die Armut breitet sich immer weiter aus. Gleichzeitig zählen bereits 54 Britinnen und Briten zum exklusiven Club der Milliardäre und die reichsten fünf von ihnen besitzen mehr als die 12,6 Millionen Ärmsten des Landes. Selbst die Queen mit ihrem Riesenvermögen figuriert erst auf Platz 262 der reichsten Briten und Britinnen. Das vielgelobte Ziel des “Wachstums”, dem sich der kapitalistische Staat verschrieben hat, trägt eben ganz unterschiedliche Gesichter und je nachdem, auf welcher Seite man sich befindet, ist es ein Segen oder ein Fluch. Denn wie der Reichtum wächst, wächst eben auch die Armut. Wie die Menge der Güter wächst, die auf den Strassen hin- und hergeschoben werden, wachsen auch die Sorgen und Nöte jener Menschen, die am untersten Rand der Gesellschaft leben. Wie die Bürohäuser und Wolkenkratzer in den Himmel wachsen, so wächst auch die Zahl jener Menschen, die nicht bloss eine schlechte, sondern überhaupt keine Arbeit mehr haben. Man muss schon sehr gutgläubig sein, wenn man hoffen möchte, dass der “freie Markt”, wie man so schön sagt, dies alles früher oder später schon wieder in Ordnung bringen wird. Wird er zweifellos nicht. Besser heute als morgen müssten wir uns daher Gedanken machen, wie eine Welt jenseits des Kapitalismus aussehen könnte, in der nicht mehr Wachstum um jeden Preis und Anhäufung von Reichtum in den Händen einiger weniger die obersten Maximen wären, sondern das Gemeinwohl, die soziale Gerechtigkeit und das gute Leben für alle.

Die Ereignisse vom 6. Januar 2021: Der Verführer und die Verführten

 

Zweifellos wird der 6. Januar 2021 in die Geschichte der USA eingehen. Der Tag, an dem Hunderte von Anhängern des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump gewaltsam das Capitol stürmten, die Kongressabgeordneten in die Flucht schlugen, Türen, Fenster und Möbel zertrümmerten und sich in den Büros und Sitzungszimmern breitmachten, ohne dass die völlig überrumpelten und überforderten Sicherheitskräfte auch nur die geringste Chance gehabt hätten, dies zu verhindern. Keine Frage, dass Donald Trump, der seine Anhänger über Wochen aufstachelte und sich lügenhaft als wahren Sieger der Präsidentschaftswahlen ausgab, für die Ereignisse vom 6. Januar die Hauptverantwortung zu tragen hat. Mit allen Mitteln der Demagogie hat er einen Teil seiner Anhängerschaft zu einer durch und durch fanatisierten Gefolgschaft zu formen vermocht, die vor nichts zurückschreckt und bereit ist, für ihr Idol über Leichen zu gehen. Doch das ist nur die eine Seite der Wahrheit. Die andere Seite ist: dass es nicht nur einen Verführer braucht, sondern auch Menschen, die sich verführen lassen. Schaut man sich die Anhängerschaft und die Wählerinnen und Wähler Trumps genauer an, dann gehören zu ihnen in grosser Anzahl Menschen, die auf die eine oder andere Weise zu kurz gekommen sind, ihre Lebensträume nicht verwirklichen konnten, keinen Zugang zu Sozialleistungen haben, ihren Job infolge Schliessung ganzer Industriezweige verloren haben oder mit ansehen müssen, wie andere reich geworden sind, während sie selber fast nicht über die Runden kommen. Demagogen und Verführer wie Donald Trump schöpfen ihren ganzen Erfolg aus der Unzufriedenheit und den Hoffnungen von Menschen, die sich benachteiligt und vernachlässigt fühlen und daher nur allzu empfänglich sind für einen Politiker, der ihnen verspricht, dass er, und nur er, alles zum Besseren wenden wird. Wenn man nun also Donald Trump und seine fanatisierte Anhängerschaft verurteilt, dann muss man gleichzeitig auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verurteilen, welche den Nährboden bilden sowohl für den Demagogen wie auch für seine Anhängerschaft. Das war im Deutschland der Dreissigerjahre nicht anders: Auch Hitler hatte nur deshalb Erfolg, weil es den Deutschen zu jener Zeit wirtschaftlich so schlecht ging und sie daher empfänglich waren für einen “Heilsbringer”, der ihnen eine goldene Zukunft versprach. Es wird daher nicht genügen, Donald Trump durch Joe Biden zu ersetzen. Mindestens so wichtig ist eine radikale Erneuerung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse: mehr soziale Gerechtigkeit, ein grundlegendes Recht auf Arbeit, gleichberechtigter Zugang zu sozialen Leistungen, Schulen und Universitäten, Wertschätzung und faire Löhne für all jene Menschen, die an den untersten Rändern der Gesellschaft all jene schweren, mühsamen und anstrengenden Arbeiten verrichten, die als Basis für die gesamte Wirtschaft unentbehrlich sind, und, vor allem: das Ende jener verheerenden kapitalistischen Umverteilung, welche die Reichen jeden Tag ein bisschen reicher und die Armen jeden Tag ein bisschen ärmer macht. Nur wenn es dem neuen Präsidenten gelingt, solche tiefgreifenden Reformen voranzubringen, dürfen wir hoffen, dass Demagogen wie Donald Trump und Ereignisse, wie wir sie am 6. Januar 2021 gesehen haben, endgültig der Vergangenheit angehören. 

