Archiv des Autors: Peter Sutter

50:50-Arbeitsmodell: eine Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen?

 

Nach anfänglicher Sympathie für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens sehe ich bei einem solchen Modell nun auch vermehrt gewisse Nachteile. Das BGE müsste ja so bemessen sein, dass man davon leben könnte, auch ohne einer zusätzlichen Erwerbsarbeit nachzugehen. Nun wird seitens der BGE-Befürworterinnen und -Befürworter zwar immer wieder betont, dass kein Mensch von Natur aus “faul” sei und man deshalb davon ausgehen könne, dass die allermeisten Menschen trotzdem einer Erwerbsarbeit nachgehen würden. Doch die Zeiten können sich ändern. Vielleicht findet die Idee, seine Lebensweise auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, sich in seinem Garten der Lektüre philosophischer Schriften hinzugeben und sich nicht mehr länger auf einer Baustelle den Rücken kaputtzuarbeiten oder die Verantwortung für die städtische Energieversorgung zu übernehmen, gerade angesichts der Klimakrise, die uns zu einem möglichst bescheidenen und ressourcenschonenden Leben auffordert, mit der Zeit immer weitere Verbreitung. Und dann? Wer baut dann noch unsere Häuser? Wer pflegt die kranken und alten Mitmenschen? Wer betreut die Kinder in Kitas und Schulen? Wer stellt unsere Fahrräder, unsere Kleider, unsere Brillen und unser Gartenwerkzeug her? Es gibt unzählige Arbeiten, die auch nach einer Einführung des BGE und selbst wenn der allgemeine Wohlstand noch so massiv heruntergeschraubt worden wäre, trotzdem immer noch geleistet werden müssten. Damit diese Arbeit möglichst gerecht auf alle Menschen verteilt werden könnten, stelle ich mir als Alternative zum BGE ein so genanntes 50:50-Arbeitsmodell vor. Es geht davon aus, dass jeder Mensch über ganz besondere Begabungen verfügt und dass es nicht nur für sein seelisches Wohlbefinden, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes unabdingbar ist, diese Begabungen in seinem Leben auch tatsächlich zu verwirklichen. Also: Jeweils während eines halben Tages bzw. einer halben Woche würden alle Menschen jener Arbeit nachgehen, die sie aufgrund ihrer Interessen, ihrer Begabungen und ihrem Wunsch nach Selbstverwirklichung frei wählen könnten. Das bedeutet aber, dass ganz viele andere Arbeiten von der Kehrichtabfuhr über die Arbeit auf dem Gemüsefeld bis zur Reinigung von Büros und Fabrikhallen unerledigt blieben, wenn sich niemand darum kümmern würde. Und jetzt kommt der zweite Halbtag bzw. die zweite Wochenhälfte ins Spiel: Hier nun wird all die gesellschaftlich notwendige Arbeit, die niemand aufgrund seiner individuellen Begabungen freiwillig wählen würde, auf alle Erwachsenen gleichmässig verteilt. Es wäre nun nicht mehr das Privileg Einzelner, zeitlebens einen der eigenen Begabung entsprechenden Wunschberuf ausüben zu können, während unzählige andere gezwungen sind, berufliche Tätigkeiten auszuüben, die ihnen nur wenig oder gar keine Freude bereiten, die sie krank werden lassen, in denen sie nur wenige gesellschaftliche Wertschätzung erfahren und die zu allem Überdruss auch noch vergleichsweise schlecht bezahlt werden. Wunschberuf und Dienst an der Gemeinschaft wären je zur Hälfte auf alle Menschen gleichmässig verteilt. Das 50:50-Arbeitsmodell wäre auch eine Chance, damit sich Menschen unterschiedlicher sozialer “Schichten” und Arbeitsfelder vermehrt gegenseitig begegnen und sich gegenseitig kennenlernen könnten, als Teil einer Gesellschaft, die nicht von einem “Oben” und “Unten” und nicht von sozialem “Aufstieg” und “Abstieg” geprägt wäre, sondern von einem Miteinander und Füreinander zum gemeinsamen Wohl aller.

Die 99-Prozent-Initiative: Ein erster, längst fälliger Schritt in Richtung von ein klein wenig mehr Gerechtigkeit

 

Mit der 99-Prozent-Initiative, über die am 26. September 2021 abgestimmt wird, möchte die Juso, unterstützt von der SP und den Grünen, ein bisschen mehr Gerechtigkeit schaffen: Kapitaleinkommen wie Zinsen, Mieterträge oder Dividenden über 100’000 Franken sollen eineinhalbmal so stark besteuert werden wie Lohneinkommen. Eine längst fällige Reform, wenn man bedenkt, dass nur gerade mal ein Prozent der Bevölkerung über rund 43 Prozent aller Vermögensanteile verfügen, allein schon an Dividenden über 75 Milliarden Franken jährlich ausgeschüttet werden und gesamtschweizerisch die Kapitaleinkommen Jahr für Jahr höher sind als die Einkommen durch Arbeit. Anders gesagt: Reich wird man in der Schweiz nicht dadurch, dass man viel und hart arbeitet, sondern dadurch, dass man viel besitzt. Das führt zur nächsten Frage, nämlich, woher denn das viele Geld kommt, das in laufend wachsender Menge in den Taschen der Reichen und Reichsten landet. Wenn ein Unternehmen Dividenden auszahlen kann, heisst das ja nichts anderes, als dass in der betriebswirtschaftlichen Erfolgsrechnung der Gesamtgewinn genug hoch und die Lohnkosten genug tief waren, damit ein Überschuss erzielt werden konnte, der nun an die Aktionärinnen und Aktionäre weitergegeben werden kann. Mit anderen Worten: Die eigentliche Basis des Betriebs, die Arbeiterinnen und Arbeiter, haben für ihre Leistung weniger Geld bekommen, als ihre Arbeit eigentlich Wert gewesen wäre – während am anderen Ende der Skala die Aktionärinnen und Aktionäre diesen Mehrwert abgeschöpft haben, ohne dafür auch nur den kleinen Finger krümmen zu müssen. Nochmals in anderen Worten gesagt: Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben also nicht nur für sich selber gearbeitet, sondern gleichzeitig auch für das Unternehmen sowie die Aktionärinnen und Aktionäre. Und nochmals mit anderen Worten: Eigentlich ist das nichts anderes als nackter Diebstahl, Raub an Volkseigentum und im Grunde nichts anderes als der Zehnte – der zehnte Teil aller landwirtschaftlichen Erträge -, den die Untertaninnen und Untertanen in weiten Teilen der Schweiz bis um 1800 ihren Vögten und Landesherren abzuliefern hatten, ohne dass diese eine eigene Leistung hierfür erbringen mussten. Nur weil sich heutige Ausbeutungsverhältnisse hinter dem edlen Begriff der “Freien Marktwirtschaft” verstecken, können wir uns in der Illusion wiegen, frühere Ausbeutungsverhältnisse seien längst historisch überwunden. Das Gegenteil ist der Fall: Je länger der Kapitalismus sein Unwesen treibt, umso tiefer der Graben zwischen denen, die immer sagenhaftere Reichtümer auftürmen, und denen, die immer härter arbeiten und trotzdem von ihrer Arbeit kaum anständig leben können. Wer behauptet, die 99-Prozent-Initiative sei “extrem”, dem müsste zu bedenken gegeben werden, dass nichts so extrem ist wie die heutige Verteilung von Einkommen und Vermögen. Und dass die 99-Prozent-Initiative noch längst nicht die Lösung ist, sondern nicht mehr als ein längst fälliger kleiner Schritt in Richtung von ein klein wenig mehr Gerechtigkeit.

Lithiumabbau in der spanischen Extremadura: Gross denken oder klein denken?

 

 