 

 

Existenzielle Bedrohung durch die Coronamassnahmen: Höchste Zeit für die Einführung einer Reichtumssteuer

 

Der Schweizer Bundesrat hat angesichts der anhaltend hohen Coronafallzahlen beschlossen, die Schliessung der Restaurants sowie der Kultur- Sport- und Freizeitbetriebe um fünf Wochen bis Ende Februar zu verlängern. Aus der Sicht von Casimir Platzer, Präsident von Gastrosuisse, eine absolute Katastrophe, eine existenzielle Bedrohung unzähliger Betriebe der Gastrobranche. Bereits haben auch erste Hotels dichtgemacht. Und nicht besser geht es den Kulturbetrieben, den Theaterveranstaltern, den Kulturschaffenden, der Eventbranche und den Freizeit- und Sportclubs. Gleichzeitig besitzen die 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer nicht weniger als 709 Milliarden Franken und sind sogar im Coronajahr 2020 um weitere sieben Milliarden Franken reicher geworden. Um sich die ungeheure Summe, die sich in den Händen einer winzigen Minderheit der Schweizer Bevölkerung befindet, vor Augen zu führen, hier zwei Vergleichszahlen: Die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung der Schweiz beläuft sich auf rund 700 Milliarden Franken. Und noch krasser ist es, wenn man sich das jährliche Militärbudget der USA, der mit Abstand grössten Militärmacht der Welt, anschaut: Dieses beträgt umgerechnet 655 Milliarden Franken. Kaum zu glauben, aber wahr: 300 Schweizerinnen und Schweizer haben mehr Geld, als die USA Jahr für Jahr für ihre höchstgerüstete Armee ausgibt. Wäre es nicht an der Zeit, auch in der Schweiz, dem Beispiel Argentiniens folgend, eine Reichtumssteuer einzuführen, damit Betriebe und Erwerbszweige, die über Jahre mit grossem Einsatz und viel Liebe aufgebaut wurden, überleben können und all die Menschen, denen man jetzt den Boden unter den Füssen wegzureissen droht, sich wieder am Leben freuen dürfen und wieder ruhig schlafen können?

Die falsche Frage nach dem “richtigen” Weg der Klimabewegung

 