“Fälle nicht den Baum, der dir Schatten spendet” – so lautet ein
spanisches Sprichwort. Doch genau das ist, wie der “Tagesanzeiger”
vom 19. Juli 2021 berichtet, geplant, und zwar in der spanischen Extremadura,
nahe der Stadt Cáceres. Hier sollen Tausende von Steineichen gefällt werden, um
einer Lithiummine Platz zu machen, mit welcher der wachsende Hunger der
europäischen Autoindustrie nach dem unerlässlichen Rohstoff für die Herstellung
von Batterien für E-Mobile gestillt werden soll. Für zehn Millionen Autos würde
das hier vorhandene Lithium reichen, sagt der Ingenieur Cayetano Polo, der für
das australische Bergbauunternehmen Infinity Lithium arbeitet, welches die Mine
von Cáceres betreiben will. Und noch etwas sagt er: “Wer das Klima retten
will, muss gross denken.” Gross denken? Wäre es, um das Klima zu retten,
nicht viel gescheiter, kleiner zu denken? Können Cayetano Polo und seine
Gesinnungsgenossen vom Club der unbelehrbaren Wachstumsgläubigen nicht rechnen?
1,5 Milliarden Autos sind heute weltweit unterwegs. Das in der Extremadura
geförderte Lithium würde gerade knapp reichen, um etwa ein halbes
Prozent sämtlicher Autos weltweit durch E-Mobile zu ersetzen. Und die
anderen 99,5 Prozent? Selbst wenn noch weitere Lithiumvorkommen entdeckt werden
– das Ansinnen, weltweit sämtliche Autos durch E-Mobile zu ersetzen, erweist
sich als reines Hirngespinst. Vor allem auch deshalb, weil die Anzahl Autos in
den Schwellenländern von Jahr zu Jahr rasant zunimmt und man sich nicht wundern
muss, wenn selbst in den ärmsten Ländern viele Menschen vom Erwerb eines Autos
träumen, so lange wir, die “entwickelten” Bewohnerinnen und Bewohner
der reichen Länder, unbeirrt mit dem schlechten Beispiel vorangehen. Gross
denken heisst: Unverbesserlich bis zum letzten Tropfen und zum letzten
Staubkorn die Erde auspressen, bis sie endgültig nichts mehr hergibt. Wachstum
um jeden Preis, Profitmaximierung um jeden Preis. Klein denken würde heissen:
der Erde stets nur so viel abzuverlangen, wie auf natürliche Weise auch wieder
nachzuwachsen vermag. Eine “grüne Revolution”, die bloss mit
technischen Mitteln den verschwenderischen Lebensstil einer reichen Minderheit
der Weltbevölkerung weiterzuführen verspricht, muss sich früher oder später als
gigantische Illusion erweisen: Wenn hierzulande eine Tonne Stahl und Blech in
Bewegung gesetzt wird, um mit dem Auto zwei Kilometer weit bis zur nächsten
Bäckerei zu fahren und ein Croissant zu kaufen, während irgendwo in Afrika
ein siebenjähriges Mädchen barfuss in sengender Hitze zehn oder mehr
Kilometer weit laufen muss, um für seine Familie Wasser oder Brennholz
zu holen, dann ist das eine Welt, die aus allen Fugen geraten ist. Niemals
kann der westliche Luxus- und Konsummensch das Vorbild für den Rest der Welt
sein – ausser es wäre das Ziel der Menschheit, sich so schnell wie möglich
das eigene Grab zu schaufeln. Doch glücklicherweise gibt es da noch Menschen
wie Beatriz Martín Marín, Professorin für Pädagogik an der Universidad de
Extremadura. Wenn die Menschen kommen, um den Boden aufzureissen, wird sie sich
zusammen mit ihrem neunjährigen Sohn an einen Baum ketten. Damit schlicht und
einfach die Hoffnung nicht stirbt…

Die Welt nach der Coronapandemie: Garten oder Wüste?

 

Mit grösster Wahrscheinlichkeit wird die Welt nach der Coronapandemie nicht mehr die gleiche sein wie zuvor. Entweder ist sie ein blühender Garten, in dem das gute Leben für alle Menschen Wirklichkeit geworden ist. Oder eine Wüste, in der sich irgendwann die letzten Menschen auf der Suche nach der letzten Nahrung gegenseitig umbringen. Garten oder Wüste – es liegt an uns…

Dringend nötiger Politikwechsel: Gemeinsame Wahrheitssuche statt Kampffeld gegenseitiger Beschuldigungen

 

Er sei dümmlich, ein Wortverdreher, ein Lügner, ein Mann ohne Visionen und es gehe ihm bloss um die Macht – so tönt es beim linksgrünen Lager und seinen Anhängerinnen und Anhängern, wenn vom CDU-Bundeskanzlerkandidaten Armin Laschet die Rede ist. Sie sei eine Hochstaplerin, eine Schwätzerin und habe grosse Teile ihres eben veröffentlichten Buches gar nicht selber geschrieben – so kontern das bürgerliche Lager und seine Anhängerinnen und Anhänger, wenn von der grünen Bundeskanzlerkandidatin Analena Baerbock die Rede ist. Streiten und Debattieren gehören zweifellos zu jedem Wahlkampf. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied. Nämlich, ob die Sache im Mittelpunkt steht oder ob es bloss darum geht, den politischen “Gegner”, die politische “Gegnerin” mit allen Mitteln fertigzumachen. Die Sache wäre wichtig genug, ihr alle Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit zukommen zu lassen. Die Sache, das ist die Zukunft, in der wir in fünf, zehn oder zwanzig Jahren leben werden. Ob ein Überleben auf diesem Planeten in dieser Zeit für die Menschen überhaupt noch möglich ist. Späteren Generationen wird es vollkommen egal sein, ob die deutsche Bundeskanzlerkandidatin des Jahres 2021 beim Schreiben eines Buches geschummelt hat oder nicht. Es wird ihnen höchstwahrscheinlich auch völlig egal sein, wie viele Male ein Bundeskanzlerkandidat des Jahres 2021 gelogen und wie viele Noten seiner früheren Schülerinnen und Schüler er gefälscht hat. Es wird ihnen aber nicht egal sein, was die Politiker und Politikerinnen des Jahres 2021 getan haben, um den Klimawandel zu stoppen und sich für eine Welt einzusetzen, in der alle Menschen über alle Grenzen hinweg ein gutes Leben haben. Es kommt mir vor wie das Bild vom Wald, den man vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Die Bäume, das sind die einzelnen Menschen, die Ökonomen, die Expertinnen, die Konzernchefs, die Politikerinnen und Politiker. Der Wald, das ist das übergeordnete System des Kapitalismus, in dem wir leben, agieren und unsere jeweilige spezifische Rolle spielen. Wer einen einzelnen Baum fällt, hat nichts gewonnen, unzählige andere wachsen kann. Es geht um den Wald als Ganzes. Es geht um die grosse Frage, ob der Kapitalismus mit seinen zerstörerischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen auf diesem Planeten überhaupt noch eine Zukunft hat. Darüber müsste gestritten und debattiert werden. Weg von den Bäumen. Hin zum Wald. Das würde bedeuten, dass die politische Diskussion zugleich sanfter und radikaler würde. Sanfter, indem man den einzelnen Menschen mit viel grösserem Respekt begegnen und davon ablassen würde, jedem möglichst viele Fehler und Unzulänglichkeiten unter die Nase zu reiben. Denn dann würde man erkennen, dass sowohl Analena Baerbock wie auch Armin Laschet und alle ihre Kontrahentinnen und Kontrahenten nicht in zwei verschiedenen Booten sitzen, sondern im grossen gleichen Schiff, das nur einen gemeinsamen Untergang kennt oder ein gemeinsames Überleben. Radikaler aber würde die Debatte dadurch, dass es dann eben nicht mehr um individuelle Banalitäten wie geschummelte Bücher oder gefälschte Noten ginge, sondern eben um die Kernfrage des gemeinsamen Überlebens. Denn wir haben mit dieser Frage und ihren Lösungen mehr als genug zu tun und es ist schlicht und einfach eine Verschwendung von Zeit und Energie, uns stattdessen die Köpfe gegenseitig einzuschlagen. Was für eine Vision: Politische “Gegner” und “Gegnerinnen” sitzen sich nicht mehr in Feindesstellung gegenüber, um gegenseitig möglichst viele giftige Pfeile abzuschiessen. Nein, sie sitzen gemeinsam an runden Tischen, wo auch die “einfachen” und “gewöhnlichen” Leute aus dem Volk ihren Platz haben. Und sie versuchen, indem sie einander ernstnehmen, einander zuhören, einander ihre Fehler verzeihen, gemeinsam die Wahrheit zu suchen. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: “Was alle angeht, können nur alle lösen.”