“Die jungen Menschen, die sich jetzt für das Klima engagieren”, sagt der SPD-Politiker Franz Müntefering, “wollen das Richtige. Aber dazu müssen sie jetzt in die Parteien und in die Parlamente, sie müssen sich demokratisch durchsetzen wollen. Oder sie müssen eine neue Partei gründen und so Einfluss suchen.” Zumindest gesteht Müntefering der Klimajugend zu, dass sie “das Richtige wollen”. Indessen greifen seine politischen Ratschläge an eben diese Klimajugend viel zu kurz. Alles, was die Klimajugend an öffentlichem Bewusstsein und ersten klimapolitischen Erfolgen bisher erreicht hat, verdankt sie nicht der Teilhabe am traditionellen politischen Machtapparat, sondern dem bunten, lauten und kreativen Aufmarsch Abertausender auf öffentlichen Strassen und Plätzen, den aufsehenerregenden Aktionen zur Bewahrung von Wäldern und Grünflächen, den unzähligen Diskussionen, welche dies alles in den Schulen, am Arbeitsplatz bis hinein in jede Familie ausgelöst hat. Würde sich die Klimajugend, wie Müntefering vorschlägt, bloss auf die Teilhabe am traditionellen Parlamentsbetrieb beschränken, dann würde dies wohl dazu führen, dass von der riesigen ursprünglichen Energie und den wunderbaren Visionen von einer Welt jenseits von Ausbeutung und Profitgier wohl mit der Zeit nicht mehr viel übrig bliebe – zu gross ist die Gefahr, dass man, als Minderheit in einem Parlament, dazu gezwungen ist, immer wieder Kompromisse einzugehen, sich in zermürbender, endloser Gesetzesarbeit zu erschöpfen und die ursprünglichen Ideale nach und nach zu verlieren. Im schlimmsten Falle wäre das sogar der Tod der Klimabewegung. Aber vielleicht ist ja auch die Frage, welcher Weg der bessere sei, die Tätigkeit innerhalb des Parlaments oder jene ausserhalb davon, gar nicht richtig gestellt. Es zwingt uns ja niemand, uns nur für das eine oder für das andere zu entscheiden. Vielleicht bestünde das beste Rezept gerade darin, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Je grösser der Druck von der Strasse, umso mehr Aufwind hätten dadurch die Vertretungen der Klimajugend, die im Parlament sässen. Und je erfolgreicher diese politisierten, umso stärker würde dies auch wiederum all jene beflügeln, die ihre Aktivitäten auf anderen Wegen und an anderen Orten entfalten. Schliesslich würde ein solches “mehrgleisiges” Vorgehen auch der Vielfalt und der Unterschiedlichkeit der beteiligten Menschen am besten gerecht: Wer sich zum Parlamentsbetrieb hingezogen fühlt, stellt sich für eine klimapolitische Liste zur Verfügung. Wer das bunte und laute Agieren auf der Strasse bevorzugt, findet dort seinen Platz. Wer sich genug stark fühlt, um bei Rettungsaktionen für bedrohte Wälder oder gegen den Bau überflüssiger Autobahnen mitzumachen, kann wiederum auf ganz andere Weise an anderen Orten seinen Beitrag leisten. Andere wiederum schreiben Texte und Lieder, organisieren öffentliche Diskussionen oder versuchen Freunde und Familienangehörige für ihre Ideen zu begeistern. Je vielgestaltiger die Bewegung, umso erfolgreicher wird sie sein. Falsch wäre nur, sich gegenseitig ausspielen, abgrenzen und spalten zu lassen. Letztlich braucht es alle. Letztlich kann man sich nicht den Luxus leisten, auch nur auf einen Einzigen zu verzichten. Denn, wie es schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: “Was alle angeht, können nur alle lösen.”   

Fadenscheinige Argumente gegen einen Mindestlohn

Im Kanton Genf gilt seit der Volksabstimmung vom September 2020 der höchste Mindestlohn der Welt. Er beträgt 23 Franken pro Stunde. Wahrlich kein fürstlicher Lohn, wenn man ihn zum Beispiel mit dem Lohn eines Lehrers, einer Zahnärztin oder eines Rechtsanwalts vergleicht. Und doch geht selbst dieser bescheidene Mindestansatz zahlreichen bürgerlichen Politikern und Politikerinnen zu weit: SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr und CVP-Ständerat Erich Ettlin, unterstützt von prominenten Vertreterinnen und Vertreter der SVP, der FDP und der Mitte, haben zwei gleichlautende Motionen gegen die Durchsetzung von Mindestlöhnen eingereicht. Begründet wird das Anliegen unter anderem mit dem Beispiel eines Ostschweizer Bauunternehmens, das einen Auftrag auf einer Genfer Baustelle ausübe. Um sicherzustellen, dass alle ihre Angestellten den Mindestlohn verdienten, müsste die Firma erst “aufwendige Abklärungen treffen”, bevor sie überhaupt mit der Arbeit beginnen könnte. Fadenscheiniger geht es nun wirklich nicht mehr. Muss diese Firma nicht so oder so, bevor sie den Auftrag ausführen kann, “aufwendige Abklärungen treffen”? Muss sie nicht alle Pläne an das geltende Baugesetz anpassen und peinlichst genau daran achten, dass materielle, technische und ökologische Auflagen eingehalten werden? Muss sie nicht den Baugrund untersuchen, damit das Fundament auch sicher standfest gebaut werden kann? Muss sie nicht beim Einkauf von Geräten, Baumaterialien und Fahrzeugen alle Offerten peinlichst genau überprüfen, um sich sodann für das günstigste Angebot zu entscheiden? Muss sie nicht den Transport von Materialien, Maschinen und Angestellten aus der Ostschweiz bis nach Genf sorgfältigst planen und kalkulieren, damit nicht zu hohe Kosten anfallen? Und da soll dann die Einhaltung der Mindestlöhne so viel schwieriger und komplizierter sein? Da gäbe es wohl eine viel bessere Idee: Man führt den Mindestlohn nicht nur in einzelnen Kantonen, sondern schweizweit ein – dann wären alle anderen Probleme ganz von selber gelöst…