Asylpolitik der SVP: Scheinheiliger geht es nicht…

 

Gemäss “Sonntagszeitung” vom 11. Juli 2021 fordert die SVP einen “grundlegenden Systemwechsel in der Asylpolitik”: Asylbewerberinnen und Asylbewerber sollen künftig nicht mehr in die Schweiz kommen, sondern ihr Asylverfahren in einem Drittland ausserhalb Europas durchlaufen. Hierfür müssten in einzelnen Ländern entsprechende Asylzentren geschaffen werden. “Durch eine solche Auslagerung”, so SVP-Nationalrätin Martina Bircher, “hätten wir weniger Kriminalität und wir könnten viel Geld sparen, weil unser Sozialsystem nicht mehr unterwandert würde. Ausserdem könnten wir die Überfremdung stoppen.” Es ist gut vorstellbar, dass die SVP mit dieser Idee bei einem grossen Teil der Bevölkerung punktet. Denn wer will sich schon mit kriminellen Asylsuchenden herumschlagen, auch wenn es sich dabei nur um eine verschwindend kleine Minderheit sämtlicher Asylsuchender handelt. Wer möchte schon für Asylverfahren, Unterkünfte und finanzielle Unterstützung aufkommen. Und wer wünscht sich schon eine zunehmende “Überfremdung” des Landes – auch wenn diese Angst noch so übertrieben ist. Doch gäbe es für all dies eine viel einfachere Lösung. So nämlich, dass Asylsuchende weder in “unser” Land kämen, noch in Asylzentren ausserhalb Europas Zuflucht nehmen müssten. Sondern so, dass es weltweit überhaupt gar keine Asylsuchenden mehr gäbe, sondern alle Menschen dort, wo sie geboren wurden, ein menschenwürdiges Leben hätten, und niemand mehr gezwungen wäre, seine Heimat zu verlassen. Eine Lösung, die ja ganz auf der Linie der SVP liegen müsste. Doch ob die SVP auch Hand bieten würde, eine solche Lösung zu verwirklichen? Würde sie das tun, dann müsste sie nämlich unverzüglich ein weltweites Waffenverbot fordern und sich auf allen Ebenen für diplomatische Lösungen von Konflikten einsetzen – denn Kriege sind eine der wichtigsten Fluchtursachen. Sie müsste sich auch dafür einsetzen, dass Rohstoffe und Nahrungsmittel, die in armen Ländern produziert werden, einen fairen Preis erhielten und man einen weltweiten Mindestlohn einführen würde – denn Armut ist ebenfalls eine der wichtigsten Fluchtursachen. Und sie müsste an vorderster Front die Menschen in den reichen Ländern des Nordens dazu aufrufen, kein Fleisch mehr zu essen – denn Land, auf dem Futtermittel für die Fleischproduktion angebaut wird, steht nicht mehr zur Verfügung für die Versorgung der ansässigen Bevölkerung mit lebensnotwendigen Grundnahrungsmitteln. Und schliesslich müsste die SVP alles, aber auch alles Erdenkliche tun, um Massnahmen gegen den Klimawandel zu unterstützen – denn Dürren, Hungersnöte und Überschwemmungen als Folge des Klimawandels sind nicht nur jetzt schon, sondern werden in Zukunft erst recht eine der wesentlichsten Ursachen dafür sein, dass Menschen ihre Heimat verlassen auf der Suche nach einem besseren, menschenwürdigen Leben. Doch höchstwahrscheinlich wird die SVP keine einzige dieser Forderungen unterstützen. Aber dann müsste man wenigstens die Scheinheiligkeit einer Politik, die bloss auf dem Unsichtbarmachen von Problemen besteht, ohne zu deren Lösung auch nur das Geringste beizutragen, in aller Schonungslosigkeit aufdecken…

Pannenserie bei der Swisscom: Alles begann bereits am 1. Januar 1998…

 

Kurz vor Mitternacht des 8. Juli 2021 bis am Vormittag des 9. Juli kurz vor acht Uhr war das schweizerische, von der Swisscom betriebene Telefonfestnetz weitgehend zusammengebrochen. Davon betroffen waren auch alle Notrufnummern. Und dies ausgerechnet in einer Nacht, in der ungewöhnlich viel Regen fiel und an vielen Orten Überschwemmungsgefahr drohte. Störungen ähnlichen Ausmasses hatte es bei der Swisscom bereits Anfang und Mitte 2020 gegeben. Da mutet es wohl wie ein schlechter Witz an, dass bis 2022 bei der Swisscom ein Sparprogramm läuft mit dem Ziel, jedes Jahr 100 Millionen Franken einzusparen – unter anderem durch den Abbau mehrerer hundert Stellen. Doch eigentlich hätte man dies alles schon am 1. Januar 1998 voraussehen können. An diesem Tag nämlich wurde der schweizerische Telekommunikationsmarkt liberalisiert, das Monopol des früheren Staatsbetriebs PTT zerschlagen und das Feld eines künftigen gegenseitigen Wettlaufs zwischen verschiedenen privaten und staatlichen Anbietern eröffnet. Was kommen musste, kam: Im gegenseitigen Konkurrenzkampf war nun jeder Anbieter darauf aus, den anderen so viele Kundinnen und Kunden abzujagen wie nur möglich, und dies mit Werbekampagnen, welche Unsummen von Geld verschlangen. Und wie anders soll zusätzliche Kundschaft gewonnen werden, wenn nicht durch möglichst tiefe Preise? Und wie können die Preise möglichst tief gehalten werden, wenn nicht durch einen möglichst niedrigen Personalbestand oder, falls nötig, durch Entlassungen? Heute sucht man bei der Swisscom nach den Schuldigen für diese verheerende Panne vom 8. und 9. Juli, doch die wahren Schuldigen, das sind weder die Chefs noch die Angestellten der Swisscom, die wohl alle ihr menschenmöglich Bestes geben. Der tatsächliche Schuldige ist die verrückte Idee, ein Dienstleistungsunternehmen, das über Jahrzehnte bestens funktioniert hatte, willentlich zu zerschlagen und den zerstörerischen Kräften des Freien Marktes zum Frass vorzuwerfen… 

Plädoyer für eine Kultur der Langsamkeit

 