Joe Biden und Donald Trump: Verkehrte Welt

 

Es gäbe, so der “Tages-Anzeiger” vom 4. Januar 2020, ernsthafte Gründe für die Annahme, dass Donald Trump 2024 wieder zum US-Präsidenten gewählt werden könnte. Wenn es Biden nicht gelänge, die Lage der Amerikanerinnen und Amerikaner deutlich zu verbessern, dann würden diese nämlich Trumps Vorwürfen Glauben schenken, dass Biden letztlich doch nur ein Vertreter der alten Elite sei, dem das Wohl der hart arbeitenden Amerikanerinnen und Amerikaner doch egal sei. Fürwahr ein Spiel mit falschen Karten. Denn natürlich stehen sich hier nicht in Gestalt von Donald Trump ein Volkstribun und in Gestalt von Joe Biden ein Vertreter der Eliten einander gegenüber. Beide sind Vertreter der Eliten, beide gehören jener auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung reich gewordenen Oberschicht an, welche den “hart arbeitenden Amerikanerinnen und Amerikaner” ein Dorn im Auge ist. Der Unterschied ist bloss, dass Donald Trump die Rolle eines Volkstribunen, der sich angeblich für das Wohlergehen der arbeitenden Menschen einsetzt, noch etwas geschickter zu spielen vermag als sein demokratischer Kontrahent. Wäre es ihnen mit der Verheissung, sich für das Wohlergehen sämtlicher Bürgerinnen und Bürger ihres Landes einzusetzen, wirklich Ernst, dann müssten sie lieber heute als morgen eine radikale Umgestaltung der herrschenden kapitalistischen Machtverhältnisse in Angriff nehmen – so, wie das von den demokratischen Parteilinken um Bernie Sanders gefordert wird. So lange aber weder Trump noch Biden eine solche radikale Umgestaltung in Angriff nehmen, wird aller Voraussicht nach mehr oder weniger alles beim Alten bleiben und der als Populist getarnte bisher erste Milliardär im Weissen Haus, der erst noch kaum je Steuern bezahlte, wird auch nach seiner Abwahl weiterhin Aufwind haben – umso mehr als Joe Biden höchstwahrscheinlich die Hoffnungen vieler Millionen Menschen, die ihn gewählt haben, früher oder später enttäuschen wird. Die gleiche Entwicklung wie in den USA können wir auch in Deutschland beobachten: Je mehr sich die Sozialdemokratische Partei von ihrer früheren Wählerbasis, der Arbeiterschaft, entfernt hat und selber Teil der herrschenden Machtelite geworden ist, umso mehr Zuspruch hat die “Alternative für Deutschland”, in deren Reihen sich genau jene zu kurz Gekommenen wiederfinden, die früher einer kämpferischeren SPD ihre Stimme gaben. Und nicht anders ist es in der Schweiz, wo viele Menschen aus der “Unterschicht”, deren politische Heimat früher die Sozialdemokratie war, heute in der Wählerschaft der SVP zu finden sind. Das Tragische ist, dass zwar alle Parteien in diesem Spiel um Macht und Einfluss immer wieder grosse Versprechungen abgeben, für die betroffenen Menschen, insbesondere für alle Benachteiligten und Zukurzgekommenen, aber mehr oder weniger alles beim Alten bleibt – solange nicht an den Grundfesten des kapitalistischen Machtsystems gerüttelt wird und der Aufbau einer neuen, nichtkapitalistischen, auf soziale Gerechtigkeit ausgerichteten Ordnung in Angriff genommen wird.