In mehreren rot-grün regierten Schweizer Städten sind neuerdings Temporeduktionen auch auf Hauptstrassen in Planung. Längerfristig denkt man vielerorts an eine flächendeckende Einführung von Tempo 30. Gegen dieses Vorhaben erwächst nun massiver Widerstand ausgerechnet seitens der Verbände des öffentlichen Verkehrs: “Es ist klar”, so Ueli Stückelberger, Präsident des Verbandes öffentlicher Verkehr im “Tagblatt” vom 10. Juli 2021, “dass der öffentliche Verkehr mit generell Tempo 30 auf den Hauptachsen der Städte unattraktiver wird.” Werde der ÖV langsamer, so Stückelberger, nutzten ihn die Leute weniger. Man liefere ihnen damit einen Grund, sich wieder ans Steuer eines Autos zu setzen. Noch schlimmer sei die mögliche Einführung von Tempo 20 in Wohnquartieren: “Das wäre ein Albtraum. Wer will schon in Trams und Bussen sitzen, die langsam fahren?” Langsam oder schnell – das ist nicht nur eine Frage, welche die Gemüter von Stadtplanern, Velofahrenden, Fussgängerinnen und Politikerinnen erhitzt. Es ist auch eine Frage, mit der wir in unserem Alltag pausenlos konfrontiert sind und die uns zeigt, dass wir offensichtlich, ohne uns dessen stets bewusst zu sein, in einer Kultur einer sich laufend selber beschleunigenden Geschwindigkeit leben. Bleiben wir vorerst beim Verkehr: Messungen über Jahrzehnte hinweg haben ergeben, dass sich die Menschen in den Städten zu Fuss immer schneller fortbewegen. Auch das Fahren mit der Eisenbahn hat sich im Verlaufe des vergangenen Jahrzehnts immer mehr beschleunigt: Heute kann sich niemand mehr vorstellen, dass man früher gut schon mal eine halbe Stunde oder länger am Bahnhof auf den nächsten Anschluss warten musste, im Gegenteil, heute ist es “normal”, dass sich die Menschen beim Umsteigen auf den nächsten Zug förmlich die Beine aus dem Leib reissen müssen und ältere oder gehbehinderte Menschen schon gar keine Chance mehr haben, ein solches Tempo mitzuhalten. Auch wenn es um Millionenbeträge geht, um irgendwo wieder einen neuen Tunnel zu bauen – von keiner Seite wird ein Einwand erhoben, solange man mit dem neuen Tunnel die Fahrzeit zwischen A und B um drei, vier oder fünf Minuten verkürzen kann. “Ihr Zeitverlust beträgt 20 Minuten” – so tönt es immer dann aus dem Autoradio, wenn sich wieder irgendwo ein Stau gebildet hat und sich das Ziel in der geplanten Zeit nicht erreichen lässt, aber niemand stellt die alles entscheidende Frage, ob man denn, ob im Auto, im Zug oder anderswo, Zeit tatsächlich überhaupt “verlieren” kann. Aber die Kultur der Geschwindigkeit betrifft längst nicht nur den Verkehr. Sie ist auch die unumstrittene Maxime jeglicher wirtschaftlicher Aktivität, wo in immer kürzerer Zeit eine immer höhere Leistung gefordert wird und der Zeitdruck, dem die arbeitenden Menschen unterworfen sind, immer verheerendere Auswirkungen nach sich zieht. Aber auch im privaten Alltag soll stets alles möglichst schnell gehen: Das bei Amazon bestellte Päckli soll so schnell wie möglich zuhause sein. Bestimmt wartet man auch im Restaurant nicht gerne allzu lange auf das Essen. Und das Einfamilienhaus, das man sich bauen lässt, soll so schnell wie möglich fertig sein – sogar Bauschäden, weil auch mitten im Winter weitergebaut wird, nimmt man bereitwillig in Kauf. Ganz abgesehen vom E-Bike, mit dem man nun in kürzerer Zeit doppelt so weit kommt, vom neuen Internetanschluss, mit dem sich noch weit schneller als bisher surfen lässt, und von der Tiefkühlpizza, die ungleich viel schneller zubereitet ist, als wenn man die Pizza selber zubereiten und vorerst noch alle Zutaten einkaufen müsste. Auch in der Erziehung der Kinder scheint das Primat der Geschwindigkeit höchste Priorität zu haben: Die Kinder sollen möglichst schnell erwachsen werden und den “unfertigen” Zustand des Kindseins hinter sich lassen. Spätestens hier müssten wir innehalten und eine Denkpause einlegen. Denn gerade das Kind ist das beste Beispiel dafür, dass “zeitloses” Tun etwas vom Reichsten und Wertvollsten ist. Wer hat noch nie ein Kind gesehen, das an einem Bächlein gespielt hat, die Hände ins Wasser getaucht, aus Steinen eine kleine Staumauer gebaut, mit Gräsern eine “Suppe” gekocht hat, stundenlang, ganz so, als hätte es die Zeit um sich herum ganz und gar vergessen. Ja, Zeit kann man nicht verlieren, man kann sie nur gewinnen. Von den Kindern lernen würde heissen: Diese Jagd nach allem und jedem mit der gnadenlosen Uhr im Rücken endlich aufgeben, denn irgendwann kann sowieso nicht alles immer noch schneller werden. Wenn wir uns heute, und vieles deutet darauf hin, an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter befinden, dann wird dieser Übergang wohl nicht zuletzt auch ein Übergang sein von einer Kultur der Geschwindigkeit hin zu einer Kultur der Langsamkeit. Und dann, ja dann, würden alle noch so gerne in Trams und Bussen sitzen, die “langsam fahren” und jede Sekunde das Lebens zum unverzichtbaren Genuss werden lassen…

 

 

“Kaum sagt man ein kluges Wort, ist man schon Kommunist.”

 

“Kaum sagt man ein kluges Wort, schon ist man Kommunist”, sagte schon der bekannte Urwalddoktor Albert Schweitzer. Tatsächlich: Wer sich gegenüber dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und seinen weitläufigen gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Auswüchsen kritisch zu äussern wagt, dem wird schnell einmal zum Vorwurf gemacht, ein sozialistisches oder gar kommunistisches Gesellschaftsmodell zu verherrlichen. Messerscharf wird er an den Zusammenbruch des früheren Ostblocks und der Sowjetunion erinnert, an die Opfer des Stalinismus und an die mindestens 15 Millionen Toten im kommunistischen China zwischen 1959 und 1961. Und es wird ihm nicht selten auch empfohlen, doch mal nach Kuba, Venezuela oder Nordkorea auszuwandern, wenn man denn schon der Meinung sei, der Kapitalismus sei so etwas fürchterlich Schlimmes. Nun, wer so argumentiert, geht offensichtlich davon aus, dass auf dieser Erde nur zwei mögliche Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme denkbar und realisierbar sind: Kapitalismus oder Sozialismus, Schwarz oder Weiss, “Gut” oder “Böse” – je nachdem, auf welcher Seite man steht. Dass es neben diesen beiden Gesellschaftsmodellen, von denen das eine, der Sozialismus, historisch gescheitert ist, und das andere, der Kapitalismus, ebenfalls auf dem besten Wege ist, aufgrund seiner inneren Widersprüche in naher Zukunft zu scheitern, dass es neben diesen beiden Gesellschaftssystemen etwas Neues, Drittes geben könnte, das scheinen sich die meisten Menschen noch nicht wirklich vorstellen zu können. Und doch liegt es auf der Hand: Während Jahrtausenden sind Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme gekommen und gegangen – weshalb sollte ausgerechnet jetzt kein radikaler Neubeginn möglich sein und der Kapitalismus das aller letzte und nicht überwindbare Wort in der Geschichte der Menschheit bleiben? Vielleicht wäre es ja gar nicht so furchtbar kompliziert. Vielleicht müsste man bloss die Idee der Freiheit und die Idee der sozialen Gerechtigkeit miteinander verbinden, ganz so, wie das schon zur Zeit der Französischen Revolution mit ihrer Parole von “Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit” gefordert wurde. Was für ein Traum: Statt in alten Grabenkämpfen zu verharren, statt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, statt gegenseitig Feindbilder aufzubauen, wäre es doch endlich an der Zeit, alle Erfindungsgabe, Phantasie und Kreativität der Menschen über alle Grenzen hinweg zu mobilisieren, um das Fundament einer neuen, friedlichen und gerechten Zukunft gemeinsam aufzubauen. Denn, wie schon Martin Luther King sagte: “Entweder werden wir als Brüder und Schwestern gemeinsam überleben oder als Narren miteinander untergehen.”   

Biden und Putin: Objektive und ausgewogene Berichterstattung wäre anders…

 

Anlässlich des Gipfeltreffens zwischen Wladimir Putin und Joe Biden am 14. Juni 2021 in Genf forderte Putin Beweise für die von Biden erhobenen Vorwürfe betreffend Hackerangriffe Russlands gegen die USA: “Wir sind schon aller möglichen Dinge beschuldigt worden, aber nie hat man uns Beweise vorgelegt.” Und dann sagte er noch etwas, nämlich, dass es seitens der USA gegen Russland noch viel mehr Hackerangriffe gäbe als umgekehrt. Nun, auch dafür fehlen offensichtlich die Beweise. Was aber interessant ist: Diese Aussage Putins über eine höhere Anzahl von Hackerangriffen der USA gegen Russland als umgekehrt war nur einmal ganz kurz in einem “Tagesschau”-Report zu hören und ist anschliessend zur Gänze in der Berichterstattung westlicher Medien ausgelöscht worden. In den Tageszeitungen war nie etwas davon zu lesen. Und wenn man bei Google “Hackerangriffe USA Russland” eingibt, dann erscheinen ausschliesslich Meldungen über mutmassliche Attacken seitens Russlands gegen die USA, nie aber das Umgekehrte. Nun will ich damit nicht sagen, dass Putin Recht hat, wenn er von einer höheren Anzahl von Hackerangriffen der USA gegen Russland als umgekehrt spricht. Aber es ist doch höchst bedenkenswert, wie unterschiedlich unsere angeblich so objektiven und ausgewogenen Medien mit öffentlichen Stellungnahmen von Politikern umgehen, je nachdem ob sie von unseren “Freunden” oder “Feinden” geäussert werden. Wenn wir heute, wie es scheint, am Anfang eines neuen kalten Kriegs stehen, dann müssten die Medien ihre Verantwortung für eine möglichst sachliche und ausgewogene Berichterstattung umso sorgfältiger wahrnehmen, statt sich vom Fahrwasser eines einseitigen und gefährlichen Feindbilddenkens mitreissen zu lassen.